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Dieser Artikel beschaftigt sich mit dem Wiesbadener Programm im Kirchenbau Fur das Parteiprogramm der FDP siehe Wiesbadener Grundsatze Das Wiesbadener Programm bezeichnet Forderungen an den evangelischen Kirchenbau die der Wiesbadener Pfarrer Emil Veesenmeyer ab 1890 in der nassauischen Kirchenzeitung Das evangelische Gemeindeblatt aus Dillenburg veroffentlichte In diesem und in anderen Aufsatzen wandte sich Veesenmeyer scharf gegen das Eisenacher Regulativ in dem die deutschen Kirchenregierungen 1861 festgeschrieben hatten dass ein evangelischer Kirchenneubau dem romanischen oder gotischen Vorbild zu folgen habe In der Ausgabe No 43 vom 30 Mai 1891 der Deutschen Bauzeitung machte deren Herausgeber Karl Emil Otto Fritsch in einem Beitrag uber die Dritte evangelische Kirche fur Wiesbaden dieses Konzept im gesamten deutschsprachigen Raum bekannt 1 Verwirklicht wurden die Grundsatze des Wiesbadener Programms in vielen Kirchenbauten in Deutschland und der Schweiz vor allem in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg Es entsprach vor allem der Forderung der Reformierten Kirchen dass nicht eine bestimmte Formensprache sondern die lebendige Gemeinde und die Predigt im Mittelpunkt zu stehen habe Die Ringkirche in Wiesbaden Westseite mit HaupteingangDas Wiesbadener Programm Veesenmeyers wurde von der Wiesbadener Gesamtkirchengemeinde als Leitidee fur die Errichtung dieser dritten evangelischen Kirche in Wiesbadens angenommen fur die als Architekt Johannes Otzen Berlin gewonnen wurde Diese erste Kirche nach dem Wiesbadener Programm ist unter dem spateren Namen Wiesbadener Ringkirche bekannt geworden Inhaltsverzeichnis 1 Inhalt des Wiesbadener Programms 2 Thesen des Wiesbadener Programms 3 Kirchenbauten nach dem Wiesbadener Programm Auswahl 4 Siehe auch 5 Weblinks 6 Literatur 7 EinzelnachweiseInhalt des Wiesbadener Programms Bearbeiten nbsp Grundriss des Erdgeschosses der Elberfelder FriedhofskircheHerausragendes Merkmal von Kirchen die nach dem Wiesbadener Programm gebaut sind ist die Einheit von Kanzel Altar und Orgel mit Kanzel und Altar in der Mittelachse des Innenraumes in der sich moglichst auch die Orgel und die Chorbuhne befinden sollen Im Gegensatz dazu forderte das Eisenacher Regulativ wie in den mittelalterlichen Kirchen die Kanzel an einem seitlichen Pfeiler anzubringen und die Orgel im Westen uber dem Eingang Das Eisenacher Regulativ entsprach damit dem Wunsch nach Kontinuitat und einer romantischen Begeisterung fur ein als Blutezeit verklartes Mittelalter im Sinne der Vorstellungen Christian Karl Josias von Bunsens der vom Kirchbau die Imitation des alten Baumusters gefordert hatte Von einem solchen nur fur eine romisch katholische Prozessionskirche passenden Muster setzte sich das Wiesbadener Programm ab und erinnerte sich alternativer protestantischer Entwicklungen wie zum Beispiel der barocken Dresdner Frauenkirche Veesenmeyer forderte einen Einheitsraum der dem Lutherschen Diktum vom Priestertum aller Glaubigen entsprach darum solle es weder einen Chor noch Kirchenschiffe geben Er berief sich dabei auf ahnliche Empfehlungen Leonhard Christoph Sturms aus dem Jahre 1717 Bei der Formulierung des Wiesbadener Programms stand fur Emil Veesenmeyer am Anfang die Frage nach dem Kircheninnenraum Der Neubau der gewaltigen Hamburger Nikolaikirche 1846 1863 bot nur einer kleinen Gemeinde von etwas uber 800 Personen Platze die zum Teil unzumutbar weit von Altar und Kanzel entfernt waren Veesenmeyer forderte demgegenuber dass in der Erscheinung des Bauwerks das innere Wesen desselben zum Ausdruck kommen musse und man habe sich bei der Herstellung desselben leiten zu lassen von seiner eigentumlichen Bestimmung und der Art seiner Benutzung Damit gehort er zu den Vorlaufern der Moderne deren architektonisches Prinzip der amerikanische Architekt Louis Sullivan wenige Jahre spater auf die Formel brachte Form follows function Wahrend das Eisenacher Regulativ die Fixierung auf einen mittelalterlichen Baustil forderte befreite das Wiesbadener Programm von Stilfestlegungen Die Stilfrage hat ihre fruhere grundsatzliche Bedeutung verloren ist eine Frage des personlichen Gefuhls der ortlichen Verhaltnisse und schliesslich der Kosten geworden Veesenmeyer verwies auch zustimmend auf die Arbeiten des Kunsthistorikers Cornelius Gurlitt der eine Neubewertung des Barock forderte und damit einen Trend vom mittelalterlichen zum neobarocken Stil beforderte nbsp Grundriss der Ringkirche in WiesbadenVeesenmeyers Wiesbadener Programm erlangte Bedeutung nach der Veroffentlichung Fritschs in der Deutschen Bauzeitung In der Literatur findet sich ofter die Annahme das Wiesbadener Programm sei aus der Zusammenarbeit von Veesenmeyer mit dem Berliner Architekten Johannes Otzen entstanden Veesenmeyer hatte seine im Wiesbadener Programm aufgestellten Grundsatze fur den evangelischen Kirchenbau aber schon seit dem Jahr 1889 im Evangelischen Gemeindeblatt Dillenburg in Fortsetzungen veroffentlicht Bedeutung erhielten sie erst als es mir 1891 gelang die kirchliche Gemeindevertretung unserer Stadt d h Wiesbaden zur Annahme dieses Programms fur den Neubau der dritten evangelischen Kirche zu bewegen Fur diesen ersten Bau nach dem Wiesbadener Programm konnte Johannes Otzen gewonnen werden der bereits die Wiesbadener Bergkirche gebaut hatte an der Veesenmeyer Pfarrer war Der erste Pfarrer der Wiesbadener Ringkirche Lothar Friedrich schrieb 1894 Professor Otzen uberwand seine anfanglichen Bedenken gegen ein solches Projekt und ging bald mit Begeisterung auf das sogenannte Wiesbadener Programm ein Veesenmeyer durfte es 1894 auf dem ersten Kongress fur protestantischen Kirchenbau in Berlin vorstellen den der Architekten Verein zu Berlin veranstaltete Die dortigen Diskussionen fuhrten indes nicht zu einer mehrheitlichen Legitimation des Wiesbadener Programms oder auch nur zu einer Abstimmung mit dem Eisenacher Regulativ Trotzdem setzte Veesenmeyer mit seinen Arbeiten die Verbindlichkeit des Regulativs de facto ausser Kraft Der Basler Architekt Paul Reber hatte sich die Forderungen des Wiesbadener Programms bereits seit der Publikation 1891 zu eigen gemacht Der schweizerische Denkmalschutzer Urs Baur spricht davon es sei fur den Kirchbau der Schweiz fast ein funftes Evangelium gewesen Es ermoglichte Architekten wie Friedrich Putzer mit Jugendstilkunstlern im Kirchenbau neue Stilelemente aufzunehmen Auch die Moderne folgte zum Teil dem Wiesbadener Raumkonzept zum Beispiel in Otto Bartnings Einheitsraumen Thesen des Wiesbadener Programms Bearbeiten nbsp Grundriss der Heilige Geist Kirche in Berlin Moabit Vergleiche dazu jeweils die Empfehlung des Eisenacher Regulativs deren Nummer in Klammern angegeben ist Die Kirche soll im allgemeinen das Geprage eines Versammlungshauses der feiernden Gemeinde nicht dasjenige eines Gotteshauses im katholischen Sinne an sich tragen 1 Der Einheit der Gemeinde und dem Grundsatze des allgemeinen Priesterthums soll durch die Einheitlichkeit des Raums Ausdruck gegeben werden Eine Theilung des letzteren in mehrere Schiffe sowie eine Scheidung zwischen Schiff und Chor darf nicht stattfinden 2 Die Feier des Abendmahls soll sich nicht in einem abgesonderten Raume sondern inmitten der Gemeinde vollziehen Der mit einem Umgang zu versehende Altar muss daher wenigstens symbolisch eine entsprechende Stellung erhalten Alle Sehlinien sollen auf denselben hinleiten 3 Die Kanzel als derjenige Ort an welchem Christus als geistige Speise der Gemeinde dargeboten wird ist mindestens als dem Altar gleichwerthig zu behandeln Sie soll ihre Stelle hinter dem letzteren erhalten und mit der im Angesicht der Gemeinde anzuordnenden Orgel und Sangerbuhne organisch verbunden werden 4 und 5 Kirchenbauten nach dem Wiesbadener Programm Auswahl Bearbeiten nbsp Innenraum der Lutherkirche in Wiesbaden nbsp Anordnung von Orgel Kanzel und Altar gem dem Wiesbadener Programm in der Lutherkirche WiesbadenBaujahr Bauwerk Ort Architekt1892 1894 Ringkirche Wiesbaden Johannes Otzen1893 Anstaltskirche der Diakonie Halle Saale Friedrich Fahro1892 1893 Bergkirche Osnabruck Otto March1894 1895 Lutherkirche Duisburg Duissern Otto March1894 1898 Friedhofskirche Wuppertal Elberfeld Johannes Otzen1895 Reformierte Kirche Zurich Unterstrass Schweiz Paul Raber1895 1897 Friedenskirche Duisburg Hamborn Karl Doflein1895 1898 Lutherkirche Hannover Rudolph Eberhard Hillebrand1896 1899 Reformierte Kirche Leipzig Georg Weidenbach und Richard Tschammer1898 1899 Matthauskirche Sontheim Theophil Frey1896 1900 Christuskirche Karlsruhe Curjel amp Moser1898 1901 Pauluskirche Basel Schweiz Curjel amp Moser1898 1901 Michaelskirche Bremen Jurgen Kroger1898 1901 Annenkirche Hamburg Hammerbrook Fernando Lorenzen1899 1902 Evangelische Hauptkirche Monchengladbach Rheydt Johannes Otzen1900 1901 Pauluskirche Krefeld Ludwig Hofmann1900 1902 Johannes Calvin Kirche Mannheim Friedrichsfeld Hermann Behaghel1901 1902 Evangelische Kirche Koblenz Pfaffendorf Ehrhardt Muller1902 1903 Erloserkirche Hamburg Borgfelde Georg Thielen1902 1903 Heiligengeistkirche Hamburg Barmbek Hugo Groothoff1902 1904 Lutherkirche Krefeld Eduard Philipp Arnold1901 1903 Lutherkirche Bonn Johannes Vollmer und Heinrich Jassoy1902 1903 Evangelische Alte Kirche Essen Kray August Senz1902 1904 Erloserkirche Breslau heute Polen Jurgen Kroger1903 1904 Franzosisch reformierte Kirche Hamburg Fernando Lorenzen1902 1905 Pauluskirche Bern Schweiz Curjel amp Moser1902 1905 Lutherische Kirche Kirchberg an der Jagst Gaggstatt Theodor Fischer1903 1906 Reformierte Kirche Bruggen Schweiz Karl Moser1904 1906 Lutherkirche Koln Johannes Vollmer1904 1906 Lutherkirche Mannheim Emil Doring1905 1906 Heilige Geist Kirche Berlin Moabit Georg Dinklage und Ernst Paulus1905 1907 Lutherkirche Karlsruhe Curjel amp Moser1905 1908 Passionskirche Berlin Theodor Astfalck1906 1908 Segenskirche Berlin Prenzlauer Berg Georg Dinklage Ernst Paulus und Olaf Lilloe1906 1908 Immanuelkirche Dortmund Marten Arno Eugen Fritsche1908 Grosse evangelische Kirche Bonn Oberkassel Otto March1907 1909 Lutherkirche Osnabruck Karl Borgemann1908 1909 Nicolaikirche Frankfurt am Main Curjel amp Moser1908 1909 Evangelische Kirche Raudnitz Bohmen Tschechien Otto Kuhlmann1907 1910 Lutherkirche Wiesbaden Friedrich Putzer1907 1910 Philippuskirche Leipzig Lindenau Alfred Muller1909 1910 Galilaakirche Berlin Friedrichshain Georg Dinklage und Ernst Paulus1909 1910 Evangelische Pfarrkirche Bechtheim Friedrich Putzer1907 1911 Christuskirche Mannheim Theophil Frey und Christian Schrade1909 1911 Reformierte Kirche Flawil Schweiz Karl Moser1910 1912 Lutherkirche Kiel Wilhelm Voigt1910 1912 Konigin Luise Gedachtniskirche Berlin Schoneberg Fritz Berger1911 1912 Friedenskirche Offenbach am Main Friedrich Putzer1912 Lutherkirche Worms Friedrich Putzer1912 1914 Lutherkirche Offenbach am Main Friedrich Putzer1913 1914 Johanneskirche Berlin Lichterfelde Otto KuhlmannSternchen zerstort oder deutlich verandertSiehe auch BearbeitenEisenacher Regulativ Rummelsberger ProgrammWeblinks BearbeitenJulia Ricker Konzepte des protestantischen Kirchenbaus Profan oder sakral In Monumente Online Februar 2017 abgerufen am 30 September 2019 Michael Neumann Gemeinsame Wege gemeinsame Raume Architektonische Verpflichtungen im protestantischen Kirchenbau nach Schmalkalden und nach Eisenach Vortrag zur Hessisch Thuringischen Denkmalpflege Tagung 1996 In denkmalpflege hessen de 1996 archiviert vom Original am 10 Februar 2013 abgerufen am 14 Oktober 2020 Literatur BearbeitenEmil Veesenmeyer Der Kirchenbau des Protestantismus und das sogenannte Wiesbadener Programm Evangelisches Gemeindeblatt Dillenburg 1895 in acht Folgen ab Heft Nummer 15 Zitate von Veesenmeyer entstammen diesem Text Festschrift Evangelische Hauptkirche zu Rheydt 1902 2002 ISBN 3 00 010531 X Darin die Artikel Peter Seyfried Johannes Otzens opus ultimum Holger Brulls Die Modernitat ruckwartsgewandten Bauens Gerlinde Gehrig Friedrich Putzer und der Reformkirchenbau in Darmstadt In Archiv fur hessische Geschichte und Altertumskunde Neue Folge Bd 73 2015 S 349 380 Anne Heinig Die Krise des Historismus in der deutschen Sakraldekoration im spaten 19 Jahrhundert Regensburg 2004 Urs Baur Neugotik im alten Glanz Zur Restaurierung der Kirche Buhl in den Jahren 1983 1984 In Kantonal Zurcher Denkmalpflege 10 Bericht 2 Teil Stadt Zurich Zurich 1984 S 96 100 Ralf Andreas Gmelin Der Dom der kleinen Leute Kirchenfuhrer und Baugeschichte 3 Auflage Wiesbaden 2008 Peter Genz Das Wiesbadener Programm Johannes Otzen und die Geschichte eines Kirchenbautyps zwischen 1891 und 1930 Kiel 2011 ISBN 978 3 86935 056 1 Einzelnachweise Bearbeiten Dritte evangelische Kirche fur Wiesbaden Architekt Johannes Otzen in Berlin In Deutsche Bauzeitung 25 Jg 1891 No 43 S 257 258 260 261 Online https nbn resolving org urn nbn de kobv co1 opus 24588 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Wiesbadener Programm amp oldid 232164358