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Als Burgfriedenspolitik oder kurz Burgfrieden wird das Zuruckstellen innenpolitischer Konflikte und wirtschaftlicher Auseinandersetzungen im Deutschen Kaiserreich wahrend des Ersten Weltkriegs bezeichnet In Frankreich wurde zur selben Zeit der Begriff Union sacree und in Portugal der Begriff Uniao Sagrada gebrauchlich In Kriegszeiten regierten oft Allparteienregierungen Die Metapher Burgfrieden wird bis heute gelegentlich verwendet Inhaltsverzeichnis 1 Entstehung 2 Auswirkung der Burgfriedenspolitik in der SPD 3 Aufweichen der Burgfriedenspolitik 4 Literatur 5 Weblinks 6 EinzelnachweiseEntstehung BearbeitenVor Beginn des Ersten Weltkrieges gab es in sozialdemokratischen Parteien einiger Lander eine streng antimilitaristische und friedenspolitische Haltung die auf internationalen Konferenzen der Zweiten Internationale wie in Stuttgart 1907 und in Basel 1912 festgeschrieben wurde Konkrete Massnahmen einen europaischen Frieden seitens der Arbeiterbewegung zu erzwingen wurden jedoch nicht festgelegt Am 4 August 1914 versammelte Kaiser Wilhelm II in Berlin die Abgeordneten aller im Reichstag vertretenen Parteien um sich und hielt seine vom Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg vorformulierte Thronrede zum Kriegsausbruch In einem personlichen Nachsatz zu der Rede erklarte er Ich kenne keine Parteien mehr ich kenne nur noch Deutsche Zum Zeichen dessen dass Sie fest entschlossen sind ohne Parteiunterschied ohne Stammesunterschied ohne Konfessionsunterschied durchzuhalten mit mir durch dick und dunn durch Not und Tod zu gehen fordere ich die Vorstande der Parteien auf vorzutreten und mir das in die Hand zu geloben Diese Satze trafen bei den Parlamentariern selbst von der oppositionellen SPD der starksten Fraktion im Reichstag auf fast ungeteilte Zustimmung Ein zentraler Grund dafur war dass es der Regierung wahrend der Julikrise gelungen war die Offentlichkeit zu uberzeugen dass das Deutsche Kaiserreich sich in einem Verteidigungskrieg gegen Russland befinde Dies galt auch fur weite Teile der SPD und die ihnen nahestehenden Gewerkschaften Der Reichstag stimmte bei zwei Enthaltungen geschlossen fur die zur Kriegsfuhrung benotigten Kriegskredite 1 Russland unter der Herrschaft des Zaren Nikolaus II war fur die Sozialdemokratie schon lange vor 1914 ein Inbegriff fur Unterdruckung und Reaktion Bereits Karl Marx hatte das Zarenreich einen Hort der Reaktion genannt So wiederholte August Bebel auf dem Essener Parteitag 1907 die Kernaussagen seiner beruhmten Flintenrede am 7 Marz 1904 im Reichstag er wolle bei einem Angriff auf Deutschland wie alle anderen das Vaterland verteidigen und erganzte sie mit dem expliziten Hinweis auf einen Angriff Russlands das er als Feind aller Kultur und aller Unterdruckten bezeichnete 2 Die Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands die Dachorganisation der den Sozialdemokraten nahestehenden freien Gewerkschaften hatte schon am 2 August erklart wahrend des Krieges auf Lohnbewegungen und Streiks zu verzichten Ahnlich ausserten sich auch die liberalen Hirsch Dunckerschen Gewerkvereine und die christlichen Gewerkschaften Der Reichstag beschloss am 4 August auf Neuwahlen nach Ablauf der Legislaturperiode und sogar auf mogliche Nachwahlen zu verzichten Ausserdem verzichtete er wahrend des Krieges auf offentliche Tagungen des Plenums Auch die Presse stellte fur die Zeit des Krieges die offentlichen Auseinandersetzungen mit der Regierung ein und ubte Selbstzensur Allerdings fuhrte die Verhangung des Kriegszustandes nach Artikel 68 der Reichsverfassung dazu dass wahrend des Krieges die Pressefreiheit durch Zensurmassnahmen ohnehin eingeschrankt wurde 3 Auswirkung der Burgfriedenspolitik in der SPD BearbeitenDie SPD hatte wenige Tage zuvor noch Massendemonstrationen fur den Frieden abgehalten und zum Widerstand gegen den Krieg aufgerufen Am 25 Juli verkundete der Parteivorstand im Vorwarts Gefahr ist im Verzuge Der Weltkrieg droht Die herrschenden Klassen die euch in Frieden knechten verachten ausnutzen wollen euch als Kanonenfutter missbrauchen Uberall muss den Machthabern in den Ohren klingen Wir wollen keinen Krieg Nieder mit dem Kriege Es lebe die internationale Volkerverbruderung 4 Zum Zeitpunkt des Aufrufs ging die SPD Fuhrung noch davon aus dass die Reichsregierung Kabinett Bethmann Hollweg ein Interesse an der Verhinderung eines Krieges habe Die Schuld fur die Eskalation sah die SPD Fuhrung bei der Regierung Osterreich Ungarns Ministerium Sturgkh Doch sogleich nach Kriegsbeginn anderte sich ihre Position stark die anfangs erfolgreichen Proteste wurden nicht fortgefuhrt sondern bewusst gedampft 5 Gegner des Krieges wie der reformistische Eduard Bernstein und die Vertreter des linken Parteiflugels Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gerieten in der SPD in die Isolation Vertreter des rechten Flugels wie Eduard David Wolfgang Heine Albert Sudekum und Ludwig Frank setzten in der kurzen Zeit zwischen Kriegsbeginn am 1 August bis zur Reichstagsentscheidung am 4 August 1914 die Zustimmung der Reichstagsfraktion zu den Kriegsanleihen durch Die SPD und vor allem ihr rechter Flugel nutzten die Gelegenheit um ihren Patriotismus zu demonstrieren und den Vorwurf zu entkraften Sozialdemokraten seien vaterlandslose Gesellen 6 Auch ehemalige Angehorige des linken SPD Flugels wurden zu Anhangern der Kriegspolitik Wichtigster Zusammenschluss war die Lensch Cunow Haenisch Gruppe deren Vertreter sich schnell zu uberzeugten Kriegsbefurwortern mit teils offen nationalistischen Positionen wandelten Noch immer ausgehend von der Uberzeugung man fuhre einen Verteidigungskrieg gegen die Aggression Russlands hiess es am 31 Juli im Vorwarts Wenn die verhangnisvolle Stunde schlagt werden die vaterlandslosen Gesellen ihre Pflicht erfullen und sich darin von den Patrioten in keiner Weise ubertreffen lassen 7 Am 2 August beschloss der Fraktionsvorstand mit vier gegen zwei Stimmen die Bewilligung der Kriegskredite Die Fraktion beschloss mit 78 gegen 14 Stimmen deren Annahme und stimmte der Bewilligung der Kredite im Reichstag zu Die Begrundung fur die Zustimmung gab der SPD Vorsitzende Hugo Haase am 4 August im Reichstag Darin benannte er Imperialismus und Wettrusten als Ursachen des Krieges wies die Verantwortung dafur den Tragern dieser Politik zu und betonte dass die SPD vor einem Krieg gewarnt habe Er knupfte an die Positionen der SPD zum Verteidigungskrieg und zum russischen Zarismus an indem er die freiheitliche Zukunft des Volkes bei einem Sieg des blutrunstigen russischen Despotismus gefahrdet sah Den Krieg wertete er als einen Deutschland aufgezwungenen Eroberungskrieg und betonte das Recht eines Volkes auf nationale Selbststandigkeit und Selbstverteidigung gemass den Beschlussen der Internationale Ausdrucklich bekraftigte er die Absicht der SPD das eigene Vaterland in der Stunde der Gefahr nicht im Stich zu lassen 8 Erst allmahlich begann sich eine differenziertere Haltung in der Partei durchzusetzen und Gegenpositionen entstanden 9 So stimmte Liebknecht bei der zweiten Sitzung am 2 Dezember 1914 gegen die Bewilligung der Kriegskredite und legte damit den Grundstein fur die spatere Abspaltung der USPD Unabhangige SPD von der SPD Auch der ebenfalls bereits als Kriegsgegner aufgetretene Otto Ruhle stimmte am 20 Marz 1915 bei der dritten Sitzung mit Liebknecht gegen die Kredite Im weiteren Verlauf des Krieges nahm die Anzahl der sich auch offentlich gegen den Krieg aussprechenden SPD Mitglieder zu Der Widerstand der Burgfriedensgegner gegen den Krieg unter ihnen beispielsweise auch Rosa Luxemburg und Clara Zetkin fuhrte zum Parteiausschluss Liebknechts und anderer aus der SPD Viele Burgfriedensgegner auch Liebknecht und Luxemburg wurden 1916 zu langen Haftstrafen verurteilt aus denen sie erst zum Ende des Krieges wieder entlassen wurden Die revolutionaren Burgfriedensgegner bildeten 1914 die Gruppe Internationale aus der 1916 die Spartakusgruppe und im November 1918 der Spartakusbund hervorgingen Der Spartakusbund bildete bis zum Kriegsende den linksrevolutionaren Flugel der USPD Die USPD war abgesehen von ihrer Antikriegshaltung von sehr heterogenen Inhalten gepragt Zusammen mit anderen linksrevolutionaren Gruppierungen wurde aus dem Spartakusbund nach dem Krieg im weiteren Verlauf der Novemberrevolution im Januar 1919 die Kommunistische Partei Deutschlands KPD gegrundet Damit war die endgultige Spaltung der Sozialdemokratie in eine revolutionare kommunistische und eine reformorientierte sozialdemokratische Partei vollzogen Die USPD wurde bis 1922 zwischen diesen beiden Polen zerrieben und spielte danach kaum noch eine wichtige Rolle in der Weimarer Republik Aufweichen der Burgfriedenspolitik BearbeitenMit der zunehmenden Dauer des Krieges und dem ausbleibenden Sieg begann der Burgfrieden allmahlich zu brockeln Bereits seit 1915 fuhrten Versorgungsmangel und Kriegsmudigkeit zu ersten wilden Streiks und Demonstrationen Das Ende des politischen Burgfriedens kam 1916 als die Kriegszielfrage nunmehr auch in der Offentlichkeit diskutiert werden konnte Neben den Vertretern eines Verstandigungsfriedens traten Befurworter von Annexionen wie die rechtsgerichtete Deutsche Vaterlandspartei auf den Plan Die soziale Unruhe insbesondere der Arbeiter verstarkte sich mit zunehmender Dauer des Krieges noch und die Gewerkschaften waren schliesslich kaum noch in der Lage die Belegschaften unter Kontrolle zu halten Auf das Zerbrockeln des Burgfriedens reagierte die Reichsregierung mit einem im Dezember 1916 veroffentlichten Friedensangebot der Mittelmachte dieses sollte der deutschen Bevolkerung den Friedenswillen der Regierung glaubhaft machen Anfang 1918 hatte ein grosser Teil der Arbeiterschaft den Burgfrieden fur sich aufgekundigt 10 Literatur BearbeitenMonografienSusanne Miller Burgfrieden und Klassenkampf Die deutsche Sozialdemokratie im Ersten Weltkrieg Verlag Droste Dusseldorf 1974 Beitrage zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien Band 53 Wolfgang Kruse Krieg und nationale Integration Eine Neuinterpretation des sozialdemokratischen Burgfriedensschlusses 1914 15 Verlag Klartext Essen 1993 ISBN 3 88474 087 3 AufsatzeOttokar Luban Der Kampf der Berliner SPD Basis im ersten Kriegsjahr gegen die Kriegskreditbewilligung In JahrBuch fur Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung Heft II 2014 S 53 65 Jorn Wegner Die Antikriegsproteste der deutschen Arbeiter am Vorabend des Weltkrieges und ihre Entwaffnung durch die SPD Fuhrung In JahrBuch fur Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung Heft II 2014 S 39 52 LexikaBurgfrieden In Worterbuch der Geschichte A K Pahl Rugenstein Koln 1983 S 150 Weblinks BearbeitenKriegsverlauf Burgfrieden im LeMO Karl Liebknecht Zur Kriegssitzung des Reichstages Liebknechts Ablehnung der Kriegskredite Flugblatt vom 2 Dezember 1914 auf marxists org Einzelnachweise Bearbeiten Wilhelm Loth Das Deutsche Kaiserreich Obrigkeitsstaat und politische Mobilisierung DTV Munchen 1997 ISBN 3 423 04505 1 Protokoll uber die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands Abgehalten zu Essen vom 15 bis 21 September 1907 Buchhandlung Vorwarts Berlin 1907 S 255 Wilhelm Loth Das Deutsche Kaiserreich Obrigkeitsstaat und politische Mobilisierung DTV Munchen 1997 S 144 Aufruf des Parteivorstandes vom 25 Juli 1914 im Vorwarts zitiert nach Susanne Miller Die SPD vor und nach Godesberg In Susanne Miller Heinrich Potthoff Kleine Geschichte der SPD Darstellung und Dokumentation 1848 1983 5 uberarbeitete Auflage Verlag Neue Gesellschaft GmbH Bonn 1983 ISBN 3 87831 350 0 S 73 Jorn Wegner Die Antikriegsproteste der deutschen Arbeiter am Vorabend des Weltkrieges und ihre Entwaffnung durch die SPD Fuhrung In JahrBuch fur Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung Heft II 2014 S 39 52 Wilhelm Loth Das Deutsche Kaiserreich Obrigkeitsstaat und politische Mobilisierung DTV Munchen 1997 S 143 Im Vorwarts am 31 Juli 1914 zitiert nach Susanne Miller Die SPD vor und nach Godesberg In Susanne Miller Heinrich Potthoff Kleine Geschichte der SPD Darstellung und Dokumentation 1848 1983 5 uberarbeitete Auflage Verlag Neue Gesellschaft GmbH Bonn 1983 ISBN 3 87831 350 0 S 73 Stenografische Berichte des Deutschen Reichstags Bd 306 S 8 ff Vgl Ottokar Luban Der Kampf der Berliner SPD Basis im ersten Kriegsjahr gegen die Kriegskreditbewilligung In JahrBuch fur Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung Heft II 2014 S 53 65 Lothar Machtan Kaisersturz Vom Scheitern im Herzen der Macht wbg Theiss Darmstadt 2018 ISBN 978 3 8062 3760 3 S 159 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Burgfriedenspolitik amp oldid 236285556