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Der Heliand ist ein fruhmittelalterliches altsachsisches Grossepos In fast sechstausend 5983 stabreimenden Langzeilen wird das Leben Jesu Christi in der Form einer Evangelienharmonie nacherzahlt Den Titel Heliand erhielt das Werk von Johann Andreas Schmeller der 1830 die erste wissenschaftliche Textausgabe veroffentlichte Das Wort Heliand kommt im Text mehrfach vor z B Vers 266 und wird als altniederdeutsche Lehnubertragung von lateinisch salvator Erloser Heiland gewertet Seite aus der Munchner Handschrift Munchen BSB Cgm 25 fol 5r Berliner FragmentDas Epos ist nach dem Liber evangeliorum des Otfrid von Weissenburg das umfangreichste volkssprachige literarische Werk der deutschen Karolingerzeit und damit ein wichtiges Glied im Kontext der Entstehung der niederdeutschen Sprache aber auch der deutschen Sprache und Literatur 1 Um den niederdeutschen Lesern Horern der Evangeliendichtung ein intuitives Nachvollziehen und Verstehen des ubertragenen Textes zu ermoglichen reicherte der unbekannte Verfasser verschiedene Handlungselemente mit Bezugen zur fruhmittelalterlichen sachsischen Lebenswelt an Der Heliand wird daher oft als Musterbeispiel fur Inkulturation angefuhrt Inhaltsverzeichnis 1 Entstehung 2 Handschriften und Fragmente 3 Leseprobe 4 Sprachliche Merkmale 4 1 Metrik und Stil 4 2 Lexik 5 Analogien zur germanischen Vorstellungswelt 5 1 Gefolgschaftsterminologie 5 2 Rechtsempfinden und Moralvorstellung 5 3 Schicksalsvorstellung 5 4 Begriffe aus der mythologischen Tradition 6 Siehe auch 7 Literatur 7 1 Textausgaben und Ubersetzungen 7 2 Sekundarliteratur 8 Weblinks 9 EinzelnachweiseEntstehung Bearbeiten nbsp Otto Behaghels TextzusammenstellungDie Zeit der Niederschrift ist die 1 Halfte des 9 Jahrhunderts einige Forscher datieren sie etwa auf das Jahr 830 Der altsachsische Text ist in karolingischen Minuskeln wiedergegeben In der Schreibung mancher Buchstaben zeigen sich jedoch je nach Handschrift mehr oder weniger deutlich Einflusse angelsachsischer Schreibtradition Neben dem Tatian benutzte der Helianddichter die Vulgata und verschiedene Evangelienkommentare Die Auswahl der Texte und ihre poetische Uberformung bestimmt das Textkonzept Fraglich ist inwiefern apokryphe Uberlieferung Eingang in den Heliand gefunden hat Zur Lokalisierung existieren zwei massgebliche Theorien Ein geistesgeschichtlich orientierter Ansatz postuliert die Entstehung im Kloster Fulda wohingegen gerade sprachwissenschaftliche und palaographische Analysen ergaben dass es moglich erscheint eine Entstehung im niederdeutschen Kloster Werden an der Ruhr anzunehmen Unklar ist ferner die soziale Stellung des Dichters Die altere Forschungsliteratur versuchte bis in die 1940er Jahre die Aussage im lateinischen Vorwort des Heliand zu belegen ein sangeskundiger Sachse sei mit der Abfassung beauftragt worden Falls dies zutrifft hatte der Dichter den Rang eines kontinentalgermanischen Skalden scop Neuere Forschungsansatze die den theologischen und kulturhistorischen Gehalt der Evangeliendichtung herausstellen sehen in dem Dichter jedoch einen geschulten Monch Handschriften und Fragmente BearbeitenErhalten ist das Werk in zwei fast vollstandigen Handschriften und kleineren Fragmenten die in der Heliand Forschung meist nur mit ihren Siglen im Folgenden fett sonst meist ihren Signaturen zitiert werden Die Munchener Handschrift M wird in der Bayerischen Staatsbibliothek in Munchen aufbewahrt Signatur Cgm 25 Dorthin gelangte die Handschrift im Zuge der Sakularisation 1804 aus der Bamberger Dombibliothek Die Handschrift wurde vermutlich von zwei Schreibern um 850 im Kloster Corvey niedergeschrieben Die dialektale Farbung der Handschrift wird von Wolfgang Haubrichs als ostwestfalisch gedeutet Der Text ist mit zahlreichen Initialen Akzenten und Anmerkungen sowie Neumen aus dem 10 Jahrhundert fur freien bzw musikalischen Vortrag bearbeitet Der Codex Cottonianus Caligula kurz C liegt in der British Library in London Signatur Cotton Caligula A VII Er stammt vermutlich aus der zweiten Halfte des 10 Jahrhunderts und wurde in Sudengland von einem Schreiber mit kontinentaler Herkunft niedergeschrieben Die Sprache weist niederfrankischen Einfluss auf Das Fragment S wird ebenso wie M in der Bayerischen Staatsbibliothek aufbewahrt Signatur Cgm 8840 Es handelt sich hierbei um ein Textfragment das an unbekanntem Ort um 850 verfasst worden ist Die Pergamente fanden sich als Einband einer Schedelschen Weltchronik in der Bibliothek des Johannes Turmair Gymnasiums in Straubing Die Sprache dieser Textversion weist starke nordseegermanische dialektale Einflusse auf P ist ein Textfragment und wird im Deutschen Historischen Museum in Berlin aufbewahrt Signatur R 56 2537 Das Fragment entstammt einem im Jahr 1598 in Rostock gedruckten Buch V aus der Apostolischen Bibliothek in der Vatikanstadt Signatur Pal lat 1447 ist ein Fragment aus einer astronomischen Sammelhandschrift des fruhen 9 Jahrhunderts aus Mainz Das Fragment heute fol 27r und 32v enthalt die Verse 1279 1358 Auszuge aus der Bergpredigt Im Fruhjahr 2006 wurde ein weiteres Fragment aus dem 9 Jahrhundert in der Bibliotheca Albertina in Leipzig entdeckt 2 Die Handschriften lassen sich zu zwei Gruppen ordnen MS und CP Das Fragment V geht wahrscheinlich auf die Urschrift zuruck Das ebenfalls als Einband verwendete neuerdings wiedergefundene Leipziger Fragment scheint ebenfalls auf den Archetypus zuruckzugehen Leseprobe BearbeitenVers 4537 4549 aus dem Abendmahl a e i o u sind Langvokale đ ein stimmhaftes d ƀ wie w mit beiden Lippen uu wie englisches w Themu gi folgon sculun an so huilike gardos so gi ina gangan gisehat ia gi than themu herron the thie hoƀos egi selƀon seggiad that ik iu sende tharod te gigaruuuenne mina goma Than togid he iu en godlic hus hohan soleri the is bihangen al fagarun fratahun Thar gi frummien sculun uuerdscepi minan Thar bium ik uuiskumo selƀo mid minun gesiđun Tho uurđun san aftar thiu thar te Hierusalem iungaron Kristes forđuuard an ferdi fundun all so he sprak uuordtecan uuar ni uuas thes giuuand enig Diesem sollt ihr folgen an die Statte zu der er gehen wird Geht dann zu dem Herren dem der Hof gehort und sagt ihm selbst dass ich euch sende mein Gastmahl zu richten Dann wird er euch in ein herrliches Haus bringen eine hohe Halle die alluber behangen ist mit reichen Teppichen Dort sollt ihr bereitet haben meine Bewirtung Dorthin werde ich wohlweislich selbst kommen mit meinen Gefahrten So machten sie sich auf nach Jerusalem die Junger Christi sofort auf die Reise und fanden alles so vor wie er es erklarte seine Worte waren wahr niemals musste gezweifelt werden Sprachliche Merkmale BearbeitenVersstil und Lexik entsprechen der germanisch sachsischen Dichtungstradition Inwieweit ein Einfluss der altenglischen Dichtung anzunehmen ist bleibt aber weitgehend unklar Der Heliand steht nicht in unmittelbarer Abhangigkeit zur angelsachsischen Dichtung Die vorhandenen Parallelen zur altenglischen Geistlichenepik konnen durch die angelsachsische Mission begrundet sein aber moglicherweise auch durch ein niedersachsisch angelsachsisches Kulturkontinuum Metrik und Stil Bearbeiten Verskunst und Stil wurden vom Autor aus der angelsachsischen christlichen Epik ubernommen und weitergebildet Nach dem Germanisten Andreas Heusler war es das Werk eines begnadeten Stilisten und grossten Sprachmeisters unter den schreibenden Stabreimdichtern Der Heliand sei nicht der tastende Anfang einer altsachsischen Literatur sondern der kronende Abschluss und hochste Reife der Kunst Stilistische Parallelen finden sich besonders in der angelsachsischen stabreimenden Geistlichenepik dem Beowulf Epos und in zeitlich vergleichbarer althochdeutscher Literatur zum Beispiel im Muspilli Ahnlichkeiten im Stil des Helianddichters mit der altenglischen Dichtung zeigen sich nicht nur in der verwendeten stabreimenden Langzeile sondern auch in der Verwendung von appositional gefugten Beiwortern und Syntagmen den sogenannten Variationen sende tharod te gigaruuuenne mina goma Than togid he iu en godlic hus hohan soleri the is bihangen al fagarun fratahun dass ich euch sende mein Gastmahl zu richten Dann wird er euch in ein herrliches Haus bringen eine hohe Halle die alluber behangen ist mit reichen Teppichen dd Eine weitere Parallele zur altenglischen Dichtung sind Verse die uber die Versgrenze hinaus erst in der nachsten enden sogenannter Hakenstil Dadurch wird der Sinneinschnitt jeweils in die Versmitte zwischen An und Abvers der Langzeile verlegt Der Stabreim bleibt erhalten er verteilt sich aber mitunter im gleichen Vers auf verschiedene Satze Tho uurđun san aftar thiu thar te Hierusalem iungaron Kristes forđuuard an ferdi fundun all so he sprak uuordtecan uuar ni uuas thes giuuand enig So machten sie sich auf nach Jerusalem die Junger Christi sofort auf die Reise und fanden alles so vor wie er es erklarte seine Worte waren wahr niemals musste gezweifelt werden dd Ein weiteres Merkmal des altsachsischen Bibeldichtung das im Heliand kultiviert wird ist der Schwellvers Das heisst innerhalb einer Langzeile die metrisch grundsatzlich fullungsfrei ist konnen sehr viele prosodisch unmarkierte Silben akkumuliert werden wodurch der durch den Stab gebundene Vers aufschwillt Insgesamt zeichnet sich somit der Stil des Helianddichters durch epische Breite aus Thuomas gimalda uuas im githungan mann diurlic drohtines thegan ne sculun uui im thia dad lahan quathie Thomas sprach er war ihm ein trefflicher Mann ein teurer Diener seines Herrn wir sollten ihn nicht wegen dieser Tat tadeln dd Lexik Bearbeiten Der Heliand weist klare altsachsische und teilweise althochdeutsche Eigenheiten in der Lexik auf Charakteristisch fur die nur bedingten angelsachsischen Ausstrahlungen im Heliand ist das Fehlen von Missionswortern wie beispielsweise ostarun fur Ostern Der Verfasser verwendete den in der Kolner Kirchenprovinz und somit auch das sachsische Gebiet umfassenden Begriff pasche altsachsisch paske fur das Pessachfest 3 Daneben finden sich altsachsisch herro Herr oder das rheinlandische aus dem keltischen stammende Wort ley Fels die als frankische Lehnworter bezeichnet werden konnen neben altenglischen Begriffen wie ađal ordfrumo Gott Solche lexikalischen Befunde zeigen an dass der Heliand als Frucht von innergermanischen Kulturkontakten im religiosen Zusammenhang gelten kann Analogien zur germanischen Vorstellungswelt BearbeitenDie Verratsszene im Garten Gethsemane Vers 4824 4838 und 4865 4881 Die Gewappneten eilten bis zu Christus sie kamen die grimmen Juden wo mit den Jungern stand der machtige Herr des Schicksals harrend der zielenden Zeit Da trat ihm der untreue Judas entgegen dem Gotteskinde das Haupt neigend dem Herrn grussend kusste den Fursten mit diesem Kuss ihn den Gewappneten weisend wie er s gesagt Das trug in Gedulden der treue Herr der Walter der Welt das Wort nur wandt er und fragte ihn frei Was kommst mit dem Volk du und leitest die Leute Du hast mich den leidigen verkauft mit dem Kusse dem Volke der Juden verraten der Rotte Da erboste machtig der schnelle Degen 4 Simon Petrus wild walt der Mut ihm kein Wort da sprach er sovoll Harm ward sein Herz als sie den Herrn hier zu greifen begehrten Blitzschnell zog er das Schwert von der Seite und schlug und traf den vordersten Feind mit voller Kraft dass Malchus ward durch der Schneide Scharfe an der rechten Seite versehrt mit dem Schwerte am Gehor verhauen das Haupt ward wund ihm dass waffenblutig ihm Wangen und Ohr barst im Gebein und Blut entsprang aus der Wunde wallend Der Heliand zeigt verschiedene Analogien zur karolingischen Exegesetradition Er ist in seiner Grundintention durchweg christlich biblisch Die christliche Lehre wird nicht mit Rucksicht auf das sachsische Publikum unterdruckt Allein die Bergpredigt mit ihren zentralen Aussagen nimmt ein Achtel des Gesamttextes ein Andererseits sind Anpassungen an die germanischen Horer und Leser festzustellen Einige Passagen und Aussagen der Bibel stehen dem aus der fruhen Heldendichtung bekannten germanischen Ethos entgegen beispielsweise das Bild des auf dem Esel in Jerusalem einziehenden Jesus seine Selbstentausserung die Tadelung der Ruhmsucht die Verachtung des Reichtums der Verzicht auf Rache die Feindesliebe die Verurteilung der Kampfeslust Die Verleugnung des Petrus ware nach germanischem Rechtsempfinden eine Schuld der Helianddichter versucht deshalb den Treuebruch Petri zu rechtfertigen Der Verfasser ubertrug daher die biblischen Personen in den Rahmen der sachsischen Gesellschaft analog der Standeordnung fur Christus und seine Junger wahlte er bewusst das Gefolgschaftsverhaltnis Die biblischen Stadte werden zu sachsischen Burgen die Wuste Juda zum niederdeutschen Urwald Die germanischen Zuge des Heliand sind somit Anschauungsformen die das Neue der christlichen Religion fur den noch in heidnischer Tradition stehenden Germanen fassbar machten Akkommodation Wo ein germanischer Tenor angenommen werden darf bezieht sich dieser insbesondere auf folgende Bereiche Gefolgschaftsterminologie Bearbeiten Die germanische Gesellschaft definiert sich durch Gefolgschaft Ein dux oder comes bindet verschiedene Standespersonen zur Gefolgschaft comitatus indem er den Gefolgsmannern Schutz und Entlohnung bietet diese ihn dafur jedoch militarisch und administrativ unterstutzen Dieser rechtliche Klientelverband bildete die Grundlage einer Stammesorganisation wie sie die germanischen gentes so auch die vorkarolingischen Sachsen besessen hatten Im Heliand spielt Gefolgschaft insofern eine Rolle wie das Verhaltnis von Christus zu den Jungern als solche gelesen wird Gerade die verwendeten Personenbezeichnungen scheinen diese Annahme zu untermauern Christus wird als Himmelskonig und Herr als Heerfuhrer und erhabener Furst bezeichnet seine Junger als Gefolgsleute die mit ihm eine Genossenschaft bilden 5 Das Gefolgschaft bildende Treue und Schwurverhaltnis treuva nach germanischem Verstandnis tritt latent hervor und entgegen den Evangelien sind die meisten Junger Christi von edler Geburt adalboran Nicht nur die sachsische Gesellschaft war durchdrungen von diesem Denken sondern auch die seit 400 Jahren christianisierten Franken Die Bindung an die Herkunft die Sippe wirkt in der fruhmittelalterlichen germanisch gepragten Sphare ob noch heidnisch oder schon christianisiert ungebrochen fort Das ist des Degen Ruhm dass er seinen Fursten Christus fest zur Seite stehe und standhaft mit ihm sterbe Stehen wir all bei ihm folgen seiner Fahrt lassen Freiheit und Leben uns wenig wert sein wenn wir im Volk mit ihm erliegen dem lieben Herrn dann bleibt uns noch lange bei den Guten guter Nachruhm Apostel Thomas Im Heliand werden Christus und seine Junger als thiodan Herrscher und thegana Krieger tituliert weil das Kriegertum und die damit dominierende Gefolgschaftsverhaltnisse so tief im Empfinden verwurzelt war 6 Daneben bietet das Neue Testament vielfaltig eine Bezeichnungstradition die in Ubersetzung auf etwaige Begriffe des Gefolgschaftswesen ubertragen wurde z B Kyrios dominus drohtin Bezeichnungen fur Jesus sind folk drohtin mundboro landes ward Fur Herodes folkkuning thiodkuning weroldkunig folctogo landes hirdi boggebo Ringgeber medgebo Herrscher Fur Pilatus heritogo Rechtsempfinden und Moralvorstellung Bearbeiten Die Bergpredigtszene mit Christus auf dem Konigsstuhl als Richter umringt von seinen Jungern wirkt wie ein germanisches Thing Beim Einzug in Jerusalem reitet Jesus nicht auf einem Esel sondern herrschaftlich auf einem Pferd der Esel war fur die noch in alter Tradition stehenden Menschen nicht vermittelbar Ebenso fehlt die Szene in der Christus dazu auffordert bei einem Schlag auf die rechte Wange auch die linke hinzuhalten Christus handelt nach den germanischen Sitten und erweist sich so dem germanischen Betrachter als integer Seine Haltung zum Tod und zu seinen Verfolgern zeichnet ihn als Gefolgs und Kriegsherr aus Damit entspricht er dem Typus des germanischen Anfuhrers in der nordischen Sagaliteratur Der germanische Mensch noch in heidnischer Tradition stehend misst der Sitte in der Gemeinschaft einen hoheren Rang zu als dem individuellen christlichen Glauben Der Glaube an sich ist fur den Germanen nicht greifbar erst die Ersetzung durch den Begriff Sitte macht ihn erfassbar 7 Bezeichnungen fur gesellschaftliche Einrichtungen im Heliand sind thing thinghus thingstedi handmahal heriskepi manno meginkraft mundburd Schicksalsvorstellung Bearbeiten Die Darstellung Christi und dessen Ergebenheit in ein ihn obwaltendes Schicksal das nicht abwendbar allenfalls zu gestalten ist deutet durch einen Bezug der Schicksalsvorstellung auf eine generelle das religiose Empfinden beruhrende germanische Weltsicht hin 8 Das Schicksal unter anderem als wurd bezeichnet richtet uber Gotter und Menschen Es ist die geheimnisvolle Macht der selbst die Himmlischen unterworfen sind 9 Christus und seine Junger vermogen ihm nicht zu entfliehen ihr sittlicher Wert beruht darauf wie sie dem Schicksal begegnen 10 Schicksalsvorstellungen setzen allerdings keinen Glauben im religiosen Sinn voraus Tatsachlich ist uber einen spezifisch sachsischen Schicksalsglauben nichts bekannt Vergleichbare Begrifflichkeiten aus der Lexik der anderen zeitgenossischen germanischen Sprachen lassen nur bedingte Ruckschlusse zu da in der Regel rein christliche Verwendungsmotive in den Vergleichsquellen zugrunde liegen 11 12 Ebenso ist der Begriff wurd vorsichtig zu interpretieren da einige Vorkommen im Heliand nachweislich auf Verschreibungen beruhen oder auch schlicht im Sinne von Tod zu erklaren sind Jedoch scheint im Heliand die Vorstellung eines uberwaltenden Schicksals teilweise gegenuber dem Glauben an die Macht Gottes zu uberwiegen oder der christliche Glaube wird dem Schicksalsglauben gleichgesetzt 13 14 Der Name fur das wirkende Schicksal wurd oder wewurt Wehgeschick tritt in der fruhdeutschen Literatur neben dem Heliand nur noch im Hildebrandlied Vers 47 entgegen Weitere Begriffe fur das Schicksal im Heliand sind Wortverbindungen wie wurdigiskapu Schopfung der Wurd Vers 197 512 und reyanogiskapu Schopfung ratender Machte Vers 2591 f in Verbindung mit dem Weltende oder methodogiskapu Schopfung der Messenden Zumessenden Vers 2190 4827 Durch die Benennung der im sachsischen Verstandnis hochsten Schicksalsmacht als wurd fuhrt die Schilderung der Auferweckung des jungen Mannes von Nain in eine bewusste direkte Konfrontation zwischen Christentum und den tradierten paganen Sichtweisen Vers 2210 In der Nacherzahlung dieser Episode bei Tatian heisst es schlicht es war der einzige Sohn einer Witwe Dieselbe Szene wird im Heliand mit psychologischem Einfuhlungsvermogen und mit einem Hinweis auf das machtige Schicksal metodogescapu geschildert Der Sohn war Wonne und Wohlsein der Mutter bis ihn Wurd nahm das machtige Schicksal 15 Der Zwiespalt zwischen germanischer Lebensauffassung und christlicher Weltanschauung verschiebt sich langsam zum weicheren sanfteren christlich gepragten Wortschatz des dem Heliand folgenden Jahrhunderts Nach Johannes Rathofer wird in dieser Szene durch die verfasserische Darstellung der einst heidnische Begriff der Wurd in ein christliches Koordinatensystem eingeordnet da Christus durch die Auferweckung das alles uberwaltende Schicksal besiegt 16 Begriffe aus der mythologischen Tradition Bearbeiten Altgermanische Begriffe die wahrscheinlich dem mythologischen Umfeld des sachsischen Niederdeutschlands entspringen sind beispielsweise die Begriffe wihti Damonen hellia Holle germ haljo Unterwelt Totenreich siehe Hel idis zu altnordisch dis ir beziehungsweise Dise Siehe auch BearbeitenKlosterliteratur BibelepikLiteratur BearbeitenTextausgaben und Ubersetzungen Bearbeiten Otto Behaghel Hrsg Burkhart Taeger Bearb Heliand und Genesis Altdeutsche Textbibliothek 4 10 bearbeitete Auflage Niemeyer Tubingen 1996 ISBN 3 484 20003 0 Clemens Burchhardt Hrsg Heliand Die Verdener altsachsische Evangelium Dichtung von 830 ubertragen in das 21 Jahrhundert Verlag und Druckerei Ernst Helbig Verden 2007 ISBN 978 3 00 021184 3 Felix Genzmer Ubers Heliand und die Bruchstucke der Genesis Universal Bibliothek Band 3324 Philipp Reclam jun Stuttgart 1989 ISBN 3 15 003324 1 Erstveroffentlichung der Ubersetzung erfolgte 1955 Andreas Heusler Der Heliand in Simrocks Ubertragung und die Bruchstucke der altsachsischen Genesis Leipzig 1921 Moritz Heyne Heliand Mit ausfuhrlichem Glossar Schoningh Paderborn 1905 Eduard Sievers Heliand Titelauflage vermehrt um das Prager Fragment und die Vatikanischen Fragmente Halle 1935 Digitalisat Karl Simrock Heliand Christi Leben und seine Lehre Friederichs Elberfeld 1856 Digitalisat 2 Auflage 1866 http vorlage digitalisat test 1 3D 7B 7B 7B1 7D 7D 7D GB 3DGRcUAAAAQAAJ IA 3D MDZ 3D 0A SZ 3D doppelseitig 3D LT 3DDigitalisat 202 20Auflage 201866 PUR 3D Timothy Sodmann Hrsg Heliand Der altsachsische Text De Oudsaksische tekst Achterland Vreden Bredevoort 2012 ISBN 978 3 933377 16 6 Wilhelm Stapel Der Heliand Carl Hanser Verlag Munchen 1953 DNB 451938844 Sekundarliteratur Bearbeiten Helmut de Boor Geschichte der Deutschen Literatur Band 1 9 uberarbeitete Auflage von Herbert Kolb Munchen 1979 ISBN 3 406 06088 9 Wolfgang Haubrichs Heliand und Altsachsische Genesis In Reallexikon der Germanischen Altertumskunde RGA 2 Auflage Band 14 Walter de Gruyter Berlin New York 1999 ISBN 3 11 016423 X S 297 308 Wolfgang Haubrichs Geschichte der Deutschen Literatur Teil 1 Hrsg Joachim Heinzle Athenaum Frankfurt M 1988 ISBN 3 610 08911 3 Dieter Kartschoke Altdeutsche Bibeldichtung von Realien zur Literatur In Sammlung Metzler Band 135 J B Metzlersche Verlagsbuchhandlung Stuttgart 1975 ISBN 3 476 10135 5 Johannes Rathofer Der Heliand Theologischer Sinn als tektonische Form Vorbereitung und Grundlegung der Interpretation Niederdeutsche Studien 9 Koln Graz 1962 Hans Ulrich Schmid Ein neues Heliand Fragment aus der Universitatsbibliothek Leipzig In ZfdA 135 2006 ISSN 0044 2518 S 309 323 JSTOR 20658399 Werner Taegert Der Bamberger Heliand Die Abschrift einer nach Munchen abgeforderten vorzuglichen Kostbarkeit der Domkapitelsbibliothek In Bamberg wird bayerisch Die Sakularisation des Hochstifts Bamberg 1802 03 Handbuch zu der gleichnamigen Ausstellung Hrsg von Renate Baumgartel Fleischmann Bamberg 2003 ISBN 3 9807730 3 5 S 253 256 Kat Nr 127 Jan de Vries Heldenlied und Heldensage Francke Bern Munchen 1961 DNB 455325545 Jan de Vries Die geistige Welt der Germanen Darmstadt 1964 Roswitha Wisniewski Deutsche Literatur vom achten bis elften Jahrhundert Berlin 2003 ISBN 3 89693 328 0 Weblinks Bearbeiten nbsp Commons Heliand Sammlung von Bildern Videos und Audiodateien Digitalisat des Heliand Hs M Digitalisat des Heliand Hs C Digitalisat des Heliand Fragment S Heliand BSB Cgm 25 Digitalisat von M in bavarikon E Text des Heliand Bibliotheca Augustana E Text des Heliand Titus Der Heliand Ubersetzung von Karl Simrock im Projekt Gutenberg DE Der Heliand zum Horen altsachsisch Einzelnachweise Bearbeiten Veit Valentin Geschichte der Deutschen Kiepenheuer und Witsch 1979 S 28 Sensationsfund Der Heiland steigt aus dem Bucherkeller Memento vom 1 Februar 2016 im Internet Archive Mitteldeutsche Zeitung 18 Mai 2006 Haubrichs 1998 S 298 f Kluge Etymologisches Worterbuch der deutschen Sprache Stichwort Degen Krieger aus peripherem archaischem Wortschatz 8 Jh mhd degen ahd degan thegan as thegan aus g THegna Knabe Diener Krieger de Vries 1961 S 254 256 341 f Wisniewski 2003 S 168 Haubrichs 1988 S 25 f de Vries 1964 S 193 f Ake Strom Haralds Biezais Germanische und Baltische Religion In Religionen der Menschheit Band 11 Kohlhammer Stuttgart 1975 S 249 260 de Boor 1978 S 59 Immer bleibt das Schicksal eine grosse uberschattende Eigenmacht nicht eine feste Fugung in Gottes Handen S 60 Der Autor spricht zu jungbekehrten Horern fur die das Schicksalsdenken der Kernpunkt ihres religiosen Erlebens war Und dem Dichter selbst merkt man es an hat er den alten Gottern auch grundlich abgeschworen dem Schicksal bleibt auch er noch verhaftet de Vries 1964 S 84 ff de Boor 1978 S 66 vergleichend zum Hildebrandlied Ernst Alfred Philippson Das Heidentum bei den Angelsachsen Tauchnitz Leipzig 1929 S 227 ff Rudolf Simek Schicksalsglaube In Heinrich Beck Dieter Geuenich Heiko Steuer Hrsg Reallexikon der germanischen Altertumskunde Band 27 de Gruyter Berlin New York 2004 ISBN 3 11 018116 9 S 8 10 de Boor 1978 S 59 f 66 Wisniewski 2003 S 167 Das geschieht in der Dreiheit wrdgiskapu metod gimarkod endi maht godes Fite 127 28 vgl 5394 95 Wisniewski 2003 S 166 Johannes Rathofer Altsachsische Literatur In Ludwig Schmitt Hrsg Kurzer Grundriss der Germanischen Philologie bis 1500 Band 2 de Gruyter Berlin New York 1971 ISBN 3 11 006468 5 S 254 f Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Heliand amp oldid 234319138