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Das Reichsvereinsgesetz RVG vom 19 April 1908 vereinheitlichte das bis dahin rechtlich zersplitterte Vereinswesen im Deutschen Kaiserreich zu einem reichsweit geltenden Vereinsrecht Es realisierte damit nach 37 Jahren die in Artikel 4 Ziffer 16 der Reichsverfassung ausgesprochene einschlagige Aufsichts und Regelungshoheit der Bundesgewalt BasisdatenTitel VereinsgesetzKurztitel Reichsvereinsgesetz ugs Art Reichsgesetz BundesgesetzGeltungsbereich Deutsches Reich Bundesrepublik DeutschlandRechtsmaterie Besonderes VerwaltungsrechtFundstellennachweis 2180 2 a F Ursprungliche Fassung vom 19 April 1908 RGBl S 151 Inkrafttreten am 15 Mai 1908Neubekanntmachung vom 1 Januar 1964 BGBl III S 22 Letzte Anderung durch Satze 1 2 AndG vom 26 Juni 1916 RGBl S 635 Inkrafttreten derletzten Anderung 14 Juli 1916 Art 2 Satz 3 RV Ausserkrafttreten 12 September 1964 30 Abs 1 Nr 1 G vom 5 August 1964 BGBl I S 593 600 Bitte den Hinweis zur geltenden Gesetzesfassung beachten Das Gesetz war eines der grosseren innenpolitischen Projekte des Bulow Blocks der es mit 195 gegen 168 Stimmen durch den Reichstag brachte Es trat am 15 Mai 1908 in Kraft Wesentliche Bestimmungen des RVG wurden von SPD und Zentrum erbittert bekampft einzelne dissidente Mitglieder der Freisinnigen Vereinigung spalteten sich im Zuge der Debatten von dieser ab und bildeten die Demokratische Vereinigung Intention Inhalt und Kritik BearbeitenIm November 1907 brachte die Regierung den Entwurf fur ein reichsweit verbindliches Vereins und Versammlungsgesetz in den Reichstag ein Die Vorlage war im Reichsamt des Innern unter Federfuhrung Bethmann Hollwegs erarbeitet worden 1 Die Reichsleitung und mit ihr eine Mehrheit burgerlicher Abgeordneter von den Linksliberalen bis zu den Konservativen hielt diesen Zentralisierungsschritt vor allem aus prinzipiellen staatspolitischen Grunden fur unumganglich Sie setzte sich damit uber nach wie vor lebhafte partikularistische Interessen in den Einzelstaaten hinweg Auch uber den Regierungsblock hinaus war in den Jahren zuvor von unterschiedlichsten politischen Kraften und Einzelstimmen Handlungsbedarf angemeldet worden da die Nichteinlosung des 1871 in der Verfassung formulierten Anspruchs reichseinheitlicher Regelung dieser Fragen das politische und kulturelle Leben in einer europaweit einzigartigen Weise beeintrachtigte und deformierte So waren Vereine burgerlichen Lebens die in Wurttemberg ungehindert arbeiten konnten in Sachsen verboten 2 Die SPD konnte im Herzogtum Sachsen Coburg und Gotha legal einen Wahlverein und Ortsvereine grunden im benachbarten Furstentum Schwarzburg Sondershausen war ihr derlei aufgrund des restriktiven Vereinsrechts untersagt 3 Landarbeiter in Preussen unterlagen der Gesindeordnung ihnen war es generell verboten vereinsmassige Zusammenschlusse zu bilden Der grundlegende Ansatz des Gesetzes war alles in allem liberal und erleichterte in grossen Staaten wie Preussen und Sachsen und naturlich in vielen Kleinstaaten die Organisation von Vereinen wesentlich wahrend er verglichen mit der bis dahin ublichen Praxis in Wurttemberg und Baden eher einen Ruckschritt bedeutete Vereinsgrundungen jedweder Ausrichtung Zusammensetzung und Zwecksetzung sollten fortan allen Burgern also erstmals auch Frauen ungehindert moglich sein insofern die verfolgten Ziele nicht mit den Strafgesetzen kollidierten 1 Vereine unterlagen als solche keiner Genehmigungspflicht und konnten sich untereinander frei verbinden lediglich Zusammenschlusse mit politischen Zwecken wurden angehalten Formalitaten wie die Niederlegung von Statuten und die Bestimmung eines identifizierbaren Vereinsvorstandes zu beachten und dies bei den Behorden zu dokumentieren 3 Ausserdem wurden sie verpflichtet alle offentlichen Versammlungen spatestens 24 Stunden vor Beginn bei der zustandige Behorde anzuzeigen 7 Die erstmals eingefuhrte Anmeldepflicht war die dauerhafteste mit dem RVG etablierte Neuerung sie wurde von vielen zeitgenossischen Kritikern vor allem in Suddeutschland als schwerwiegende Einschrankung der Versammlungsfreiheit empfunden Das RVG wies viel diskutierte Detailbestimmungen auf die ihren repressiven Vorbehalt gegen Teile der Bevolkerung kaum verhehlten und sich zum Teil als recht folgenschwer erwiesen Der Polizei wurde de facto das Recht eingeraumt in alle keineswegs nur in offentliche Versammlungen jedes beliebigen Vereins bis zu zwei Beamte zu entsenden diese durften Aufzeichnungen machen und die betreffende Versammlung unter bestimmten Bedingungen auch auflosen Die formale Beschrankung dieses Besuchsrechts auf politische Versammlungen war in der Praxis bedeutungslos da es der jeweiligen Polizeibehorde oblag zu entscheiden welche Zusammenkunfte als politisch zu gelten hatten und welche nicht somit war klar dass sehr viel auf die Anwendung durch die Polizeiorgane ankommen werde 4 Das den Landarbeitern im RVG endlich zugestandene Koalitionsrecht blieb bis zum Ersten Weltkrieg und daruber hinaus eine weitgehend theoretische Grosse Es hob das in der Gesindeordnung ausgesprochene Verbot politischer Betatigung nicht explizit auf und gab damit den Gutsbesitzern auch wegen der im Gesetz bewusst unklar gehaltenen Definition des politischen Vereins die reichlich genutzte Moglichkeit gegen gewerkschaftlich aktive Arbeiter wegen politischer Agitation und Kontraktbruch vorzugehen 5 Der 1909 gegrundete Deutsche Landarbeiterverband kam denn auch gegen die oft als Arbeitgeber und Verwaltungschef in Personalunion vgl Gutsbezirk auftretenden Grossgrundbesitzer Ostelbiens kaum voran und hatte 1913 erst 20 267 Mitglieder 6 Jugendlichen unter 18 Jahren wurde durch das RVG generell untersagt sich in politischen Vereinen zu organisieren oder an deren Versammlungen teilzunehmen 17 und 18 Dieses Ausnahmegesetz gegen die Jugend 7 richtete sich insbesondere gegen die sozialdemokratische und gewerkschaftliche Jugendarbeit 8 Die einschlagigen Bestimmungen fuhrten zu einer von reformistischen Funktionaren der SPD die die bislang aktiven SPD nahen Jugendvereine fur unsympathisch und ubertrieben radikal 9 erklarten aktiv geforderten dramatischen Entpolitisierung der Arbeiterjugendbewegung Die sozialdemokratischen Jugendvereine die sich im September 1908 in Berlin zum Verband der arbeitenden Jugend Deutschlands zusammenschlossen mussten in dessen Statut ausdrucklich vermerken dass der neue Verband keinerlei politischen Charakter trage oder politische Zwecke verfolge 10 Fur die heftigste Kritik sorgte allerdings der sogenannte Sprachenparagraph 7 im Entwurf 12 im Gesetz mit dem verfugt wurde dass Verhandlungen in offentlichen Versammlungen ausschliesslich in deutscher Sprache zu fuhren seien Das kam einem Verbot der Minderheitensprachen im offentlichen Leben gleich Von der Regelung ausgenommen waren lediglich internationale Kongresse und Wahlversammlungen im Vorfeld von Reichstagswahlen nicht aber bei Landtags und Gemeindewahlen Die selektive Disziplinierungsabsicht dieser Bestimmung wurde noch dadurch unterstrichen dass Konservative und Nationalliberale sich auf offentlicher Buhne im Reichstag dafur aussprachen loyalen Fremdsprachigen wie Litauern und Masuren den uneingeschrankten Gebrauch ihrer jeweiligen Sprache zu gestatten 11 Insbesondere Preussen untergrub in der Folge mit der rigorosen Anwendung dieses Paragraphen auf die Lebenswelt der drei Millionen polnischsprachigen Bewohner seiner ostlichen Provinzen die letzten noch vorhandenen Loyalitatsreflexe dieser Minderheit Im April 1917 wurde der Sprachenparagraph als freundliche aber nicht mehr beachtete Geste gegenuber dem einige Monate zuvor von Deutschland und Osterreich Ungarn aus der Taufe gehobenen polnischen Regentschaftskonigreich gestrichen 12 Weblinks Bearbeiten nbsp Wikisource Vereinsgesetz Quellen und Volltexte Ulrich Kurzer Ein Schritt zur Gleichberechtigung Vor 100 Jahren trat das Reichsvereinsgesetz in Kraft Deutschlandradio Kultur 15 Mai 2008Einzelnachweise Bearbeiten Siehe Wahl Adalbert Deutsche Geschichte von der Reichsgrundung bis zum Ausbruch des Weltkriegs Band 4 Stuttgart 1936 S 12 Siehe Wahl Deutsche Geschichte Band 4 S 10 Siehe Schulze Gerhard Die Novemberrevolution 1918 in Thuringen Erfurt 1976 S 10 Wahl Deutsche Geschichte Band 4 S 13 Siehe Hubner Hans Kathe Heinz Bearb Lage und Kampf der Landarbeiter im ostelbischen Preussen Vom Anfang des 19 Jahrhunderts bis zur Novemberrevolution 1918 19 Berlin 1977 Band 2 S 432 Siehe Fricke Dieter Handbuch zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung 1869 1917 Berlin 1987 Band 2 S 970 Fricke Handbuch Band 1 S 463 Siehe Nipperdey Thomas Deutsche Geschichte 1866 1918 Band I Arbeitswelt und Burgergeist Munchen 1998 S 116 Zitiert nach Fricke Handbuch Band 1 S 470 Siehe Fricke Handbuch Band 1 S 469 Siehe Wahl Deutsche Geschichte Band 4 S 11 Siehe Wehler Hans Ulrich Deutsche Gesellschaftsgeschichte Band IV Vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zur Grundung der beiden deutschen Staaten 1914 1949 Munchen 2003 S 170 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Reichsvereinsgesetz amp oldid 238011369