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Das Mainzer Mikrotron MAMI ist ein Teilchenbeschleuniger fur Elektronenstrahlen der vom Institut fur Kernphysik der Universitat Mainz betrieben und fur Experimente der Kern und Hochenergiephysik benutzt wird Es ist als mehrstufiges Rennbahnmikrotron mit normalleitenden Linearbeschleunigern aufgebaut Der Beschleuniger steht seit 1979 fur Experimente zur Verfugung und wurde seither kontinuierlich erweitert In der neuesten Ausbaustufe MAMI C kann der Beschleuniger polarisierte Elektronenstrahlen Polarisationsgrad typisch 80 von mehr als 20 µA Strahlstrom und unpolarisierte Elektronenstrahlen von bis zu 100 µA auf relativistische Energien bis 1 5 GeV beschleunigen Das MAMI ist ein sogenannter Dauerstrichbeschleuniger d h der Strahl ist nicht wie bei manchen anderen Beschleunigeranlagen in Makropulse aufgeteilt sondern die Teilchenpakete Bunche durchlaufen den Beschleuniger in kontinuierlicher Folge Die Zeitstruktur des Strahls ist dadurch so fein dass die Detektoren der Experimente sie nicht mehr auflosen konnen und der Strahl somit wie ein kontinuierlicher Gleichstrom wirkt Dies hat den grossen Vorteil dass die Menge anfallender Experimentierdaten gleichmassig verteilt und nicht in kurzen Pulsen konzentriert ist Der Beschleuniger erzeugt einen scharf definierten Strahl der Strahldurchmesser ist wenige 0 1 mm gross und die Energieunscharfe kleiner als 13 keV Die Energie der Elektronen streut also nur um etwa ein Hunderttausendstel um den Sollwert MAMI C ca 110 keV bzw sieben Hunderttausendstel Auch die Position des Strahls wird uber komplexe Regelungsmechanismen auf weniger als 200 µm konstant gehalten Dieses Gerat eignet sich daher sehr gut um Prazisionsuntersuchungen zur Struktur der Materie im subatomaren Bereich durchzufuhren Die Forschung am Institut konzentriert sich besonders auf die Untersuchung subatomarer Gebilde die aus vielen Teilchen mit starker Wechselwirkung zusammengesetzt sind Vier experimentelle Arbeitsgruppen mit Kooperationspartnern aus mehr als zehn Landern haben sich bis jetzt 2008 am Institut angesiedelt um den Beschleuniger zu nutzen Eine Gruppe von theoretischen Physikern nutzt die so gewonnenen Erkenntnisse um das Verstandnis uber die Wechselwirkung der Elementarteilchen insbesondere der Quarks und Gluonen zu verbessern Im Mai 2008 wurde die Ausstattung des Instituts um einen Supercomputer erweitert mit dem komplexe theoretische Simulationen im Kontext der Teilchen und Hochenergiephysik durchgefuhrt werden konnen Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 2 Funktionsprinzip 3 Technische Daten 4 Forschungsschwerpunkte 4 1 A1 Kollaboration 4 2 A2 Kollaboration 4 3 A4 Kollaboration 4 4 X1 Kollaboration 4 5 Theoriegruppe 4 6 B1 Kollaboration 4 7 B2 Kollaboration 5 Betrieb 6 Beschleuniger mit ahnlichem Forschungsschwerpunkt 7 Einzelnachweise 8 Literatur 9 WeblinksGeschichte BearbeitenDas Gesamtkonzept und die ersten Stufen von MAMI wurden entwickelt von Helmut Herminghaus in Zusammenarbeit mit Karl Heinz Kaiser die insbesondere fur dieses Projekt vom Direktor des Instituts Hans Ehrenberg dazu berufen wurden 1975 Erster Vorschlag fur ein Rennbahnmikrotron RTM 1979 Erster Elektronenstrahl des Prototyp RTM MAMI A1 mit 14 MeV Endenergie1983 Fertigstellung der ersten Erweiterung MAMI A2 mit 183 MeV Endenergie1990 Fertigstellung der zweiten Erweiterung MAMI B mit 855 MeV Endenergie1992 Fertigstellung einer Quelle fur polarisierte Elektronen1993 Installation einer Anlage fur koharente Rontgenstrahlung im X1 Experiment2002 Installation eines FEL fur Infrarotstrahlung im X1 Experiment2006 Fertigstellung der dritten Erweiterung MAMI C mit 1 5 GeV Endenergie2008 Installation eines Computerclusters fur Simulationen im Rahmen der theoretischen PhysikFunktionsprinzip BearbeitenEin Linearbeschleuniger fur Elektronen erlaubt typisch nur wenige MeV Energiegewinn pro Meter Lange An MAMI durchlaufen die Elektronen denselben Linearbeschleuniger mehrfach wobei sie nach jedem Durchlauf durch Magnete umgelenkt und wieder zum Anfang des Linearbeschleunigers zuruckgefuhrt werden In Kauf genommen wird dabei dass die Elektronen bei der Umlenkung jeweils einen Teil ihrer Energie als Synchrotronstrahlung verlieren Die Bahnen sehen hierbei wie die Rennbahnen einer antiken Arena aus weshalb dieses Konzept als Rennbahn Mikrotron Racetrack Microtron RTM bezeichnet wird Die Umlenkmagnete mussen gross genug sein damit auch die Elektronen der hochsten Energie noch vollstandig in ihrem Inneren abgelenkt werden Fur die Beschleunigerstufe MAMI B sind diese Magnete ca 5 m breit und 450 t schwer Damit ist die mechanische Grenze des RTM Konzepts erreicht 1 wodurch MAMI das grosste Mikrotron der Welt ist Die neueste Beschleunigerstufe verwendet daher nicht mehr zwei um 180 ablenkende Magnete und einen Linearbeschleuniger sondern vier jeweils um 90 ablenkende Magnete und zwei Linearbeschleuniger Fur dieses neue Konzept des harmonischen doppelseitigen Mikrotrons wurden weltweit erstmals 2 Linearbeschleuniger mit einer Frequenz von 4 90 GHz entwickelt und eingesetzt Technische Daten BearbeitenStufe MAMI B 3 MAMI C 4 Endenergie 855 1 MeV 1508 MeVUmlaufe 90 43Magnetfeld Umlenkmagnete 1 28 T 0 95 1 53 TMasse Umlenkmagnete 250 t 450 tMikrowellenfrequenz 2 45 GHz 2 45 4 90 GHzMikrowellenleistung 102 kW 117 128 kWLange Linearbeschleuniger 8 9 m 8 6 10 1 mGrosse der Anordnung L B 21 m 10 m 30 m 15 mAnmerkung Die Grosse bezieht sich nur auf die von den Umlenkmagneten eingeschlossene Grundflache Forschungsschwerpunkte BearbeitenDas Institut fur Kernphysik beherbergt vier experimentelle Arbeitsgruppen die den Strahl des Beschleunigers auf unterschiedliche Arten fur die physikalische Grundlagenforschung und angewandte Forschungsthemen nutzen A1 Kollaboration Bearbeiten Fur das Experiment der A1 Kollaboration wird der Elektronenstrahl auf feste z B Kohlenstoff flussige z B Wasserstoff und gasformige Ziele z B 3 displaystyle 3 nbsp He geschossen Untersucht werden dabei besonders solche Reaktionen in denen zusatzliche Teilchen erzeugt werden Diese neu erzeugten Teilchen die am Ziel gestreuten Elektronen und gegebenenfalls die aus dem Ziel herausgeschlagenen Kernfragmente werden dann mittels magnetischer Spektrometer nachgewiesen und identifiziert Die A1 Kollaboration besitzt drei solcher Spektrometer die jeweils unter verschiedenen Winkeln auf das Ziel ausgerichtet werden konnen und somit gezielt nur solche Teilchen nachweisen die unter einem bestimmten Winkel gestreut oder erzeugt wurden Die Spektrometer konnen in Koinzidenz betrieben werden wodurch man aus der grossen Menge stattfindender Reaktionen die fur die Fragestellung des Experiments relevanten Reaktionen herausfiltern kann Ein viertes Spektrometer das KAOS Spektrometer wird bei Messungen extrem kurzlebiger Teilchen der Kaonen zusatzlich in den Messaufbau eingesetzt Diese Messungen dienen dazu bestimmte Formfaktoren von Proton und Neutron zu ermitteln Mit Hilfe dieser Messungen soll bestimmt werden mit welcher Struktur Proton und Neutron aus ihren Bestandteilen den Quarks und Gluonen zusammengesetzt sind Ausserdem werden Untersuchungen uber Struktur und Zusammenhalt von leichten Atomkernen durchgefuhrt 5 A2 Kollaboration Bearbeiten Im Experiment der A2 Kollaboration wird der Elektronenstrahl nicht direkt genutzt sondern durch Bestrahlung eines Bremsstrahlungstargets je nach Zielsetzung eine dunne Metallfolie oder Diamant hochenergetische Gammastrahlung mit Energien von 100 MeV bis 1 5 GeV erzeugt Durch Verwendung einer Photonenmarkierungsanlage ist es moglich fur jedes der hierbei erzeugten Gamma Quanten einzeln die genaue Energie zu bestimmen so dass auch die Energieabhangigkeit der beobachteten Phanomene untersucht werden kann Als Detektor verwendet das A2 Experiment seit 2003 den inzwischen weitgereisten Crystal Ball Detektor bestehend aus 672 Natriumiodid Kristallen Neben Wasserstoff und Deuterium wurden auch schon schwerere Kerne bis hin zum Blei untersucht 6 A4 Kollaboration Bearbeiten Im A4 Experiment wird der polarisierte Elektronenstrahl mit Energien zwischen 315 MeV und 1508 MeV auf Ziele aus flussigem Wasserstoff oder Deuterium geschossen Die gestreuten Elektronen werden in einem Kalorimeter bestehend aus 1022 Bleifluorid Kristallen nachgewiesen Hierbei werden speziell diejenigen Elektronen untersucht die elastisch d h ohne Zerstorung oder Anregung des Zielkerns gestreut wurden Bei Umkehrung der Polarisationsrichtung andert sich die Anzahl gestreuter Elektronen um einen geringen Bruchteil von ca einem Hunderttausendstel und aus diesen Anderungen konnen Ruckschlusse auf den Aufbau des Zielkerns gezogen werden Die A4 Kollaboration untersucht hiermit wie stark Quantenfluktuationen zum inneren Aufbau und zu den Eigenschaften von Proton und Neutron beitragen und welche Mechanismen bei der Wechselwirkung von Elektronen mit diesen Teilchen wirken 7 X1 Kollaboration Bearbeiten Die X1 Kollaboration verwendet ebenfalls nicht den Elektronenstrahl selbst sondern verwendet diesen zur Erzeugung von elektromagnetischer Strahlung unterschiedlicher Wellenlangen bzw Energien Dies geschieht in Berylliumfolien durch Ubergangsstrahlung in Einkristallen durch parametrische Rontgenstrahlung oder ganz ohne Medium in magnetischen Undulatorstrukturen Diese Strahlung kann z B zur Rontgen Strukturanalyse von Materialien eingesetzt werden Ausserdem arbeitet die X1 Kollaboration an der Entwicklung eines Freie Elektronen Lasers zur Erzeugung von Infrarotstrahlung im Wellenlangenbereich zwischen 0 05 und 0 20 mm unter Ausnutzung des Smith Purcell Effekts 8 Alle experimentellen Arbeitsgruppen sind auch in der Entwicklung von Detektorsystemen und experimentellen Apparaturen tatig Viele der Entwicklungen werden von den im Institut ansassigen Werkstatten hergestellt Theoriegruppe Bearbeiten Neben den experimentellen Arbeitsgruppen gibt es eine theoretische Arbeitsgruppe die unter Nutzung der experimentellen Ergebnisse das Verstandnis der Struktur und Wechselwirkung der Elementarteilchen zu verbessern versucht Ein Schwerpunkt ist hierbei die chirale Storungstheorie eine effektive Feldtheorie die moglichst gute Naherungslosungen fur die analytisch nicht losbaren Gleichungen der QCD sucht Zum anderen wird im Rahmen der Gittereichtheorie daran gearbeitet die Eigenschaften von Systemen mit starker Wechselwirkung durch numerische Verfahren Monte Carlo Simulation zu bestimmen Hierzu verfugt die Theoriegruppe uber einen leistungsfahigen Computercluster bestehend aus 250 Rechenknoten mit je zwei Quad Core Prozessoren Intel Xeon E5462 2 8 GHz Taktfrequenz die uber ein DDR Infiniband Netzwerk mit einer bidirektionalen Datenubertragungsrate von 2 2 GByte s verbunden sind Dieser Cluster erreicht eine Rechenleistung von 17 3 Teraflops im Linpack Benchmark 9 und eine effektive Rechenleistung fur die QCD Simulationen von 3 7 Teraflops 10 11 Zwei Arbeitsgruppen beschaftigen sich mit Betrieb und Weiterentwicklung des Beschleunigers an sich B1 Kollaboration Bearbeiten Die B1 Kollaboration ist fur den Betrieb die Wartung und Weiterentwicklung des Beschleunigers zustandig Diese Kollaboration hat auch die jungste Beschleunigerstufe geplant und aufgebaut 12 B2 Kollaboration Bearbeiten Die B2 Kollaboration ist fur die polarisierte Elektronenquelle des Beschleunigers zustandig Die beteiligten Physiker untersuchen die Eigenschaften der hierfur benotigten Halbleiterkristalle und Lasersysteme um die Strahlqualitat weiter zu verbessern 13 Betrieb BearbeitenDer Beschleuniger wird von fest angestellten Wissenschaftlern und Ingenieuren sowie von studentischen Hilfsoperateuren betrieben Die Experimente werden durch wissenschaftliche Arbeitsgruppen auch als Kollaborationen bezeichnet geplant aufgebaut und betrieben Die Arbeitsgruppen setzen sich aus fest am Institut angestellten Wissenschaftlern und Wissenschaftlern anderer Institute sowie aus Studenten die ihre Diplom oder Doktorarbeit anfertigen zusammen Ein grosser Teil der Planungs und Aufbauarbeit wird hierbei von den Studenten geleistet 14 Die reine Nutzdauer fur Experimente betrug in den letzten Jahren Stand Mai 2007 im Mittel 5000 Stunden pro Jahr das sind 57 des Jahres und 81 der jahrlichen Betriebsdauer Der Rest der Betriebszeit entfiel auf Vorbereitung und Weiterentwicklung Wegen technischer Schwierigkeiten war der Beschleuniger wahrend 160 Stunden pro Jahr ausser Betrieb dies sind 3 der jahrlichen Betriebsdauer 15 Im Mai 2008 hat die Ausbaustufe MAMI B des Beschleunigers die Marke von 100 000 Betriebsstunden uberschritten 15 Beschleuniger mit ahnlichem Forschungsschwerpunkt BearbeitenELSA an der Rheinischen Friedrich Wilhelms Universitat Bonn Deutschland CEBAF an der Thomas Jefferson National Accelerator Facility JLab Newport News Virginia USAEinzelnachweise Bearbeiten H Herminghaus From MAMI to the Polytrons In Proceedings of the European Particle Accelerator Conference 1992 Berlin Band 1 1992 S 247 251 A Jankowiak The Mainz Microtron MAMI Past and Future In European Physical Journal A Band 28 s01 2006 S 149 160 Universitat Mainz Institut fur Kernphysik Jahresbericht 1990 91 A Jankowiak u a Status report on the HDSM of MAMI C In Proceedings of the European Particle Accelerator Conference 2006 Edinburgh 2006 S 834 836 Homepage der A1 Kollaboration Memento vom 24 April 2008 im Internet Archive Homepage der A2 Kollaboration Memento vom 4 Februar 2012 im Internet Archive Homepage der A4 Kollaboration Memento vom 2 September 2007 im Internet Archive Homepage der X1 Kollaboration Memento vom 28 August 2008 im Internet Archive Eintrag in der TOP500 Supercomputing Sites Liste Juni 2008 Memento vom 2 Juli 2008 im Internet Archive abgerufen am 27 Juni 2008 Anfrage bei der Theoriegruppe des Instituts Homepage der Theoriegruppe Homepage der B1 Kollaboration Memento vom 1 Mai 2007 im Internet Archive Homepage der B2 Kollaboration Betrieb Homepage des Instituts fur Kernphysik Abgerufen am 24 April 2018 a b Anfrage bei der Beschleunigergruppe des InstitutsLiteratur BearbeitenProspekt des Instituts fur Kernphysik Johannes Gutenberg Universitat Mainz PDF abgerufen am 23 April 2018 Aktueller Jahresbericht des Instituts Johannes Gutenberg Universitat Mainz online Klaus Wille Physik der Teilchenbeschleuniger und Synchrotronstrahlungsquellen 2 Auflage Teubner Stuttgart 1996 ISBN 3 519 13087 4 Bogdan Povh Klaus Rith Christoph Scholz Frank Zetsche Teilchen und Kerne 7 Auflage Springer Berlin 2006 ISBN 3 540 36685 7 Konrad Kleinknecht Detektoren fur Teilchenstrahlung 4 Auflage Teubner Wiesbaden 2005 ISBN 3 8351 0058 0 Weblinks BearbeitenHomepage des Instituts fur Kernphysik Homepage der B1 Kollaboration Geschichte des Beschleunigers Daten des Rechenclusters in den TOP500 Supercomputing Sites Memento vom 22 November 2008 im Internet Archive 49 991666666667 8 2363888888889 Koordinaten 49 59 30 N 8 14 11 O Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Mainzer Mikrotron amp oldid 238814398