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Dieser Artikel beschreibt die Bedeutung des Begriffes Biomaterial in einem medizinischen Kontext Fur die davon abweichende gelegentliche Verwendung des Begriffes fur die stoffliche Nutzung von Materialien aus nachwachsenden Rohstoffen siehe Nachwachsender Rohstoff Als Biomaterial oder zum Teil als Implantatmaterial werden allgemein synthetische oder nichtlebende naturliche Werkstoffe bezeichnet die in der Medizin fur therapeutische oder diagnostische Zwecke eingesetzt werden und dabei in unmittelbaren Kontakt mit biologischem Gewebe des Korpers kommen Diese Materialien treten dabei in chemische physikalische und biologische Wechselwirkungen mit den entsprechenden biologischen Systemen Huftprothese in einem RontgenbildAllgemein bezeichnet der Begriff alle Materialien die im Rahmen von therapeutischen oder diagnostischen Massnahmen in Kontakt mit dem Korper kommen und schliesst damit auch den kurzzeitigen Kontakt uber die aussere Korperoberflache uber Korperoffnungen und uber von aussen zugangliche Schleimhaute ein Eine vor allem in der Forschung ubliche enger gefasste Definition umfasst hingegen nur solche Materialien die zum langerfristigen Verbleib ins Korperinnere eingebracht werden Der Begriff Biomaterial bezieht sich dabei auf die stofflichen insbesondere die chemischen und physikalischen Eigenschaften des Materials Kennzeichnend fur ein Biomaterial ist eine aus seinen Eigenschaften resultierende Biokompatibilitat die sowohl die funktionale Ahnlichkeit zu korpereigenen Strukturen als auch eine angemessene biologische Vertraglichkeit im Korper umfasst Demgegenuber beschreiben die Begriffe Implantat oder Prothese die konkrete Funktion eines aus einem oder mehreren verschiedenen Biomaterialien bestehenden Medizinproduktes im Hinblick auf eine bestimmte Anwendung Inhaltsverzeichnis 1 Zweck und Anforderungen 2 Verwendete Materialien 3 Anwendungsbeispiele 4 Geschichte 5 LiteraturZweck und Anforderungen BearbeitenBiomaterialien dienen oft dem vorubergehenden oder dauerhaften Ersatz von Organen Organteilen oder Korperstrukturen die aufgrund von Krankheit Verletzungen oder Alterung zerstort wurden oder in ihrer Funktion eingeschrankt sind Die Eignung eines Werkstoffes zum Einsatz als Biomaterial definiert sich zum einen uber die funktionale Kompatibilitat zum Organ oder Gewebe das ersetzt werden soll Das heisst der verwendete Werkstoff muss hinsichtlich wesentlicher Eigenschaften wie Harte Elastizitat und Plastizitat oder der Durchlassigkeit fur verschiedene Substanzen dem zu ersetzenden biologischen Gewebe hinreichend ahnlich sein Daruber hinaus soll er diese Eigenschaften nach Moglichkeit fur die gesamte Verweildauer im Korper mindestens aber einen hinreichend langen Zeitraum bis zu einem moglichen Ersatz aufweisen Zum anderen ist die Biokompatibilitat also die biologische Vertraglichkeit ein entscheidendes Kriterium fur die Eignung eines Biomaterials Darunter versteht man dass ein Material auch langerfristig moglichst wenig negative Auswirkungen auf das umliegende Gewebe haben darf Wichtige Komponenten der Reaktion des Korpers welche die Biokompatibilitat beeinflussen sind Entzundungsprozesse und immunologische Reaktionen Die Gesamtheit dieser gegen ein implantiertes Biomaterial gerichteten Prozesse wird als Fremdkorperreaktionen bezeichnet Zu den kurz und langerfristigen negativen Folgen des Einsatzes eines Biomaterials die nach Moglichkeit zu vermeiden sind zahlen beispielsweise mechanische Reizungen wie Druckschmerz anhaltende akute Entzundungsreaktionen toxische und mutagene Effekte Allergien und Infektionen Neben den schadigenden Auswirkungen auf das Korpergewebe konnen diese Reaktionen zum Teil auch die Funktion des Materials bis hin zum Versagen des Implantats negativ beeinflussen Ein ideales Biomaterial das sowohl allen Anforderungen an seine funktionalen Eigenschaften gerecht wird als auch durch eine vollstandige Biokompatibilitat gekennzeichnet ist und somit eine uneingeschrankte Anwendung mit dauerhafter Funktion ermoglichen wurde steht derzeit nicht zur Verfugung Verwendete Materialien Bearbeiten nbsp TitanpulverDie als Biomaterialien verwendeten Werkstoffe sind hinsichtlich ihrer Herkunft sowie ihrer chemischen und physikalischen Eigenschaften keine einheitliche Gruppe Vielmehr lassen sich eine Reihe von verschiedenen Materialgruppen unterscheiden Zu den altesten als Biomaterial verwendeten Werkstoffen zahlen Metalle insbesondere Edelmetalle wie Gold und Platin sowie andere korrosionsbestandige Metalle wie Titan Sie zeichnen sich neben ihrer chemischen Bestandigkeit durch eine hohe mechanische Festigkeit aus und werden dementsprechend vor allem zum Ersatz von Knochen und Zahnen verwendet Sie gelten als inert Fur ahnliche Anwendungen werden auch Materialien auf der Basis von Kohlenstoff sowie verschiedene Keramik Werkstoffe eingesetzt Weit verbreitet sind daruber hinaus medizinische Kunststoffe wie beispielsweise Polyester Polyethylen und Polyurethan die je nach ihren konkreten Eigenschaften fur verschiedene Zwecke zum Einsatz kommen Hierzu zahlen unter anderem Gesichtsprothesen bei Unfall und Krebspatienten oder Prothesen zum Ersatz von Blutgefassen aber auch Meniskusimplantate und Inlays fur Gelenksprothesen Von den genannten Werkstoffen die aufgrund ihrer chemischen und physikalischen Eigenschaften dauerhaft ihre Funktion behalten sollen sind sogenannte resorbierbare Werkstoffe zu unterscheiden Diese werden vom Korper durch chemische und biologische Prozesse abgebaut ein bei der Anwendung dieser Werkstoffe erwunschter Vorgang Zu diesen zahlen beispielsweise Polymere aus Glykolsaure oder Dioxanon die als chirurgische Nahtmaterialien bei Operationen eingesetzt werden bei denen eine Entfernung der Naht nach der Verheilung der vernahten Korperoffnung unzweckmassig ist Ein weiteres Beispiel fur ein resorbierbares Biomaterial ist Hydroxylapatit HA ein auf Calciumphosphat basierender Werkstoff zum Knochenersatz Hydroxylapatit wird in diesem Zusammenhang uberwiegend als Beschichtungsmaterial eingesetzt Es wirkt sowohl osteokonduktiv das heisst als Stutzstruktur Scaffold fur Knochenzellen als auch osteoinduktiv durch Anregung des Wachstums von neuem Knochengewebe und fordert dadurch das Anwachsen eines Implantats an den Knochen Magnesiumlegierungen die dem menschlichen Knochen vergleichbare Eigenschaften hinsichtlich Festigkeit und Elastizitat aufweisen werden insbesondere in Kombination mit HA als Implantatmaterial getestet Ziel ist die Entwicklung eines resorbierbaren Implantatwerkstoffs Zu den naturlichen Stoffen die als Biomaterial zum Einsatz kommen zahlen zum Beispiel Korallen als Stutzstruktur beim Ersatz von Knochen Weitere Beispiele sind Collagen das aus Chitin entstehende Chitosan oder das aus Seetang gewonnene Alginat Diese Substanzen werden insbesondere zur Oberflachenbeschichtung beziehungsweise Umhullung der eingangs genannten Werkstoffe genutzt um die Biokompatibilitat des gesamten Implantats zu verbessern Anwendungsbeispiele Bearbeiten nbsp Huftprothese aus Titan mit Keramik KopfBiomaterialien werden in vielfaltiger Form in der Medizin verwendet Zu den einfachsten Anwendungen gehoren Verbandsmaterialien zur Wundabdeckung Sie ubernehmen vorubergehend einen Teil der Funktionen der durch die Wunde zerstorten Haut so den Schutz der darunterliegenden Gewebe vor Umwelteinflussen und die Verhinderung des Austrittes von Blut Eine weitere vergleichsweise einfache Anwendung von Biomaterialien sind Kontaktlinsen Bei solchen ausseren Anwendungen ist eine Entfernung oder ein Ersatz des Materials im Falle einer Unvertraglichkeit oder eines Funktionsverlustes in der Regel sehr einfach moglich Viele Biomaterialien werden in Form von Implantaten im Korperinneren eingesetzt Sie dienen dabei beispielsweise im Rahmen einer als Osteosynthese bezeichneten Behandlung zur Unterstutzung der Heilung nach einem Knochenbruch ebenso wie dem dauerhaften Ersatz von Knochen die durch einen Unfall oder durch Knochenkrebs irreparabel zerstort wurden Moglich ist auch der Ersatz von Gelenkstrukturen die durch chronische Erkrankungen oder langjahrige Belastung abgenutzt sind Mit Gefassprothesen konnen Blutgefasse ersetzt werden Stents dienen der Abstutzung der Wand von Blutgefassen Beispiele fur den Ersatz von Organteilen oder ganzen Organen durch Biomaterialien sind kunstliche Herzklappen kunstliche Harnblasen Herzschrittmacher oder Kunstherzen sowie Cochlea Implantate im Ohr Auch in der plastischen Chirurgie werden Biomaterialien eingesetzt wie beispielsweise Glas fur Kunstaugen Silikon zur Brustvergrosserung oder Polyester zur Gesichtsrekonstruktion Ein Sonderfall der Anwendung von Biomaterialien sind sogenannte extrakorporale Organersatz oder unterstutzungssysteme also Gerate die ausserhalb des Korpers vorubergehend die Funktion eines Organs ubernehmen Zu diesen zahlt beispielsweise die Herz Lungen Maschine die wahrend einer Operation zeitweise das Herz und die Lunge ersetzen kann Gerate zur Dialyse als wiederholte Behandlung zum Ersatz der Nierenfunktion oder als Molecular Adsorbent Recirculation System MARS bezeichnete Systeme zur Blutentgiftung als Leberersatz Die in diesen Geraten fur die Zirkulation des Blutes sowie den Stoff und Gasaustausch zwischen dem Blut und den Geraten verwendeten Werkstoffe mussen hinsichtlich ihrer funktionalen Eigenschaften und ihrer Biokompatibilitat ahnliche Anspruche erfullen wie Biomaterialien die als Implantate im Korperinneren verwendet werden Geschichte BearbeitenNahtmaterial zum Wundverschluss wurde wahrscheinlich bereits vor rund 32 000 Jahren genutzt Erste Funde die eine gezielte Anwendung von korperfremden Materialien als therapeutische Implantate belegen wurden auf einige hunderte Jahre nach Beginn der Zeitrechnung datiert So wurde ein Zahnersatz aus Eisen in einem menschlichen Korper aus dem zweiten Jahrhundert gefunden die Maya stellten etwa 400 Jahre spater Zahnersatz aus dem Perlmutt von Seemuscheln her Die Erfindung der Kontaktlinse geht wahrscheinlich zuruck auf Adolf Gaston Eugen Fick etwa um das Jahr 1887 Gold und Platin als Stiftmaterial fur Zahnersatz wurden erstmals zum Anfang des 19 Jahrhunderts eingesetzt Im gleichen Zeitraum begannen Arzte und Wissenschaftler die Anwendung von Metallen fur Implantate im Korperinneren gezielt in Studien zu untersuchen Der deutsche Chirurg Themistocles Gluck fuhrte 1891 die erste Implantation eines Huftersatzes aus Elfenbein durch die allerdings nicht von dauerhaftem Erfolg war Die ersten Studien zur Anwendung von Kunststoffen als Biomaterial waren 1939 die Untersuchung von Cellophan zur Umhullung von Blutgefassen und die Untersuchung eines Nylonfadens als chirurgisches Nahtmaterial im Jahr 1941 nbsp HerzschrittmacherDie moderne Geschichte der Biomaterialien begann jedoch erst ab etwa 1950 mit der Entwicklung kunstlicher Organe und Organunterstutzungssysteme So erfolgte beispielsweise 1952 die erste Anwendung einer Gefassprothese im Menschen und erwies sich als Erfolg der betreffende Patient uberlebte viele Jahre ohne Probleme mit dem Implantat Im gleichen Jahr wurde allerdings erfolglos erstmals die Implantation einer kunstlichen Herzklappe in ein schlagendes Herz versucht Ein Jahr spater wurde dann von John Heysham Gibbon die erste Herz Lungen Maschine vorgestellt Diese ermoglichte neben anderen Operationen am ruhenden Herzen auch den erstmaligen Ersatz einer Mitralklappe durch ein kunstliches Implantat im Jahr 1960 Willem Kolff entwickelte im gleichen Jahr basierend auf Untersuchungen ab 1943 die erste extrakorporale kunstliche Niere Mit dieser Technologie war es erstmals moglich Patienten mit Nierenversagen vor dem sicheren Tod zu retten Bereits drei Jahre zuvor hatte Kolff in einem Hund erstmals ein kunstliches Herz implantiert Nach der Erstanwendung eines Herzschrittmachers im Jahr 1958 durch den schwedischen Arzt Ake Senning erfolgte 1966 durch Michael DeBakey die erste Anwendung eines Herzunterstutzungssystems im Korperinneren beim Menschen Drei Jahre spater versuchte Denton Cooley zum ersten Mal den Ersatz des vollstandigen Herzens eines Menschen durch ein Kunstherz Erste Erfolge gab es mit dem Einsatz des Jarvik 7 Kunstherzens ab 1982 Neben wesentlichen Fortschritten in der Technologie und Funktionalitat von Implantaten markierten die 1960er Jahre daruber hinaus den Beginn der designed biomaterials also der gezielten Entwicklung und Modifikation von Biomaterialien im Hinblick auf ihre funktionellen Eigenschaften und ihre Biokompatibilitat Die bis dahin verwendeten Werkstoffe waren in der Regel Standardmaterialien die in empirischen Versuchen auf ihre Eignung als Biomaterial untersucht wurden Dementsprechend dominierten bis zum Beginn der 1960er Jahre Arzte in Zusammenarbeit mit Ingenieuren das Feld der Biomaterialforschung Im Gegensatz dazu wurden nun Methoden zur standardisierten Testung der funktionalen Eigenschaften und der Biokompatibilitat entwickelt die einen Vergleich verschiedener Materialien ermoglichten Damit wurden in zunehmendem Masse auch Chemiker Physiker und Materialwissenschaftler in die Forschung mit einbezogen daruber hinaus mit steigender Bedeutung der Biokompatibilitat und insbesondere einer Reihe wichtiger Erkenntnisse aus der Immunologie auch Biologen Literatur BearbeitenErich Wintermantel Medizintechnik Life Science Engineering Springer Berlin und Heidelberg 2009 ISBN 978 3 540 93935 1 Gerhard Rakhorst Rutger Ploeg Hrsg Biomaterials in modern medicine the Groningen perspective World Scientific 2008 ISBN 978 981 270 956 1 englisch Buddy Ratner Biomaterials Science An Introduction to Materials in Medicine Elsevier Amsterdam 2004 ISBN 0 12 582463 7 Gary L Bowlin Gary Wnek Encyclopedia of Biomaterials and Biomedical Engineering Marcel Dekker New York und Oxford 2004 ISBN 0 8247 5562 6 James M Anderson Biological Responses to Materials In Annual Review of Materials Research 31 2001 Annual Reviews S 81 110 ISSN 1531 7331 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Biomaterial amp oldid 236860291