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Exogamie altgriechisch exō aussen heraus und gamos Hochzeit Aussenheirat bezeichnet in der Ethnosoziologie eine Heiratsregel die Eheschliessungen ausserhalb der eigenen sozialen Gruppe bevorzugt oder vorschreibt der Partner soll beispielsweise aus einer anderen Grossfamilie Abstammungsgruppe Stammesgruppe oder sozialen Schicht kommen 1 Ihr Gegenteil ist die Endogamie bei der innerhalb der eigenen Gruppe geheiratet wird oder werden soll beispielsweise bei der Bintʿamm Heirat im arabischen Kulturraum Beide Regeln grunden auf jeweiligen moralischen religiosen oder rechtlichen Vorstellungen von der eigenen und der anderen Gruppenzugehorigkeit und welchen Gruppen heiratsfahige Personen angehoren In biologischer Hinsicht vermehrt Exogamie die selektiven Gelegenheiten fur evolutionaren Variationenreichtum Inhaltsverzeichnis 1 Formen 2 Entstehung 3 Soziale Funktionen und Folgen eines radikalen Exogamiegebots 4 Beispiele 5 Siehe auch 6 Literatur 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseFormen BearbeitenWie alle Heiratsregeln kann Exogamie als Sollerwartung praferentiell oder als vorgeschriebene Norm praskriptiv wirken 2 Bei einem Exogamiegebot werden Heiraten innerhalb der gleichen Gruppe nicht geduldet und ein Exogamiebruch wird mit dem Ausschluss aus der Gruppe oder sogar dem Tode bestraft so fruher beim Tolai Volk in Papua Neuguinea Solche Heiratsverbote mussen aber unverheirateten Mitgliedern nicht verbieten sexuelle Partnerschaften mit Angehorigen der eigenen Gruppe einzugehen 3 Die Exogamieregel kann grundsatzlich enger oder weiter gefasst sein und sich auf die nahen Verwandten oder auf weiter entfernte Verwandtschaft beziehen beispielsweise den Clan oder eine ortliche Gruppierung siehe auch Anisogamie Heirat ausserhalb der eigenen soziookonomischen Statusgruppe 1 Da fast alle der weltweit erfassten 1300 indigenen Volker und Ethnien 4 der Inzestschranke gegenuber leiblichen Eltern und Geschwistern folgen Mindest Exogamie bezeichnet exogam nicht das ubliche Hinausheiraten aus der eigenen Kernfamilie Exogamie bezieht sich auf grossere Gruppierungen wie beispielsweise Abstammungsgruppen Lineages oder ganze Erblinien Moieties die sich als soziale Einheit verstehen und Heiraten innerhalb ihrer Gemeinschaft nicht erlauben So kann das gegenseitige exogame Heiraten zwischen zwei oder mehreren Gruppen zur Grundlage ihrer Allianzbildung werden die eine weitergehende Zusammenarbeit beinhaltet 5 Fast immer existieren in Gruppen und Gesellschaften gleichzeitig mit exogamen Bestimmungen auch ubergeordnete endogame Heiratsregeln die sich auf ortliche wirtschaftliche politische religiose ethnische oder andere Zugehorigkeiten oder auf Altersgruppen beziehen manchmal auch auf die Abstammung von einem gemeinsamen Vorfahren Kosanguinitat unterschiedlichen Grades Wahrend der Ehepartner nicht aus der eigenen sozialen Untergruppe kommen darf soll er aber grundsatzlich der gleichen Gemeinschaft angehoren beispielsweise auch judischen Glaubens sein oder zur selben Kaste gehoren siehe auch Isogamie Heiraten innerhalb der gleichen Schicht 2 6 Fur die Stellung des Einzelnen ist entscheidend ob die Exogamie durch Matrilinearitat oder Patrilinearitat verwirklicht wird Entstehung BearbeitenDer franzosische Ethnologe Claude Levi Strauss versuchte 1949 in seinen Studien den Zusammenhang zwischen Exogamie und der Vermeidung von Inzest Paarung zwischen Blutsverwandten aufzuweisen Heirat sei eine systematische Form des Austausches zwischen sozialen Gruppen die sich aus dem Inzestverbot entwickelt habe siehe Inzest Wissenschaftliche Erklarungsansatze Die Ausdehnung der ursprunglichen Inzestschranke zwischen Eltern und Kindern und zwischen Geschwistern auf einen grosseren Teil der Verwandtschaft wurde exogames Heiraten ausserhalb der eigenen Gruppe notwendig machen Dies wurde den gegenseitigen Austausch und das Zusammenwirken Kooperation von grosseren uber die eigene Abstammungsgruppe hinausgehenden Gemeinschaften erfordern 1 Das zeigt sich insbesondere in der bei matrilinearen Kulturen weit verbreiteten Kreuzcousinenheirat in Verbindung mit einer symmetrischen Austauschbeziehung bei der eine Gruppe die Zufuhrung einer Frau mit der Abgabe einer anderen an deren Clan oder durch Ringtausch an eine andere auszugleichen hat Die Eheschliessung mit der Kreuzcousine ist eine exogame Heiratsregel weil die Cousine anders als bei der seltenen Parallelcousinenheirat einer anderen sozialen Gruppe zugeordnet ist als ihr Kreuzcousin sie lebt in einer patrilokalen Gesellschaft als Kind der vaterseitigen Tante in einem anderen Clan Die Ableitung der exogamen Heiratsregeln vom Inzestverbot wird in der neueren Ethnosoziologie abgelehnt da Madchen oder Frauen in vielen ethnischen Gesellschaften rechtmassig mit Mannern ihrer eigenen Gruppe sexuell verkehren durfen diese jedoch nicht ihre rechtmassigen Ehepartner werden konnen Exogamieregeln grunden also nicht direkt auf der Inzestschranke welche nur die Wahl von Sexualpartnern betrifft 6 sondern dienen aus ethonsoziologischer Perspektive vor allem sozialen und politischen Zwecken beispielsweise der Allianzbildung 5 Es handelt sich also nicht um eine anthropologische Konstante sondern um eine mehr oder weniger verbindliche soziale Norm die unterschiedliche soziale Funktionen haben und z B durch soziale Lernprozesse entstanden sein kann Demgegenuber argumentierte Edvard Westermarck dass es sich bei der Exogamie nicht um ein soziales oder kulturelles sondern um eine evolutionspsychologische Funktion handle welches die Lernprozesse im jungen Alter prage Sexuelle Anziehung entwickle sich nicht wenn Menschen in grosser Nahe aufgewachsen sind Exogamie biete somit einen Selektionsvorteil durch Vermeidung von Inzucht und Erkrankungen der Nachkommen 7 Damit setzt sich Westermarck dessen Hypothese in einigen empirischen Studien bestatigt wurde von Sigmund Freuds Theorie des Odipuskonflikts ab Die generelle Gultigkeit seiner Erklarung wird jedoch bestritten u a von Eran Shor und Dalit Simachai auf Basis einer empirischen Untersuchung uber Menschen die in israelischen Kibbuzim gemeinsam aufwuchsen 8 Auch Jesse Bering halt 2010 die Exogamie fur eine kulturelle Norm Menschen wurden sexuelle Praferenzen vor allem gegenuber Personen entwickeln die ihren Eltern oder ihnen selbst ahneln 9 Soziale Funktionen und Folgen eines radikalen Exogamiegebots BearbeitenEine soziale Weiterentwicklung von Exogamieregeln in evolutionsgeschichtlich betrachtet relativ kurzer Zeit und ihr Funktionswandel kann anhand ihrer standigen Radikalisierung durch das Christentum im Verlauf von mehr als 1000 Jahren beschrieben werden Von Augustinus Verbot des Inzests uber Ambrosius Verbot der Cousinenheirat das durch Theodosius I bestatigt wurde und den Beschlussen des Konzils von Ephesos im Jahr 431 fuhrte diese Entwicklung bis zu weitreichenden Heiratsverbote fur entfernte Verwandte im Hochmittelalter in immer weiteren Graden und in mehreren Richtungen nicht nur innerhalb der Blutsverwandtschaft sondern auch in der Schwiegerverwandtschaft und innerhalb der geistlichen Verwandtschaft Patenschaft Die neuen Regeln gingen weit uber die biblischen Regeln hinaus Die katholische Kirche zerschlug damit die endogame Familie die zugleich eine Quelle der Akkumulation von Vermogen und Macht war Das diente zunachst der Abgrenzung gegenuber den Juden und starkte die Missionierung durch Nachahmung in Bekanntenkreisen und Netzwerken 10 entwickelte sich aber zu einer expansiven Strategie der Offnung und Sprengung von Verwandtschaftssystemen ganz allgemein Diese Strategie verhinderte erfolgreich eine Selbstbeschrankung der Christen in Richtung der Bildung einer endogamen ethnisch religiosen Gruppe Dadurch wurde der allgemein verbindliche Erlosungsanspruch des Christentums fur alle Menschen im Gegensatz zur Volksbezogenheit des Judentums unterstreichen Parallel zu dieser Entwicklung setzten sich die Erhebung der Ehe zum Sakrament das Postulat ihrer Unauflosbarkeit Monogamie Zolibat Sexualfeindlichkeit Wertschatzung der Virginitat aber auch eine Erhohung der Stellung der Frau in Kirche und Gesellschaft durch die im Marienkult gipfelte Im Jahr 325 wurde Maria als Gottesgebarerin theotokos ausgerufen 11 Spater diente diese Politik der Kirche der Verhinderung der Vermogensubertragung innerhalb der Familien insbesondere der Beschrankung der Macht des Adels fur den europaweit versippten Hochadel waren die Heiratesverbote kaum noch einzuhalten und der Eindammung machtiger Familiennetzwerke also lastiger Konkurrenten Bald gab es kaum noch Menschen die man heiraten konnte um zu erben 12 Die Politik der Ausweitung der Heiratsverbote erreichte ihren Gipfel im 11 Jahrhundert als Heiraten bis zum 7 Grad der Verwandtschaft verboten waren 13 wurde aber teilweise bis in das 18 Jahrhundert fortgesetzt Auch Ehen mit der Witwe des Bruders zwischen Nachkommen eines Urgrossvaters das entspricht der Kosanguinitat dritten Grades oder Kindern von Pateneltern waren noch in der fruhen Neuzeit kirchenrechtlich verboten 14 Beispiele BearbeitenExogam heiratende Volker sind beispielsweise die Nuer und die Lotuko Afrika die Rajputen Indien die Sherpa Himalaya Gebirge die Ainu Japan die Kickapoo Acoma und Absarokee Nordamerika In den vielen ethnischen Gesellschaften in Papua Neuguinea die sich in zwei Halften unterteilen Moiety Systeme dienen diese vorwiegend der Regelung der gegenseitigen exogamen Eheschliessungen Zwischen ihnen ist endogames Heiraten streng verboten der Ehepartner muss bei der anderen Halfte der Gesellschaft gesucht werden beispielsweise bei den Tolai Die in Indien verbreitete Kastenendogamie wird uberlagert von einer extremen Clan Exogamie und Dorf Exogamie der hoheren Kasten sowie von der Hypergamie wobei die Braut einer niedrigeren Subkaste entstammt 15 Siehe auch BearbeitenHomogamie und Heterogamie Partnerwahl nach Gleich Verschiedenartigkeit Eheliche Wohnsitzregeln Residenz Abstammungsregeln Deszendenz TotemismusLiteratur BearbeitenRenate Otto Walter Endogamie Exogamie In Werner Fuchs Heinritz u a Hrsg Lexikon zur Soziologie 4 Auflage Verlag fur Sozialwissenschaften Wiesbaden 2007 ISBN 978 3 531 16602 5 S 161 Exogamy In Encyclopaedia Britannica 11 Auflage Band 10 Evangelical Church Francis Joseph I London 1910 S 79 80 englisch Volltext Wikisource einige Beispiele Weblinks Bearbeiten nbsp Wiktionary exogam Bedeutungserklarungen Wortherkunft Synonyme Ubersetzungen Gabriele Rasuly Paleczek Heiratsformen Heiratsregeln und Gutertransaktionen rund um die Verheiratung PDF 853 kB Nicht mehr online verfugbar In Einfuhrung in die Formen der sozialen Organisation Teil 3 5 Institut fur Kultur und Sozialanthropologie Universitat Wien 2011 S 99 105 archiviert vom Original am 17 Oktober 2013 abgerufen am 10 Oktober 2018 Unterlagen zu ihrer Vorlesung im Sommersemester 2011 Helmut Lukas Vera Schindler Johann Stockinger Exogamie In Interaktives Online Glossar Ehe Heirat und Familie Institut fur Kultur und Sozialanthropologie Universitat Wien 1997 abgerufen am 10 Oktober 2018 vertiefende Anmerkungen mit Quellenangaben Brian Schwimmer Exogamy and Incest Prohibitions In Tutorial Kinship and Social Organization Department of Anthropology University of Manitoba Kanada 2003 abgerufen am 10 Oktober 2018 englisch umfangreiches Verwandtschaftstutorial Einzelnachweise Bearbeiten a b c Gabriele Rasuly Paleczek Exogamie PDF 853 kB Nicht mehr online verfugbar In Einfuhrung in die Formen der sozialen Organisation Teil 3 5 Institut fur Kultur und Sozialanthropologie Universitat Wien 2011 S 103 archiviert vom Original am 17 Oktober 2013 abgerufen am 10 Oktober 2018 Die Exogamie wird bisweilen auch als out marriage bezeichnet Ganz allgemein wird der Begriff Exogamie der von McLENNAN gepragt wurde in der Ethnosoziologie verwendet to designate any kind of out marriage BARNARD SPENCER 1997 S 605 bzw wird unter Exogamie a requirement for marriage outside a particular social group or range of kinship or category vgl KEESING 1975 S 149 Glossar SEYMOUR SMITH 1986 S 107 und BARNARD SPENCER 1997 S 605 verstanden bzw die Exogamie as a practice of obtaining wives from outside one s group vgl HARRIS 1971 S 284 bzw als the oligation to choose a marriage partner outside the close family group siehe BARNARD SPENCER 1997 S 350 definiert a b Gabriele Rasuly Paleczek Endogamie und Exogamie mussen genau spezifiziert werden PDF 853 kB Nicht mehr online verfugbar In Einfuhrung in die Formen der sozialen Organisation Teil 3 5 Institut fur Kultur und Sozialanthropologie Universitat Wien 2011 S 105 archiviert vom Original am 17 Oktober 2013 abgerufen am 10 Oktober 2018 Vielfach bestehen in einer Gesellschaft somit gleichzeitig Endogamie und Exogamieregelungen und jedes Individuum gehort gleichzeitig einer Reihe von endogamen und exogamen Gruppen an vgl HARRIS 1971 S 284 und BARNARD SPENCER 1997 S 350 So z B im indischen Kastensystem wo one must with certain exceptions marry out of one s lineage but within one s caste group there is thus lineage exogamy and caste endogamy WINTHROP 1991 S 175 Lukas Schindler Stockinger Heiratsverbote In Interaktives Online Glossar Ehe Heirat und Familie Universitat Wien 1997 abgerufen am 10 Oktober 2018 Ende 2012 waren im Ethnographic Atlas weltweit genau 1300 Ethnien erfasst von denen oft nur Stichproben ausgewertet wurden beispielsweise im internationalen HRAF Projekt a b Lukas Schindler Stockinger Allianzsystem In Interaktives Online Glossar Ehe Heirat und Familie Universitat Wien 1997 abgerufen am 10 Oktober 2018 Allianzsystem Ein Beziehungssystem das mittels uber mehrere Generationen wiederholte Heiraten zwischen unilinearen Deszendenzgruppen oder anderen Verwandtschaftsgruppen festgesetzte und dauerhafte Heiratsbeziehungen produziert bzw durch diese ausgedruckt wird a b Lukas Schindler Stockinger Exogamie In Interaktives Online Glossar Ehe Heirat und Familie Universitat Wien 1997 abgerufen am 10 Oktober 2018 Edvard Westermarck Recent Theories of Exogamy In The Sociological Review Jahrgang 26 1934 S 22 44 Zuerst wurde die Theorie in Westermarcks Buch The History of Human Marriage 2 Bande London 1891 publiziert Eran Shor Dalit Simchai Incest Avoidance the Incest Taboo and Social Cohesion Revisiting Westermarck and the Case of the Israeli Kibbutzim In American Journal of Sociology Jahrgang 114 Nr 6 2009 ISSN 0002 9602 S 1803 1842 doi 10 1086 597178 Jesse Bering Oedipus Complex 2 0 Like it or not parents shape their children s sexual preferences In Scientific American 17 August 2010 Rodney Stark Der Aufstieg des Christentums Neue Erkenntnisse aus soziologischer Sicht Beltz Athenaum Weinheim 1997 ISBN 3 89547 713 3 S 21 24 Emmanuel Todd Traurige Moderne Eine Geschichte der Menschheit von der Steinzeit bis zum Homo americanus Beck Munchen 2018 ISBN 978 3 406 72475 6 S 137 ff insbesondere S 146 Jack Goody The Development of the Family and Marriage in Europe Cambridge University Press Cambridge u a 1983 ISBN 0 521 24739 X S 45 Jack Goody The Development of the Family and Marriage in Europe Cambridge University Press Cambridge u a 1983 ISBN 0 521 24739 X S 70 Dorett Funcke Bruno Hildenbrand Ursprunge und Kontinuitat der Kernfamilie Einfuhrung in die Familiensoziologie Springer Wiesbaden 2017 ISBN 978 3 658 18441 4 S 85 ff Seitenvorschau in der Google Buchsuche Kerstin Gudermuth Kultur der Liebe in Indien Leidenschaft und Hingabe in Hindu Mythologie und Gegenwart Lit Munster 2003 ISBN 3 8258 6969 5 S 96 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Exogamie amp oldid 237344857