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Unter dem Titel Antisemitismus und Sozialdemokratie hielt August Bebel am 27 Oktober 1893 auf dem Kolner Parteitag der Sozialdemokratischen Partei ein Grundsatzreferat zur Stellung der Partei dem Antisemitismus gegenuber Der Parteitag nahm bei dieser Gelegenheit eine Resolution zum Thema an die schon auf dem vorherigen Parteitag 1892 in ahnlicher Form verabschiedet worden war Auf Wunsch verschiedener Delegierter wurde die Rede August Bebels in uberarbeiteter Form als Broschure herausgebracht August Bebel 1898Das Referat stellt die erste offizielle Auseinandersetzung der Sozialdemokraten mit dem seit Mitte der 1870er Jahre wachsenden Antisemitismus dar Bebel nennt als einen Grund fur sein Referat dass uber die Bedeutung dieser Bewegung in unseren eigenen Kreisen eine gewisse Unklarheit herrscht 1 Er sucht den Antisemitismus aus religiosen okonomischen und sozialen sowie rassischen Grunden zu erklaren Auch wenn die Antisemiten reaktionare Ziele verfolgten so wurden sie zum Sozialismus gedrangt und so wider Willen zu Wegbereitern der Sozialdemokratie Inhaltsverzeichnis 1 Vorgeschichte 1 1 Erste Welle des Antisemitismus im Kaiserreich Mitte der 1870er bis Anfang der 1880er Jahre 1 2 Zweite Welle des Antisemitismus im Kaiserreich ab Ende der 1880er Jahre 2 Inhalt 2 1 Begrundung fur das Referat 2 2 Historischer Exkurs uber den Antisemitismus in der Geschichte 2 3 Erklarung der antisemitischen Bewegung im Kaiserreich 2 4 Aktuelle Entwicklung und Prognose 3 Resolution des Parteitags 4 Rezeption 5 Literatur 6 EinzelnachweiseVorgeschichte BearbeitenErste Welle des Antisemitismus im Kaiserreich Mitte der 1870er bis Anfang der 1880er Jahre Bearbeiten nbsp 1891 illustriert das sozialdemokratische Witzblatt Der Wahre Jacob zustimmend die von den Antisemiten ausgegebene Parole Wider Junker und Juden 2 Ab Mitte der 1870er Jahre kam es zu wachsendem Antisemitismus in Deutschland mit Artikeln in der dem katholischen Zentrum nahestehenden Zeitung Germania Salonfahig wurde dies 1879 als Heinrich von Treitschke seinen Aufsatz Unsere Aussichten in den Preussischen Jahrbuchern veroffentlichte siehe Berliner Antisemitismusstreit und sich der Hofprediger Adolf Stoecker mit seiner Christlich sozialen Partei auf die Judenhetze verlegte Widerstand dagegen leisteten Vertreter der Deutschen Fortschrittspartei sowie des linken Flugels der Nationalliberalen die sich 1880 als Liberale Vereinigung abspalteten siehe hierzu Schmach fur Deutschland Notabeln Erklarung Interpellation Hanel Wahrend des Wahlkampfes fur die Reichstagswahl 1881 formierte sich eine Allianz aus Konservativen und Antisemiten als Berliner Bewegung die versuchte die Fortschrittspartei aus der Hauptstadt hinauszudrangen Als die Berliner Bewegung bei der Wahl eine vernichtende Niederlage gegen die Fortschrittspartei erlitt ebbte die antisemitische Bewegung wieder etwas ab Bei einer Beleidigungsklage die Adolph Stocker gegen die Freie Zeitung angestrengt hatte wurden dem Hofprediger verschiedene unwahre Behauptungen nachgewiesen was beispielsweise von Eugen Richter in der Schrift Zeuge Stocker ein Zeitbild aus dem Jahre 1885 an die Offentlichkeit gebracht wurde 3 Unter dem offentlichen Druck wurde Stocker dann 1887 als Hofprediger abgesetzt und erhielt die Auflage sich nicht weiter zu politischen Fragen zu aussern Die Haltung der Sozialdemokraten in dieser Phase war uneinheitlich Wahrend sich sozialdemokratische und fortschrittliche Arbeiter am 11 Januar 1881 bei einer Versammlung in den Reichshallen zusammenfanden und gemeinsam die antisemitische Bewegung als Demokraten verurteilten 4 gab es auch Annaherungsversuche an die Antisemiten So veroffentlichte der vormalige Parteivorsitzende der SPD Wilhelm Hasenclever 1881 unter dem Pseudonym Wilhelm Revel das Buch Der Wahrheit die Ehre Ein Beitrag zur Judenfrage in Deutschland in dem er zwar die Antisemiten kritisierte aber deren Thesen wohlwollend aufnahm 5 Im Parteiorgan Der Sozialdemokrat wurden demonstrativ antijudische Passagen der Fruhschrift von Karl Marx Zur Judenfrage nachgedruckt um zu zeigen dass die SPD hier keiner Nachhilfe durch die Antisemiten bedurfte 6 Als die Antisemiten den Sozialdemokraten ein Angebot unterbreiteten sie bei der Aufhebung des Sozialistengesetzes zu unterstutzen wenn sie auf eine revolutionare Umgestaltung verzichteten kam es zu Verhandlungen die von der Parteileitung dann aber zugunsten einer neutralen Haltung im Kampf zwischen Fortschrittspartei und Antisemiten abgebrochen wurden Ruckblickend rechtfertigte der sozialdemokratische Parteihistoriker Franz Mehring im Jahr 1913 diese Haltung mit den Worten 7 In dem sie die SPD den falschen Bruder Sozialismus den Bismarckschen Staatssozialismus abwies durfte sie sich nicht von dem falschen Bruder Manchestermann der Deutschen Fortschrittspartei umgarnen lassen Selbst in dem antisemitisch philosemitischen Froschmausekriege worin die Arbeiter noch am ehesten neutral bleiben konnten nahmen sie sofort eine entschiedene und klare Stellung uber den Parteien Sie hatten nicht den geringsten Anlass sich fur das Geldjudentum zu begeistern aber durften sie sich deshalb von der christlich germanischen Schachererpolitik betoren lassen die nichts als das Geldjudentum in hochster Potenz war und von Stocker durch dick und dunn verteidigt wurde Zweite Welle des Antisemitismus im Kaiserreich ab Ende der 1880er Jahre Bearbeiten Nach der Kaltstellung Stockers trat mit Otto Bockel und Hermann Ahlwardt Ende der 1880er Jahre eine neue Generation von Antisemiten auf den Plan die zunehmend auch den Konservativen gegenuber kritische Positionen einnahm Dies kam in der Parole Wider Juden und Junker zum Ausdruck Bei Nachwahlen und der allgemeinen Wahl 1890 konnten die Antisemiten funf Mandate in Hessen Nassau und dem Grossherzogtum Hessen gewinnen Wieder kam der Widerstand aus den Reihen der Deutschen Freisinnigen Partei der Fusion der Fortschrittspartei mit der Liberalen Vereinigung So war Heinrich Rickert massgeblich an der Grundung 1890 des Vereins zur Abwehr des Antisemitismus beteiligt Zusammen mit Eugen Richter stellte er Hermann Ahlwardt im Reichstag bei dessen unbelegten Behauptungen 8 Flankiert wurde dies von der Pressearbeit beispielsweise in der Freisinnigen Zeitung die ausfuhrlich uber die antisemitischen Verleumdungen berichtete und in Leitartikeln wie Nieder mit den Antisemiten Stellung bezog 9 Die Haltung der Sozialdemokraten war hingegen unklar 1891 und 1892 illustrierte das sozialdemokratische Witzblatt Der Wahre Jacob wiederholt die Parole Wider Junker und Juden zustimmend auf seiner Titelseite und in weiteren Beitragen 10 Im Jahr 1892 wurde zwar auf dem Parteitag eine Resolution gegen den Antisemitismus angenommen aber eine offene Diskussion vermieden weil ein Hervortreten der unterschiedlichen Meinungen befurchtet wurde August Bebel suchte den Kontakt zu Hermann Ahlwardt war aber von dessen Personlichkeit enttauscht 11 Als Ahlwardt im Reichstag eine Kommission beantragen wollte die seine Vorwurfe prufen sollte aber dazu uber zu wenige Abgeordnete verfugte wurde er darin von fuhrenden Sozialdemokraten unterstutzt unter ihnen auch August Bebel 12 Bei den Reichstagswahlen im Juni 1893 konnten die Antisemiten weitere Mandate auch in anderen Landesteilen Brandenburg Pommern und vor allem Sachsen hinzugewinnen und erreichten nun eine Starke von 16 Abgeordneten im Deutschen Reichstag Inhalt Bearbeiten Zusammenfassung nach dem Protokoll uber die Verhandlungen des Parteitags der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands abgehalten zu Koln a Rh vom 22 bis 28 Oktober 1893 Verlag der Expedition des Vorwarts Berliner Tageblatt Berlin 1893 S 223 ff Zwischentitel nicht im Original nur zur Gliederung Das Referat wurde spater uberarbeitet wobei es zu teilweise wesentlichen Veranderungen kam Begrundung fur das Referat Bearbeiten Nach Ansicht von August Bebel ist der Antisemitismus an sich nicht neu sondern nur dass er als politische Bewegung auftritt Bei den Sozialdemokraten herrsche eine gewisse Unklarheit Die antisemitische Bewegung werde als Produkt von Schlagworten abgetan Das sei falsch weil sie Widerhall in den Massen habe und deshalb mussten die Uebel welche jene Erscheinung erzeugten erkannt und beseitigt werden Die Sozialdemokraten konnten dies leisten Historischer Exkurs uber den Antisemitismus in der Geschichte Bearbeiten In der Geschichte sei der Antisemitismus hauptsachlich als Rassengegensatz entstanden Es handelt sich eben um zwei in ihrem Charakter und ihrem ganzen Wesen grundverschiedene Rassen deren Grundverschiedenheit durch 2000 Jahre hindurch bis heute aufrechterhalten worden ist Wahrend Juden ursprunglich in Landwirtschaft und Gewerbe tatig gewesen seien und in Osteuropa je nachdem immer noch wurden die christlichen Arbeiter im christlichen Europa von christlichen und judischen Ausbeutern ausgebeutet Dies geschehe hauptsachlich durch den Handel fur den die semitische Rasse unzweifelhaft stets eine grosse naturliche Anlage besessen habe Dass die Juden an ihrer Physiognomie zu erkennen seien Bebel spielt zur Heiterkeit des Publikums auf die Hakennase ein aus antisemitischer Sicht vermeintlich judisches Attribut an begunstige die Rassenfeindseligkeit Hinzu seien religiose Motive gekommen namlich der tiefe Hass der Juden gegen die Christen und der Vorwurf des Kreuzestodes Christi den die Juden veranlassten Die Juden seien im Mittelalter durch die weltlichen Fursten zu Wucherern gemacht worden Sie seien aus rassischen und religiosen Grunden verfolgt worden aber auch um sie auszurauben Scheinbar mit Recht werfen die Antisemiten den Juden vor dass sie eine den Germanen besonders feindselige Rasse seien mit besonders unangenehmen Rasseneigenthumlichkeiten Das sei aber auch die Folge der Verfolgung der Juden im Mittelalter Und dieser tausendjahrige Druck hat ausserordentlich den engen Zusammenschluss unter ihnen gefordert Ich gestehe ich kann eine gewisse Bewunderung nicht unterdrucken fur eine Rasse die trotz all dieser furchtbaren Verfolgungen sich dennoch in ihrer Art weiter entwickelt und selbstandig aufrecht erhalten hat eine Erscheinung die ausser bei den Juden nur noch bei einem Volke in der Geschichte den Zigeunern sich zeigte Heiterkeit Im 19 Jahrhundert sei es dann schrittweise und mit Rucksetzern zu einer Gleichberechtigung der Juden gekommen Die Geschichte zeige dass eine Verfolgung und rechtliche Zurucksetzung der Juden wirkungslos sei Hat nun die tausendjahrige Gesetzgebung gegen die Juden und ihre bestandige Massregelung nicht erreicht was sie erreichen sollte so musste dies fur die Judenfeinde ein Beweis sein dass ihre Bestrebungen nicht durchfuhrbar sind selbst wenn sie einmal zur Macht gelangen sollten woran gar nicht zu denken ist Erklarung der antisemitischen Bewegung im Kaiserreich Bearbeiten August Bebel wendet sich dann der Analyse der antisemitischen Bewegung im Kaiserreich zu Die Juden hatten als handeltreibende und kapitalkraftige Leute in der Grunderzeit bei der Grundung von Riesenunternehmen im Vordergrund gestanden Viele judische Kapitalmagnaten haben entweder personlich oder durch ihre letzten Vorfahren durch diese Art Schacher die Grundlage fur ihre heutige Stellung geschaffen Handwerker und Handeltreibende hatten mit dem grossen Krach von 1873 einen unaufhaltsamen Abstieg begonnen Alle diese Umstande in Verbindung mit den erwahnten Stammeseigenthumlichkeiten der Juden hatten dafur gesorgt dass der Antisemitismus zuerst in diesen Kreisen aufgekommen sei gegen den Juden als Konkurrenten Die Juden beherrschten fast alle Wirtschaftszweige so eine grosse Anzahl von Handelszweigen insbesondere den Handel mit Agrarprodukten Fur die Bauern die ebenfalls unaufhaltsam abstiegen sei Kapitalist und Jude dasselbe Wenn heute der Bauer seine Produkte verkauft Kartoffeln Getreide Hopfen Tabak Wein wer sind die Kaufer Juden Wer leiht ihm die Kapitalien wer kauft und verkauft sein Vieh Juden Da mussen denn antisemitische Erscheinungen zu Tage treten Die Bauern wurden auf die Schlagworte der antisemitischen Demagogen hereinfallen wahrend die Sozialdemokraten im bestehenden System keine Hoffnungen machen konnten Ahnlich liege es bei Gewerbe und Industrie Die fabrikmassige Schuhmacherei die Schneiderei der Handel mit Kleidern neuen und alten die Tuchfabriken etc liegen mehr oder weniger in den Handen von Juden Der Jude der als Grosshandeltreibender eine Menge kleiner Handwerker beschaftigt der als Kapitalist en gros als Ausbeuter auch auf diesem Gebiete auftritt muss naturlich auch unter seinen Konkurrenten den Antisemitismus hervorrufen Auch bei Staatsauftragen Bebel aussert dies im Kontext der Vorwurfe Hermann Ahlwardts gegen die Firma Lowe wegen der Judenflinten kamen hauptsachlich die Juden zum Zug Wer kann allein billig rasch und massenhaft liefern wer vermag das Rohmaterial billig einzukaufen weil er das Kapital in Masse zur Verfugung hat Es sind oft genug nur Juden Sie bekommen naturlich die Lieferungen ubertragen Beamte und Offiziere verschuldeten sich beim Wucherer beim Halsabschneider zu Wucherzinsen Die Wucherer sind aber wieder zum grossen Theile Juden Sie betatigten sich als das was von den Antisemiten Guterschlachter genannt wird wobei Bebel den Begriff selbst nicht benutzt Erst borgt der Jude dann tritt er als Kaufer der Ritterguter auf oft wird er selbst Besitzer und vermehrt so die Grunde dass der Feudaladel sich im antisemitischen Lager befindet Der Antisemitismus unter den Studenten sei durch eine Uberproduktion von Akademikern zu erklaren die die oft fleissigere judische Konkurrenz furchteten So gebe es mittlerweile kaum noch Stellen fur Pfarrer Aktuelle Entwicklung und Prognose Bearbeiten August Bebel analysiert dann die aktuelle Lage und macht Vorhersagen Die Antisemiten seien in Sachsen mit einer sehr niedrigen judischen Bevolkerung erfolgreich gewesen weil es nur darauf ankomme ob er der Jude sich als unangenehmer Konkurrent bemerkbar macht Die Konservativen hatten ausserdem in Sachsen versagt und die Antisemiten konnten Kleinburger ansprechen fur die es keine demokratische Partei gebe sondern die vom Liberalismus als Reprasentant der Bourgeoisie in ihren Bann gezwungen wurden Je schlimmer der Existenzkampf der Mittelschichten werde desto starker werde der Zulauf zu den Antisemiten sein Wir kommen bei diesen Schichten erst an die Reihe wenn der Antisemitismus abgewirthschaftet hat wenn sie durch die Erfahrung durch das Verhalten ihrer antisemitischen Vertreter im Reichstage und anderwarts erkennen dass sie getauscht wurden Dann kommt die Stunde unsrer Ernte fruher nicht Sehr richtig Die Antisemiten seien namlich gar nicht so konsequent gegen Juden wie sie behaupteten was Bebel anhand eines Beispiels eines Antisemiten erlautert der von Sozialdemokraten uberfuhrt wurde bei einem Juden gekauft zu haben Das antisemitische Programm sei zu einem grossen Teil reaktionar aber enthalte bereits manche mit unserem Programm ubereinstimmende Forderungen So sei die Forderung die Grundschulden zu verstaatlichen auch schon im Kommunistischen Manifest erhoben worden allerdings nur von den Sozialisten im richtigen Sinne Damit arbeite der Antisemitismus der Sozialdemokratie vor In seinem Kampfe um die Herrschaft wird der Antisemitismus genothigt werden wider Willen uber sein eigenes Ziel hinauszuschiessen wie es sich schon jetzt bei Herrn Ahlwardt bewiesen hat der erst Arm in Arm mit dem Junkerthum in den Kampf trat und alltmahlig durch die Stimmung seiner Wahler genothigt wurde die Parole auszugeben Wider Juden und Junker Auch fur die hessische Bewegung ist es nicht mehr ausreichend gegen die Juden allein loszugehen sie muss sich bereits gegen das Kapital uberhaupt wenden ist erst dieser Moment da dann kommt auch der Zeitpunkt wo unsere Anschauungen auf fruchtbaren Boden fallen und wo wir den Anhang gewinnen werden den wir augenblicklich noch vergebens erstreben Vieles im Programm der Antisemiten sei Demagogie Aus der Geschichte sei aber klar dass eine Verfolgung der Juden keinen Erfolg verspreche Dabei unterstutzt August Bebel die von den Antisemiten verbreitete aber sachlich falsche und von Salomon Neumann schon seit Jahren widerlegte Behauptung die judische Bevolkerung wachse rasant Endlich wird gefordert Aufhebung der Judenemanzipation und Stellung der Juden unter ein Fremdenrecht Damit wird man nach den im Mittelalter gemachten Erfahrungen nicht weit kommen denn in dem Punkte der Mahnung Seid fruchtbar und mehret Euch wie Sand am Meer haben die Juden das Gebot ihrer Vater streng befolgt und befolgen es noch Heiterkeit August Bebel zieht dann das Fazit seiner Ausfuhrungen Kurz dieses mixtum compositum von einem Programm entspricht ganz der widerspruchsvollen Natur des Antisemitismus Was ich Ihnen uber die Wahrscheinlichkeit seiner weitern Ausbreitung ja uber die Nothwendigkeit derselben gesagt habe fuhrt dazu dass er schliesslich wider Willen revolutionar werden muss hier haben alsdann wir die Sozialdemokratie einzusetzen Resolution des Parteitags BearbeitenDie von August Bebel zu Beginn seines Referats verlesene Resolution wurde im Anschluss angenommen Sie lautete Der Antisemitismus entspringt der Missstimmung gewisser burgerlicher Schichten die sich durch die kapitalistische Entwicklung bedruckt finden und zum Theil durch diese Entwicklung dem wirthschaftlichen Untergang geweiht sind aber in Verkennung der eigentlichen Ursache ihrer Lage den Kampf nicht gegen das kapitalistische Wirthschaftssystem sondern gegen eine in demselben hervortretende Erscheinung richten die ihnen im Konkurrenzkampfe unbequem wird gegen das judische Ausbeuterthum Dieser sein Ursprung zwingt den Antisemitismus zu Forderungen die ebenso mit den wirthschaftlichen wie politischen Entwicklungsgesetzen der burgerlichen Gesellschaft in Widerspruch stehen also fortschrittsfeindlich sind Daher auch die Unterstutzung die der Antisemitismus vorzugsweise bei Junkern und Pfaffen findet Der einseitige Kampf des Antisemitismus gegen das judische Ausbeuterthum muss nothwendig erfolglos sein weil die Ausbeutung der Menschen durch den Menschen keine speziell judische sondern eine der burgerlichen Gesellschaft eigenthumliche Erwerbsform ist die erst mit dem Untergang der burgerlichen Gesellschaft endigt Da nun die Sozialdemokratie der entschiedenste Feind des Kapitalismus ist einerlei ob Juden oder Christen seine Trager sind und da sie das Ziel hat die burgerliche Gesellschaft zu beseitigen indem sie deren Umwandlung in die sozialistische Gesellschaft herbeifuhrt wodurch aller Herrschaft des Menschen uber den Menschen wie aller Ausbeutung des Menschen durch den Menschen ein Ende bereitet wird lehnt es die Sozialdemokratie ab ihre Krafte im Kampfe gegen die bestehende Staats und Gesellschaftsordnung durch falsche und darum wirkungslos werdende Kampfe gegen eine Erscheinung zu zersplittern die mit der burgerlichen Gesellschaft steht und fallt Die Sozialdemokratie bekampft den Antisemitismus als eine gegen die naturliche Entwicklung der Gesellschaft gerichtete Bewegung die jedoch trotz ihres reaktionaren Charakters und wider ihren Willen schliesslich revolutionar wirkt weil die von dem Antisemitismus gegen die judischen Kapitalisten aufgehetzten kleinburgerlichen und kleinbauerlichen Schichten zu der Erkenntnis kommen mussen dass nicht blos der judische Kapitalist sondern die Kapitalistenklasse uberhaupt ihr Feind ist und dass nur die Verwirklichung des Sozialismus sie aus ihrem Elende befreien kann Rezeption BearbeitenNach Einschatzung von Reinhard Rurup wurde Bebels Parteitagsrede neben Marx Aufsatz Zur Judenfrage zum zweiten klassischen Text in der marxistischen Antisemitismusdiskussion 13 Ahnlich sieht Rosemarie Leuschen Seppel die zentrale Rolle der Rede 14 Daruber hinaus lieferte erst August Bebel in seinem Parteitagsreferat 1893 eine detaillierte Analyse der sozialen Zusammensetzung der Antisemitenbewegung der auch die kunftige sozialdemokratische Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus kaum mehr neue Argumente hinzuzufugen hatte Lars Fischer steht dem Lob von Rurup und Leuschen Seppel fur die Rede skeptisch gegenuber 15 This already demonstrates that we may be well advised not to get unduly carried away by the anti antisemitic credentials of Bebel s speech its still valid analysis notwithstanding Dies zeigt bereits dass wir gut beraten sein sollten uns nicht von den anti antisemitischen Referenzen fur Bebels Rede unangemessen mitreissen zu lassen trotz seiner immer noch gultigen Analyse Er weist darauf hin dass in der von Bebel vorgenommenen Uberarbeitung der Rede fur die Ausgabe von 1906 16 die Charakterisierung der modernen Gesellschaft von judisch in verjudet abgeandert wurde 17 In so doing he finally erased the last remnant of conceptual ambiguity This was a term straight from the unambiguous vocabulary of the antisemites It was a term that could never be neutral let alone have a positive connotation not even in theory It described a form of contamination and made it quite clear that the problem at hand was not one that society had with itself but one that it had with an alien entity in its midst Auf diese Weise beseitigte er den letzten Rest an konzeptioneller Doppeldeutigkeit Dies war ein Ausdruck geradewegs aus dem unzweideutigen Vokabular der Antisemiten Es war ein Ausdruck der nie neutral sein geschweige eine positive Konnotation haben konnte nicht einmal in der Theorie Er beschrieb eine Art der Verunreinigung und machte es vollkommen klar dass das betrachtete Problem nicht eines war das die Gesellschaft mit sich selbst sondern eines das sie mit einer fremden Entitat in ihrer Mitte hatte Literatur BearbeitenAugust Bebel In Protokoll uber die Verhandlungen des Parteitags der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands abgehalten zu Koln a Rh vom 22 bis 28 Oktober 1893 Verlag der Expedition des Vorwarts Berliner Tageblatt Berlin 1893 S 223 ff Textarchiv Internet Archive August Bebel Antisemitismus und Sozialdemokratie Verlag der Expedition des Vorwarts Berliner Tageblatt Berlin 1893 August Bebel Antisemitismus und Sozialdemokratie mit zwei Nachtragen Buchhandlung Vorwarts H Weber Berlin 1906 Reinhard Rurup Emanzipation und Antisemitismus Gottingen 1975 ISBN 3 596 24385 8 Rosemarie Leuschen Seppel Sozialdemokratie und Antisemitismus im Kaiserreich Die Auseinandersetzungen der Partei mit den konservativen und volkischen Stromungen des Antisemitismus 1871 1914 Verlag Neue Gesellschaft Bonn 1978 zugleich Dissertation an der Universitat Bonn 1977 Dietz 1989 ISBN 3 87831 281 4 Lars Fischer The Socialist Response to Antisemitism in Imperial Germany Cambridge University Press 2007 Einzelnachweise Bearbeiten Protokoll uber die Verhandlungen des Parteitags der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands S 224 Niemand hat Schuld In Der Wahre Jacob illustrierte Zeitschrift fur Satire Humor und Unterhaltung Nummer 137 Ausgabe August 1891 Dietz Berlin 1891 Titelseite Der Wahre Jacob Memento vom 1 Mai 2023 im Internet Archive Eugen Richter ohne Namensnennung Zeuge Stocker ein Zeitbild aus dem Jahre 1885 Verlag Fortschritt Aktiengesellschaft Berlin 1885 Der Umschwung in Berlin In Allgemeine Zeitung des Judentums Heft 4 25 Januar 1881 S 57 Lars Fischer The Socialist Response to Antisemitism in Germany S 46 ff In Sozialdemokrat Nr 27 Ausgabe vom 30 Juni 1881 und Sozialdemokrat Nr 28 Ausgabe vom 7 Juli 1881 Vgl Lars Fischer The Socialist Response to Antisemitism in Germany S 57 ff Franz Mehring Geschichte der deutschen Sozialdemokratie Band 4 bis zum Erfurter Parteitag S 190 Textarchiv Internet Archive Siehe beispielsweise Reichstagsprotokolle 1892 93 3 70 Sitzung 18 Marz 1893 Reichstagsprotokolle 1892 93 3 71 Sitzung 20 Marz 1893 oder Reichstagsprotokolle 1892 93 3 73 Sitzung 22 Marz 1893 Freisinnige Zeitung 1 Juni 1892 Titelseite Niemand hat Schuld In Der Wahre Jacob illustrierte Zeitschrift fur Satire Humor und Unterhaltung Nummer 137 Ausgabe August 1891 Dietz Berlin 1891 Titelseite uni heidelberg de Memento vom 1 Mai 2023 im Internet Archive oder Die letzte General Versammlung In Der Wahre Jacob illustrierte Zeitschrift fur Satire Humor und Unterhaltung Nummer 153 Ausgabe September 1892 Dietz Berlin 1892 S 2 uni heidelberg de Memento vom 1 Mai 2023 im Internet Archive Lars Fischer The Socialist Response to Antisemitism in Germany S 78 der sich bezieht auf Werner Blumenberg Hrsg August Bebels Briefwechsel mit Friedrich Engels 1969 S 679 Lars Fischer The Socialist Response to Antisemitism in Germany S 78 79 Siehe auch Reichstagsprotokolle 1892 93 5 S 1147 Anlage 200 Reinhard Rurup Emanzipation und Antisemitismus Gottingen 1975 S 118 Zitiert nach Rosemarie Leuschen Seppel Sozialdemokratie und Antisemitismus im Kaiserreich Verlag Neue Gesellschaft Bonn 1978 S 77 Rosemarie Leuschen Seppel Sozialdemokratie und Antisemitismus im Kaiserreich Verlag Neue Gesellschaft Bonn 1978 S 77 Lars Fischer The Socialist Response to Antisemitism in Imperial Germany S 71 August Bebel Antisemitismus und Sozialdemokratie 2 Ausgabe Vorwarts Berlin 1906 Lars Fischer The Socialist Response to Antisemitism in Imperial Germany S 80 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Antisemitismus und Sozialdemokratie amp oldid 236790514