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Vulgarrecht lateinisch vulgaris allgemein gewohnlich bezeichnet nach der Zeit des Kaisers Diokletian entstandenes romisches Recht Es charakterisiert ein klassisches Zivilrecht das nach einstiger Blute ab der Zeit der Revolutionen des 3 Jahrhunderts aufgrund allgemeinen Kulturschwunds so verarmt war dass es kaum verstanden nurmehr in schlichtem und vergrobertem Zustand anzutreffen war Rezipiert wird es auch als nachklassisches Recht Auffallig wird dies vornehmlich in den Rechtsquellen Westroms seit Kaiser Konstantin Inhaltsverzeichnis 1 Bedeutung 2 Kritik am Begriff 3 Werke des sogenannten Vulgarrechts 4 Literatur 5 EinzelnachweiseBedeutung BearbeitenIn den auf das Ende der severischen Kaiser folgenden drei Jahrhunderten bis zu den Kodifikationen Justinians wurde in Rom juristisch nichts mehr produziert Stattdessen wurden die Schriften der klassischen Juristen herangezogen gekurzt und umgeschrieben weil die hochentwickelten Texte zu umfangreich erschienen und selbst in der kaiserlichen Kanzlei a libellis nicht mehr verstanden wurden 1 Dies hatte zur Folge dass in der Rechtspraxis viele Verstandnisprobleme auftraten Definierte Rechtsfiguren sei es aus dem Prozess sei es aus dem Sachenrecht vermengten sich oder grenzten sich konturenschwach gegeneinander ab Zwischen Besitz und Eigentum konnte begrifflich bisweilen nicht mehr unterschieden werden Der Begriff Vulgarrecht geht auf Ernst Levy zuruck 2 Nicht mehr die Jurisprudenz nahm Einfluss auf die kaiserliche Administration vielmehr war es mittlerweile das Militar Die kaiserlichen Kanzleien blieben fur Anfragen in Rechtssachen zwar zustandig die Juristen die die freien Gutachtertatigkeiten wahrnahmen wurden jedoch verdrangt Zwar entstanden noch juristische Klein und Sammelwerke gleichwohl blieben diese im Vergleich zu den klassischen Werken bedeutungslos so etwa die heute als nachklassisch verorteten Paulussentenzen Derartige Werke erfuhren allenfalls Gewicht bei der Sortierung des vorjustinianischen Quellmaterials Das Zitiergesetz wird in der romischen Rechtsentwicklung als Tiefpunkt angesehen Geschaffen wurde es 426 von den Kaisern Theodosius II fur das Ostromische Reich und Valentinian III fur das Westromische Reich Die Kaiser wollten dem Rechtsverfall wohl Einhalt gebieten denn sie gaben vier Jahre spater in Auftrag die romischen Gesetze sowie die Kaiserkonstitutionen ab dem Jahr 312 zusammenzufassen und zu kodifizieren Das Ergebnis war der Codex Theodosianus der im Jahr 438 fertiggestellt und veroffentlicht wurde Hand in Hand ging der Antritt des Vulgarrechts mit dem okonomischen Niedergang seit dem 3 Jahrhundert Der Handelswarenverkehr ging zuruck und elaborierter Jurisprudenz bedurfte es weit weniger als zuvor Die materielle Gerechtigkeit muss dadurch allerdings nicht gelitten haben 2 Grossen Einfluss hingegen hatte das Vulgarrecht auf die Entwicklung des Rechts bei den Germanen Die Kodifikationen dazu sind das Edictum Theoderici der Codex Euricianus die Lex Romana Visigotorum siehe auch Breviarium Alaricianum des Westgotenkonigs Alarich II aus dem Jahr 506 und die Lex Romana Burgundionum Kritik am Begriff BearbeitenMit der Reichskrise des 3 Jahrhunderts verabschiedete sich die Produktivitat des klassischen Rechts Die nachklassische Zeit wurde und wird deshalb im juristischen Bereich haufig als erlahmte bisweilen versiegte Kraftquelle rezipiert Bis ins 20 Jahrhundert konnotierten die vorherrschenden Lehren die abebbenden Anspruche an das Recht sehr negativ als vulgarrechtlich und klassizistisch Die modernere Forschung erst wieder erkennt dass derartige Begriffe den Kern verfehlen Sie liessen erkennen dass dem Bedarf an praktikableren Rechtsstrukturen nur unzureichende Einlassung entgegengebracht worden sei So werden sie als ubertrieben 3 und unzulassig verallgemeinernd 4 5 empfunden Fritz Schulz versuchte dem Begriff ganz zu entkommen Er verwies stattdessen auf ausgepragte Strukturen des Beamtentums in der spatklassischen Epoche und deutete damit ein burokratisches Rechtsverstandnis an 6 Franz Wieacker pragte zumindest fur die erste Phase bis zum Einsetzen der deutlich spurbaren Christianisierung 7 den Begriff der Epiklassik Diesen verinnerlichte Detlef Liebs denn er ubernahm ihn zur Beschreibung der post diokletianischen Spatantike Liebs vermeidet den Begriff Vulgarrecht uberhaupt denn er fokussierte die realpolitischen Kernmerkmale der Zeit so die fortschreitende Christianisierung die Einflusse der Ostgoten und die julianisch byzantinischen Veranderungen Akademische Bemuhungen dem Begriff sinngerechte Strukturen zu verleihen besser ihn uberhaupt zu ersetzen sind weiterhin im Fluss 8 Verwiesen wird darauf dass es Fachjuristen in der Spatantike ebenso wie in der klassischen Zeit gab Juristen wurden sogar Planstellen im Staatsapparat bereitgehalten Rechtsprofessuren gab es in Rom Beirut und Konstantinopel und auch Lyon und Narbonne waren Zentren fur das Recht Es gab in der Spatantike burokratische Jurisprudenz die durch kaiserliche Libellsekretariate Prafekten Provinzgouverneure und Diozosanvikare ausgeubt wurde Juristenabschlusse mussten zum Nachweis an den Obergerichten vorgewiesen werden Von freier Gutachter und Beratertatigkeit gibt es Nachrichten bis ins 7 Jahrhundert Verwiesen wird auch darauf dass das bis ins 5 Jahrhundert zweitrangige Ostrom ab Theodosius II die rechtskulturelle Landschaft des Westens uberholte Erst zuletzt aber ab dem Anfang des 7 Jahrhunderts habe die romische Rechtslehre zu wunschen ubrig gelassen 4 Werke des sogenannten Vulgarrechts BearbeitenDem oben beschriebenen epiklassischen Kontext konnen die diokletianischen Rechtswerke zugeordnet werden es handelt sich um die Privatsammlungen des Codex Gregorianus des Codex Hermogenianus und Hermogenians Iuris epitomae Das bereits von der Christianisierung gepragte Zeitalter Konstantins brachte die sogenannten Fragmenta Vaticana hervor die theodosianische Ara die Collatio und den Codex Theodosianus In der Zeit vom Fall Roms bis zum Ostgotenreich ragen die Consultatio Interpretationen des Lex Romana Visigothorum und die Epitome Gai hervor gefolgt von den Leges novellae und dem Edictum Theoderici Klassischer byzantinischer Pragung ist das juristische Umfeld zum Codex Iustinianus und zum sogenannten Authenticum Literatur BearbeitenErnst Levy Zum Wesen des westromischen Vulgarrechts In Gesammelte Schriften I 1963 S 184 ff Ernst Levy Westromisches Vulgarrecht Das Obligationenrecht Band 2 Bohlau Weimar 1956 Detlef Liebs Die Jurisprudenz im spatantiken Italien 260 640 n Chr Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen Neue Folge Band 8 Duncker amp Humblot Berlin 1987 S 283 287 Zusammenfassung Detlef Liebs Konflikte zwischen romischen und germanischen Rechtsvorstellungen in der Spatantike IN Festschrift Hermann Nehlsen 2008 S 99 Fritz Schulz Geschichte der romischen Rechtswissenschaft Weimar 1961 S 335 420 Dieter Simon Marginalien zur Vulgarismusdiskussion In Festschrift Wieacker 1978 S 154 ff Wulf Eckart Voss Recht und Rhetorik in den Kaisergesetzen der Spatantike Eine Untersuchung zum nachklassischen Kauf und Ubereignungsrecht Frankfurt am Main 1982 S 31 f FN 107 Einzelnachweise Bearbeiten Max Kaser Romische Rechtsquellen und angewandte Juristenmethode In Forschungen zum Romischen Recht Bd 36 Bohlau Wien Koln Graz 1986 ISBN 3 205 05001 0 S 114 116 a b Uwe Wesel Geschichte des Rechts Von den Fruhformen bis zur Gegenwart C H Beck Munchen 2001 ISBN 978 3 406 54716 4 S 238 f W E Voss Recht und Rhetorik in den Kaisergesetzen der Spatantike Eine Untersuchung zum nachklassischen Kauf und Ubereignungsrecht Frankfurt Main 1982 S 31 f FN 107 a b Detlef Liebs Die Jurisprudenz im spatantiken Italien 260 640 n Chr Freiburger Rechtsgeschichtliche Abhandlungen Neue Folge Band 8 Duncker amp Humblot Berlin 1987 S 283 287 Zusammenfassung Voss und Liebs wenden sich dabei gegen die als uberholt empfundenen Grundauffassungen bei Max Kaser und Ernst Levy Fritz Schulz Geschichte der romischen Rechtswissenschaft Weimar 1961 S 335 420 Vom Zeitalter der Christianisierung gepragt waren bereits die Fragmenta Vaticana und die Collatio Karlheinz Misera Ralph Backhaus In Semper apertus Sechshundert Jahre Ruprecht Karls Universitat Heidelberg 1386 1986 Berlin 1985 S 194 209 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Vulgarrecht amp oldid 206999362