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Die Orgellandschaft Westfalen und Lippe bezeichnet die Orgeln mit historisch bedingten regionalen Eigenschaften in der Orgellandschaft Westfalen und Lippe Sie grenzt im Sudosten an die Orgellandschaft Hessen im Sudwesten an die Orgellandschaft Rheinland und im Norden an verschiedene Kulturregionen im heutigen Niedersachsen 1 Die Orgel von St Andreas Ostonnen ist die alteste spielbare Orgel in Deutschland Nahere Details zu den erhaltenen Werken finden sich in der Liste von Orgeln in Westfalen und Lippe Inhaltsverzeichnis 1 Gotik 2 Renaissance und Fruhbarock 3 Barock 4 Klassizismus 5 Romantik 6 20 und 21 Jahrhundert 7 Weblinks 8 Literatur 9 EinzelnachweiseGotik Bearbeiten nbsp Gotische Orgel 1520 in der Dortmunder MarienkircheErstmals ist im Jahr 1181 von einer Orgel im Alten Dom zu Munster die Rede Auf dem Musikantenfries im Paradies des Doms findet sich ein Steinrelief aus der Mitte des 13 Jahrhunderts mit der Darstellung einer Orgel Die Orgel in St Peter und Paul in Wormbach integriert drei Orgelpfeifen aus dem Ende des 14 Jahrhunderts die als die altesten erhaltenen Pfeifen in Westfalen gelten Aus dem Jahr 1431 datiert die Orgel von St Andreas Ostonnen und ist damit die alteste spielbare Orgel in Deutschland Das Untergehause weist spatgotisches Schnitzwerk auf und 326 Pfeifen also mehr als die Halfte des Pfeifenbestandes lassen sich vor 1500 datieren 2 Bis um 1500 waren nicht nur die grossen Stadtkirchen sondern auch viele Landkirchen mit Orgeln ausgestattet 3 Johann von Schwerte errichtete im Jahr 1520 eine spatmittelalterliche Orgel in der Dortmunder Marienkirche deren Gehause bis zum Zweiten Weltkrieg erhalten blieb 4 Sie wurde bei einem Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg zerstort Im Mittelalter hatte die Orgel liturgische Zwecke zu erfullen und wurde nicht zur Begleitung des Gemeindegesangs eingesetzt In der Alternatimpraxis erklang sie im Wechsel mit dem Chor einzelnen Sangern oder der Gemeinde insbesondere beim Introitus und den Lobgesangen der Messe und der kirchlichen Tageszeiten Bei den gotischen Blockwerk Instrumenten waren die einzelnen Register nicht anspielbar sondern nur das volle Werk das sogenannte Plenum Die Erfindung der Schleiflade und Springlade ermoglichte im ausgehenden Mittelalter ein weit grosseres klangliches Spektrum In Westfalen wurde die Springlade favorisiert Renaissance und Fruhbarock Bearbeiten nbsp Schwalbennestorgel in LemgoIn der unruhigen Zeit zwischen Reformation und dem Westfalischen Frieden 1648 gingen zahlreiche Instrumente durch Plunderungen den Bildersturm und Kriegseinwirkungen verloren Im letzten Drittel des 16 Jahrhunderts erfuhr der westfalische Orgelbau einen starken Auftrieb Massgeblich waren daran Orgelbauer aus dem Herzogtum Brabant beteiligt die im Zuge der Reformation aufgrund von Glaubenskriegen und der orgelfeindlichen Haltung reformierter Kirchen neue Betatigungsfelder suchten Diese Orgelbauer brachten internationale Einflusse mit Zu ihnen gehorte die Orgelbauerfamilie Slegel die ausgehend vom niederlandischen Kerngebiet bis nach Bremen und Hildesheim die neuen Entwicklungen wie die Springlade im Orgelbau verbreiteten Die Gebruder Slegel bauten zwischen 1586 und 1595 eine Schwalbennestorgel fur St Marien in Lemgo deren Gehause noch erhalten ist und deren Innenwerk von Rowan West auf den Zustand von 1613 rekonstruiert wurde Ihre Werke in Warendorf St Laurentius der Uberwasserkirche in Munster und der St Georg Kirche wurden spater durch Neubauten ersetzt Daneben vermittelten Lampeler van Mill und die Orgelbauerfamilie von Niehoff aus s Hertogenbosch sowie die Familie de Mare den brabanter Orgelbau nach Westfalen 5 In Kloster Oelinghausen sind noch einige Register de Mares von 1599 erhalten 6 Durch die norddeutsche Orgelbauerfamilie Scherer wurde das brabanter Werkprinzip weiterentwickelt Selbststandige Klangkorper mit vollstandig ausgebauten Prinzipalchoren wurden in separaten Gehausen aufgestellt Freistehende Pedalturme flankierten das Hauptwerk Das Brustwerk war uber dem Spieltisch und das Ruckpositiv in der Emporenbrustung angebracht Der voll ausgebaute Prinzipalchor bildete das grundlegende Klanggerust Die gegenuber den Prinzipalen weit mensurierten Flotenstimmen und die Zungenregister ermoglichten zahlreiche Klangkombinationen und kontraste Hans Scherer der Altere schuf zweimanualige Orgelneubauten fur Schloss Brake 1600 und das Herforder Munster 1601 die nicht erhalten sind 7 Barock Bearbeiten nbsp Moller Orgel von Kloster MarienfeldDie liturgische Funktion und das klangliche Konzept der Orgel anderte sich als sie wahrend des Dreissigjahrigen Krieges erstmals zur Begleitung des Gemeindegesangs eingesetzt wurde Bis zu dieser Zeit ubernahm die Orgel fast ausschliesslich Teile der Liturgie umrahmte die Predigt und den gesamten Gottesdienst Ab Mitte des 17 Jahrhunderts erfuhr der westfalische Orgelbau einen Aufschwung Romisch katholische Kirchen liessen reprasentative Werke anschaffen wahrend die bescheideneren Orgeln in reformierten vor allem zur Begleitung des Gemeindegesangs dienten 3 Wahrend die Orgeln in vorbarocker Zeit europaweit relativ einheitlich gestaltet waren erhalt der westfalische Prospekt in der Barockzeit seine charakteristische Gestalt An den uberhohten Mittelturm schliessen sich symmetrisch an beiden Seiten absteigende Pfeifenfelder an die teils recht schmal sein konnen Die Werke von Hinrich Klausing und seinem Sohn Johann Berenhard Klausing zeichnen sich bei aller Individualitat durch einen derartigen Prospektaufbau aus Von Andreas Reinecke ist nur ein Prospekt von 1724 in der Bergkirche Thalitter erhalten Schuler von Arp Schnitger wirkten in Westfalen Johann Matthias Naumann erweiterte im Jahr 1718 die Andreas Schneider Orgel in Corvey 1681 um ein Ruckpositiv 8 Gerhard von Holy blieb in der Gestaltung des Hamburger Prospekts seinem mutmasslichen Lehrmeister verpflichtet Erhalten sind seine Gehause in Lunen 1725 und Herdecke 1733 In der Evangelischen Kirche Volmarstein 1734 erklingt das grosste des Pfeifenwerks von Holy bis heute Sein Prospekt aus Wetter einschliesslich der originalen Prospektpfeifen von 1723 diente einem Neubau in der Canumer Kirche als Grundlage 9 Mit Johann Patroclus Moller erreichte der barocke Orgelbau Westfalens seinen Hohepunkt 10 Hochste handwerkliche Kunst verbindet sich mit kreativer Prospektgestaltung und einem Reichtum an Klangfarben in den unterschiedlichen Registerfamilien Kennzeichnend ist der konkave Bogen in der Prospektgestaltung in einigen seiner grossen Orgeln Mollers Werke gehoren zu den wertvollsten Denkmalorgeln der westfalischen Orgellandschaft Sechs seiner Orgeln haben die Jahrhunderte wenn auch teils in umgebauter Form uberstanden und zwar in Welver fruher St Walburgis 1733 Marienmunster 1738 Buren fruher Boddeken 1744 Ruthen Hoinkhausen 1747 Borgentreich fruher Kloster Dalheim und Marienfeld beide 1751 Kennzeichnend fur den westfalischen Orgelklang sind die dreifache Sesquialtera eine Viola da Gamba in Trichterform und tiefe Aliquotregister im Hauptwerk 11 Nach wie vor wurden die Springladen bevorzugt Im Barock traten Orgelbauerfamilien auf die uber mehrere Generationen die Orgelkultur pragten Der Wirkungskreis der Familie Bader erstreckte sich von Antwerpen bis Hildesheim und nordlich bis nach Friesland Andreas Reinecke schuf zusammen mit seinem Bruder Bernhard mehrere Springladenorgeln in Ostwestfalen Familie Klausing wirkte von Herford aus Familie Alberti von Hattingen und die Heilmanns von Herbern aus 12 Klassizismus Bearbeiten nbsp Oestreich Orgel 1795 der Detmolder ErloserkircheIm Zuge der Sakularisation 1803 wurden die rechtsrheinischen Kloster und Stifte aufgehoben Infolgedessen wechselten zahlreiche kostbare Orgeln ihre Besitzer und wurden vielfach in umgebauter Form in evangelischen Pfarrkirchen aufgestellt Drei Instrumente von Johann Patroclus Moller erfuhren bei derartigen Umsetzungen tiefgreifende Veranderungen so die Orgeln aus dem Stift St Walburgis Soest Kloster Boddeken und Kloster Dalheim 13 Caspar Melchior Vorenweg eroffnete im Jahr 1786 seine Werkstatt in Munster und vermittelte den rheinisch franzosischen Stil nach Westfalen 14 Seine Orgeln in Cappenberg 1788 und Drensteinfurt 1790 wurden spater umgebaut bei den letzten Restaurierungen aber wieder auf die ursprungliche Disposition zuruckgefuhrt In Soest wirkten um 1800 Johann Georg Fromme und sein Sohn Nikolaus Johann Markus Oestreich war ausgehend vom hessischen Oberbimbach in Thuringen Ostwestfalen und Franken tatig Seine breitflachigen teils funfzehnachsigen Prospekte weisen auf den Ubergang zum Verbundprospekt Seine Orgel in der Detmolder Erloserkirche 1795 ist weitgehend erhalten von seinen Werken in Bigge 1789 St Martin und Schieder Schwalenberg 1815 existieren lediglich die Prospekte Romantik Bearbeiten nbsp Fleiter Orgel von 1882 in der St Mauritz Kirche MunsterVerschiedene in der Romantik gegrundete Orgelbauunternehmen die im 19 Jahrhundert entstanden existieren bis heute Dazu gehort der 1836 gegrundete Betrieb von Franz Breil Speith Orgelbau ab 1848 und Friedrich Fleiter ab 1872 sowie Gebruder Stockmann ab 1889 Die Eggert Orgelbau Anstalt bestand unter diesem Namen bis 1902 und wurde von Anton Feith und seinem gleichnamigen Sohn bis 1972 weitergefuhrt Eine Neugrundung erfolgte 1999 mit dem Westfalischen Orgelbau S Sauer Die Orgelbauerfamilie Klassmeier war ebenfalls dem romantischen Orgelstil verpflichtet und schuf mehr als 200 Instrumente Ernst Klassmeier entwickelte eine eigene Form der Kegellade mit auswechselbaren Kegelventilen Ab den 1890er Jahren setzte er die Rohrenpneumatik ein 15 Im zunehmenden Mass traten uberregional tatige Firmen wie Philipp Furtwangler amp Sohne auf die in grosser Anzahl Orgeln im romantischen Stil produzierten Dadurch kam es zu einer landesweiten Angleichung der Stile 16 Durch die Industrialisierung und das starke Bevolkerungswachstum wurden zahlreiche Kirchen durch grossere ersetzt und viele alte Orgeln hatten ausgedient Die grundtonigen Dispositionen romantischer Orgeln mit vielen Registern in Aquallage zielten auf einen orchestralen Klang Die neuen technischen Spielhilfen die im 19 Jahrhundert entwickelt wurden ermoglichten eine stufenlose Dynamik Wie auch in anderen deutschen Orgellandschaften sind die Prospekte romantischer Orgeln vielfach vom Historismus gepragt dem Rundbogenstil der Neugotik der Neuromanik und dem Jugendstil 17 20 und 21 Jahrhundert BearbeitenAb dem 20 Jahrhundert ging die Orgelkultur Westfalens in den allgemeinen deutschen Orgelbau auf Die Orgelbewegung idealisierte als Gegenbewegung zur Romantik ab den 1920er Jahren ein barockes Klangbild Ab der 1930er Jahre schrankten die Nationalsozialisten den Orgelneubau stark ein Die grossen Stadte bussten im Zweiten Weltkrieg meist ihre Orgeln ein Die Zerstorung vieler Kirchen und Orgeln fuhrte zu einer grossen Anzahl von Orgelneubauten Zahlreiche noch erhaltene alte Instrumente wurden im Zuge des Wirtschaftswachstums in den 1950er und 1960er Jahren ersetzt Rudolf Reuter veroffentlichte zahlreiche Arbeiten uber den westfalischen Orgelbau inventarisierte alle 600 Denkmalorgeln und setzte sich fur deren Erhalt ein 18 Im Jahr 1910 wurde der Familienbetrieb Gustav Steinmann Orgelbau in Vlotho gegrundet der neben Orgeln etwa 1500 Harmonien zwischen 1920 und 1935 produzierte und sich zu einem grossen Betrieb mit internationalem Wirkungskreis entwickelte 19 Detlef Kleuker machte sich 1955 in Brackwede selbststandig und experimentiert mit neuen Werkstoffen die die Langlebigkeit erhohen und klimatisch extremen Bedingungen gewachsen sein sollten In stilistischer Hinsicht orientierte er sich an der norddeutschen Barockorgel schuf aber moderne eckige Gehause In Muddenhagen wurde 1969 der Orgelbau Simon gegrundet Weblinks Bearbeiten nbsp Commons Orgeln in Nordrhein Westfalen Sammlung von Bildern Videos und Audiodateien Hans Werner Coordes Orgelatlas Ostwestfalen Lippe Vera Lupkes Die Orgellandschaft in Westfalen und angrenzenden Regionen im 16 Jh Literatur BearbeitenHans Martin Balz Gottliche Musik Orgeln in Deutschland 230 Veroffentlichung der Gesellschaft der Orgelfreunde Konrad Theiss Stuttgart 2008 ISBN 3 8062 2062 X Gabriel Isenberg Orgellandschaft im Wandel Teil 1 Orgelinventar des Kreises Olpe von den Anfangen bis 1945 In Westfalen 97 Band Aschendorff 2019 ISSN 0043 4337 S 71 192 Hannalore Reuter Historische Orgeln in Westfalen Lippe Ardey Verlag Munster 2006 ISBN 978 3 87023 245 0 Rudolf Reuter Die Grundlagen der Geschichte des Orgelbaues in Westfalen und Lippe In Heinrich Huschen Hrsg Festschrift Karl Gustav Fellerer zum 60 Geburtstag am 7 Juli 1962 Regensburg 1962 S 439 453 Rudolf Reuter Orgeln in Westfalen Inventar historischer Orgeln in Westfalen und Lippe Hrsg Hermann Busen Barenreiter Kassel 1965 Alexander Wagner Klaus Peter Fliedner Orgeln in Lippe 206 Veroffentlichung der Gesellschaft der Orgelfreunde Naturwissenschaftlicher und Historischer Verein fur das Land Lippe Detmold 2008 ISBN 978 3 924481 18 6 Hans Hermann Wickel Auswartige Orgelbauer in Westfalen Barenreiter Kassel 1984 ISBN 3 7618 0751 1 Einzelnachweise Bearbeiten Reuter Historische Orgeln in Westfalen Lippe 2006 S 7 Unter den deutschen Orgellandschaften stellt sich Westfalen als eigenstandige Region mit einer langen Musiktradition und einer grossen Vielfalt an bedeutenden Instrumenten dar Restaurierungsbericht der Orgel von St Andreas in Ostonnen abgerufen am 5 Mai 2019 a b Reuter Historische Orgeln in Westfalen Lippe 2006 S 9 Martin Blindow Orgelgeschichte der Stadt Dortmund LIT Verlag Munster 2008 ISBN 978 3 8258 0895 2 S 167 eingeschrankte Vorschau in der Google Buchsuche Vera Lupkes Die Orgellandschaft in Westfalen und angrenzenden Regionen im 16 Jh mit Werkverzeichnis der Familie Slegel abgerufen am 5 Mai 2019 Orgel in Oelinghausen abgerufen am 5 Mai 2019 Kirchenmusik im Munster zu Herford Historie der Orgeln abgerufen am 5 Mai 2019 Orgel in Corvey abgerufen am 5 Mai 2019 NOMINE e V Orgel in Canum abgerufen am 5 Mai 2019 Balz Gottliche Musik 2008 S 20 Balz Gottliche Musik 2008 S 18 Reuter Historische Orgeln in Westfalen Lippe 2006 S 10 Reuter Historische Orgeln in Westfalen Lippe 2006 S 11 Wolf Kalipp Die westfalische Orgelbauerfamilie Vorenweg Kersting 1784 1879 Veroffentlichungen der orgelwissenschaftlichen Forschungsstelle im Musikwissenschaftlichen Seminar der Westfalischen Wilhelms Universitat Munster 12 Barenreiter Kassel u a 1984 ISBN 3 7618 0725 2 Hermann Fischer 100 Jahre Bund deutscher Orgelbaumeister Orgelbau Fachverlag Lauffen 1991 ISBN 3 921848 18 0 S 226 Balz Gottliche Musik 2008 S 16 23 Reuter Historische Orgeln in Westfalen Lippe 2006 S 12 Rudolf Reuter Orgeln in Westfalen Inventar historischer Orgeln in Westfalen und Lippe Veroffentlichungen der Orgelwissenschaftlichen Forschungsstelle Band 1 Kassel 1965 Orgel Steinmann abgerufen am 5 Mai 2019 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Orgellandschaft Westfalen und Lippe amp oldid 235342721