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Nervengifte oder Neurotoxine sind Stoffe die bereits in einer geringen Dosis eine schadigende Wirkung auf Nervenzellen bzw Nervengewebe erzielen Nervengifte sind eine heterogene Gruppe von Stoffen mit einer Vielzahl an Wirkmechanismen Die Mehrheit der Nervengifte sind exogene naturlich vorkommende Toxine die von Organismen stammen Einige chemische Elemente sind Nervengifte darunter Schwermetalle wie Blei Cadmium Quecksilber und Thallium Die Bezeichnung Nervengas insbesondere fur Nervenkampfstoffe ist irrefuhrend da alle hier aufgefuhrten Nervenkampfstoffe teilweise hochviskose Flussigkeiten sind und nur wenige Gase zu den Nervengiften zahlen Der Begriff stammt daher dass die ersten chemischen Kampfstoffe wie etwa Chlor Gase waren und zum Schutz dagegen Gasmasken eingesetzt wurden welche auch einen geringen Schutz gegen Nervenkampfstoffe bieten Eine endogene Vergiftung von Nervenzellen kann durch Reizuberflutung und darauf folgende ubermassige Ausschuttung von Neurotransmittern auftreten Excitotoxizitat Inhaltsverzeichnis 1 Neurotoxine 2 Nervenkampfstoffe 2 1 Reihen 2 2 G Reihe 2 3 V Reihe 2 4 Nowitschok Reihe 2 5 Sonstige Nervenkampfstoffe 2 6 Antidote 3 Sonstige Nervengifte 4 Literatur 5 EinzelnachweiseNeurotoxine BearbeitenDie meisten Nervengifte sind Toxine das heisst von Lebewesen synthetisierte Nervengifte und andere organische Stoffe Sie werden im Tierreich haufig zur Verteidigung oder als Beutegift zur Jagd anderer Tiere oder von Pflanzen und Pilzen als Frassschutz eingesetzt Die Wirkung dieser Stoffe beruht meist auf der Interaktion der Stoffe mit bestimmten Rezeptoren der Nervenzellen indem sie als Agonisten z B Nicotin an nicotinischen Acetylcholinrezeptoren diese auslosen oder als Antagonisten z B Atropin an muskarinischen Acetylcholinrezeptoren diese blockieren wodurch die Erregungsweiterleitung und damit die Funktion von Organen gestort wird Ein weiterer haufiger Wirkmechanismus beruht auf der Offnung oder dem Blockieren von Ionenkanalen wie der Offnung von Calciumkanalen durch Alpha Latrotoxin dem Gift der Europaischen Schwarzen Witwe oder der Blockade von Natriumkanalen durch Saxitoxin welches vorwiegend von Dinoflagellaten produziert wird Die Herkunft solcher Toxine sind beispielsweise Spinnentiere Skorpione Echte Witwen Schlangen Giftnattern Vipern Pilze Mutterkornalkaloide aus Mutterkorn Ibotensaureverbindungen aus Wulstlingen Psilocybin aus Psilocybe Arten Pflanzen Tropan Alkaloide aus Nachtschattengewachsen Coniin des Gefleckten Schierlings Bakterien Botulinumtoxin aus Clostridium botulinum Tetanospasmin aus Clostridium tetani dem Erreger von Tetanus Sonstige Lebewesen Saxitoxin aus Dinoflagellaten Conotoxine aus der Kegelschnecken Gattung ConusNervenkampfstoffe BearbeitenAls Nervenkampfstoffe wird eine Klasse von chemischen Waffen bezeichnet welche auf die Weiterleitung von Signalen in den Nerven und zwischen den Nerven einwirken Diese Nervengifte konnen uber die Haut Atmung und uber Korperoffnungen in den Korper eindringen und fuhren zu schweren systemischen Symptomen welche schliesslich zum Tod fuhren konnen Solche Symptome konnen starke Muskelkrampfe und Krampfanfalle Zittern Zucken der Muskulatur Kopfschmerzen Augenschmerzen Mudigkeit Verwirrtheit Angstzustande Spannungen Ubelkeit mit Erbrechen und Durchfallen unkontrollierter Harn und Stuhlabgang Appetitlosigkeit Atemnot Bewusstlosigkeit und Atemlahmung sein Reihen Bearbeiten Nervenkampfstoffe werden nach dem Ursprung ihrer Entwicklung in Gruppen eingeteilt die als Reihe bezeichnet werden Man unterscheidet dabei die G Reihe V Reihe und die Nowitschok Reihe Zur analytischen Charakterisierung der Stoffe und ihrer Abbauprodukte finden Methoden der Kopplung der HPLC mit der Massenspektrometrie Verwendung 1 2 3 G Reihe Bearbeiten nbsp Schrader Formel Am Phosphoratom ist ein Sauerstoff oder Schwefelatom doppelt gebunden X ist ein Halogenid oder Pseudohalogenid Reste R1 und R2 sind Alkyl Alkoxy oder N N Dialkyl Reste vereinfachte Strukturformel ohne Stereochemie nbsp Die G Reihe der NervenkampfstoffeDie G Reihe wurde wahrend des Zweiten Weltkrieges vom deutschen Chemiker Gerhard Schrader synthetisiert das G steht hierbei fur Germany 4 Es handelt sich um nicht persistente phosphororganische Verbindungen welche als Phosphorsaureester angesehen werden konnen und einen ahnlichen Aufbau wie in der nebenstehenden Abbildung zu entnehmen ist aufweisen So enthalten alle bis auf Tabun anstatt einer OH Gruppe der Phosphorsaure ein Fluoratom Tabun enthalt stattdessen eine Nitril Gruppe Zu dieser Stoffreihe zahlen Tabun GA 1936 Sarin GB 1939 Soman GD 1944 Cyclosarin GF 1949 und GV in Klammern jeweils G Reihen Bezeichnung und das Jahr der Erstherstellung Die Wirkung dieser Nervenkampfstoffe beruht auf der Hemmung der Acetylcholinesterase Die Gifte besetzen das aktive Zentrum des Enzyms und reagieren dort mit einem nukleophilen Serin Rest unter Bildung einer kovalenten Bindung 5 Der durch die Enzymblockade gehemmte Abbau des Acetylcholins fuhrt zu einem drastischen Konzentrationsanstieg dieses Neurotransmitters im cholinergen System und aussert sich im sogenannten akuten cholinergen Toxidrom mit Ubererregung der Nerven und schliesslich Blockade der Erregungsubertragung Es kommt je nach Starke der Vergiftung zu folgenden Symptomen Kopfschmerzen Ubelkeit mit Erbrechen und Durchfallen Augenschmerzen Mudigkeit Krampfanfalle Zittern Zucken der Muskulatur unkontrollierter Harn und Stuhlabgang Atemnot Appetitlosigkeit Angstzustande Spannungen Verwirrtheit Bewusstlosigkeit Der Tod tritt schliesslich durch Atemlahmung ein Die Antidote der medizinischen Notfallausrustung von NATO Soldaten enthalten als Anticholinergikum Atropin und Enzymreaktivatoren wie Trimedoximbromid und Obidoximchlorid Letztere gehoren zur Stoffgruppe der Oxime Im Gegensatz zu den Vertretern der V Reihe sind die Vertreter der G Reihe und DFP durch eine Phosphotriesterase in Tieren und manchen Mikroorganismen spaltbar ebenso durch die Organophosphorsaure Hydrolase aus Flavobakterien und Pseudomonas diminuta und durch das Calamari Enzym 6 V Reihe Bearbeiten nbsp Die V Reihe der NervenkampfstoffeDiese Reihe hatte ihren Ursprung bei dem Chemiker Ranajit Ghosh welcher fur das britische Unternehmen Imperial Chemical Industries Pflanzenschutzmittel erforscht hatte ICI brachte 1954 unter dem Namen Amiton das waffenfahige VG auf den Markt Es galt jedoch als zu gefahrlich fur den Einsatz als Pflanzenschutzmittel fand aber schnell Verwendung bei den Streitkraften des Vereinigten Konigreiches und der USA 7 auch wenn es aufgrund von erheblichen Problemen bei der Produktion Lagerung und Munitionierung nie grosstechnisch hergestellt oder gelagert wurde Der Name leitet sich je nach Quelle von Victory Sieg 8 Venomous giftig 9 oder Viscous viskos ab Die Stoffe dieser Reihe werden gelegentlich auch Tammelin s esters genannt Lars Erik Tammelin hatte fur das Schwedische Forschungsinstitut der Verteidigung zu chemischen Kampfstoffen des Ersten und Zweiten Weltkrieges geforscht und war seit 1952 ebenfalls an der Entwicklung der V Reihe beteiligt Es handelt sich ebenfalls um phosphororganische den Phosphorsaureestern ahnliche Kampfstoffe welche im Gegensatz zur G Reihe stabiler und etwa 5 mal so giftig sind vgl LD50 7 µg kg 1 fur VX Ratte i v und 39 mg kg 1 fur Sarin Ratte i v Sie verbleiben langer auf dem Schlachtfeld in der Kleidung sowie anderen Gegenstanden und konnen auch langer gelagert und beispielsweise in Granaten Raketen und auch Landminen eingesetzt werden Die Konsistenz ist zahflussig und olartig weshalb die haufige Bezeichnung Nervengas irrefuhrend ist Neben den bekannten hier abgebildeten Beispielen von denen jedoch nur VX und VR 10 militarisch verwendet wurden gibt es noch weitere Derivate mit ahnlichen Eigenschaften Die Wirkung und entsprechenden Gegenmassnahmen sind denen der G Reihe gleich Zu dieser Reihe zahlen die Stoffe VE VG VM VP VR VS und VX sowie EA 2192 und EA 3148 wobei VX als der bekannteste und am besten erforschte Kampfstoff dieser Reihe gilt Der Kontakt mit Giften aus der V Reihe kann nach adaquater Probenvorbereitung durch Identifizieren des Stoffwechselprodukts Methylphosphonsaure mit Hilfe der Kopplung der Massenspektrometrie mit der Ionenchromatographie nachgewiesen werden 11 Eine relativ schnelle Nachweismethode fur Gifte auch der VR Klasse verwendet die Kopplung der HPLC mit der Tandem Massenspektrometrie Die Nachweisgrenze fur die Gifte in Urinproben wird hierbei mit 5 mg ml angegeben 12 Nowitschok Reihe Bearbeiten Hauptartikel Nowitschok nbsp Nowitschok Strukturen nach Mirsajanow 2009 in der oberen Reihe von links A 230 A 232 A 234Nowitschok russisch novichok so viel wie Neuling oder Anfanger bezeichnet eine Reihe neuartiger sowjetischer Nervenkampfstoffe welche etwa zwischen 1970 und 1990 entwickelt wurden Sie zahlen zu den todlichsten Nervenkampfstoffen die jemals hergestellt worden sind von denen einige etwa 5 bis 8 mal so stark wie VX sein sollen Es gibt uber hundert Varianten in dieser Serie von denen einige in der Darstellung rechts gezeigt werden Die Wirkung und entsprechende Gegenmassnahmen sind denen der G Reihe gleich 13 Sonstige Nervenkampfstoffe Bearbeiten Diisopropylfluorphosphat kurz DFP wurde erstmals im Zweiten Weltkrieg von englischer Seite entwickelt und produziert Es war gedacht DFP als taktisches Gemisch mit Senfgas einzusetzen So ware es zu einem Kontaktgift geworden Die tatsachliche Verwendung von DFP als Kampfstoff ist nicht bekannt geworden Antidote Bearbeiten In vitro konnte gezeigt werden dass 1 1 Propan 1 3 diyl bis 4 tert butylpyridinium diiodid in der Lage ist durch allosterische Modulation von nikotinischer Acetylcholinrezeptoren der Wirkung von Soman entgegenzuwirken 14 Sonstige Nervengifte BearbeitenAuch einige Medikamente und Alkaloide wirken schadigend auf Nervenzellen und zahlen damit zu den Nervengiften Edelgase zahlen nicht zu den Giften und sind gegenuber Biomolekulen chemisch inert Jedoch uber induzierte Dipole konnen Atome des Gases mit biologischen Systemen wechselwirken So wirkt Xenon beispielsweise durch einen noch nicht vollstandig geklarten Mechanismus unter Beteiligung von Glutamat Rezeptoren narkotisierend 15 Literatur BearbeitenWaltraud Stammel Helmut Thomas Endogene Alkaloide in Saugetieren Ein Beitrag zur Pharmakologie von korpereigenen Neurotoxinen In Naturwissenschaftliche Rundschau Jg 60 Nr 3 2007 S 117 124 Einzelnachweise Bearbeiten V Tak A Purohit D Pardasani D R Goud R Jain D K Dubey Simultaneous detection and identification of precursors degradation and co products of chemical warfare agents in drinking water by ultra high performance liquid chromatography quadrupole time of flight mass spectrometry In J Chromatogr A Band 1370 28 Nov 2014 S 80 92 PMID 25454132 S A Willison Investigation of the persistence of nerve agent degradation analytes on surfaces through wipe sampling and detection with ultrahigh performance liquid chromatography tandem mass spectrometry In Anal Chem Band 87 Nr 2 20 Jan 2015 S 1034 1041 PMID 25495198 Rubin KM Goldberger BA Garrett TJ Detection of Chemical Weapon Nerve Agents in Bone by Liquid Chromatography Mass Spectrometry J Anal Toxicol 2020 May 18 44 4 391 401 PMID 32103269 Frederick R Sidell Jonathan Newmark John McDonough Nerve Agents In Medical Aspects of Chemical Warfare Kapitel 5 S 155 219 ke army mil PDF 902 kB Fredrik Ekstrom Andreas Hornberg Elisabet Artursson Lars Gunnar Hammarstrom Gunter Schneider Yuan Ping Pang Joel L Sussman Structure of HI 6 Sarin Acetylcholinesterase Determined by X Ray Crystallography and Molecular Dynamics Simulation Reactivator Mechanism and Design In PLoS ONE Band 4 Nr 6 18 Juni 2009 S e5957 doi 10 1371 journal pone 0005957 englisch Karlheinz Lohs Fachlexikon Toxikologie Springer Verlag 2008 ISBN 978 3 540 27337 0 S 129 eingeschrankte Vorschau in der Google Buchsuche J P Robinson the rise of CB weapons In The Problem of Chemical and Biological Warfare Band 1 New York 1971 ISBN 0 391 00200 7 S 71 Mohammd Moshiri Emadodin Darchini Maragheh Mahdi Balali Mood Advances in toxicology and medical treatment of chemical warfare nerve agents In DARU Journal of Pharmaceutical Sciences 2012 Band 20 Nr 81 28 November 2012 doi 10 1186 2008 2231 20 81 PMC 3470074 freier Volltext amerikanisches Englisch Detoxifying VX In Chemical amp Engineering News Band 94 Nr 38 26 September 2016 S 10 11 doi 10 1021 cen 09438 scicon001 A Radilov u a Russian VX In R C Gupta Hrsg Handbook of Toxicology of Chemical Warfare Agents Elsevier 2009 ISBN 978 0 12 374484 5 Chap 7 S 69 ff T Baygildiev A Zatirakha I Rodin A Braun A Stavrianidi N Koryagina I Rybalchenko O Shpigun Rapid IC MS MS determination of methylphosphonic acid in urine of rats exposed to organophosphorus nerve agents In J Chromatogr B Analyt Technol Biomed Life Sci Band 1058 15 Jul 2017 S 32 39 PMID 28531843 I Rodin A Braun A Stavrianidi T Baygildiev O Shpigun D Oreshkin I Rybalchenko Dilute and shoot RSLC MS MS method for fast detection of nerve and vesicant chemical warfare agent metabolites in urine In J Anal Toxicol Band 39 Nr 1 Jan Feb 2015 S 69 74 PMID 25326204 The agent fate of Novichok PDF Nicht mehr online verfugbar In CBRNe World cbrneworld com archiviert vom Original am 23 Oktober 2017 abgerufen am 12 Marz 2018 englisch Allosterische Modulation nikotinischer Acetylcholinrezeptoren eine neue Therapieoption fur die Behandlung von Nervenkampfstoffvergiftungen In Wehrmedizinische Monatsschrift Nr 5 2017 B Preckel N C Weber R D Sanders M Maze W Schlack Molecular Mechanisms Transducing the Anesthetic Analgesic and Organ protective Actions of Xenon In Anesthesiology Vol 105 Nr 1 2006 S 187 197 Dieser Artikel behandelt ein Gesundheitsthema Er dient nicht der Selbstdiagnose und ersetzt nicht eine Diagnose durch einen Arzt Bitte hierzu den Hinweis zu Gesundheitsthemen beachten Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Nervengift amp oldid 236284395