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Als Kolner Wirren oder als Kolner Ereignis bezeichnet man einen Hohepunkt des Konflikts zwischen der katholischen Kirche und dem preussischen Staat in den Westprovinzen Preussens wahrend des Vormarz der 1837 zur Inhaftierung des Erzbischofs von Koln fuhrte Die Integration der 1815 preussisch gewordenen Teile der aufgelosten geistlichen Furstentumer Koln Paderborn und Munster fuhrte zu Spannungen zwischen der katholischen Kirche und der Berliner Regierung Ansatzpunkte zu Auseinandersetzungen boten die Frage des Hermesianismus und das Problem der konfessionsverschiedenen Ehen Wahrend sich auf katholischer Seite ein Wandel in theologischer und gesellschaftstheoretischer Auffassung vollzog spielte auf der Seite Preussens die staatskirchliche Tradition eine zentrale Rolle Der bis 1806 ganz uberwiegend protestantische Staat mit einem Konig der gleichzeitig Haupt der Landeskirche war stand der Haltung der katholischen Kirche mit Unverstandnis gegenuber Inhaltsverzeichnis 1 Der Hermesianismus 2 Die Mischehenfrage 3 Verhaftung und Inhaftierung des Kolner Erzbischofs 4 Historische Bedeutung 5 Literatur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseDer Hermesianismus BearbeitenGeorg Hermes war 1820 von Erzbischof Ferdinand August von Spiegel als Professor fur Dogmatik an die Bonner Universitat berufen worden Seine Wirkung wurde ab 1822 durch seinen ehemaligen Schuler den Rechtsphilosophen und Juristen Clemens August von Droste zu Hulshoff verstarkt der 1829 1831 Rektor wurde Die von beiden vertretene philosophische Lehre stellte ein kritizistisches psychologisches und anthropozentrisches System zur rationalen Rechtfertigung des katholischen Glaubens dar Diese Lehre stand damit in einer gewissen Tradition der katholischen Aufklarung fur die etwa der Mitgrunder der Bonner beziehungsweise der Munsteraner Universitat Franz Wilhelm von Spiegel ein Bruder von Bischof Ferdinand August und Franz von Furstenberg standen Diese Haltung geriet bereits wahrend des Vormarz in Gegensatz zu antiaufklarerischen Tendenzen im Katholizismus die schliesslich im Ultramontanismus und dem Ersten Vatikanischen Konzil gipfelten Der Nachfolger von Erzbischof Spiegel Clemens August Droste zu Vischering war bereits ein Vertreter dieser neuen Auffassungen nbsp Noch zur Stadtverordnetenwahl 1881 beschaftigte sich die Titelseite der Kolnischen Zeitung mit den von der Redaktion als judenfeindlich und papsthorig eingestuften Ultramontanen Er stand damit im Einklang mit Gregor XVI der die Lehre von Hermes 1835 mit dem Breve Dum acerbissimas verbot und dessen Werke auf den Index der verbotenen Bucher setzte Der im Jahre 1836 gewahlte Clemens August betrachtete es als erste Aufgabe gegen den Hermesianismus vorzugehen In Uberschreitung seiner Befugnisse verbot er den Theologiestudenten den Besuch entsprechender Vorlesungen an der Bonner Universitat und legte den Lehrbetrieb der dortigen Theologischen Fakultat fast lahm Dabei ging es ihm offensichtlich darum die Ausbildung der angehenden Priester an einem ihm unterstehenden Seminar nach dem Vorbild der Universitat Lowen zu erreichen Durch rucksichtsloses Hineinregieren in die Seminarleitung verfeindete er sich mit dem Regens und den Professoren die sich daraufhin beschwerdefuhrend an die preussische Regierung wandten Im Mai 1837 liess er 18 antihermesianische Thesen drucken auf die er den gesamten Klerus seiner Diozese verpflichten wollte Ein heftiger Protest seitens der Regierung fuhrte nur durch Vermittlung der romischen Kurie nicht zum offenen Bruch Gleichwohl bedeuteten diese Ereignisse aus Sicht der preussischen Regierung einen eklatanten Eingriff in staatliche Rechte und ein Uberschreiten der kirchlichen Kompetenzen in der Hochschulpolitik Die Mischehenfrage BearbeitenGemass dem Allgemeinen Landrecht von 1794 lag in Preussen die Entscheidung uber die konfessionelle Erziehung von Kindern aus Ehen zwischen Partnern unterschiedlicher Konfession den sogenannten Mischehen bei den Eltern Bei Fehlen einer vertraglichen Abmachung sollten Sohne in der Konfession des Vaters Madchen in der der Mutter erzogen werden Nach dem kanonischen Recht dagegen hatten beide Teile konfessionsverschiedener Ehen vor der Trauung die katholische Taufe und die katholische Erziehung aller Kinder zu versprechen 1803 bestimmte eine Deklaration Friedrich Wilhelms III alle Kinder aus konfessionsverschiedenen Ehen seien im Bekenntnis des Vaters zu erziehen Die Kabinettsorder vom 17 August 1825 ubertrug diese Bestimmung auch auf die 1815 zu Preussen gelangten Westgebiete wo sich Ehen zwischen evangelischen Militars oder Beamten mit katholischen Rheinlanderinnen hauften Den katholischen Priestern wurde verboten das Versprechen der katholischen Kindererziehung als Voraussetzung fur die feierliche Einsegnung zu fordern Widrigenfalls galten diese Ehen als zivilrechtlich ungultig Die den Preussen ohnehin reserviert begegnende Bevolkerung empfand diese Bestimmung als bewussten Versuch der Protestantisierung Episkopat und Kurie wagten keinen Widerstand und ubten stillschweigende Duldung Es gab jedoch auch sich widersetzende Priester die sich auf ihr Gewissen und die in der Bundesakte garantierte Kirchenfreiheit beriefen nbsp Clemens August Droste zu VischeringEin papstliches Breve von 1830 sah vor die feierliche Einsegnung zu verweigern oder nur passive Assistenz zu praktizieren wenn die Braut von dem Versprechen der katholischen Kindererziehung Abstand nahm Geheimverhandlungen zwischen Christian Karl Josias von Bunsen dem preussischen Gesandten in Rom und Erzbischof Spiegel fuhrten zur geheimen Berliner Konvention vom 19 Juni 1834 welche die preussischen Bestimmungen praktisch tolerierte Dabei sagte die Regierung zu im Gegenzug in absehbarer Zeit die Zivilehe abzuschaffen was freilich nie ernsthaft zur Debatte stand Der Kurie wurde der genaue Inhalt dieses Abkommens erst 1836 bekannt Spiegels Nachfolger Erzbischof Clemens August Droste zu Vischering erklarte nach anfanglicher Zuruckhaltung 1837 unumwunden in Zweifelsfallen am papstlichen Breve und nicht an den Vereinbarungen mit Erzbischof Spiegel festhalten zu wollen Verhaftung und Inhaftierung des Kolner Erzbischofs BearbeitenDurch den Kultusminister Karl vom Stein zum Altenstein forderte die preussische Regierung daraufhin ultimativ von Droste entweder einzulenken oder zu demissionieren In schroffer Form berief sich der Oberhirte auf seine Gewissensfreiheit und freie Ausubung des Bischofsamtes Ein Ministerrat unter dem Vorsitz des preussischen Konigs beschloss am 14 November 1837 gegen die Bedenken der beiden Minister Carl Albert Christoph Heinrich von Kamptz und Muhler die Amtsenthebung des Bischofs Nachdem Erzbischof Droste auch dem Oberprasidenten Ernst von Bodelschwingh gegenuber seine starre Haltung noch einmal bekraftigte wurde er mit seinem Sekretar Eduard Michelis am 20 November 1837 festgenommen und in die Festung Minden gebracht Dort wurde er bis zum April 1839 gefangen gehalten In einem amtlichen Publikandum begrundete die Regierung die Verhaftung mit revolutionaren Bestrebungen und Wortbruch des Erzbischofs Dem Domkapitel wurde eine ausfuhrliche Anklageschrift uberreicht Rom verurteilte mit ungewohnlich scharfen Formulierungen das Vorgehen der preussischen Regierung Das Domkapitel stellte sich nicht hinter Droste sondern erhob in einem Bericht an die Kurie schwere Vorwurfe gegen den Oberhirten wegen seines unkonzilianten Vorgehens in der Hermes und Mischehenangelegenheit Grund fur diese Haltung war dass im Kapitel noch immer zahlreiche Mitglieder sassen die im Sinne der katholischen Aufklarung sozialisiert worden waren Mit dieser Haltung vertrat das Kapitel allerdings nur noch eine Minderheitenmeinung In der deutschen katholischen Offentlichkeit loste der Konflikt eine ungewohnlich breite Reaktion aus Im Munsterland kam es daraufhin zu tumultartigen Kundgebungen fur den Martyrer von Minden wahrend die rheinische Bevolkerung zunachst gelassen blieb Grosse Beachtung fand die von Joseph Gorres im Januar 1838 veroffentlichte Streitschrift Athanasius die sich auf die Seite des verhafteten Bischofs stellte und Vischerings Schicksal mit dem des Kirchenlehrers Athanasius parallelisierte In mehr als 300 Veroffentlichungen wurde eine heftige und teilweise polemische Diskussion entfacht die in Preussen nicht ohne negativen Einfluss auf das interkonfessionelle Verhaltnis blieb Innerfamiliare Diskussionen daruber spiegeln sich z B in Briefen der Dichterin Annette von Droste Hulshoff die sowohl mit dem o g Universitatsrektor als auch mit dem inhaftierten Bischof verwandt war Eine Delegation rheinischer und westfalischer Adeliger legte in einer Audienz beim Konig vergeblich Fursprache fur den verhafteten Bischof ein Bei den Wahlen zum 6 Provinziallandtag der Rheinprovinz kam es in Folge der Kolner Wirren zu einer Protestwahl Bei der Wahlmannerversammlung des ersten Wahlbezirks des zweiten Standes der Ritterschaft in Dusseldorf bildeten sich zwei Fraktionen Den Ultramontanen gelang es sich vollstandig durchzusetzen Alle acht in dieser Wahl zu vergebenden Mandate und 12 Stellvertreterposten gingen an die katholische Partei Eine Woche spater wurde in Koblenz die Wahlmannerversammlung des zweiten Standes im zweiten Wahlbezirk durchgefuhrt Hier setzten die Protestanten alle Kandidaten durch Im dritten Stand erregte vor allem der Sieg der Ultramontanen in Aachen und Koblenz Aufsehen Erstmals hatte die Konfessionszugehorigkeit eine Provinziallandtagswahl gepragt 1 Der 1840 auf den Thron gelangte Friedrich Wilhelm IV gab ganz im Sinne seines Programms eines Bundnisses von Thron und Altar in der Mischehenfrage rasch nach und verzichtete in diesem Bereich auf zentrale staatliche Rechte liess aber die Ruckkehr des Bischofs in sein Amt nicht zu Zwar wurde Droste zu Vischering bereits 1839 aus der Haft entlassen und lebte seither auf dem Sitz seiner Familie im Munsterland blieb aber bis zu seinem Tod 1845 im Exil Historische Bedeutung BearbeitenDie Kolner Wirren gelten in der historischen Forschung als ein Faktor der uber die Stationen der Revolution von 1848 49 und den Kulturkampf in den 1870er Jahren zum Entstehen eines politischen Katholizismus beigetragen haben 2 Dass dieser im Rheinland und in Westfalen besonders tiefe Wurzeln schlagen konnte hing nicht unerheblich mit den Kolner Wirren zusammen Der liberale katholische zeitgenossische Publizist Johann Friedrich Joseph Sommer formulierte damals Die Zeitereignisse wie die des letzten Decenniums gemeint sind die Kolner Wirren haben den gutmuthigen Westfalinger aufgeweckt und nicht wenig dazu beigetragen einer gewissen religiose Erschlaffung ein Ende zu bereiten Gleichzeitig erschien ihm die Volksbewegung im Zusammenhang mit den Wirren als ein Vorbote der Revolution von 1848 Der Staat musste nachgeben zum ersten Mal erbebte die Gewalt vor der Stimme des Volkes 3 Literatur BearbeitenAufsatze Anselm Faust u a Red Nordrhein Westfalen Landesgeschichte im Lexikon Patmos Dusseldorf 1993 ISBN 3 491 34230 9 Darin Jorg Fuchtener Kolner Wirren S 220 222 Manfred Wolf Katholische Kirche S 206 210 Alfred Albrecht Kirchen Gesellschaft und Staat S 213 217 Jochen Christoph Kaiser Konfession und Provinz Problemfelder der preussischen Kirchenpolitik in Westfalen In Karl Teppe Michael Epkenhans Hrsg Westfalen und Preussen Integration und Regionalismus Schoningh Paderborn 1991 ISBN 3 506 79575 9 Forschungen zur Regionalgeschichte 3 Hans Joachim Behr Rheinland Westfalen und Preussen in ihrem gegenseitigen Verhaltnis 1815 1945 In Westfalische Zeitschrift Bd 133 1983 ISSN 0083 9043 Monographien Eduard Hegel Das Erzbistum Koln zwischen der Restauration des 19 Jahrhunderts und der Restauration des 20 Jahrhunderts 1815 1962 Bachem Koln 1987 ISBN 3 7616 0873 X Geschichte des Erzbistums Koln 5 Karl Egon Lonne Politischer Katholizismus im 19 und 20 Jahrhundert Suhrkamp Frankfurt M 1986 ISBN 3 518 11264 3 Neue historische Bibliothek Heinz Hurten Kurze Geschichte des deutschen Katholizismus 1800 1960 Matthias Grunewald Verlag Mainz 1986 ISBN 3 7867 1262 X Wolfgang Hardtwig Vormarz Der monarchische Staat und das Burgertum 4 Aufl Dtv Munchen 1998 ISBN 3 423 04502 7 Friedrich Keinemann Das Kolner Ereignis Sein Widerhall in der Rheinprovinz und in Westfalen Aschendorff Munster 1974 zugl Habilitationsschrift Universitat Dortmund 1974 Darstellung 1974 ISBN 3 402 05222 9 PDF Version Quellen 1974 ISBN 3 402 05223 7 PDF VersionFriedrich Keinemann Das Kolner Ereignis und die Kolner Wirren 1837 1841 Munster 2015 PDF Version Rudolf Lill Die Beilegung der Kolner Wirren 1840 1842 Vorwiegend nach Akten des Vatikanischen Geheimarchivs Schwann Dusseldorf 1962 zugl Dissertation Universitat Koln 1960 Karl Bachem Vorgeschichte Geschichte und Politik der deutschen Zentrumspartei Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der katholischen Bewegung sowie zur allgemeinen Geschichte des neueren und neuesten Deutschland 1815 1914 Scientia Aalen 1967 68 9 Bde Nachdr d Ausg Koln 1927 Heinrich Schrors Die Kolner Wirren 1837 Studien zu ihrer Geschichte Dummler Berlin 1927 Ernst von Lasaulx Kritische Bemerkungen uber die Kolner Sache Ein offener Brief an Niemand den Kundbaren und das urtheilsfahige Publikum Stahel Verlag Koln 1838 Weblinks BearbeitenBiographie des Bischofs Droste VischeringEinzelnachweise Bearbeiten Joachim Stephan Der Rheinische Provinziallandtag 1826 1840 1992 ISBN 3 7927 1297 0 S 86 89 Hans Joachim Behr Rheinland Westfalen und Preussen in ihrem gegenwartigen Verhaltnis S 51f Jochen Christoph Kaiser Konfession und Provinz S 271 277 Wolfgang Hardtwig Vormarz S 168 170 Johann Friedrich Joseph Sommer Juristische Zeitlaufte In Neues Archiv fur Preussisches Recht und Verfahren sowie fur deutsches Privatrecht Jg 14 1850 S 149 169 679 ff ISSN 0935 7068 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Kolner Wirren amp oldid 235958785