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Sozialistische Stadt ist ein Begriff aus der Planungstheorie und der Stadtbaugeschichte zur Bezeichnung des kulturgenetischen Stadttypus des Sozialismus Ausgehend vom Gesellschaftsmodell des Sozialismus schlugen sich bestimmte stadtebauliche Vorstellungen in den Stadten der Sowjetunion sowie des Ostblocks nieder die innerhalb dieser Zeitspanne wechselten Damit steht sie in der Tradition der Idealstadt Hochstrasse in Halle Saale im Hintergrund Halle Neustadt mit HochhausernCharakteristisch ist der Plattenbau im Dresdner Stadtteil Gorbitz Inhaltsverzeichnis 1 Ideologie 2 Umgang mit historischer Bausubstanz 3 Wiederaufbau Erweiterungen Neugrundungen 3 1 1 Wiederaufbau kriegszerstorter Stadtzentren 3 2 2 Satellitenstadte am Rand von Grossstadten 3 3 3 Neue Industrie und Wohnstadte 4 Siehe auch 5 Literatur 6 Einzelnachweise 7 WeblinksIdeologie BearbeitenDie sozialistische Stadtplanung beruhte auf den allgemeinen Prinzipien der stadtebaulichen Moderne deren Leitbilder 1933 in der Charta von Athen festgehalten wurde Diese beinhalteten nicht nur die Ablehnung der dichten grunderzeitlichen Stadt sondern einen radikalen Bruch mit allen stadtebaulichen Traditionen Diese revolutionare Schaffung einer vollig neuen Ordnung entsprach einerseits den zahlreichen idealistischen Utopien der Zwischenkriegszeit und war andererseits auch Ausdruck der Nahe vieler Protagonisten der Moderne zu sozialistischen Ideen Die Ubertragung der sozialistischen Idee auf ein Stadtmodell hatte zwei wichtige ideologische Grundlagen die Abschaffung des privaten Grundeigentums und der sich daraus ergebenden Phanomene wie die Bodenpreisentwicklung nach Marktgesetzen Grundstucksspekulation sowie einzelwirtschaftliche Investitionsentscheidungen die durch Planung zugunsten des Allgemeinwohls ersetzt werden sollten sowie die Uberwindung der Segregation nach sozialem Status also beispielsweise der Existenz von Arbeitervierteln und Stadtteilen fur gehobenes Wohnen Die ubrigen Leitlinien des sozialistischen Stadtebaus entsprachen weitgehend dem weltweiten Planungsverstandnis der Moderne etwa die Schaffung von wohnungsnahen Grunflachen von gesunden Wohnungen fur alle Stadtbewohner die raumliche Trennung der Stadtfunktionen und der Ausbau der Verkehrsachsen Zu den Spezifika wie sie in den 16 Grundsatze des Stadtebaus festgelegt waren gehorte jedoch die pathetische Uberhohung der neuen Gesellschaftsordnung die im Stadtentwurf Ausdruck fand Im Gegensatz etwa zu den nuchternen Stadtzentren des westdeutschen Nachkriegs Wiederaufbaus waren grosse Aufmarschplatze fur Massenveranstaltungen reprasentative Bauwerke der Parteiorgane oder monumentale Denkmaler fur sozialistische Helden wichtige Bestandteile eines sozialistischen Stadtzentrums Wichtige Charakteristika waren zum einen eine zentral gelegene breite Strasse fur Aufmarsche und militarische Paraden z B die Karl Marx Allee fruher Stalinallee in Berlin sowie eine stadtebauliche Hohendominante 1 die von der Sieghaftigkeit des Sozialismus zeugen konnte beispielsweise der Berliner Fernsehturm oder die Hochhauser der Universitaten Leipzig bei Fertigstellung hochstes Gebaude Deutschlands heute City Hochhaus und Jena heute Jentower Umgang mit historischer Bausubstanz Bearbeiten nbsp Zu DDR Zeiten umgestalteter Marktplatz von Sommerda mit sozialistischer WandmalereiDem Leitbild der sozialistischen Stadt liegt eine Bevorzugung neuer Bauwerke zugrunde die den sozialistischen Aufbau reprasentieren sollen Damit ging oft eine Vernachlassigung des historischen Gebaudebestands einher Zum einen waren etwa Altbauwohnungen im Vergleich zu modernen Neubauwohnungen gering geschatzt zum anderen stand der historische Gebaudebestand oft fur eine Zeit und ein Gesellschaftsmodell das als zu uberwinden angesehen wurde Dementsprechend kam es nicht zu einer Pflege der Struktur erhaltener alter Innenstadte sondern oft zu einer bewussten Veranderung Dem lag laut Art 18 der Verfassung der DDR ein eigener Kulturbegriff zugrunde der der sozialistischen Nationalkultur als eine der Grundlagen der sozialistischen Gesellschaft der auch einen wenig rucksichtsvollen Umgang mit nach anderem Kulturbegriff denkmalwerten Bauwerken mit sich brachte wenn sie nicht im Interesse der sozialistischen Gesellschaft durch die zustandigen Staatsorgane zum Denkmal erklart worden sind 3 Denkmalpflegegesetz siehe Denkmalschutz in der DDR Gebaute Symbole der alten Ordnung wie Kirchen Leipzig oder Schlosser Berlin wurden teilweise mutwillig zerstort neue Kirchen wurden selten gebaut Der ideologische Gehalt des Stadtebaus nahm jedoch seit den 1960er Jahren aus okonomischen Grunden immer weiter ab die Vernachlassigung historischer Bausubstanz oder die beruchtigte Plattenbauweise hatten zumindest in den spateren Jahrzehnten eher wirtschaftliche als politische Grunde der Neubau eines Wohngebiets war aufgrund der industriellen Vorfertigung identischer Wohneinheiten preiswerter realisierbar als die aufwendige Sanierung vorhandener Altbauten An einigen touristisch besonders exponierten Orten wurde spatestens in den 1980er Jahren auch in die Erhaltung historischer Bauwerke investiert selbst dann wenn es sich um Monumente burgerlicher Kultur handelte Bekannte Beispiele waren der Wiederaufbau der Dresdner Semperoper oder des Berliner Doms In benachbarten sozialistischen Staaten wie in der CSSR oder Polen begann dies sogar noch fruher bekannt ist hier vor allem die Rekonstruktion burgerlicher Altstadte etwa der Warschauer oder der Danziger Altstadt Wiederaufbau Erweiterungen Neugrundungen BearbeitenWahrend in der Sowjetunion schon kurz nach der Oktoberrevolution mit dem Bau vollig neuer Stadte begonnen wurde blieben Neugrundungen in den anderen sozialistischen Landern Osteuropas eine Ausnahme In den kriegszerstorten Stadten der DDR Polens und der westlichen UdSSR stand der Wiederaufbau nach den neuen Prinzipien im Vordergrund Ab den 60er Jahren wurden in kleinerem Rahmen in neu errichteten Industriezentren Wohnstadte geschaffen die sich aber nicht wesentlich von den am Rand grosser Stadte entstehenden Trabantenstadten unterschieden die wiederum keine spezifisch osteuropaische Erscheinung waren Lediglich bestimmte Einrichtungen wie etwa die zahlreichen Kulturhauser lassen sich hier als Unterschied zu westeuropaischen Siedlungen der gleichen Epoche nennen Unter den sozialistischen Stadten lassen sich deshalb drei Typen unterscheiden 1 Wiederaufbau kriegszerstorter Stadtzentren Bearbeiten Stadte uber 200 000 Einwohner nbsp Frankfurter Tor aus den 1950ern Blick uber die Karl Marx Allee zum Berliner Fernsehturm von 1969 2005 Ost Berlin neoklassizistische Stalinallee 50er Jahre modernistischer Zentraler Bereich zwischen Marx Engels Platz und Alexanderplatz 60er bis 80er Jahre Warschau die im Zweiten Weltkrieg fast vollig zerstorte Millionenstadt wurde weitgehend nach modernen Kriterien wiederaufgebaut Minsk die im Zweiten Weltkrieg zerstorte Stadt wurde mit einem Zentrum im Stile des sozialistischen Realismus wiederaufgebaut und erfuhr uber die Grundung des Traktoren und des Lastkraftwagenwerks einen Bevolkerungsboom Leipzig Ringbebauung 1950er Jahre Karl Marx Platz zentrale Universitats und Messehochhauser 60er 70er Jahre Dresden Einkaufsstrasse Prager Strasse als sozialistische Variante einer innerstadtischen Fussgangerzone Chemnitz mittlerweile denkmalgeschutztes sozialistisches Stadtzentrum Magdeburg Neuaufbau des Stadtzentrums entlang des Breiten Wegs Rostock Lange Strasse denkmalgeschutzt Erfurt und Halle waren die beiden einzigen Grossstadte der DDR die nach dem Krieg nur geringe Zerstorungen aufwiesen Hier forcierte man den Ausbau breiter Strassenschneisen in den Innenstadten In Halle ist dies die Hochstrasse Magistrale mit dem Riebeckplatz in Erfurt der Juri Gagarin Ring Stadte unter 200 000 Einwohner Cottbus Neugestaltung der Karl Liebknecht Strasse in den 60er und 70er Jahren und ausgedehnter Wohnungsbau im Zusammenhang mit umliegenden Braunkohle Kombinaten 1950 60 000 Einwohner 1989 130 000 Einwohner Gera Abriss von Teilen der westlichen Innenstadt zur Errichtung von Wohnhochhausern und Verwaltungsbauten Jena Abriss der Altstadt auf dem Eichplatz und Errichtung des Universitatshochhauses Dessau weitgehender Neuaufbau der kriegszerstorten Innenstadt nbsp Neubauten im Zentrum Neubrandenburgs Mecklenburg 1959 Ein grosser Teil der zerstorten Altstadt wurde in den 1950ern im Stil des sozialistischen Klassizismus neu bebaut mit Zitaten von Baudetails der barocken und klassizistischen Vorkriegsbebauung Neubrandenburg Neuaufbau der kriegszerstorten Stadt und paralleler Ausbau zur Bezirksstadt 1950 20 000 Einwohner 1990 80 000 Einwohner Frankfurt Oder weitgehender Neuaufbau der kriegszerstorten Innenstadt Suhl stellt einen Sonderfall dar Die Stadt wurde zwar im Krieg nicht zerstort jedoch wurde die historische Altstadt um 1970 weitgehend abgerissen und durch Neubauten ersetzt Da Suhl zur Bezirksstadt erhoben wurde wurde dort auch der Wohnungsbau forciert vergleichbar mit Neubrandenburg und Cottbus um die Einwohnerzahl zu erhohen Nordhausen Neubau des Stadtzentrums nach Zerstorung im Krieg Halberstadt Neubau des Stadtzentrums nach Zerstorung im Krieg nbsp Eilenburg Sachsen Bebauung des nordlichen Marktplatzes gegenuber dem Rathaus in kleinteiliger altstadtischer Ausfuhrung aus den 1950ernEilenburg Neubau des Stadtzentrums in den 1950er Jahren Merseburg stark im Krieg zerstort Der noch erhaltene Teil der sudlichen Altstadt wurde ab 1968 abgerissen und durch die sozialistische Rekonstruktion ersetzt Dabei wurde das mittelalterliche Stadtbild komplett verandert 2 2 Satellitenstadte am Rand von Grossstadten Bearbeiten Plattenbau Satellitenstadte entstanden am Rande aller Mittel und Grossstadte der DDR Die grosste dieser Satellitenstadte befindet sich im Nordosten Berlins in den aneinandergrenzenden Stadtteilen Hohenschonhausen Marzahn und Hellersdorf und hatte zeitweise uber 300 000 Einwohner Eine Liste weiterer Satellitenstadte der ehemaligen DDR findet sich im Artikel Grosswohnsiedlung 3 Neue Industrie und Wohnstadte Bearbeiten Komplett neu errichtete Arbeits und Wohnstadte Planstadte meist in Nachbarschaft bestehender Kleinstadte Eisenhuttenstadt 1930 6 000 Einwohner 1990 50 000 Einwohner Eisenhuttenstadt entstand ab 1950 unter dem Namen Stalinstadt als erste sozialistische Stadt Deutschlands nahe der Kleinstadt Furstenberg Oder und kann als einzige echte sozialistische Stadtgrundung in Deutschland angesehen werden Schwedt Bezirk Frankfurt Oder DDR 60er Jahre Halle Neustadt Bezirk Halle DDR 1964 Wolfen Nord Bezirk Halle DDR fur die Chemiearbeiter des Chemiekombinat Bitterfeld der Filmfabrik Wolfen ORWO des Elektrochemischen Kombinat Bitterfeld u a Hoyerswerda Bezirk Cottbus DDR 50er 60er Jahre Nowa Huta bei Krakau in Polen ist die grosste Neugrundung im ostlichen Mitteleuropa die grossen Achsen der Stadt laufen als Zitat des barocken Versailles auf einem zentralen Platz zusammen an dem jedoch kein Schloss sondern ein niemals vollendetes Stahlwerk steht Dimitrowgrad in Bulgarien wurde per Dekret am 2 September 1947 als sozialistische Modellstadt gegrundet und bis 1950 aufgebaut Dunaujvaros in Ungarn 1949 wurde aus einem Landstadtchen mit ca 4 000 Einwohnern eine Arbeiterwohnstadt fur das Eisenhuttenkombinat in Dunapentele erbaut bis 1961 trug sie den Namen Sztalinvaros Havirov in der damaligen Tschechoslowakei die Stadt wurde nach dem 2 Weltkrieg aus mehreren kleinen Ortschaften zusammengestellt und bekam 1955 das Stadtrecht ab 1946 wurde grosse Wohnsiedlungen fur die ansassige Steinkohleindustrie gebaut Ausbau bestehender Kleinstadte fur neue Industriezentren Lauchhammer Braunkohle Hoyerswerda 1930 5 000 Einwohner 1990 60 000 Einwohner Weisswasser 1930 12 000 Einwohner 1990 40 000 Einwohner Leinefelde 1930 2 000 Einwohner 1990 20 000 Einwohner Eichsfeldplan Siehe auch BearbeitenPlanstadt TrabantenstadtLiteratur BearbeitenFrank Betker Die sozialistische Stadt in der DDR zentral geplant ortlich entworfen plattengerecht gebaut Reihe Dokumente und Schriften der Europaischen Akademie Otzenhausen In Heiner Timmermann Hrsg Das war die DDR DDR Forschung im Fadenkreuz von Herrschaft Kultur politischem System Geschichtsforschung Wirtschaft und Aussenpolitik Band 128 Lit Munster 2004 ISBN 978 3 8258 8167 2 S 97 114 Frank Betker Einsicht in die Notwendigkeit Kommunale Stadtplanung in der DDR und nach der Wende 1945 1994 Stadtgeschichte Reihe Beitrage zur Stadtgeschichte und Urbanisierungsforschung Band 3 Steiner Stuttgart 2005 ISBN 978 3 515 08734 6 Thomas M Bohn Minsk Musterstadt des Sozialismus Stadtplanung und Urbanisierung in der Sowjetunion nach 1945 Industrielle Welt Schriftenreihe des Arbeitskreises fur moderne Sozialgeschichte 74 Bohlau Koln Weimar Wien 2008 ISBN 978 3 412 20071 8 Burkhard Hofmeister Stadtgeographie Das Geographische Seminar 7 Auflage Westermann Braunschweig 1999 ISBN 3 14 160298 0 Henning Buchler Ingo Zasada Modernes Erbe Perspektiven des denkmalpflegerischen Umgangs mit den Zeugnissen des sozialistischen Stadtebaus am Beispiel Aktau Kasachstan ISR Graue Reihe Heft 15 Institut fur Stadt und Regionalplanung TU Berlin 2008 ISBN 978 3 7983 2092 5 Volltext Marina Dmitrieva Alfrun Kliems Hrsg The Post Socialist City Continuity and Change in Urban Space and Imagery JOVIS Verlag Berlin 2010 ISBN 978 3 86859 018 0 Sandra Keltsch Stadterneuerung und stadtebauliche Denkmalpflege in der DDR zwischen 1970 und 1990 Dargestellt an der Entwicklung von Denkmalstadten in Sachsen Anhalt Dissertation TU Leipzig Leipzig 2010 Digitalisat Einzelnachweise Bearbeiten Lothar Heinke Einsame Spitze Berlins schonster Aussichtspunkt wird 40 In Der Tagesspiegel 27 September 2009 S 13 Geschichte Fotoband zeigt Merseburg im Wandel der Zeiten In Mitteldeutsche Zeitung vom 4 Dezember 2013 abgerufen am 7 Juli 2021Weblinks BearbeitenInfoblatt des Klett Verlags uber die sozialistische Stadt Diese Stadt das war doch Sozialismus Eisenhuttenstadt Ein Gemeinwesen im Wandel Neuere Forschungen zur Bau und Planungsgeschichte der DDR Stadte im Sozialismus Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Sozialistische Stadt amp oldid 235106690