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Die 16 Grundsatze des Stadtebaus waren ab 1950 fur etwa funf Jahre das Leitbild fur den Stadtebau der DDR Sie waren von den Idealvorstellungen der sozialistischen Stadt gepragt und pragten ihrerseits die erste Wiederaufbauphase mit ihrem typischen Stil des sozialistischen Klassizismus Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 1 1 Berlin 1 2 Dresden 1 3 Staatliche Exkursion in die Sowjetunion 1 4 Aufbaugesetz 2 Die Grundsatze im Wortlaut 3 Umsetzung 4 Siehe auch 5 Literatur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseGeschichte BearbeitenBerlin Bearbeiten nbsp Typische Architektur der 1950er Jahre in der Berliner Karl Marx AlleeAm 17 Mai 1945 wurde Hans Scharoun von der sowjetischen Militarregierung zum Stadtbaurat und Leiter der Abteilung Bau und Wohnungswesen des Magistrats ernannt und war in diesem Amt fur die Ausarbeitung eines Wiederaufbaukonzepts fur die stark zerstorte Stadt verantwortlich Mitte 1946 prasentierte er unter dem Titel Berlin plant Erster Bericht den vom Planungskollektiv erstellten sogenannten Kollektivplan der sich an der Charta von Athen orientierte und eine radikale Loslosung vom gewachsenen Grundriss der Stadt vorsah Nach der politischen und administrativen Teilung der Stadt 1948 1949 entwickelten die nun getrennten Planungs und Baubehorden zunachst noch Gesamtberliner Plane ab 1950 aber fur beide Stadthalften eigenstandige stadtebauliche Richtlinien fur den Wiederaufbau 1 Der Kollektivplan wurde von den Ost Berliner Behorden bis 1949 zum Generalaufbauplan weiterentwickelt Dresden Bearbeiten nbsp Ein Ergebnis der 16 Grundsatze des Stadtebaus in einem das Nationale Kulturerbe fortfuhrenden Baustil Haus Altmarkt in Dresden 1953 1956 errichtetAuch andere Stadte standen vor der gleichen Herausforderung In Dresden verfasste der Architekt Kurt W Leucht ehemals Mitarbeiter von Ernst Sagebiel gemeinsam mit dem Gartenarchitekten Johannes Bronder und einem Diplomingenieur das Buch Planungsgrundlagen Planungsergebnisse fur den Neuaufbau der Stadt Dresden die erste Arbeit uber die Planung des Wiederaufbaus einer zerstorten deutschen Stadt In den 1950er Jahren fand die Schwarze Fibel wie das Buch auch genannt wurde in Ost wie West nicht zuletzt fur die Ausbildung von Architekturstudenten Verwendung 2 Staatliche Exkursion in die Sowjetunion Bearbeiten Nach Grundung der DDR am 7 Oktober 1949 entstand unter Leitung von Lothar Bolz das Ministerium fur den Aufbau Am 4 Januar 1950 fand auf Einladung Wilhelm Piecks ein Treffen der Oberburgermeister aller DDR Grossstadte sowie der wichtigsten Architekten des Landes in Berlin zur Beratung eines DDR Baugesetzes statt Es wurde eine Teilnehmerliste von Spitzenfunktionaren der entstehenden Architektur und Bauverwaltung der DDR fur eine Reise nach Moskau Kiew Leningrad und Stalingrad zusammengestellt Ziel der Reise waren Treffen mit sowjetischen Kollegen und Funktionaren zum Kennenlernen des sowjetischen Systems um daraus Grundlagen fur den Wiederaufbau der zerstorten Stadte der DDR zu entwickeln nbsp Die DDR Regierungsdelegation am 12 April 1950 auf dem Schlesischen Bahnhof in Ost Berlin vor ihrer Abreise in die Sowjetunion Von links nach rechts Kurt Walter Leucht Edmund Collein Lothar Bolz Waldemar Alder Walter Piesternick 3 Kurt LiebknechtDie Reise fand vom 12 April bis 25 Mai 1950 statt Teilnehmer waren Kurt Walter Leucht vom stadtischen Planungsamt Dresden Edmund Collein als Leiter des Stadtbauamtes von Ost Berlin Aufbauminister Lothar Bolz Hauptabteilungsleiter Walter Pisternik Waldemar Alder vom Industrieministerium und Kurt Liebknecht Direktor fur Stadtebau und Hochbau im Aufbauministerium 4 Dabei kritisierten die sowjetischen Planer den bisherigen Generalaufbauplan heftig denn es wurden weder sowjetische Beispiele noch die Teilung der Stadt berucksichtigt waren doch DDR Regierungsgebaude noch am Fehrbelliner Platz in West Berlin geplant Weiterhin hatte man sich der Vorwurfe des Formalismus und Kosmopolitismus in Architektur und Stadtebau zu erwehren Dies bedeutete eine endgultige Abkehr von den Prinzipien der Charta von Athen Die Vorgaben seitens der UdSSR fur den zukunftigen Stadtebau mundeten in die 16 Grundsatze des Stadtebaus noch am 28 April 1950 in der Sowjetunion verfasst Einige Passagen basieren sogar wortlich auf Zitaten der sowjetischen Planer Diese forderten insbesondere ein stadtisches Zentrum als politischen Mittelpunkt mit den wichtigsten und monumentalsten Gebauden und Platzen fur politische Demonstrationen und Aufmarsche Die Architektur der einzelnen Bauten aber musse dem Inhalt nach demokratisch und der Form nach national sein Die Architektur verwendet dabei die in den fortschrittlichen Traditionen der Vergangenheit verkorperte Erfahrung des Volkes Was das nicht heissen sollte brachte Walter Ulbricht noch wenige Tage vor dem Ministerratsbeschluss beim III Parteitag der SED auf den Punkt Wir wollen in Berlin keine amerikanischen Kasten und keinen hitlerischen Kasernen stil mehr sehen Am 27 Juli 1950 wurden diese Grundsatze vom Ministerrat der DDR als Grundlage der Aufbauplanung fur die zerstorten Stadte in der DDR verabschiedet Aufbaugesetz Bearbeiten Am 6 September 1950 wurde das Aufbaugesetz verabschiedet in dem die 16 Grundlagen fur die Stadtplanung als verbindlich erklart wurden 5 Neben Berlin hatten die wichtigsten Industriezentren Dresden Leipzig Magdeburg Chemnitz Dessau Rostock Wismar und Nordhausen Vorrang beim Aufbau Diese beiden Dokumente bildeten die Grundlage fur die zukunftige stadtebauliche Entwicklung der DDR Die Grundsatze im Wortlaut Bearbeiten Von der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik am 27 Juli 1950 beschlossen Die Stadtplanung und die architektonische Gestaltung unserer Stadte mussen der gesellschaftlichen Ordnung der Deutschen Demokratischen Republik den fortschrittlichen Traditionen unseres deutschen Volkes sowie den grossen Zielen die dem Aufbau ganz Deutschlands gestellt sind Ausdruck verleihen Dem dienen die folgenden Grundsatze Die Stadt als Siedlungsform ist nicht zufallig entstanden Die Stadt ist die wirtschaftlichste und kulturreichste Siedlungsform fur das Gemeinschaftsleben der Menschen was durch die Erfahrung von Jahrhunderten bewiesen ist Die Stadt ist in Struktur und architektonischer Gestaltung Ausdruck des politischen Lebens und des nationalen Bewusstseins des Volkes Das Ziel des Stadtebaues ist die harmonische Befriedigung des menschlichen Anspruchs auf Arbeit Wohnung Kultur und Erholung Die Grundsatze der Methoden des Stadtebaues fussen auf den naturlichen Gegebenheiten auf den sozialen und wirtschaftlichen Grundlagen des Staates auf den hochsten Errungenschaften von Wissenschaft Technik und Kunst auf den Erfordernissen der Wirtschaftlichkeit und auf der Verwendung der fortschrittlichen Elemente des Kulturerbes des Volkes Stadte an sich entstehen nicht und existieren nicht Die Stadte werden in bedeutendem Umfange von der Industrie fur die Industrie gebaut Das Wachstum der Stadt die Einwohnerzahl und die Flache werden von den stadtebildenden Faktoren bestimmt das heisst von der Industrie den Verwaltungsorganen und den Kulturstatten soweit sie mehr als ortliche Bedeutung haben In der Hauptstadt tritt die Bedeutung der Industrie als stadtebildender Faktor hinter der Bedeutung der Verwaltungsorgane und der Kulturstatten zuruck Die Bestimmung und Bestatigung der stadtebildenden Faktoren ist ausschliesslich Angelegenheit der Regierung Das Wachstum der Stadt muss dem Grundsatz der Zweckmassigkeit untergeordnet werden und sich in bestimmten Grenzen halten Ein ubermassiges Wachstum der Stadt ihrer Bevolkerung und ihrer Flache fuhrt zu schwer zu beseitigenden Verwicklungen ihrer Struktur zu Verwicklungen in der Organisation des Kulturlebens und der taglichen Versorgung der Bevolkerung und zu betriebstechnischen Verwicklungen sowohl in der Tatigkeit wie in der Weiterentwicklung der Industrie Der Stadtplanung zugrunde gelegt werden mussen das Prinzip des Organischen und die Berucksichtigung der historisch entstandenen Struktur der Stadt bei Beseitigung ihrer Mangel Das Zentrum bildet den bestimmenden Kern der Stadt Das Zentrum der Stadt ist der politische Mittelpunkt fur das Leben seiner Bevolkerung Im Zentrum der Stadt liegen die wichtigsten politischen administrativen und kulturellen Statten Auf den Platzen im Stadtzentrum finden die politischen Demonstrationen die Aufmarsche und die Volksfeiern an Festtagen statt Das Zentrum der Stadt wird mit den wichtigsten und monumentalsten Gebauden bebaut beherrscht die architektonische Komposition des Stadtplanes und bestimmt die architektonische Silhouette der Stadt Bei Stadten die an einem Fluss liegen ist eine der Hauptadern und die architektonische Achse der Fluss mit seinen Uferstrassen Der Verkehr hat der Stadt und ihrer Bevolkerung zu dienen Er darf die Stadt nicht zerreissen und der Bevolkerung nicht hinderlich sein Der Durchgangsverkehr ist aus dem Zentrum und dem zentralen Bezirk zu entfernen und ausserhalb seiner Grenzen oder in einem Aussenring um die Stadt zu fuhren Anlagen fur den Guterverkehr auf Eisenbahn und Wasserwegen sind gleichfalls dem zentralen Bezirk der Stadt fernzuhalten Die Bestimmung der Hauptverkehrsstrassen muss die Geschlossenheit und die Ruhe der Wohnbezirke berucksichtigen Bei der Bestimmung der Breite der Hauptverkehrsstrassen ist zu berucksichtigen dass fur den stadtischen Verkehr nicht die Breite der Hauptverkehrsstrassen von entscheidender Bedeutung ist sondern eine Losung der Strassenkreuzungen die den Anforderungen des Verkehrs gerecht wird Das Antlitz der Stadt ihre individuelle kunstlerische Gestalt wird von Platzen Hauptstrassen und den beherrschenden Gebauden im Zentrum der Stadt bestimmt in den grossten Stadten von Hochhausern Die Platze sind die strukturelle Grundlage der Planung der Stadt und ihrer architektonischen Gesamtkomposition Die Wohngebiete bestehen aus Wohnbezirken deren Kern die Bezirkszentren sind In ihnen liegen alle fur die Bevolkerung des Wohnbezirks notwendigen Kultur Versorgungs und Sozialeinrichtungen von bezirklicher Bedeutung Das zweite Glied in der Struktur der Wohngebiete ist der Wohnkomplex der von einer Gruppe von Hauservierteln gebildet wird die von einem fur mehrere Hauserviertel angelegten Garten von Schulen Kindergarten Kinderkrippen und den taglichen Bedurfnissen der Bevolkerung dienenden Versorgungsanlagen vereinigt werden Der stadtische Verkehr darf innerhalb dieser Wohnkomplexe nicht zugelassen werden aber weder die Wohnkomplexe noch die Wohnbezirke durfen in sich abgeschlossene isolierte Gebilde sein Sie hangen in ihrer Struktur und Planung von der Struktur und den Forderungen der Stadt als eines Ganzen ab Die Hauserviertel als drittes Glied haben dabei hauptsachlich die Bedeutung von Komplexen in Planung und Gestaltung Bestimmend fur gesunde und ruhige Lebensverhaltnisse und fur die Versorgung mit Licht und Luft sind nicht allein die Wohndichte und die Himmelsrichtung sondern auch die Entwicklung des Verkehrs Die Stadt in einen Garten zu verwandeln ist unmoglich Selbstverstandlich muss fur ausreichende Begrunung gesorgt werden Aber der Grundsatz ist nicht umzustossen In der Stadt lebt man stadtischer am Stadtrand oder ausserhalb der Stadt lebt man landlicher Die vielgeschossige Bauweise ist wirtschaftlicher als die ein oder zweigeschossige Sie entspricht auch dem Charakter der Grossstadt Die Stadtplanung ist die Grundlage der architektonischen Gestaltung Die zentrale Frage der Stadtplanung und der architektonischen Gestaltung der Stadt ist die Schaffung eines individuellen einmaligen Antlitzes der Stadt Die Architektur verwendet dabei die in den fortschrittlichen Traditionen der Vergangenheit verkorperte Erfahrung des Volkes Fur die Stadtplanung wie fur die architektonische Gestaltung gibt es kein abstraktes Schema Entscheidend ist die Zusammenfassung der wesentlichen Faktoren und Forderungen des Lebens Gleichzeitig mit der Arbeit am Stadtplan und in Ubereinstimmung mit ihm sind fur die Planung und Bebauung bestimmter Stadtteile sowie von Platzen und Hauptstrassen mit den anliegenden Hauservierteln Entwurfe fertigzustellen die in erster Linie durchgefuhrt werden konnen Umsetzung Bearbeiten nbsp Abriss des Berliner SchlossesBereits am 7 September 1950 also einen Tag nach Erlass des Aufbaugesetzes begann der Abriss des beschadigten Berliner Schlosses Geplant war der Bau eines 90 Meter breiten Strassenzuges von der Frankfurter Strasse uber den Alexanderplatz die Konigstrasse heute Rathausstrasse und die Strasse Unter den Linden bis zum Brandenburger Tor Mit der Zentralen Achse sollte eine neue Reprasentations Magistrale zwischen Brandenburger Tor und Alexanderplatz entstehen deren Mittelpunkt als monumentale Hohendominante als Stadtkrone am Marx Engels Platz das zentrale Regierungsgebaude anstelle des Schlosses werden sollte 1 Ab 1951 entstand als erste sozialistische Prachtstrasse der DDR die Stalinallee Der erste Bauabschnitt wurde von 1952 bis 1958 u a nach Planen von Hermann Henselmann realisiert Als die Arbeiten 1960 am Frankfurter Tor abgeschlossen wurden galt der historisierende Stil der Allee als uberholt und wurde beinahe schamhaft ubergangen Weitere Grossprojekte wurden in Dresden am Altmarkt in Leipzig am Rossplatz in Magdeburg an der Ernst Reuter Allee und an der Langen Strasse in Rostock realisiert Die massgeblich von Kurt W Leucht geschaffenen Wohnbauten in Stalinstadt wurden ebenfalls im Rahmen der 16 Grundlagen errichtet Ab 1955 erfolgte eine neue Phase des Stadtebaus in der DDR nachdem die Sowjetunion 1954 neue Direktiven fur die Architektur erlassen hatte die eine starkere Standardisierung unter Verzicht auf teure Reprasentationsbauten forderten Bereits der zweite Bauabschnitt der Stalinallee zwischen Strausberger Platz und Alexanderplatz wurde deshalb in industrieller Plattenbauweise errichtet Siehe auch BearbeitenPlan Voisin von Le Corbusier Charta von Athen CIAM Architektur in der Deutschen Demokratischen Republik Sozialistische Stadt Camillo SitteLiteratur BearbeitenLothar Bolz Von deutschem Bauen Reden und Aufsatze Verlag der Nation Berlin Ost 1951 S 32 52 Leonie Glabau Platze in einem geteilten Land Stadtplatzgestaltungen in der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik von 1945 bis 1990 Verlag Peter Lang Frankfurt 2010 ISBN 978 3 631 61202 6 Weblinks BearbeitenDie 16 Grundsatze des Stadtebaus Bundeszentrale fur politische Bildung Die 16 Grundsatze des Stadtebaus ostmodern 16 Grundsatze des Stadtebaus 1950 Luisenstadtischer Bildungsverein DDR Planungsgeschichte REGIO doc In ddr planungsgeschichte de 5 Juli 2010 abgerufen am 14 Oktober 2023 Einzelnachweise Bearbeiten a b Berlin de Alexanderplatz Planungen 1945 bis 1990 Memento vom 8 Januar 2010 im Internet Archive bei der Senatsverwaltung fur Stadtentwicklung abgerufen am 28 Dezember 2011 Aufbau West Aufbau Ost Deutsches Historisches Museum Abgerufen am 28 Dezember 2011 wahrscheinlich richtig PISTERNIK 1904 Leonie Glabau Platze in einem geteilten Land Stadtplatzgestaltungen in der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik von 1945 bis 1990 Peter Lang Frankfurt 2010 S 123 f Aufbaugesetz DDR 1950 auf Wikisource Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Die 16 Grundsatze des Stadtebaus amp oldid 238155940