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Sachsisches Sibirien ist eine im 18 Jahrhundert aufgekommene Bezeichnung des oberen Westerzgebirges und Vogtlandes Sachs Sibirien auf einer Karte des Konigreiches Sachsen von circa 1880Herkunft und Verbreitung Bearbeiten nbsp Sachsisches Sibirien in einer Beschreibung von 1855Sie geht auf das in den Kammlagen beobachtete raue Klima zuruck Dieses wurde 1723 fur das unmittelbar an der sachsisch bohmischen Grenze gelegene Gottesgab von einer osterreichischen Rektifikationskommission wie folgt beschrieben Gottesgab ist ein Ort gleich am Sachsenland in rauhesten Waldern gelegen wo so gar kein Haber kein Kraut wachst ja kein Schlehen kein Dornstrauch Man weiss hier uberhaupt von dem Sommer nichts Die hiesige Gegend liegt gemeiniglich acht Monate lang unter dem Schnee der in manchen Gegenden durch heftige Sturmwinde auf viele Ellen angehaufet wird zudem stossen oft dermassen dichte Nebeln dass sich Reisenden oft sehr verirren den Weg verfehlen und solchen nach elend im Schnee erfrieren mussen 1 Den angesichts dieser Schilderungen aufkommenden Vergleichen des Erzgebirges mit Sibirien trat der Pfarrer und Chronist Georg Korner aus Bockau bereits 1757 entgegen Er schrieb Wenn man die doppelte Landcharte vom erzgebirgischen Kreise durch Herr Matthias Seuttern herausgegeben zur Hand nimmt sollte man fast erschrecken und meynen es sey unsre Gegend eine rechte Wusteney klein Syberien und wie es die Bohmen ehedessen spottweise nannten ein rechtes Haber und Hungerland betrachtet man aber die so vielen volkreichen Stadte Flecken und Dorfer derselben so wird sich dieses Vorurteil gar bald verlieren 2 1775 wurde der Begriff Sachsisches Sibirien erstmals in der anonym bei Carl Ernst Bohn in Hamburg erschienenen Schrift Mineralogische Geschichte des Sachsischen Erzgebirges ausfuhrlich erlautert Vermutungen deuten auf den sachsischen Geologen Johann Friedrich Wilhelm von Charpentier als Autor hin Dort heisst es Nachricht vom so genannten Sachsischen Siberien sic Wir haben hier auf unserm Obergebirge eine ziemlich weitlauftige Gegend welche so wild und rauh ist dass sie deswegen gewohnlichermassen das Sachsische Siberien genannt wird Sie erstreckt sich von Eybenstock an auf der andern aber bis in den Voigtlandischen Creys nach dem Fichtelberg gemeint ist das Fichtelgebirge zu Statt dass man sonst an andern auch ganz rauhen Orten als Johstadt Satzungen Kuhnheyde Neudorf Joh Georgenstadt Wiesenthal etc noch Erdapfel Kraut Ruben und Hafer obschon diesen letztern da er kaum das zehntemal recht reif wird wenigstens doch zur Gewinnung des nothiges Strohes furs Vieh erbauet kommt hier nich einmal ein Erdapfel fort geschweige denn ein Kornchen Getreide fort Alles ist ohne einige Furche Ackerland da zu spuren lediglich mit dicker wilder und finsterer Waldung bedeckt Gemeiniglich liegt im Winter welcher den grossten Theil des Jahres ausmacht der Schnee 3 Ellen hoch und kommt zumal in den Tiefen wo ihn der Wind zuweilen auf 10 20 ja 30 Ellen von den Bergen zusammenfuhrt oft vor Johannis nicht vollig hinweg Allein eben hier ist es wo Volcanus seine rechte Werkstadte aufgeschlagen hat Die Hammerwerke Ober und Unter Blauenthal Neidhardtsthal Wildenthal Wittingthal Schlossel Unterwiesenthal Carlsfeld mit der dazu gehorigen Glashutte Morgenroths Rautenkranzs und Tannenbergsthal sind insgesammt theils in und theils um diese Wildniss herum belegen Sothane Waldhauser werden im Winter oft ganz verschneyet so dass sich deren Inhaber mit Schaufeln herausarbeiten und Lichtlocher zu ihren Fenstern hindurchgraben mussen Inzwischen ist eben diese rauhe Wuste das eigentliche Vaterland unserer mehresten und besten Edelsteine welche darinnen theils aus den Felsen wie die Topasen aus dem Schneckenstein gebrochen theils aus den Auersberger Steinbacher Sauschwemmer Knocker und Pechhofer Seifenwerken unter den Zwitter Geschieben gefunden werden 3 Durch August Schumanns Lexikon von Sachsen das zu Beginn des 19 Jahrhunderts in hoher Auflage erschien fand der Begriff Sachsisches Sibirien eine grossere Verbreitung Uber das Dorf Carlsfeld schreibt er unter anderem Die Gegend von Carlsfeld wird von vielen das sachsische Sibirien genennt und ist allerdings rauh und unfruchtbar Zwar hat das Gebirge nicht hier sondern bei Annaberg Barenstein und Wiesenthal seine hochsten Punkte aber die dichten Walder welche Karlsfeld eng umschliessen geben dieser Gegend das Ansehen einer traurigen Wildniss verlangern den Winter und hindern die Kultur Hier giebt es also noch keinen Getreidebau doch sind seit mehreren Jahren Erdapfel mit Erfolg angebaut worden nur kann wegen Mangel an Raum nicht der zehnte Theil des Bedurfnisses erzeugt werden 4 1839 wurden die meisten Hauser und Siedlungen der Auerbacher Waldgemeinde zum sachsischen Sibirien gezahlt 5 Auch Hermann Grimm erwahnt in seinem 1847 erschienenen Buch Das malerische und romantische Mulden Hochland oder Wanderungen durch die Thaler beider Mulden und ihrer Nebengewasser das sachsische Sibirien ein Bild tritt vor die Seele welches zum grosseren Theil aus Nebeln Frost und kalten Regenschauern zum kleinern aus einer durftigen Hochebene von nackten Felsen umstarrt und aus einem Hauflein elender beschindelter Hutten besteht uberhaupt ein Bild das in mehr dustere als heitere Farben gekleidet ist Ich will nicht in Abrede stellen wie treffend mit diesen wenigen Strichen ein Umriss von allen denjenigen Ortschaften gegeben ist die im sogenannten sachsischen Sibirien gelegen sind und das allerdings in der Nahe von Schwarzenberg schon beginnt 6 Johann Traugott Lindner schrieb 1848 in seinen Wanderungen durch die interessantesten Gegenden des Sachsischen Obererzgebirges Von Burkhardtsgrun aus hat man bei der Chausseegeldereinnahme eine Fernsicht auf das sogenannte sachsische Sibirien welches diese Benennung in keinerlei Weise verdient 7 und im Abschnitt uber Eibenstock Gegen Mittag dehnt sich die hohe Bergwand hinauf allenthalben mit dem dunklen Grun von Fichtenwald uberdeckt Dieser giebt der Landschaft ein ernstes und finsteres Ansehen was den Flachlandern Gelegenheit zu dem Pradicate Sachsisches Sibirien gegeben hat Wie oft mag diesem Titel widersprochen worden sein 8 Wahrend sich in der Literatur etliche Nachweise finden in denen das Erzgebirge im 18 und 19 Jahrhundert als ode und ungastliche Gegend dargestellt wird so gelang ein Wandel von einer geringgeschatzten Gebirgsregion zu einem beliebten Reiseziel erst um 1900 Vor allem namhafte Vertreter des Erzgebirgsvereins wie Ernst Kohler und Friedrich Hermann Loscher wandten sich gegen die aus ihrer Sicht vollig unzutreffende Bezeichnung Sachsisches Sibirien 9 10 Statt einzig auf die rauen Witterungsbedingungen zu fokussieren ruckten nun andere Aspekte in den Mittelpunkt Philipp Weigel weist in seiner 1907 publizierten Dissertationsschrift Das Sachsische Sibirien auf das vielseitige Wirtschaftsleben das nicht nur aus Bergbau Hammerwerken und Waldwirtschaft bestand sondern unter anderem auch Posamentenfabrikation Spitzenkloppelei Bunt und Seidenstickerei Glacehandschuhfabrikation und Glasherstellung umfasste 11 Zur Forderung des Tourismus wurden des Weiteren die naturliche Schonheit des Erzgebirges und das gesunde Gebirgsklima offentlichkeitswirksam vorgebracht was zur Entwicklung eines ausgepragten Wander und Sommerfrischenwesens fuhrte Zum Erreichen des Ziels das Erzgebirge fur Wanderfreunde aus nah und fern bekannter zu machen wurden durch den Erzgebirgsverein in den ersten 50 Jahren seines Bestehens etwa 25 Aussichtsturme und Berggasthauser errichtet Literatur BearbeitenMax Wunschmann Uber das Aufkommen der vollig unzutreffenden Bezeichnung Sachsisches Sibirien fur unser Erzgebirge und des Namens Das Erzgebirge In Gluckauf 30 1910 S 9 10 Philipp Weigel Das Sachsisches Sibirien Sein Wirtschaftsleben Berlin Trenkel 1907 Weckschmidt Noch eine Ehrenrettung unseres Erzgebirges aus alter Zeit In Gluckauf 30 1910 S 23 Einzelnachweise Bearbeiten Josef Schaller Topographie des Konigreichs Bohmen Zweyter Theil Ellbogner Kreis Prag 1785 S 98 Georg Korner Bockauische Chronik oder Alte und Neue Nachrichten von Bockau bey Schneeberg im Kreisamte Schwarzenberg 1757 S 205 Digitalisat Carl Ernst Bohn Hg Mineralogische Geschichte des Sachsischen Erzgebirges Hamburg 1775 S 48 Digitalisat vgl Karlsfeld Carlsfeld auch Karolsfeld In August Schumann Vollstandiges Staats Post und Zeitungslexikon von Sachsen 4 Band Schumann Zwickau 1817 S 468 f Handbuch der Geographie Statistik und Topographie des Konigreiches Sachsen von Albert Schiffner Leipzig 1839 Friedrich Fleischer Hrsg S 421 Hermann Grimm Das malerische und romantische Mulden Hochland oder Wanderungen durch die Thaler beider Mulden und ihrer Nebengewasser Nebentitel Das sachsische Erzgebirge malerisch historisch und artistisch durchwandert Ein Wegweiser fur Gebirgsfreunde und Kunstliebhaber Mit 50 Stahlstichen nach Originalzeichnungen von C J Leypold und Carl Heinrich Beichling und 1 Karte Verlag von H H Grimm Dresden 1847 S 182 f Digitalisat Johann Traugott Lindner Wanderungen durch die interessantesten Gegenden des Sachsischen Obererzgebirges Ein Beitrag zur speciellen Kenntniss desselben seines Volkslebens der Gewerbsarten Sitten und Gebrauche Zweite Wanderung Bei Rudolph und Dieterici Annaberg 1848 Seite 21 Digitalisat Johann Traugott Lindner Wanderungen durch die interessantesten Gegenden des Sachsischen Obererzgebirges Ein Beitrag zur speciellen Kenntniss desselben seines Volkslebens der Gewerbsarten Sitten und Gebrauche Zweite Wanderung Bei Rudolph und Dieterici Annaberg 1848 Seite 29 30 Digitalisat Max Wunschmann Uber das Aufkommen der vollig unzutreffenden Bezeichnung Sachsisches Sibirien fur unser Erzgebirge und des Namens Das Erzgebirge In Gluckauf 30 1910 S 9 10 Weckschmidt Noch eine Ehrenrettung unseres Erzgebirges aus alter Zeit In Gluckauf 30 1910 S 23 Philipp Weigel Das Sachsisches Sibirien Sein Wirtschaftsleben Berlin Trenkel 1907 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Sachsisches Sibirien amp oldid 235104940