www.wikidata.de-de.nina.az
Der Nagelgraf in Hamm war eine bei einer Kriegsnagelung entstandene Nagelfigur aus Eichenholz Sie zeigte ein idealisiertes Bild des Grafen Adolf I von der Mark des Grunders der Stadt Hamm und der Grafschaft Mark Die Skulptur wurde vom Dusseldorfer Bildhauer Leopold Fleischhacker 1915 angefertigt und am 2 Januar 1916 feierlich auf dem Marktplatz der Stadt Hamm eingeweiht Inhaltsverzeichnis 1 Historischer Kontext 2 Entstehung in Hamm 3 Fertigung 4 Einweihung 5 Das Nagelritual 6 Weiterer Verbleib 7 Heutiges Abbild des Nagelgrafen und Zukunftsplane 8 Literatur 9 Weblinks 10 EinzelnachweiseHistorischer Kontext BearbeitenSehr bald nach Beginn des Ersten Weltkriegs kam der patriotische Brauch in Osterreich Ungarn auf die Zivilbevolkerung an der Heimatfront mit in die Unterstutzung der kampfenden Truppe einzubeziehen indem ihr die Moglichkeit gegeben wurde durch Geldspenden ihren eigenen Kriegsbeitrag zu leisten Solche Solidaritatsbekundungen mit der kampfenden Truppe bzw den Hinterbliebenen der gefallenen Soldaten fanden alsbald auch im Deutschen Kaiserreich ihre Anhanger An prominenten meist geschichtstrachtigen Orten wurden Figuren oder Objekte aus Holz aufgestellt die lokale oder nationale Symbole darstellten Die Bevolkerung bekam dann Gelegenheit gegen eine mehr oder weniger hohe Spende Nagel meist aus Eisen gelegentlich auch aus Bronze Silber oder Gold in diese einzuschlagen Die dadurch gesammelten Betrage wurden meist wohltatigen Zwecken zugefuhrt und entlasteten so den durch den Krieg strapazierten Staatshaushalt Der Ursprung des Ganzen durfte im Wehrmann in Eisen liegen der in Wien zum selben Zweck im Jahre 1914 aufgestellt wurde Entstehung in Hamm BearbeitenHamm war eine von vielen Stadten mit einer Nagelfigur wie in Berlin der Eisernen Hindenburg und in Dusseldorf der Bergische Lowe Im September 1915 beriefen der Hammer Verleger Emil Griebsch der Redakteur Adolf Lindemann und der Rektor Wilhelm Terbruggen im Saal der Witwe Hallermann eine Versammlung ein in der sie anregten auch fur Hamm ein solches Nagelstandbild zu errichten Es sollte sich um eine eiserne Symbolfigur handeln Das Attribut eisern bezieht sich dabei nicht vorrangig auf das verwendete Material schliesslich wurde die Figur letztendlich aus Eichenholz gefertigt sondern auf die antike griechische Mythologie Diese kennt das Goldene Zeitalter eine Zeit des Friedens das Silberne Zeitalter eine Zeit der Arbeit und das Eiserne Zeitalter eine Zeit des Krieges Die Gestaltung einer eisernen Figur sollte als Identifikation des Krieges diesem Vorbild entsprechen Der Bezug zum Eisen wurde schliesslich dadurch hergestellt dass die Bevolkerung zum Teil mit Hilfe eiserner Nagel metallene Schilder auf die Statue nageln sollte durch die schliesslich nach und nach die eiserne Rustung des Grafen entstand Gymnasiallehrer Hermann Eickhoff machte schliesslich den Vorschlag das Standbild nach dem Vorbild des Stadtgrunders von Hamm Graf Adolf I von der Mark zu gestalten Adolf hatte sich vor allem in den Isenberger Wirren als Kriegsherr hervorgetan Im Streit um das altenaische Erbe war es ihm gelungen Dietrich von Altena Isenberg den Sohn des Morders von Erzbischof Engelbert I von Koln Friedrich von Isenberg zu schlagen und fast das gesamte altenaische Gebiet das durch die Erbteilung von 1175 1180 gespalten worden war wieder in s einer Hand zu vereinigen Dietrich von Altena Isenberg wurden nur Reste zugestanden die spatere Grafschaft Limburg wahrend Graf Adolf auf den wiedervereinigten altenaischen Besitztumern die Anfange der Grafschaft Mark etablierte Graf Adolf wurde auf dieser Basis zum Eisernen Grafen verklart der der gesuchten Identifikation des Krieges entsprach Im Gegensatz zu anderen Grafen von der Mark die von Malern portratiert wurden gibt es vom Grafen Adolf kein lebensnahes Bildnis Die Darstellung des Nagelgrafen war also von vornherein der Phantasie des Kunstlers anheimgestellt der dazu angehalten war eine Symbolfigur fur nationalistische Projektionen zu schaffen Den Initiatoren war daran gelegen vom weihevollen Nimbus des beinahe mythischen Stadtgrunders zu profitieren 1 Die Kunstfigur hatte deshalb mit dem historischen Grafen ausser dem Namen wenig gemein Da es an gesichertem Wissen uber das Leben Adolfs I fehlte bildeten sich um die Figur des Nagelgrafen eigene Sagen und Legenden So verband man etwa bei der Aufstellung des Nagelgrafen auf dem Hammer Marktplatz Anfang 1916 den Grafen Adolf nicht nur mit der Grundung Hamms und dem Krieg sondern auch mit dem damaligen Herrscher des Deutschen Reiches Kaiser Wilhelm II Sein Leben gleicht vielfach dem unseres jetzt regierenden Kaisers Wilhelm war am 3 Januar in der Presse zu lesen Auch die Gleichsetzung des Grafen Adolf mit dem Kaiser hatte lediglich Symbolcharakter Wegen des Mangels an gesicherten Erkenntnissen uber den Grafen liessen sich Ahnlichkeiten in Eigenschaften Verhalten oder politischen Entscheidungen nicht naher bestimmen Der Vergleich hatte also keinerlei sachliche Substanz und diente der Glorifikation einerseits des Kaisers andererseits des Grafen Adolf aus der man Kapital zu schlagen gedachte Diese Zusammenhange werden auch in folgenden Versen des Arbeitsausschusses deutlich Graf von der Mark in eisernem Wehrebist doch ein Sinnbild unserer Tageuns zum Gedachtnis fur immer nun rage Enkeln zum Ansporn und zur Ehre Sei du der du die Stadt hier gegrundet der auch den ferneren Geschlechtern verkundet dass unsere Burger am heimischen Herd zeigten der Zeiten der grossen sich wert 2 Die Wehrhaftigkeit des Grafen galt als Sinnbild und Erinnerung an die grosse Zeit der Stadtgrundung Hoch ragt die Reckengestalt des Grafen von der Mark aus deutscher Eiche knorrig kraftvoll wie Westphalen ist schwarmte die Presse nach Aufstellung der Statue 3 Fertigung BearbeitenEine Einzelperson spendete fur die Fertigung des Eisernen Grafen 3 000 Mark so dass bald der Bildhauer Leopold Fleischhacker beauftragt werden konnte Fleischhacker hatte bereits fruher bekannte Kunstwerke der Stadt Hamm geschaffen darunter die bronzene Figurengruppe Vater und Sohn auch Der Schwimmer von 1913 die zunachst am Stadtbad aufgestellt wurde und sich heute im Maximare befindet Spater schuf er eine Grabstele fur Isidor Lauter Bemerkenswerterweise blieben die Werke des judischen Kunstlers inklusive des Nagelgrafen wahrend der gesamten Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft unangetastet Fleischhacker stellte zunachst ein Gipsmodell her Dieses befand sich zunachst im Besitz des Redakteurs Adolf Lindemann und gelangte auf abenteuerlichen Umwegen 4 in das Gustav Lubcke Museum in Hamm wo es erhalten geblieben ist Aufgefunden hat es der Bezirksvorsteher des Stadtbezirks Hamm Uentrop in einem Museum in Berlin Dort gelang es ihm die Uberfuhrung der Skulptur nach Hamm in die Wege zu leiten 5 Das Modell des Nagelgrafen ist nur gut einen Meter hoch wahrend die ausgefuhrte Skulptur 2 5 Meter gross war mit Sockel sogar mehr als 2 7 Meter und zwischen 13 und 14 Zentner schwer Die aus einem Eichenklotz deutsche Eiche geschlagene Statue gab sich wehrhaft gekleidet in eine Ritterrustung des 13 Jahrhunderts Kettenhemd auf dem ein Wappen zu sehen ist ein Helm auf dem Kopf ein zweiter in Form eines Topfhelms der vermutlich auf den getragenen gestulpt wurde zu den Fussen auf seinen Schild gestutzt das Schwert gegurtet Der Umhang wird durch eine Fibel zusammengehalten Einweihung BearbeitenDie fertiggestellte Figur wurde schliesslich in der Nordecke des Marktplatzes aufgestellt uberdacht von einem tempelartigen Pavillon Auch dies geschah an symboltrachtiger Stelle Genau hier hatte von 1876 bis 1914 die Figur der Germania gestanden die an die deutschen Erfolge im Deutsch Franzosischen Krieg von 1870 1871 erinnern sollte Hier wurde also die Erinnerungskultur fortgesetzt die sich legendenhaft um die Vorstellung vom Eisernen Zeitalter rankte Die Statue wurde am 2 Januar 1916 feierlich eingeweiht Im Ruckblick berichtete der Westfalische Anzeiger von einer beeindruckenden Einweihungsfeier unter blauem Himmel mit zehntausenden von Besuchern Eine grosse Menschenmenge versammelte sich an der Ecke Hohe Strasse Bahnhofstrasse Trommler Pfeifer und die Kapelle des 130er Regiments fuhrten einen Marsch an der durch die Grosse Weststrasse zum Marktplatz fuhrte Der Weg war von Flaggen und dichten Menschenreihen gesaumt Gegen 11 Uhr 30 begann die eigentliche Einweihungsfeier begleitet von musikalischen Darbietungen auf einem Podium das eigens fur Musiker und Sanger errichtet worden war Georg Wilhelm Vogel 1842 1916 hatte zu diesem Anlass einige Zeilen gedichtet die vom Rezitator August Dotter vorgetragen wurden Zeitgleich wurde das Standbild enthullt Anschliessend trug Professor Hermann Eickhoff 1853 1934 die Weiherede vor in deren Rahmen er an den Grafen Adolf erinnerte Durch Kampf und Sieg ging sein ganzes Leben ebenso wie das des Kaisers Die Ansprache wurde von der Hammer Bevolkerung begeistert aufgenommen und von Jubelrufen begleitet In Freudenwallung stimmten die Besuch die Kaiserhymne an und anschliessend das Lied Deutschlandlied 6 Gegen Ende der Veranstaltung wurde zum ersten Mal genagelt Oberburgermeister Richard Matthaei befestigte das Ehrenschild der Stadt Hamm an der Figur Das Nagelritual BearbeitenMit pathetischen Worten wurden die Hammer Einwohner dazu aufgefordert im Saulengang des Rathauses Nagel zu erwerben Der Erlos dieser offentlichen Spende kame den Hinterbliebenen der Gefallenen des Ersten Weltkrieges zugute Wohlan Ihr Burger Hamms Ihr Bewohner der alten Grafschaft Mark zeigt Euch der teuren Opfer wurdig 7 Kunftig wurden mit unterschiedlichen Arten von Nageln metallene Schilder auf die Holzfigur genagelt Auf diese Weise entstand der Eindruck einer langsam entstehenden metallenen Rustung Die Schilder kosteten 150 Mark oder mehr wenn sie gemeinsam mit goldenen Nageln erworben wurden 25 Mark im Fall von silbernen Nageln und zwischen 50 Pfennigen und 10 Mark bei eisernen Nageln Einen kleinen Eisennagel gab es schon fur 50 Pfennig Die Drahtindustriefabriken der Stadt spendeten je 5 000 Mark die Bergwerksgesellschaft Trier die u a die Zeche Radbod betrieb 1 500 Mark Aber auch Vereine Schulen Privatpersonen und das Reserve Infanterie Regiment Nr 130 beteiligten sich an der Spendensammlung und trugen innerhalb nur eines Jahres beachtliche 61 000 Mark zusammen Das Ritual des Nagelns diente einerseits der Unterstutzung der Frauen und Kinder gefallener Soldaten andererseits aber auch der Rechtfertigung des Krieges An vielen Orten war es das stadtische Burgertum das von dem Gefuhl nationaler Gemeinschaftichkeit vielfach wie berauscht wirkte schilderte spater der Historiker Ludger Grevelhorster die Stimmung zu Beginn des Krieges der allgemein als Verteidigungskrieg verstanden wurde Der Neid der Feinde habe den goldenen Frieden zerstort der Feind trage die Schuld er sei es der unser so friedliebendes Volk zu den Waffen zwang hiess es etwa im Westfalischen Anzeiger 8 Dem Nationalrausch den der Krieg erzeugt konnte man sich nur schwerlich entziehen wenn man nicht Schaden nehmen wollte an der eigenen muhselig aufgebauten burgerlichen Reputation Immer wieder rief die Zeitung dazu auf sich zu beteiligen Wer Schilder und Nagel an der Holzfigur angebracht hatte erhielt im Gegenzug eine sogenannte Nagelkarte als Beweis und zur Erinnerung Ein Exemplar ist noch heute im Hammer Stadtarchiv zu finden Bemerkenswerterweise fand sich auf der Statue auch ein Schild der Hammer Synagogengemeinde Als Zeichen der Solidaritat hatte sie auf ihrem Schild das sie auf die Statue nagelte Zeilen aus der dritten Strophe des Deutschlandlieds angebracht Synagogen Gemeinde HammEinigkeit und Recht und FreiheitSind des Gluckes Unterpfand Bluh im Glanze dieses Gluckes Bluhe deutsches Vaterland Am Abend des 2 Januar 1916 wurde im Saal Buschkuhle seitens des Streichorchesters des 130er Regiments mit der Unterstutzung einiger Solisten ein Wohltatigkeits Konzert abgehalten Gegeben wurde neben Stucken von Edvard Grieg und Wolfgang Amadeus Mozart auch das Lied Graf Adolf von der Mark Eisern wehrhaft deutsch und stark lautete der von Ludwig Nolte gesungene Text den Adolf Lindemann geschrieben hatte Weiterer Verbleib BearbeitenIm Jahre 1925 wurde die Statue in dem Treppenhaus des neuen Rathauses Stadthauses an der Museumsstrasse versetzt Dort blieb sie bis zu ihrer Teilzerstorung am 5 Dezember 1944 durch einen alliierten Bombenangriff wahrend des Zweiten Weltkrieges Dabei ging auch der Nagelgraf verloren Erst im Jahre 1949 wurde die Statue in den Trummern des Stadthauses gefunden Da der Kopf der Statue zerstort worden war entschloss sich die Stadt das Standbild vollstandig zu entsorgen so dass von ihm heute nichts mehr erhalten ist Jahre spater fand der Bezirksvorsteher des Stadtbezirks Hamm Uentrop in einem Museum in Berlin den seitens des Kunstlers aus Gips gefertigten Skulpturentwurf der sich zunachst im Besitz des Redakteurs Adolf Lindemann befunden hatte Es gelang dem Bezirksvorsteher die Gipsstatue nach Hamm zu holen wo sie heute im Stadtischen Gustav Lubcke Museum ausgestellt ist Heutiges Abbild des Nagelgrafen und Zukunftsplane BearbeitenAuf der Ostseite der Gaststatte Alte Mark in Hamm neben der Pankratiuskirche findet sich ein Fenster das ein detailgetreues Abbild des Nagelgrafen zeigt Von aussen betrachtet erscheint das Bild spiegelverkehrt Der Forderverein Burg Mark Hamm e V plant auf der Basis des Gipsentwurfes eine zeitgemasse Nachbildung des Nagelgrafen fertigen zu lassen Da in Hamm aktuell kein Denkmal zum Andenken an den Stadtgrunder Graf Adolf I von der Mark existiert soll es der Stadt Hamm zur Erinnerung an die Geschehnisse des Ersten Weltkrieges und die Grundung ihrer Stadt zur Verfugung gestellt werden Literatur BearbeitenHermann Eickhoff Der Eiserne Graf in Hamm Ein Jahr der Opfertatigkeit Hamm Westf Griebsch 1916 Sabine Fischer Der holzerne Graf Der Forderverein Burg Mark mochte ein Denkmal fur Adolf I aufstellen Als Vorbild dient der Gipsentwurf einer Holzskulptur aus dem Ersten Weltkrieg In Westfalischer Anzeiger vom 2 Januar 2010 Maria Perrefort Der eiserne Nagelgraf Symbolfigur fur Heldentum und Krieg In Heimatblatter Geschichte Kultur und Brauchtum in Hamm und in Westfalen Folge 24 vom Dezember 2009 Teil 1 und Folge 1 vom Januar 2010 Teil 2 Andreas Skopnik Graf Adolf als Nagelstandbild Fur Witwen und Waisen wurde im Ersten Weltkrieg genagelt In Westfalische Heimatblatter Jahrgang 1998 Nr 21 vom 8 September 1998 Heinrich Thomas in Unser Westfalen Jahrgang 2002 Seite 49 Weblinks BearbeitenBild des Gipsentwurfs des Nagelgrafen im Stadtischen Gustav Lubcke Museum Hamm auf der Webseite des Fordervereins Burg Mark e V Einzelnachweise Bearbeiten Maria Perrefort in der Dezemberausgabe der Heimatblatter Westfalischer Anzeiger 27 November 1915 Westfalischer Anzeiger vom 20 Januar 1916 Maria Perrefort Dezemberausgabe der Heimatblatter Personliches Gesprach mit Bjorn Pfortzsch Westfalischer Anzeiger vom 3 Januar 1916 Westfalischer Anzeiger vom 31 Dezember 1915 Westfalischer Anzeiger vom 21 Februar 1916 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Nagelgraf amp oldid 228992496