www.wikidata.de-de.nina.az
Die sogenannte Aktion Weichsel polnisch Akcja Wisla bezeichnet die 1947 durchgefuhrte Zwangsumsiedlung ethnischer Ukrainer Bojken und Lemken aus dem Sudosten der Volksrepublik Polen etwa aus der heutigen Woiwodschaft Karpatenvorland und den ostlichen Teilen der heutigen Woiwodschaften Kleinpolen und Lublin in den Norden und Westen des Landes die sogenannten wiedergewonnenen Gebiete Foto der Aktion Weichsel 1947Gedenktafel an die zwangsumgesiedelten Lemken Inhaltsverzeichnis 1 Vorgeschichte 2 Planung 3 Durchfuhrung 4 Nachwirkungen 5 Rezeption der Aktion Weichsel in Deutschland 6 Weblinks 7 Literatur 8 EinzelnachweiseVorgeschichte BearbeitenAls Folge des Zweiten Weltkrieges war es zur Westverschiebung Polens gekommen Damit entstand im Osten des Landes eine Grenze die weitgehend der nach dem Ersten Weltkrieg 1919 von den Westalliierten als Demarkationslinie zwischen Polen und Sowjetrussland verkundeten sowie mit wenigen Ausnahmen auf dem ethnographischen Prinzip Woodrow Wilsons basierenden Curzon Linie entsprach 1 Daruber hinaus war das von der deutschen Besatzung befreite Polen in den Machtbereich der Sowjetunion geraten und somit ab 1945 der Stalinisierung ausgesetzt Wahrend die Sowjetunion in den von ihr absorbierten Unionsrepubliken insbesondere in Zentralasien und dem Kaukasus auf kulturelle Zersplitterung setzte 2 verfolgte Josef Stalin nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa zur Vorbeugung kunftiger ethnischer Konflikte eine ethnische Homogenisierung seiner Satellitenstaaten Dem entsprach das Vorhaben der kommunistischen polnischen Nachkriegsregierung auch in Polen einen ethnisch homogenen Nationalstaat zu kreieren Aus demselben Grund hatte das Lubliner Komitee noch wahrend des Zweiten Weltkrieges mehrere so genannte Repatriierungsabkommen mit den an Polen angrenzenden sowjetischen Unionsrepubliken Weissrussland und Ukraine vereinbart Die Vertrage sahen einen Bevolkerungsaustausch vor Dieser sollte formal freiwillig geschehen tatsachlich fanden diese Umsiedlungen jedoch zu weiten Teilen unter Zwang statt Die Bezeichnung der Betroffenen als Repatrianten verschleierte dass diese aus einem Gebiet vertrieben wurden in dem ihre Vorfahren seit Jahrhunderten gelebt hatten und eben nicht in die Heimat zuruckgefuhrt wurden 3 Ukrainer sollten aus Polen in die Sowjetunion umsiedeln zum Ausgleich fur Polen die aus den von der Sowjetunion annektierten ostpolnischen Gebieten nach Westen ziehen mussten Nach Ablauf der Abkommen wurden diese zwar mehrmals verlangert dennoch verblieben innerhalb der neuen Grenzen Polens im Sudosten des Landes zehntausende Ukrainer in direkter Grenzlage zur Sowjetunion Diese Region befand sich zudem in einem Zustand des Burgerkrieges Die Ukrainische Aufstandische Armee UPA eine nationalistische antipolnische und antirussische Organisation kampfte unter standigem Wechsel ihrer Bundnispartner seit 1943 fur die Errichtung eines nicht kommunistischen ukrainischen Nationalstaates Sie verubte Anschlage auf sowjetische Funktionare Einrichtungen sowie Verkehrswege war auch fur das Massaker an polnischen Zivilisten in Wolhynien verantwortlich und wurde sowohl von polnisch kommunistischer als auch von sowjetischer Seite bekampft Anfang April 1947 zerstorte die UPA die Eisenbahnbrucke von Stefkowa um die Umsiedlung von Ukrainern aus Polen nach der Ukraine zu behindern 4 Zehntausende von Ukrainern wurden von Truppen des NKWD verhaftet und in Arbeitslager in Sibirien deportiert weil sie verdachtigt wurden Mitglied der UPA oder der Organisation Ukrainischer Nationalisten zu sein wahrend man ihre Heimatorte devastierte 5 Planung Bearbeiten nbsp Denkmal fur General Karol Swierczewski Jablonki Bieszczady Polen 2005Nach dem aus polnischer Sicht begrenzten Erfolg der Verdrangung der Ukrainer in die Sowjetunion plante die kommunistische polnische Regierung die Losung der ukrainischen Frage innerhalb des eigenen Staatsgebietes Im November 1946 wurde dem Generalsekretar der Polska Partia Robotnicza PPR und Minister fur die so genannten Wiedergewonnenen Gebiete ehemalige Deutsche Ostgebiete im Norden und Westen der polnischen Volksrepublik Wladyslaw Gomulka ein Bericht des Chefs des Generalstabes der polnischen Volksarmee des Generals Ostap Steca 1900 1978 vorgelegt Darin wurde eine Art Konzept zur Zwangsmigration in die wiedergewonnenen Gebiete vorgeschlagen die ehemaligen Ostprovinzen Preussens die nach der Potsdamer Konferenz unter polnische Verwaltung gestellt worden waren Steca ging davon aus dass man zukunftig nicht mit der Loyalitat dieser Bevolkerung gegenuber dem Staat rechnen konnte Die ersten konkreten Vorbereitungen der Aktion Weichsel begannen im Januar 1947 Die in Sudostpolen stehenden Einheiten der polnischen Volksarmee erhielten die Aufgabe Listen mit ukrainischen und auch gemischt ukrainischen Familien zu verfassen General Stefan Mossor Vizechef des Generalstabes der polnischen Volksarmee legte Verteidigungsminister Michal Rola Zymierski anschliessend einen Bericht vor in dem er vorschlug die ukrainische Bevolkerung in einzelnen Familien in den Wiedergewonnenen Gebieten zerstreut umzusiedeln wo sie sich schnell assimilieren wurden Als rechtliche Grundlage fur die Zwangsumsiedlung diente ein Gesetz vom 9 Juli 1937 uber den Schutz der Staatsgrenzen Darin wurde festgehalten dass zur Sicherung und zum Schutz des Grenzgebietes eine Ausweisung nicht polnischer Bewohner legal sei Zur Zeit seiner Verabschiedung betraf dieses Gesetz vor allem die in den 1919 und 1920 zu Polen gekommenen Teilen Westpreussens und Oberschlesiens lebenden deutschen Minderheiten Auf einer Sitzung der polnischen Landessicherheitskommission am 27 Marz 1947 stellte General Mossor das Konzept fur die Umsiedlung der Ukrainer vor Der Tod des polnischen Generals Karol Swierczewski in einem Gefecht vermutlich mit ukrainischen Freischarlern am folgenden Tag wurde offiziell Aktivisten der UPA zur Last gelegt Ob diese tatsachlich fur seinen Tod verantwortlich waren ist jedoch umstritten da es dafur keine eindeutigen Beweise gab Die beabsichtigte Zwangsumsiedlung erhielt damit in den Augen der polnischen Offentlichkeit jedoch eine grossere Legitimation Durch eine verstarkte anti ukrainische Propaganda wurde versucht diese noch weiter zu erhohen Am 11 April 1947 bestatigte das Politburo des Zentralkomitees der Polnischen Arbeiterpartei den Plan der Umsiedlungsaktion General Mossor wurde zu ihrem Leiter bestimmt Drei Tage spater am 14 April 1947 wurden bei einer Besprechung im Ministerium fur die Wiedergewonnenen Gebiete unter Beteiligung von Vertretern des Ministeriums fur offentliche Verwaltung des PUR Staatliches Amt fur Repatriierung und der polnischen Armee Richtlinien fur die Durchfuhrung der Aktion Weichsel erarbeitet Aufgrund dieser Bestimmungen sollten die Ukrainer im Nordwesten Polens mit einem Mindestabstand zur Landgrenze von 50 km und zur Seegrenze von 30 km neu angesiedelt werden Sie sollten zudem nicht mehr als zehn Prozent der Bevolkerung in ihren neuen Heimatorten ausmachen um eine rasche Assimilation der Deportierten sicherzustellen Polnische Schatzungen gingen von noch etwa 74 000 Ukrainern in Sudostpolen aus Viele Ukrainer versteckten sich zu diesem Zeitpunkt jedoch noch in Waldern oder in der Tschechoslowakei um der so genannten Repatriierung in die Sowjetunion zu entgehen ihre tatsachliche Zahl durfte 200 000 nicht unterschritten haben Am 16 April 1947 wurden dem Politburo der Polnischen Arbeiterpartei diese Planungen vorgestellt Die Aktion wurde von Aktion Ost polnisch Akcja Wschod in Aktion Weichsel Akcja Wisla umbenannt und genehmigt Auf diplomatischen Wegen wurden die Regierungen der Sowjetunion und der Tschechoslowakei uber die geplante Deportation informiert und gebeten die Grenzen zu Polen zu blockieren um die Umsiedlung zu erleichtern Durchfuhrung BearbeitenDie Durchfuhrung der Aktion Weichsel begann am 28 April 1947 um vier Uhr morgens Sie verlief immer nach dem gleichen Muster Nachdem ein Dorf von der polnischen Armee umstellt worden war hatten die Bewohner wenige Stunden Zeit um das Notwendigste zu packen Anschliessend wurden sie in bewachten Zugen deportiert Personen die in Verdacht geraten waren mit dem ukrainischen Untergrund zu kooperieren insbesondere Soldaten der Polnischen Heimatarmee Kohlenarbeiter und Deutsche wurden im ehemaligen Aussenlager des KZ Auschwitz Birkenau in Jaworzno inhaftiert Annahernd 4 000 Personen darunter auch Frauen und Kinder wurden hier infolge der Aktion Weichsel untergebracht Die UPA versuchte teilweise die Transporte zu verhindern Die Aktion Weichsel dauerte genau drei Monate und war am 28 Juli 1947 beendet Sie lasst sich in zwei Phasen unterteilen Phase Umsiedlung der ukrainischen Bewohner aus den Kreisen Sanok Lesko Przemysl Brzozow und Lubaczow Phase Umsiedlung der ukrainischen Bewohner aus den Kreisen Jaroslaw weiter Lubaczow Tomaszow und Lubelski Einher mit den Zwangsumsiedlungen ging in diesen Gebieten der Kampf gegen die ukrainischen Aufstandischen der UPA Im Zuge der Aktion Weichsel wurden etwa 150 000 Ukrainer deportiert Einziges Kriterium dabei war ihre Nationalitat Betroffen waren somit auch Ukrainer die pro kommunistisch waren oder als Soldaten der polnischen Volksarmee gedient hatten Nach dem Ende der Aktion Weichsel wurden verschiedene administrative Hurden geschaffen um die Ruckkehr der Ukrainer in ihre angestammten Siedlungsgebiete zu verhindern In einem Dekret vom 27 September 1947 wurden die Ukrainer ihrer alten Besitztumer enteignet Durch ein weiteres Dekret vom 28 August 1949 gingen die griechisch katholischen Kirchen in staatlichen Besitz uber Nachwirkungen Bearbeiten nbsp Eine verlassene griechisch katholische Kirche im entvolkerten Dorf Krolik Woloski nahe RymanowDie Umsiedlung der polnischen Ukrainer hatte nicht die angestrebte kulturelle Ausloschung zur Folge Schon zu Zeiten der Volksrepublik Polen fand am 18 Juni 1956 in Warschau das sogenannte 1 Allgemein Ukrainische Treffen statt 239 Delegierte sprachen dabei nach eigenen Angaben im Namen von 250 000 Ukrainern in Polen Bei diesem Treffen verurteilte der polnische Bildungsminister Witold Jarosinski 1909 1993 in einer Rede die Durchfuhrungsmethoden wahrend der Umsiedlungsaktion Kurze Zeit nach dem Treffen verurteilte das polnische Innenministerium einst der Haupttater der Aktion Weichsel am 26 August 1956 auch offiziell die Aktion im Rahmen der Entstalinisierung nach dem Tod Boleslaw Bieruts Nach der politischen Wende in Polen missbilligte der polnische Senat am 3 August 1990 die Zwangsumsiedlung der Ukrainer doch erhielten die Betroffenen ihr konfisziertes Eigentum nicht zuruck Laut einer Volkszahlung der Jahre 2002 2003 bezeichneten sich in Polen 31 000 Burger selbst als Ukrainer und 5 800 als Lemken Die weit grossere Zahl ukrainischstammiger Polen hat sich inzwischen assimiliert Rezeption der Aktion Weichsel in Deutschland BearbeitenIm Westen wurde die Deportation der Ukrainer innerhalb Polens 1947 nur am Rande wahrgenommen obwohl sie nicht im Geheimen durchgefuhrt wurde Ein Niederschlag in der deutschen Historiographie fehlt sogar fast vollig ebenso wie die vorangegangenen wechselseitigen Umsiedlungen zwischen Polen einerseits und Weissrussland bzw der Ukraine andererseits von der deutschen Geschichtsschreibung kaum beachtet wurden Weblinks BearbeitenMartin Sander Gedenken an die Vertreibung der Ukrainer In deutschlandfunk de Information und Musik 30 April 2017 Doris Liebermann Die vergessene Vertreibung der Ukrainer In deutschlandfunk de Kalenderblatt 28 April 2022 Literatur BearbeitenRalph Giordano Ostpreussen ade Reise durch ein melancholisches Land 5 Auflage Deutscher Taschenbuch Verlag Munchen 1999 ISBN 3 423 30566 5 Kapitel Aktion Weichsel S 151 ff Marek Jasiak Overcoming Ukrainian Resistance The Deportation of Ukrainians within Poland in 1947 In Philipp Ther Ana Siljak Hrsg Redrawing Nations Ethnic Cleansing in East Central Europe 1944 1948 Rowman amp Littlefield Publishers Lanham Boulder New York Oxford 2001 S 173 194 ISBN 0 7425 1093 X englisch Eugeniusz Misilo Akcja Wisla Dokumenty Warszawa 1993 ISBN 83 900854 2 9 Dokumentenband zur Aktion Weichsel polnisch Michael G Esch Gesunde Verhaltnisse Deutsche und polnische Bevolkerungspolitik in Ostmitteleuropa 1939 1950 Marburg 1998 ISBN 3 87969 269 6Einzelnachweise Bearbeiten Gotthold Rhode Kleine Geschichte Polens 1 Auflage Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1965 S 466 ff Andreas Ruesch Stalins Erbe in Zentralasien NZZ 26 Juni 2010 abgerufen am 28 April 2022 Philipp Ther Deutsche und polnische Vertriebene Gesellschaft und Vertriebenenpolitik in der SBZ DDR und in Polen 1945 1956 Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 1998 S 92 f Panzer gegen ukrainische Aufstandische In Salzburger Nachrichten Herausgegeben von den amerikanischen Streitkraften fur die osterreichische Bevolkerung Salzburger Nachrichten Unabhangige demokratische Tageszeitung 11 April 1947 S 1 online bei ANNO Vorlage ANNO Wartung san Thomas Urban Der Verlust Die Vertreibung der Deutschen und Polen im 20 Jahrhundert Beck Munchen 2004 ISBN 3 406 54156 9 Normdaten Sachbegriff GND 4740763 3 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Aktion Weichsel amp oldid 232601051