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Die Geschichte der Juden in Wiener Neustadt beginnt mit ihrer ersten urkundlichen Erwahnung im Jahre 1239 Schon am Beginn des 13 Jahrhunderts bestand in der Neustadt eine Gemeinde sie war neben Wien einer der altesten und ein Zentrum judischer Bedeutsamkeit in Osterreich Nach der Vertreibung der judischen Bevolkerung im Jahre 1496 auf Befehl von Maximilian I und den darauf folgenden Aufenthaltsverboten kam es erst im 19 Jahrhundert zu einer erlaubten Ansiedlung im Stadtgebiet und schliesslich 1871 zur Grundung der Israelitischen Kultusgemeinde Wiener Neustadt kurz IKG Wiener Neustadt Vor 1938 waren in der IKG mehr als 1000 Judinnen und Juden Nach dem Anschluss wurde die IKG aufgelost und die judische Bevolkerung vertrieben oder deportiert Kalksteinrelief der Wiener Neustadter Judensau Judenspott aus dem 15 Jahrhundert Dargestellt sind Juden die aus den Zitzen einer Sau trinken ein verhohnendes judenfeindliches Motiv Inhaltsverzeichnis 1 Anfange im Mittelalter 2 Die Gemeinde 3 Blutezeit im 15 Jahrhundert 3 1 Jiddische Quellen 3 1 1 Der Brief der Schondlein 3 1 2 Die Urkunde des 3 Tewet 4 Anschwellen der Judenfeindlichkeit am Ende des 15 Jahrhunderts 5 Ausweisung der Juden aus dem Herzogtum Steir 6 Neuzeit 6 1 Ansiedlungsversuche im 16 17 und 18 Jahrhundert 6 2 19 Jahrhundert Gleichberechtigung und Wiedergeburt der Gemeinde 6 3 Erster Weltkrieg und Zwischenkriegszeit 6 4 Nationalsozialismus 6 4 1 Die Reichskristallnacht 6 5 Ende der Gemeinde 7 Heute 8 EinzelnachweiseAnfange im Mittelalter BearbeitenHerzog Friedrich II erteilte 1239 den Burgern der Stadt Privilegien und schloss dabei alle Juden aus Offentlichen Amtern aus Dies war die erste Quelle in der judisches Dasein fassbar war Im selben Jahr stellte der Rabbiner der Stadt Chaim bar Mosche mit dem von Wien Itzak ben Mosche Or Sarua ein Rechtsgutachten aus Zudem hatte die Gemeinde seit der Mitte des 13 Jahrhunderts eine Synagoge und einen Friedhof der sich nach judischem Gesetz ausserhalb der Stadtmauern im Suden befand Der alteste Fund eines judischen Grabsteins in Wiener Neustadt ist auf das Jahr 1252 datiert Eine Synagoge ein Rabbiner und ein Friedhof sind starke Beweise fur eine gut funktionierenden Gemeinde Sie ist wohl die zweitalteste Gemeinde in Osterreich nach Wien Der gefundene Grabstein ist der des am 21 Janner 1252 verstorbenen Simcha ben Baruch der Sohn des Baruch nbsp Mittelalterliche judische Grabsteine am judischen Friedhof in Wiener Neustadt mit hebraischen Inschriften Die Gemeinde BearbeitenDie 1383 erstmals urkundlich erwahnte Synagoge stand am Allerheiligenplatz 1 einst Judenschulgasse da Synagogen damals als Schulen bezeichnet wurden das jiddische Wort fur Synagoge ist noch immer Schil oder Schul ihr gegenuber das 1464 erstmals erwahnte judische Spital Allerheiligenplatz 3 bzw 4 Des Weiteren gab es einen eigenen Gebetsraum im Gotteshaus fur judische Frauen Frauenschul genannt da nach orthodoxem judischem Gesetz Frauen und Manner beim Gebet getrennt werden Negiah und eine Fleischerei die sich wohl westlich des Spitals befand Eine Mikwe oder rituelles Tauchbad befand sich vermutlich gegenuber der Synagoge Hochstwahrscheinlich lebten Juden und Christen in den Anfangsjahren der Gemeinde zusammen also lebten die Juden nicht in einem Ghetto Dennoch wird angenommen dass in der zweiten Halfte des 15 Jahrhunderts ein Judenviertel mit eigenen Zugangen existierte Die habsburgische Herrschaftsverteilung im Jahre 1379 liess Wiener Neustadt in das Herrschaftsgebiet des Herzogtums Steiermark eingliedern nichtsdestotrotz zahlten die Juden ihre Schutzsteuern an den Herzog Osterreichs 1397 und 1401 wurden Privilegien fur die Gemeinde in Neunkirchen und in Wiener Neustadt verliehen sie wurden von Albrecht IV und dem Herzog der Steiermark Wilhelm ausgestellt Schon im 14 Jahrhundert beherbergte Wiener Neustadt eine Talmudschule gefuhrt von Rabbi Schalom Rabbi Schalom ben Isaak war eine zentrale Personlichkeit des judischen Lebens vor der Wiener Gesera 1 2 Sein Ruf ging weit uber die osterreichischen Grenzen hinaus so wandte man sich aus Deutschland Polen und Ungarn mit Anfragen an ihn einer seiner Studenten war Aron Blumlein aus der Kremser Judengemeinde Die judische Bevolkerung lebte im Mittelalter im Spannungsfeld zwischen Formen der Privilegierung und des Schutzes falls dem Herrscher Schutzsteuern gezahlt wurden sowie Folgen der Ausgrenzung und Diskriminierung durch die Kirche und die Adeligen Die judenfeindliche Gesinnung zeigt sich in einem Fresko in der mittelalterlichen Pfarrkirche dem Liebfrauendom das Ende des 13 Jahrhunderts entstand Auf diesem finden sich Juden im Weltgericht in die Holle getrieben abgebildet 3 Aber im Gegensatz zu anderen Gebieten in Osterreich kam es in Wiener Neustadt nie zu Judenverfolgungen So betraf die Austreibung der Juden im Zuge der Wiener Gesera die judische Bevolkerung der Stadt nicht Auch die Pestporgome von 1348 49 oder die Ausschreitungen von 1338 trafen die Gemeinde nicht Jedoch wurde sie nicht von Verboten oder Ausgrenzungen verschont Die Neustadt galt infolge der Vertreibung der Wiener Gemeinde nunmehr als die grosste judische Gemeinde und nahm wieder eine Sonderrolle als geistiges judisches Zentrum im Gebiete des heutigen Osterreich ein Blutezeit im 15 Jahrhundert Bearbeiten1420 wuchs die Gemeinde stark an und gegen Ende des Jahrhunderts umfasste sie 300 Personen Das Judenviertel wies die vergleichsweise hochste Bevolkerungsdichte in der Stadt auf deswegen wurde es oft ausgebaut und um das Jahr 1450 erreichte es seine grosste Ausdehnung Das Judenviertel befand sich nachdem man das Gebiet im Frauenviertel nach der Wiener Gesera aufgab im Minderbruderviertel und ist dank eines Grundbuchs ab Mitte des 15 Jahrhunderts dokumentiert worden 4 Kaiser Friedrich III bekam wegen seiner judenfreundlicheren Haltung den inoffiziellen Beinamen Rex Judaeorum Konig der Juden Die judische Bevolkerung in der Neustadt erlebte unter Kaiser Friedrich III der die Stadt 1440 als Residenz gewahlt hatte eine Blutezeit Nach einer Zeit von inneren Unruhen in der Gemeinde ubernahm vor 1450 Rabbi Israel bar Petachja auch Isserlein genannt 1390 1460 aus Marburg die Position eines Rabbiners nicht aber des Gemeinderabbiners Er wurde zum Begrunder einer beruhmten Talmudschule und genoss daraufhin hochstes Ansehen innerhalb des Kreises judischer Gelehrter denn er war uberregional bekannt Uber das alltagliche Leben in der Gemeinde sind vor allem Responsen und Bemerkungen der beruhmten Rabbiner aus dem osterreichischen Raum besonders aufschlussreich Die reichhaltige Literatur der rabbinischen Responsentexte ist eine besondere Erscheinung im Fundus schriftlicher Zeugnisse aus dem Mittelalter Die zumeist schriftlich erteilten Gutachten und Kommentare auf Anfragen zur Halacha wurden im Umkreis der mittelalterlichen Gelehrtenschulen in Sammlungen zusammengefasst und weitergegeben Der Verfasser des Leket Josher der ursprunglich aus Hochstadt in Bayern stammende Joseph ben Moses 1421 1490 war Schuler des in Wiener Neustadt wirkenden Isserlein Simon Paulus stellt hierzu fest 5 Bei Joseph ben Moses finden sich bezuglich der Synagoge auch einige Bemerkungen zur Zuordnung der Sitzplatze im Synagogenraum und der Praxis der Sitzplatzvergabe fur Fremde Er erinnert sich Drei oder vier Platze an der Lade Toraschrein die Wetzel genannt wurde waren frei Dort konnten Fremde sitzen In einer der dortigen Jeschiwot sassen die Schuler mit dem Rucken zum Aron ha kodesch obwohl man nicht mit dem Rucken zum Aron ha kodesch steht denn der Aron ahnelt dem Heiligsten 6 Grabungsbefunde in Wien Mittelalterliche Synagoge Koln oder Speyer Synagoge Speyer bestatigen zudem die in den Responsentexten beschriebene Lage der regularen Sitzplatze entlang der Wande und die Unterteilung der Platze durch Gitter oder Bretter 7 Die vielen judischen Geldleiher hatten eine bemerkenswerte Schuldnerschaft und somit auch eine gewisse wirtschaftliche Starke Zu ihren Schuldnern gehorten neben den Herzogen eine Reihe von bekannten Adelsfamilien Stadte wie Odenburg oder Pressburg und sogar geistliche Einrichtungen Aber solche Wichtigkeit kam nicht ohne Nachteile es folgten zahlreiche Wuchervorwurfe die zum Geist der zunehmenden judenfeindlichen Gesinnung der Bevolkerung im 15 Jahrhundert passten 8 Jiddische Quellen Bearbeiten Der Brief der Schondlein BearbeitenIsserleins Frau die Rebbetzin Schondlein beantwortet in einem Brief die Probleme zu den rituellen Gesetzen wahrend der Menstruationszeit einer weiblichen Fragestellerin Die Rabbinersgattin galt neben dem Rabbiner als eine respektierte Person in der Gemeinde Die Antwort ist ausschliesslich in mittelalterlichem Jiddisch dem Mittelhochdeutschem sehr ahnlich verfasst worden Gar vil gute jor die mussen dir werdn wor wi du gesunt bis as du mir host lassn schreibn Ikh sol mein man Rabbi Isserlein der leben soll frogn fun eins bruchs wegen den du an dir hast das han ikh geton un han ihm geseit gesagt alls das du mir geschribn host Un mein man der lebn soll spricht Es folgt der Ratschlag zu untersuchen zu welchen Zeitpunkten die Blutungen auftreten damit entschieden werden kann ob die Frau rituell unrein werden wurde 9 Die Urkunde des 3 Tewet Bearbeiten Diese jiddische Urkunde vom 3 Tewet einem Januartag wurde vom Aussteller Liphart als Bevollmachtigter des Juden Lebel bestatigt Es ging um die Ruckzahlung eines Darlehens des Wiener Neustadter Burgers Hans Part auf ein Haus welches er an Lebel verpfandete Vermutlich dreht sich das Ausstellungsdatum um das Jahr 1496 97 Die Urkunde befindet sich noch heute im Stadtarchiv Wiener Neustadt 9 Anschwellen der Judenfeindlichkeit am Ende des 15 Jahrhunderts BearbeitenNach dem Tod Kaiser Friedrichs III im Jahre 1493 verlor Wiener Neustadt die Position des Regierungsmittelpunktes Der Adel und der Hof folgten dem neuen Herrscher Maximilian I nach Innsbruck Zudem zerstorte 1494 ein Grossbrand die Stadt Das Verhaltnis zwischen Juden und Christen verschlechterte sich in Folge der Zerstorung der Stadt weil aufgrund von Darlehensgeschaften Schulden bei Juden ausstanden welche die Christen nicht mehr bezahlen konnten Auch hatten die Juden in der Neustadt aus der Sicht der Landstande zu viele Rechte Der Judenspott ein Steinrelief das an der Front eines Hauses am Hauptplatz 16 eingelassen war und ein Schwein zeigt das Schwein gilt bei Juden als unreines Tier an dessen Zitzen judische Manner saugen verbildlicht die bestehende und wachsende Ablehnung gegenuber Juden im 15 Jahrhundert Ausweisung der Juden aus dem Herzogtum Steir Bearbeiten Hauptartikel Geschichte der Juden in der Steiermark Wirtschaftliche Interessen des verschuldeten Adels und machtpolitische Bestrebungen der Stande gegenuber dem Landesfursten die auf der Ebene der Bewilligung von ausserordentlichen Steuern ausgetragen wurden trugen das Ihre dazu bei sodass schliesslich Maximilian I 1496 die Vertreibung der Juden aus der Neustadt befahl Er begrundete dies mit den ublichen antijudischen Vorurteilen wie Hostienfrevel oder Ritualmordlegenden und liess die Juden vertreiben Damit fortan solch Ubel nicht mehr geschehe haben Wir unsere Judischkeit aus unserem Lande Steyr in ewige Zeit beurlaubt Die wahren Grunde dahinter waren wohl die Osmanischen Invasionen Der Herzog brauchte dringend Geld fur seine Armeen und bekam dies auch von den Landstanden falls er die Juden auswies Die Vertreibung verlief nicht in Form eines Pogroms sondern es handelte sich um eine organisierte Ausweisung mit der die Verkaufe von Hausern und alle Veranderungen der bestehenden Besitzverhaltnisse sich uber mehrere Jahre hinzogen Zudem mussten samtliche Geldangelegenheiten und Streitigkeiten zwischen Juden und Christen beigelegt sein Die Juden durften auch ihr mobiles Hab und Gut mitnehmen Den judischen Burgern war vorgeschrieben worden die Neustadt zu verlassen und nach Marchegg oder Eisenstadt zu ziehen Die letzten Hausverkaufe und Schuldzahlungen erfolgten erst 1500 sodass die letzten Juden die Stadt wohl um 1500 verliessen Die Synagoge wurde 1496 der Stadt geschenkt und wegen der treibenden Kraft der Stadt schon 1497 in eine Kirche umgewandelt Es folgte eine Judensperre die konsequent bis zum 19 Jahrhundert andauerte Neuzeit BearbeitenAnsiedlungsversuche im 16 17 und 18 Jahrhundert Bearbeiten Trotz des oben erwahnten Aufenthaltverbots gab es immer wieder Niederlassungsversuche durch Juden Es kam jedoch vielmehr zu vereinzelten Ausnahmen fur privilegierte Juden mit Schutzbrief sogenannten Hofjuden Die Juden versuchten schon im 16 und 17 Jahrhundert Fuss in Wiener Neustadt fassen vor allem als 1523 Wiener Neustadt der neue Sitz der Niederosterreichs wurde und somit an Bedeutung gewann Jedoch wurden die Verbote immer wieder erneuert sodass sich nur im 17 Jahrhundert Juden in der Stadt aufhielten Eine Gemeinde entstand jedoch nicht die wenigen Juden verschwanden schliesslich wahrend der Zweiten Vertreibung der Juden aus Wien und den umliegenden Gebieten aus der Stadt Ein Zuzug von judischen Fluchtlingen aus ungarischen Gebieten wahrend den Kuruzenaufstanden machte Wiener Neustadt wieder zu einem Aufenthaltsort der aber nicht von Dauer war 1708 kam es zu Ausschreitungen zwischen diesen Fluchtlingen und den Christen daraufhin mussten sich alle Juden insgesamt 535 in einem abgesonderten Raum beherbergen bis 1709 die Ausweisung folgte 10 19 Jahrhundert Gleichberechtigung und Wiedergeburt der Gemeinde Bearbeiten Nach dem Revolutionsjahr 1848 durften sich Juden erneut hier ansiedeln und nach 1850 entwickelte sich wieder eine kleine judische Gemeinde deren Angehorige zu diesem Zeitpunkt vornehmlich aus Hausierern und Produktenhandlern bestand Der erste judische Einwohner kam 1848 und war der Archaologe Hermann Friedenthal Zudem wurden erste Gottesdienste in Privatwohnungen wie in dem Wohnhaus von Moses Rosenberger in der Pognergasse abgehalten Spater mietete man fur diese Zwecke ein Schtibl einen Raum im Gasthof Zur ungarischen Krone in der Ungarngasse 9 Als dieser Raum nicht mit den wachsenden Besucherzahlen auskam wurde eine Lagerhalle in eine grossere Betstube in der Grunangergasse umgebaut und fur drei Jahrzehnte benutzt Der Artikel 14 des Staatsgrundgesetzes von 1867 brachten die staatliche Gleichberechtigung aller Burger jeder Konfession und Religion Daraufhin kam es vermehrt zu Zuzugen durch Juden sie lebten in der zweiten Halfte des 19 Jahrhunderts in angemieteten Wohnungen in der Innenstadt und im Kapuzinerviertel 1869 gab es 185 Israeliten in Wiener Neustadt also wenige als ein Prozent der Einwohner 1880 schon 309 somit 1 1 Prozent nbsp Die neue Synagoge am Baumkirchnerring um 19101870 erfolgte die Anmietung eines Gebaudes am Baumkirchnerring und der Umbau zu einer kleinen Synagoge Da die Gemeinde wuchs musste das Gebaude gekauft und um 1880 erweitert werden Am 4 Mai 1871 wurde die Gemeinde formell als Israelitischen Kultusgemeinde konstituiert und hatte auch Mitglieder in den umliegenden Stadten und Ortschaften Benjamin Weiss wurde Rabbinatsverweser Ein Grundstuck in der Reichsstrasse wurde gekauft um den Friedhof dort zu errichten 1902 liess die weiter angewachsene Gemeinde am Baumkirchnerring neben der ersten Synagoge einen Neubau im maurischen Stil errichten der innerhalb eines halben Jahres erstellt wurde Die Plane fur die Wiener Neustadter Synagoge stammten vom damals angesehenen Architekten Wilhelm Stiassny 1842 1910 Das Gebaude hatte eine Flache von 340 m2 Ostlich der Synagoge befand sich die kleine Synagoge kleiner Saal von rund 70 m2 Grosse das als Versammlungsort fur den Gottesdienst den Religionsunterricht und fur Feste diente In der unmittelbaren nahe befand sich auch die Fleischerei in der Tiere geschachtet wurden 11 12 Nach dem ersten Rabbiner folgten ins Amt Jakob Hoffmann Hermann Klein Joel Pollak David Friedmann und zuletzt Heinrich Weiss Erster Weltkrieg und Zwischenkriegszeit Bearbeiten Wahrend des Ersten Weltkrieges erreichte viele ostjudische Fluchtlinge aus Galizien und der Bukowina die Stadt um der Offensive der zarischen Armee zu entgehen Die judischen Familien waren vor allem im Handel tatig mit Gemischtwaren Textilien und Wein uber ein Drittel aller Weinhandlungen hatte judische Eigentumer Besondere Beruhmtheit errang die Papierfabrik Salzer und die Spinnerei u Weberei Pick amp Co allesamt in judischen Handen Sechs Prozent der Wiener Neustadter Juden waren Akademiker und fuhrten den Doktortitel Den grossten Anteil wiesen Juden in der Berufssparte der Arzte und Rechtsanwalte auf Uber ein Drittel der ordinierenden Arzte und fast die Halfte der aktiven Rechtsanwalte war judischer Abstammung 13 In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg in Zeiten von wirtschaftlicher Not und Armut waren auch in Wiener Neustadt antisemitische Provokationen zu verzeichnen die aber zumeist gewaltfrei verliefen Bei der Volkszahlung von 1934 umfasste die IKG Wiener Neustadt 886 Personen mit mosaischem Religionsbekenntnis 685 Menschen lebten in Wiener Neustadt 30 in Oberwaltersdorf 20 in Ebreichsdorf 14 in Erlach 11 inKatzelsdorf 10 in Pernitz 10 in Weigelsdorf 9 in Ebenfurth 9 in Gramatneusiedl und die restlichen 88 in vielen anderen kleinen Dorfern des Kultussprengels Das Vereinsleben in der Stadt bluhte in der Zwischenkriegszeit auf eine Vielzahl von Einrichtungen vor allem fur karitative Zwecke wie Chewra Kadischa 1888 und der Israelitischer Frauen und Madchen Wohltatigkeits Verein 1894 eine Ortsgruppe des Zionistischen Landesverbandes 1920 ein Frauenhilfe Verein Esrat Naschim Frauen Abteilung 1924 ein Verein zum Troste Trauender Chewra Menachem Awelim 1929 ein judischer Sparverein Kohle und Mazzes 1932 eine Ortsgruppe des Bundes judischer Frontsoldaten ein Jugendverein Tiferet Bucherim Zierde der Studenten 1937 der Verein Talmud Thora und eine Ortsgruppe der Agudas Jisroel Israel Verein zeugen davon 14 Das beruhmte Cafe Bank in der Bahngasse das im Besitz der gleichnamigen judischen Familie war diente oft als Veranstaltungsort wie etwa zu Purim Koscheres Essen gab es in spezifischen Restaurants wie dem von Malvine Gerstl in der Neunkirchnerstrasse oder Rosa Schulz in der Brodtischgasse Das Zentrum des religiosen Kulturlebens bildete sich um den Tempel Zu Schabbes Samstagen ging man dort zum Gottesdienst Laut einem Interview mit ehemaligen Gemeindemitgliedern war zu Jom Kippur der Andrang im Tempel so intensiv dass man die Platze reservieren musste 15 Nationalsozialismus Bearbeiten nbsp Reibpartien in WienUnmittelbar nach der Machtergreifung im Marz 1938 setzte in Wiener Neustadt die systematische Verfolgung der Juden ein Es kam zur Misshandlungen der judischen Bevolkerung etwa als SA und SS Juden aus ihren Hausern zerrten und sie am Hauptplatz und in den zulaufenden Strassen unter Beobachtung von Passanten Strassen reinigen liessen Mit kleinen Zahnbursten mussten altere Juden auf dem Hauptplatz liegend oder kniend den Boden waschen judische Frauen taten dasselbe in der Nahe der Synagoge Judische Geschafte wurden boykottiert ortliche SA Manner vor den Geschaften gestellt um keine Kunden einzulassen Parteimitglieder beraubten auf Eigeninitiative judische Geschaftsinhaber mit Hilfe der SA oder der Zivilbevolkerung Berufsverbote und Amtsenthebungen traten sofort in Kraft Daraufhin fanden im August und Oktober 1938 mehrere Exodusse statt Ende Oktober hatte die Gemeinde nur noch 395 Mitglieder vor Marz 1938 lebten mindestens 711 Judinnen und Juden in der Stadt Im Rahmen der arisierungen fur judische fabriksmassige und gewerbliche Betriebe Praxen Kanzleien und Geschafte handelte es sich bei den Interessenten oft um ehemals arische Konkurrenten und lokale Firmen und Geschaftsinhaber derselben Branchen die zu gunstigen Preisen Inventar Warenlager oder ganze Gebaudekomplexe kauften Oft waren die von der NSDAP stammenden Verwalter mit den Kaufern der judischen Besitztumer befreundet so entstand ein organisiertes Arisierungsnetzwerk mit dem sich die Kaufer bereichern konnten wahrend das Verkaufserlos dem judischen Verkaufer nicht zustand Die Reichskristallnacht Bearbeiten In der Nacht vom 9 auf den 10 November 1938 wurden Parteimitglieder von der Parteileitung zu einem Fackelzug zur Synagoge zum Baumkirchnerring abkommandiert Teile der Gebaudefront der grosse Davidstern die Fenster und die Inneneinrichtung der Synagoge wurden beschadigt oder vollstandig zerstort und die Tempeluntensilien gestohlen Die Synagoge wurde nur deshalb nicht in Brand gesteckt weil Burgermeister Scheidtenberger das Gebaude noch nutzen wollte und die relative Nahe des Gotteshauses zu anderen Gebauden in ein Ubergreifen des Feuers auf die Nebengebaude resultieren konnte 16 Am 10 November liess man judische Manner Frauen und Kinder auf den Strassen antreten bis sie schliesslich von SA Leuten zu Fuss durch die Strassen der Stadt zur Synagoge getrieben wurden Mindestens 100 Menschen wurden verhaftet und wahrenddessen von ihren Schmuckstucken und Eheringen beraubt Nach etwa drei bis vier Tagen wurde der Grossteil der Juden mit Zugen ein Teil mit Autobussen nach Wien verfrachtet wo man sie aussetzte und in Sammelwohnungen auf engstem Raum mit anderen Juden unter menschenunwurdigen Umstanden unterbrachte Niemand von ihnen hatte die Moglichkeit irgendetwas von seinem Hab und Gut mitzunehmen Wahrend den Inhaftierungen fanden die Plunderungen der Wohnungen durch Parteimitglieder oder der Zivilbevolkerung statt Die Durchsuchungen der Wohnungen sowie die Verhaftungen erfolgten durch SA SS und Polizei Ziel war es Bargeld Sparbucher Schmuck und die in den Wohnungen aufbewahrte Kunst und Wertgegenstande Bilder Pelze Gold sowie die Wohnungen selbst an sich zu reissen 17 Ende der Gemeinde Bearbeiten Die Zielstaaten der zuvor gefluchteten Mitglieder der Gemeinde waren die Vereinigten Staaten 32 Fluchtlinge Palastina das spatere Israel 56 Fluchtlinge Grossbritannien 26 Fluchtlinge manchmal auch die Tschechoslowakei und Ungarn 18 Seit Janner 1939 ruhte jegliche religiose Tatigkeit und im Oktober 1939 begannen die Deportationen von Wiener Neustadter Juden und dauerten bis Marz 1944 an 1940 gab es 30 Mitglieder durch Erlass der Landeshauptmannschaft in Niederdonau vom 3 April 1940 wurden alle Kultusgemeinden in der Ostmark mit Ausnahme von Wien aufgelost Der Grossteil der restlichen Juden wurde im Jahre 1942 in Ghettos und Konzentrationslager deportiert Es wurde nachgewiesen dass rund 180 Personen in ein Ghetto oder Konzentrationslager meist nach Auschwitz deportiert wurden 19 Wie viele es wirklich waren bleibt ungewiss Heute Bearbeiten nbsp Baumkirchnerring 4 in Wiener Neustadt Gedenktafel zur ehemaligen Synagoge 2022 Im Gegensatz zu anderen Gemeinden wie etwa Baden oder Graz erfolgte in Wiener Neustadt nach dem Zweiten Weltkrieg keine Neugrundung der Gemeinde Die Synagoge wurde wahrend und nach dem Krieg als Depot verwendet wahrenddessen bombenbeschadigt und 1952 abgerissen Der judische Friedhof in der Wienerstrasse wird jedoch von der Stadtgemeinde gepflegt Eine Gedenktafel am Baumkirchnerring erinnert an die judische Vergangenheit Wiener Neustadts Einzelnachweise Bearbeiten Pollak Max Die Juden in Wiener Neustadt Ein Beitrag zur Geschichte der Juden in Oesterreich Judischer Verlag Wien S 71 79 Spitzer Shlomo Die osterreichischen Juden im Mittelalter Eine Sozial und Kulturgeschichte 1977 S 222 Werner SULZGRUBER Die Geschichte der judischen Gemeinde in Wiener Neustadt Abgerufen am 27 April 2020 Eveline Brugger Von der Ansiedlung bis zur Vertreibung in Geschichte der Juden in Osterreich ISBN 3 8000 7159 2 S 175 177 Simon Paulus Mittelalterliche Synagogen im osterreichischen Raum im Spiegel zeitgenossischer rabbinischer Responsen in David 20 Jg Nr 77 Juni 2008 S 26 30 Sefer Leket Yosher S 31 Paulus 2008 wie oben zitiert nach Kern Ulmer 1990 S 104f Paulus 2008 wie oben Anm 40 ich habe in allen Landern die ich bereiste gesehen dass sie feste Synagogenplatze mit Gittern zwischen den Platzen hatten Ascher ben Jechiel Asheri Rosh ca 1250 1329 Toledo Shut leha Rav Rabbenu Asher Teil 5 3 zitiert nach Kern Ulmer 1990 S 101ff Zur Sitzverbreiterung Rashba She elot u Teshuvot ha Rasbah ha mejuchasot leha Ramban Zolkiew 1793 26 Kern Ulmer 1990 S 101 Verbot der Erhohung von Synagogensitzplatzen sowie Mietpreise und Mietrecht fur Synagogensitzplatze bei Jitzachq bar Sheshet Perfet Barfat Ribash Rivash Barcelona 1326 1408 Algier She elot u Teshuvot bar Sheshet 259 253 bei Kern Ulmer 1990 S 102 104 Werner Sulzgruber Geschichte der judischen Gemeinde Wiener Neustad Abgerufen am 28 April 2020 a b Martha Keil Gemeinde und Kultur in Geschichte der Juden in Osterreich Ueberreuter S 34 Werner Sulzgruber Die Geschichte der judischen Gemeinde in Wiener Neustadt Abgerufen am 28 April 2020 Aus der Geschichte der judischen Gemeinden im deutschen Sparachraum Abgerufen am 29 April 2020 Werner Sulzgruber Geschichte der judischen Gemeinde Wiener Neustadt Abgerufen am 29 April 2020 Die Geschichte der judischen Gemeinde in Wiener Neustadt Abgerufen am 1 Mai 2020 Die Geschichte der judischen Gemeinde in Wiener Neustadt Abgerufen am 1 Mai 2020 Interview mit E Koppel M Seckl G Riegler S Hacker W Schischa K Pollak Karl Flanner Die Wiener Neustadter Synagoge in der Pogromnacht 1938 Wr Neustadt 1998 S 1 2 Werner Sulzgruber Die judische Gemeinde Wiener Neustadt Von ihren Anfangen bis zu ihrer Zerstorung ISBN 978 3 85476 163 1 S 178 Walter Baumgartner Robert Streibel Juden in Niederosterreich 2004 S 25 Sulzgruber Werner Die judische Gemeinde Wiener Neustadt von ihren Anfangen bis zu ihrer Zerstorung 1 Auflage Mandelbaum Wien 2005 ISBN 3 85476 163 5 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Geschichte der Juden in Wiener Neustadt amp oldid 239024825