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Die Judische Gemeinde Warendorf bestand ungefahr vom 14 Jahrhundert bis 1941 Von 1945 bis 1947 entstand die Gemeinde in Ansatzen neu als die Uberlebenden des Holocausts aus dem Munsterland in Warendorf Gottesdienste feierten Freckenhorster Strasse in Warendorf 1905 Gebaude ganz links Judische Schule dahinter befand sich die Synagoge Wahrend ihrer Blutezeit von der Mitte des 17 bis zum ausgehenden 19 Jahrhundert war die Judische Gemeinde Warendorf eine der bedeutendsten im Munsterland mit einem herausragenden Stellenwert fur ganz Westfalen Bis heute gehort sie deutschlandweit zu den bekannteren ehemaligen judischen Landgemeinden insbesondere deshalb weil Paul Spiegel bis zu seinem Tod 2006 Prasident des Zentralrats der Juden in Deutschland aus Warendorf kam Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 1 1 Anfange 1 2 Zwischen Ausweisung und Emanzipation 1 3 Judische Emanzipation in Warendorf 1 4 Nationalsozialismus und Zerstorung der Gemeinde 1 5 Neubeginn und Gedenken nach 1945 2 Literatur 3 FussnotenGeschichte BearbeitenAnfange Bearbeiten Der erste urkundliche Beleg fur judisches Leben in Warendorf stammt aus dem Jahr 1387 In einer Kolner Stadtrechnung nennt den Namen der Judin Ailka von Warendorf Vermutlich gehorte diese Ailka zu den Juden die infolge der Pestpogrome um 1350 das Munsterland verlassen haben Fur judisches Leben in der ersten Halfte des 14 Jahrhunderts spricht auch der 1433 erstmals genannte Name der Judenstrasse 1 Erst nach Ende des Tauferreichs von Munster ermoglichte der Furstbischof Franz von Waldeck 1535 36 eine dauerhafte Niederlassung von Juden im Hochstift Munster Ab 1538 sind die Juden Isaak und Simon aus Warendorf nachzuweisen Nach dem Tod des Furstbischofs Franz von Waldeck 1553 beschloss die Regierung des Furstbistums die vollstandige Ausweisung der Juden aus Munster und gestattete nunmehr lediglich zeitlich begrenzte Aufenthalte mit sogenannten Geleitbriefen Durch diese Regelung gewannen landliche Orte im Munsterland wie Warendorf oder Coesfeld an Bedeutung fur die judische Bevolkerung 1 Zwischen Ausweisung und Emanzipation Bearbeiten nbsp Mohelbuch des Landrabbiners Michael Meyer Breslau aus Warendorf um 1770 1563 wurde der Jude Bernt fur zwolf Jahre von der Stadt vergeleitet Wahrend der Laufzeit des Geleitbriefes durften keine weiteren Juden in Warendorf leben Bernt arbeitete als Kreditgeber und Metzger Als er das Tribut fur sein Geleit nicht mehr bezahlen konnte ging dieses an seinen Bruder Sander uber Nach dessen Tod 1570 trat ein gewisser Wulf in das vertragliche Verhaltnis ein Die Stande des Stifts Munster sprachen sich immer gegen die Vergeleitung von Juden aus und forderten ihre vollstandige Ausweisung schliesslich setzte sich aber der Furstbischof Ernst von Bayern als Landesherr durch So wurden 1599 erstmals zwei Geleitbriefe in Warendorf ausgestellt und eine Zahlung des Rates der Stadt im Jahr 1602 ergab insgesamt 13 Warendorfer judischen Glaubens 2 1627 setzte Furstbischof Ferdinand von Bayern gegen den Widerstand der Stadt die Ansiedlung des Juden Nini Levi in Warendorf durch In den letzten Jahren des Dreissigjahrigen Krieges hielt sich ein Jude so haufig im Ort auf dass er nach ihr Bar oder Bernd von Warendorf genannt wurde Vermutlich handelt es sich bei ihm um einen Bruder Nini Levis da er auch Bernd Levi hiess Bernd von Warendorf stieg spater zum Hofjuden des Grossen Kurfursten von Brandenburg auf Wahrend des westfalischen Friedenskongresses in Munster 1644 1648 gehorte er zu den wichtigsten Beratern des Gesandten von Brandenburg 1651 ernannte Furstbischof Christoph Bernhard von Galen Nini Levi zum Befehlshaber und Vorganger der Judenschaft im Hochstift Munster Seit dieser Berufung stellte die Gemeinde Warendorf traditionell die hochsten Reprasentanten des munsterlandischen Judentums die Befehlshaber und Vorganger und spater die Landesrabbiner 3 Der erste Hinweis auf einen eigenen Betsaal in Warendorf stammt aus dem Jahr 1649 4 Im Januar 1709 kam es in Warendorf zu antijudischen Ausschreitungen infolge derer Jugendliche Hauser judischer Einwohner beschadigten und Fenster und Turen der Synagoge zerstorten Die Nachricht daruber ist der alteste schriftliche Beleg fur eine Synagoge in Warendorf Sie ist das alteste noch bestehende judische Gotteshaus im Regierungsbezirk Munster 5 Auch in den folgenden Jahren kam es immer wieder zu Ausschreitungen besonders an katholischen Feiertagen oder anlasslich von Prozessionen Furstbischof Maximilian Friedrich von Konigsegg Rothenfels verlangte daher 1768 vom Warendorfer Burgermeister die judische Minderheit vor den Beleidigungen und Angriffen der Katholiken zu schutzen Dennoch kam es um den 26 Marz 1768 zu mehrtagigen gewaltsamen Unruhen Furstbischof Maximilian Friedrich gewahrte den Juden im Gegenzug das Recht in Zukunft einen Landrabbiner frei zu wahlen und verzichtete darauf selbst einen Befehlshaber und Vorganger zu bestimmen Am 3 September 1771 fand schliesslich die Wahl Michael Meyer Breslauer aus Warendorf statt Das letzte Sammelgeleit des Bischofs fur Juden im Hochstift Munster stammt vom 11 Marz 1795 und weist 15 Familien mit rund 90 Personen aus Nach dem Tod Michael Meyer Breslaus wahlten die Juden des Munsterlandes dessen Sohn David Meyer Breslau am 24 November 1789 zu seinem Nachfolger als Landesrabbiner Mit seinem Tod 1808 endet die Zeit der herausgehobenen Stellung Warendorfs unter den judischen Gemeinden im selben Jahr erfolgte jedoch auch der Neubau der Synagoge im Fachwerkstil heutige Adresse Flur 3 Somit kann vom Jahr 1808 fur Warendorf vom Beginn einer neuen Epoche fur die judische Gemeinde gesprochen werden Judische Emanzipation in Warendorf Bearbeiten 1810 wurde in Munster das Niederlassungsverbot fur Juden aufgehoben Infolgedessen nahm die Zahl der judischen Einwohner Warendorfs von 67 im Jahr 1812 auf 63 vier Jahre spater ab Die Zahl der in Munster ansassigen Juden vervierfachte sich im Gegenzug Die Verlagerung der Bedeutung zugunsten der Judischen Gemeinde Munster mittlerweile Hauptstadt der neuen preussischen Provinz Westfalen wurde durch den Wegzug des Landesrabbiners Abraham Sutro abgeschlossen Durch das Preussische Judenedikt von 1812 wurde den Juden nun auch weitgehend rechtliche Gleichstellung zugebilligt Besonders charakteristisch fur diesen Beginn einer gesellschaftlichen Integration stellt im Fall Warendorfs der Brief des Burgermeisters Johann Caspar Schnosenberg vom 13 Marz 1818 dar indem er von Oberprasident Ludwig von Vincke forderte die Verschmelzung der judischen Nation mit der christlichen Bevolkerung voranzutreiben 6 Eine wichtige Rolle hierfur spielte die von Alexander Haindorf in Munster gegrundete Marks Haindorf Stiftung die auch einige Warendorfer mit Geldspenden unterstutzten Die soziale Stellung der Warendorfer Juden zu Beginn des 19 Jahrhunderts reichte vom wohlhabenden Textilhandler uber Trodler und Hausierer bis hin zu Knechten und Magden Der Grossteil war jedoch in irgendeiner Form im Handel tatig 1833 erreichte die Judische Gemeinde Warendorf mit 99 Mitgliedern ihren zahlenmassigen Hohepunkt Von nun an nahm die Mitgliederzahl stetig ab schwankte jedoch bis 1870 zwischenzeitlich Mit dem am 23 Juli 1847 erlassenen Gesetz uber die Verhaltnisse der Juden erlegte das Konigreich Preussen den Oberprasidien auf die judischen Gemeinschaften in Synagogenbezirke zu gliedern Daher verfugte die Regierung in Munster am 20 Juni 1848 verfugte dass Warendorf Beelen Freckenhorst Harsewinkel und Westkirchen einen Synagogenbezirk mit Sitz in Warendorf bilden sollten 7 Weitere Schritte zur Integration der judischen Gemeinde in die Warendorfer Gesellschaft waren die Annahme fester Nachnamen 1845 Von wachsender gesellschaftlicher Emanzipation zeugen ausserdem judische Schuler auf dem Warendorfer Gymnasium Laurentianum Mitgliedschaften in Gesellschaften oder Vereinen aber auch die Teilnahme judischer Soldaten an Feldzugen So meldete sich ein judischer Warendorfer 1813 14 freiwillig zum Befreiungskrieg ein weiterer nahm am Deutsch Franzosischen Krieg 1870 71 teil Mit Joseph Hertz fiel 1918 ein Gemeindemitglied fur Gott Konig und Vaterland im Ersten Weltkrieg 1897 entstand eine grossere aus Ziegelmauerwerk errichtete Synagoge Nationalsozialismus und Zerstorung der Gemeinde Bearbeiten Mit der Machtergreifung der NSDAP gehorte offener Antisemitismus von nun an zum Alltag Den ersten traurigen Hohepunkt der judenfeindlichen Aktionen der Nationalsozialisten bildete der sogenannte Judenboykott der auch in Warendorf stattfand obwohl er dort nur auf massige Unterstutzung stiess Bis zum September 1938 wurde jedoch samtliche judische Geschafte in Warendorf geschlossen oder arisiert Zu den betroffenen gehorte auch der Viehhandler Hugo Spiegel der Vater von Paul Spiegel Am Abend des 9 Novembers 1938 der Reichspogromnacht begingen die SA und weitere NS Organisationen gewalttatige Ausschreitungen Dabei wurden insgesamt vier Wohnhauser beschadigt sieben Wohnungen nahezu vollstandig zerstort die Fenster der Synagoge zerschlagen und ihr Inneres geschandet Hinzu kam die Zerstorung des alten und des neuen judischen Friedhofs Sechs judische Warendorfer mussten im Krankenhaus behandelt werden In den folgenden Tagen kam es auch zu Hetzen gegen Nichtjuden die sich in den vorausgehenden Monaten mit der judischen Gemeinde solidarisch gezeigt hatten etwa hetzte der Der Sturmer gegen Hermann Stuckenschneider da er im September 1938 an der Beerdigung von Pauline Spiegel auf dem judischen Friedhof teilgenommen hatte 8 Am 11 November verhaftete die Polizei alle mannlichen arbeitsfahigen Juden zwischen 18 und 50 Jahren und internierte sie im Warendorfer Polizeigefangnis In den Prozessen die nach dem Ende des NS Regimes wegen der Vorgange am 9 November gefuhrt wurden kam die These auf dass die Tater im Falle Warendorfs aus Ahlen angereist waren Dies entspricht nach zahlreichen Zeitzeugenaussagen aber nicht dem tatsachlichen Hergang vielmehr gehorten auch Nachbarn der Opfer zu den Tatern der Reichspogromnacht 9 Nach diesen Ereignissen verkaufte die Gemeinde am 15 November die Synagoge und das benachbarte judische Schulhaus Auch Privatleute verausserten nun eilig ihre Wohnhauser zumeist deutlich unter Wert Die Profiteure waren ortsansassige Land oder Gastwirte und die Volksbank Bis 1939 konnten 32 Juden aus Warendorf ins Ausland gelangen zu den haufigsten Auswanderungszielen gehorten Belgien Sudamerika und die USA Die im Ort verbliebenen Juden wurden im November 1941 in einem Judenhaus zusammengepfercht und schliesslich in das Ghetto Riga deportiert Keiner der nach Osten abtransportierten Juden aus Warendorf uberlebte den Holocaust Neubeginn und Gedenken nach 1945 Bearbeiten nbsp Paul Spiegel Bereits im Fruhsommer 1945 kehrte Hugo Spiegel aus dem KZ Dachau nach Warendorf zuruck Dort wurden ihm die Thorarolle sowie einige Gebetbucher die die Schandung der Synagoge im November 1938 uberstanden hatten ubergeben Am judischen Neujahrstag dem 7 September 1945 fand in dem Betsaal der ehemaligen Synagoge der erste judische Gottesdienst im Munsterland nach dem Holocaust statt 5 Neben wenigen Uberlebenden nahmen auch judische Soldaten der British Army und Lokalpolitiker daran teil Im Betraum enthullte der Warendorfer Burgermeister Aloys Zurbonsen eine Gedenktafel in Erinnerung an die Ermordeten die spater in den Besitz der Familie Spiegel uberging und seit 1987 im Eingangsbereich des Rathauses hangt Im Oktober 1946 stellte Hugo Spiegel einen Antrag auf Instandsetzung der Synagoge dem stattgegeben wurde und Kreis und Stadt Warendorf sich die Kosten teilten Ab 1947 traf man sich regelmassig zu Gottesdiensten ab 1949 auch in der wiederaufgebauten Marks Haindorf Stiftung in Munster Bei der verschwindend geringen Zahl von neun Juden im gesamten Kreis Warendorf 1947 konnte ein Gemeindeleben nicht wiedererstehen Hugo Spiegel war zwar Vertreter der Israelitischen Gemeinde Warendorf diese ging aber spatestens ab 1949 in die Judische Gemeinde Munster uber Die ehemalige Synagoge wurde verkauft und fortan als Wohnhaus genutzt Aufgrund zahlreicher Umbauten erinnert heute nicht mehr viel an die ehemalige Funktion des Gebaudes Am 15 November 1970 konnten Burgermeister Hans Kluck und Hugo Spiegel auf dem judischen Friedhof einen Gedenkstein enthullen Seit dem 12 August 1990 erinnert am ehemaligen Standort der Synagoge eine Gedenkstele an das Gemeindezentrum 1999 erfolgte die Benennung einer kleinen Strasse in unmittelbarer Nahe des judischen Friedhofs nach Hugo Spiegel 10 Die Geschichte der Judischen Gemeinde Warendorf geriet im Jahr 2000 durch die Wahl Paul Spiegels zum Prasidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland vorubergehend in den Fokus der Offentlichkeit Zahlreiche Besuche Paul Spiegels in seiner Heimatstadt verstarkten die Auseinandersetzung der Stadt mit der Geschichte der judischen Gemeinde 2002 trat die Stadt Warendorf dem Deutschen Riga Komitee bei um am Zielort der Deportationen an die Opfer zu erinnern Seit 2005 befindet sich im Wald von Bikernieki bei Riga eine Tafel im Gedenken an die Warendorfer Opfer Auch in der israelischen Gedenkstatte Yad Vashem ist der Name Warendorf zu lesen Heute gehoren die Juden im Kreis Warendorf zur Judischen Gemeinde Munster 2002 grundete sich der Arbeitskreis Judisches Leben in Warendorf der regelmassig Veranstaltungen wie thematische Stadtfuhrungen durchfuhrt Das Gebaude der ehemaligen Synagoge ist denkmalgeschutzt und soll nach Planen der Stadt in Zukunft auch einer offentlichen Nutzung zugefuhrt werden 2005 fand im ehemaligen Betsaal eine Gedenkveranstaltung statt Auf dem judischen Friedhof wurde 2006 eine neue Gedenkstele errichtet Seit dem Zuzug judischer Kontingentsfluchtlinge aus den GUS Staaten nach 1990 leben wieder einige Juden in Warendorf Sie gehoren der Judischen Gemeinde Munster an Literatur BearbeitenMatthias M Ester Ortsartikel Warendorf in Historisches Handbuch der judischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Munster hg von Susanne Freund Franz Josef Jakobi und Peter Johanek Munster 2008 S 725 748 Online Fassung der Historischen Kommission fur Westfalen Elfi Pracht Jorns Judisches Kulturerbe in Nordrhein Westfalen Band 4 Regierungsbezirk Munster Beitrage zu den Bau und Kunstdenkmalern von Westfalen Band 1 2 J P Bachem Koln 2002 ISBN 3 7616 1397 0 S 493 504 und 528 533 Meier Schwarz Hrsg Feuer an Dein Heiligtum gelegt Zerstorte Synagogen 1938 Nordrhein Westfalen Bochum 1999 Fussnoten Bearbeiten a b Ester S 725 Ester S 726 Ester S 738 Feuer an dein Heiligtum gelet S 544 a b Elfi Pracht Jorns Judisches Kulturerbe in Nordrhein Westfalen Band 4 Regierungsbezirk Munster J P Bachem Koln 2002 S 8 Ester S 728 Ester S 729 Ester S 731 Ester S 732 Ester S 734 Ehemalige judische Gemeinden im Kreis Warendorf Judische Gemeinde Ahlen Judische Gemeinde Beckum Judische Gemeinde Drensteinfurt Judische Gemeinde Enniger Judische Gemeinde Freckenhorst Judische Gemeinde Oelde Judische Gemeinde Sendenhorst Judische Gemeinde Stromberg Judische Gemeinde Telgte Judische Gemeinde Wadersloh Judische Gemeinde Warendorf Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Judische Gemeinde Warendorf amp oldid 229297750