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Als Ergebnis der Auseinandersetzung mit den wissenschaftsmethodologischen und philosophischen Problemen seiner Zeit veroffentlichte Denis Diderot im Jahre 1753 die erste Fassung seiner Monographie unter dem Titel Von der Interpretation der Natur der Originaltitel lautete im Franzosischen De l interpretation de la nature Im Fruhjahr 1754 wurde dann eine zweite Fassung die Pensees sur l interpretation de la nature 1 oder Gedanken uber die Interpretation der Natur 1754 verfasst 2 3 In seinen Monographien fuhrte er zu Beginn an dass die Naturwissenschaften den Zustand eines ausschliesslichen Vorherrschens eines einzig mathematisch physikalischen Weltbildes uberwinden werde Weitere wichtige Schriften die sich mit dem Themenkomplex uber die Natur auseinandersetzen sind in Le reve de D Alembert 1769 und den Elements de physiologie 1773 1774 niedergelegt Buste des Denis Diderots von Jean Baptiste Pigalle 1777 Titelseite aus den Pensees sur l interpretation de la nature Amsterdam 1754 von Denis Diderot Inhaltsverzeichnis 1 Allgemeines und Einflusse 2 Autorschaft und Rezeption 3 Aufbau 4 Inhalt 4 1 Biologische Aspekte 4 2 Die Abschnitte I bis XV 5 Resumee 6 Siehe auch 7 Ausgaben 7 1 Zeitgenossische 7 2 Ubersetzungen 8 Literatur 9 Weblinks 10 EinzelnachweiseAllgemeines und Einflusse BearbeitenAm Anfang der Pensees sur l interpretation de la nature wurde von Diderot ein Zitat aus dem Werk De rerum natura des romischen Dichters und Philosophen Titus Lucretius Carus kurz Lukrez genannt vorangestellt Einem Lehrgedicht des romischen Epikureers in dem die Vorstellung formuliert wurde dass alle wahrnehmbaren Dinge kleinsten Atomen zuzuschreiben seien Als Voraussetzung fur eine Entwicklung sah Lukrez aber noch die unabdingbare Leere zwischen den Atomen an durch sie sei Bewegung erst moglich Fur das was die Welt sei oder fur die Entstehung der Welt nahm Lukrez die Bewegung der Atome als entscheidend an Auch bei Diderot wird die Bewegung von Materie als ein entscheidendes Agens des Werdens gesehen Es war aber auch die Vorstellung welche die Natur als ein umfassendes mechanisches System begreift und nach exakten Gesetzen funktionieren lasst So habe die ausschliessliche Idee einer Quantifizierbarkeit der Natur zu einem Verlust der qualitativen Vielfalt gefuhrt Es war ein Pladoyer fur das Prinzip des Experiments im Sinne von Francis Bacon Experimental Philosophy 4 und gegen die rationalen Naturerklarungen der Cartesiens das heisst der rationalistischen Denker im Gefolge von Rene Descartes 5 Fur Bacon standen verfalschende Vorstellungen Idole einer Naturerkenntnis dem erkennenden Menschen als Hindernis im Wege so im De verulamio novum organum scientiarum aus dem Jahre 1620 dargelegt 6 Um zur wahren Erkenntnis zur wahren Einsicht in die Natur der Dinge zu gelangen musse der Erkennende die Trugbilder mittels der Induktion auflosen Dabei sei die Induktion planmassig auszufuhren mit geordneten Wahrnehmungen und gezielten Experimenten 7 8 Im Ubrigen wurde Francis Bacons Werk ahnlich der Diderot schen Monographie im Wesentlichen durch nummerierte Aphorismen bestimmt welche die Notwendigkeit eines unvoreingenommenen wissenschaftlichen Erkennens betonen Im Gegensatz zur Francis Bacon aber dem konsequenten Empiristen der auch die Intuition und den Analogieschluss als Quellen fur die Erkenntnis ablehnte hob Denis Diderot diese Erkenntnistechniken als wichtige Vorgehensweisen hervor Aus den gesammelten Erfahrungen Beobachtung werden durch ein auswahlendes Zusammenstellen oder Neukombination die Erfahrungsinhalte zu Hypothesen Reflexion deren Aussagewert durch das Prufen im Versuch sich bestatigt oder negiert Experiment Man gelangt deshalb nur zur Wahrheit wenn Wahrnehmungsinhalte von den Sinnen zur Reflexion und uber die Reflexion und dem Experiment wieder zu den Sinnen kommen Erkenntnis ist fur Diderot ein permanentes in sich und aus sich Herausgehen vergleiche auch Falsifikation Diderot zeigt hier eine gewisse Nahe zu den Uberlegungen von Francis Bacon fur den wirkliche Erkenntnis die reale Abbildung der Natur sei ohne verfalschende Vorstellungen oder Idole geht aber einen Schritt uber diesen hinaus indem er den Aspekt der Reflexion oder Hypothesenbildung eine grossere Bedeutung zuspricht welche sich aber im Versuch zu beweisen hatte Mit Georges Louis Leclerc de Buffon zeigen sich folgende Ubereinstimmungen in der Auffassung zur Naturlehre so stellt sich auch de Buffon ein Wissenschaftler und Schriftsteller gegen eine rein cartesische und mathematische Auffassung von Wissenschaft 9 Die Pensees sur l interpretation de la nature waren Denis Diderots erstes koharentes naturwissenschaftliches Werk In der Auseinandersetzung mit den Positionen um de Buffon oder de Maupertuis loste auch Diderot die zuvor klar gezogene Grenzlinie zwischen der vegetabilischen und animalischen Natur auf zieht den Bogen aber insofern noch weiter so dass er schliesslich keine prinzipielle Scheidung zwischen belebter und unbelebter Materie mehr sah Schliesslich wird von Diderot auch ein stufenformiges Entwicklungsmodell zugrunde gelegt vgl hierzu den aristotelischen Gedanken einer Scalae Naturae und indem er die Vorstellung de Maupertuis aus dessen Essai sur la formation des corps organises 1754 aufgreift werden den Molekulen der Materie schon eine sensibilite zugesprochen Obgleich nicht in der ausgereiften Konzeptualisierung einer sensibilite universelle wie sie in den Jahren zwischen 1754 und 1765 ausformuliert worden war sondern noch in der begrifflichen Anlehnung an den scholastischen Terminus einer ame sensitive Hierdurch gelingt ihm aber schon zunehmend der Bogenschluss der Idee eines Bewegens und Entwickelns von anorganisch unbelebter zur organisch belebten Materie 10 Autorschaft und Rezeption BearbeitenDas philosophische Werk erschien 1753 in einer ersten Fassung und dokumentierte den beginnenden Zerfall seiner Freundschaft zwischen ihm und dem Enzyklopadisten und Mathematiker Jean Baptiste le Rond d Alembert infolge unterschiedlicher philosophischer Auffassungen So griff er in seiner Monographie die Mathematik und damit indirekt die Haltung von d Alembert an dass die wichtigste Wissenschaft die Mathematik sei weil diese eine auf alle anderen Fachgebiete anwendbare Wissenschaft ware Er verwarf die Bestrebungen der fuhrenden Mathematiker darunter d Alembert Probleme immer mehr zu abstrahieren und forderte stattdessen dass die Nutzlichkeit das erste Kriterium einer jeden Wissenschaft sein sollte Nach Diderots Voraussage solle die Mathematik binnen der nachsten hundert Jahre eine tote Wissenschaft sein Die Chemie die Experimental Physik und die Biologie waren seiner Meinung nach die eigentlichen zukunftstrachtigen Wissenschaften Diderot sammelte unmittelbare Erfahrungen mit der Chemie seiner Zeit So besuchte er in den Jahren 1754 bis 1757 regelmassig die Vorlesungen und Experimentalkurse von Guillaume Francois Rouelle im Jardin du Roi Zu Fragen aus der Biologie konsultierte er Georges Louis Leclerc de Buffon Aufbau BearbeitenDas Werk gliedert sich in zwei Teile der erste Teil mit der Titeluberschrift An die Junglinge die sich zum Studium der Naturphilosophie entschliessen Aux jeunes gens qui se disposent a l etude de la philosophie naturelle wird gefolgt von uberschriftslosen aphorismenartigen Abschnitten von I bis XXIII Der Abschnitt XXIV wurde wiederum mit einer Uberschrift Grundriss der experimentellen Physik Esquisse de la physique experimentale versehen nun folgen erneut uberschriftslose Abschnitte von XXV bis XXXI Die nachsten Abschnitte von XXXII bis XXXVII werden als Beispiele Erste Reihe von Vermutungen bis sechste Reihe von Vermutungen Exemples Conjectures de I a VIII tituliert Dann von XXXVIII bis L weitere uberschriftslose Abschnitte ab LIV Von der Wahl der Gegenstande De la distinction des objets LV Von den Hindernissen Des obstacles LVI a Von den Ursachen Des causes LVI b Von den letzten Ursachen Des causes finales LVII Von einigen Vorurteilen De quelques pre juges und LVIII Fragen Questions sowie zum Schluss Gebet Priere Dann der zweite Teil ohne weitere Untergliederungen Philosophische Grundsatze uber Materie und Bewegung Principes philosophiques sur la materiere et le mouvement 11 Das Gebet Priere welches in den zeitgenossischen Ausgaben am Ende der Monographie zu finden ist wurde ab dem Jahre 1773 in den Collection complette des œuvres philosophiques litteraires et dramatiques 12 in das Werk aufgenommen Dabei wurde die Autorenschaft des Denis Diderots mehrfach in Zweifel gezogen 13 Pensees sur l interpretation de la nature 1754 Gedanken zur Interpretation der Natur 1754 Erster Teil Aux jeunes gens qui se disposent a l etude de la philosophie naturelle An die Junglinge die sich zum Studium der Naturphilosophie entschliessen I bis XXIII Sections aphorismenartige Abschnitte XXIV Esquisse de la physique experimentale Grundriss der experimentellen Physik XXV bis XXXI Sections aphorismenartige Abschnitte XXXII bis XXXVII Exemples Conjectures de I a VIII Beispiele Reihe von Vermutungen I bis VIII XXXVIII bis L Sections aphorismenartige Abschnitte LI De l impulsion d une sensation Uber den Impuls zu einer Empfindung LII Des instruments et des mesures Instrumente und Massnahmen LIII Section aphorismenartiger Abschnitt LIV De la distinction des objets Von der Wahl der Gegenstande LV Des obstacles Von den Hindernissen LVI a Des causes Von den Ursachen LVI b Des causes finales Von den letzten Ursachen LVII De quelques prejuges Von einigen Vorurteilen LVIII Questions Fragen Priere GebetZweiter Teil Principes philosophiques sur la materiere et le mouvement Philosophische Grundsatze uber Materie und Bewegung Inhalt Bearbeiten nbsp Portrat von Denis Diderot 1713 1784 Kreidezeichnung aus dem Jahre 1766 von Jean Baptiste GreuzeDiderot skizziert in seinen Pensees sur l interpretation de la nature eine Methodologie die auf der Beobachtung der erfahrbaren Realitat jeweils vorubergehende Hypothesen aufstellt welche dann ihrerseits Ausgangspunkt fur weitere wissenschaftliche Fragen sein sollen 14 15 Fur Diderot war die Natur als Ganzes eine unbegrenzte und alles ermoglichende Welt der Ubergange und Metamorphosen die sich allesamt in grenzenlosen Zeitraumen vollziehen Er sah den Erkenntnisprozess als eine Wechselwirkung zwischen Beobachtung kombinierender Reflexion und Experiment 16 Die Welt war fur ihn grundsatzlich erkennbar agnostizistische Haltungen teilte er nicht Er war in diesem Sinne Empiriker Erkenntnis wurde von ihm ahnlich der Uberlegungen von Francis Bacon John Locke oder auch Etienne Bonnot de Condillac auf das Erfahren von Sinneseindrucken zuruckgefuhrt Aus deren Verarbeitung generierten sich dann die Vorstellungen Verarbeiten und Vergleichen dieser Sinneseindrucke setzten ein Gedachtnis voraus Eine weitere Fahigkeit sieht Diderot in der Imagination 17 Weiter floss in seine Pensees sur l interpretation de la nature 18 19 auch eine kritische Wurdigung der philosophischen Positionen des Pierre Louis Moreau de Maupertuis ein welcher seine Ansichten im Systeme de la nature ou Essai sur les corps organises zunachst 1751 in lateinischer Sprache als Dissertatio inauguralis metaphysica de universali naturae systemate und unter dem Pseudonym Dr Baumann publizierte und der sich dort mit der Leibnizschen Monadenlehre und ihrer Bedeutung fur die Naturphilosophie auseinandergesetzt hatte Aber auch auf die Arbeiten von Georges Louis Leclerc de Buffon und Louis Jean Marie Daubenton in ihrer Allgemeine und spezielle Geschichte der Natur Histoire naturelle generale et particuliere 1749 niedergelegt nahm er Bezug und verknupfte deren Ergebnisse mit seinen Reflexionen Dieser gewissermassen aphorismenartig in kurzen Artikeln gegliederte Text legt der Erkenntnis drei Werkzeuge zu Grunde so die Naturbeobachtung die Reflexion und das wissenschaftliche Experiment In dieser Vorgehensweise war er der Philosophie von John Locke und Isaac Newton 20 verbunden siehe Artikel XV 21 Ein Schwerpunkt der von Diderot in den Pensees sur l interpretation de la nature entworfenen Methodologie besteht darin auf der Basis der Beobachtung der empirischen Realitat jeweils provisorische Hypothesen aufzustellen die Ausgangspunkt neuer wissenschaftlicher Fragestellungen und Forschungsobjekte sein sollen jedoch immer explizit als approximative als durch die Forschung wieder zu uberschreitende gesetzt werden Derselbe relative Gultigkeitsanspruch gilt auch bei Diderot fur die philosophischen Theorien die einen Gesamtentwurf als Synthese der Forschungsergebnisse der Naturwissenschaften bieten sollen jedoch ebenfalls wieder gemass dem prinzipiell immer offenen Fortgang der Wissenschaften nur Haltepunkte des Denkens niemals Endpunkte sein durfen Ein wesentliches Merkmal der von Diderot postulierten Methode fur die Naturforschung besteht darin den Wert der Hypothesen der Gesamttheorien selbst der Spekulationen gegenuber dem von Newtons Postulat Hypotheses non fingo bedeutet sinngemass in der Experimentalphilosophie gibt es keine Unterstellungen gepragten Denkmodell seiner Zeitgenosssen wieder zu rehabilitieren die Hypothesen in einen methodischen Kontext mit Beobachtung und Experiment zu stellen Ursula Winter Wissenschaftsmethodologie und Moral 22 Am Anfang der Interpretationen stellte Diderot ein Zitat aus dem Werk De rerum natura von Titus Lucretius Carus kurz Lukrez genannt Quae sunt in luce tuemur E tenebris Lucret De Rerum natura lib VI Ubersetzung aus dem Lateinischen Aus der Dunkelheit heraus sehen wir was Licht ist Dabei anderte Diderot das ursprungliche Zitat des epikureischen 23 Dichterphilosophen denn im ursprunglichen Text heisst es E tenebris autem quae sunt in luce tuemur Was also bei Lukrez am Anfang steht wird bei Diderot an das Ende des Satzes platziert Durch die Umstellung der hypotaktisch gegliederten Aussage entsteht eine zum Original von Lukrez verschiedene Akzentuierung des Bedeutungsinhaltes Wahrend jener in dieser Allegorie betont dass man aus der Dunkelheit heraus sehen kann was Licht ist gelangt man bei Diderot zu der Interpretation dass Licht oder das Beleuchtet sein des zu betrachtenden Objektes eine Voraussetzung des Sehens ist 24 Im Artikel XXIV Grundriss der experimentellen Physik benennt und beschreibt Diderot deren Umfang und deren Aufgaben die experimentelle Physik beschaftigt sich im allgemeinen mit der Existenz den Eigenschaften und dem Gebrauch und definiert in der Folge diese und weitere daraus abgeleitete Begriffe Im Artikel XXIII differenziert er die Arten von Philosophie Wir haben zwei Arten der Philosophie unterschieden experimentelle und rationale Philosophie In den nachfolgenden Artikel wurde aus beiden Aphorismen eine synthetische Schlussfolgerung gesucht Ab Artikel XXXI werden Beispiele und daraus abgeleitet Vermutungen formuliert 25 Die experimentelle Philosophie 26 ware die gewissermassen auf die Erfahrung gegrundete Philosophie 27 1749 kam die schon genannte philosophische Schrift Lettre sur les aveugles Brief uber die Blinden heraus worin Diderot ausgehend von der These dass ein blind Geborener keine Moglichkeit habe die Existenz Gottes zu erdenken dessen Existenz uberhaupt bezweifelt 1751 trug er bei zu einer Grundlegung der philosophischen Asthetik mit der Lettre sur les sourds et muets Brief uber die Taubstummen Im gleichen Jahr wurde er neben d Alembert in die Berliner Akademie der Wissenschaften aufgenommen 28 Biologische Aspekte Bearbeiten Diderot schrieb im in seiner Monographie unter LVIII Fragen Im Tier und Pflanzenreich nimmt ein Individuum sozusagen doch einen Anfang wachst dauert verfallt und vergeht Sollte es bei ganzen Arten nicht ebenso sein Denis Diderot Zur Interpretation der Natur 29 Diderot zeigte sich in seinen insbesondere philosophischen Schriften von der Idee der Entwicklung geradezu begeistert 30 eine Idee die das gesamte Universum einbeziehe Aus dem materiellen Substrat entstehe alles Leben Materie kann damit auch lebendige Materie sein die damit Lebendiges und Empfindendes zu entwickeln im Stande sei aber ohne in dieser Entwicklung oder Hervorbringung eine finale Kausalitat anzunehmen In der letzthin Unzuganglichkeit dieser Finalitat zeigt sich dann auch das menschliche Unvermogen Natur nach seiner eigenen Massgabe zu verstehen in der Annahme in dieser Unzulanglichkeit liege dann auch das Verbot die Natur unter der Vernunft und den Willen eines Gottes zu subsumieren Gott ware somit als ein ins Unendliche hinein gesteigerter Mensch gedacht 31 Natur sei das Ganze aus dem alles Leben auseinander hervorgehe das Ganze habe eine zeitliche Folge eine Entwicklung so dass das Seiende in einen Zeitfluss gelange Er sah in der Materie die Substanz des Werdens aber eher weniger konkretisiert als etwa bei seinem Freund Paul Henri Thiry d Holbach obgleich seine Naturinterpretation wissenschaftlich hypothetisch fundiert sein soll war sie aber auch zugleich ein mit Gefuhl und Phantasie besetzter Entwurf 32 Ein Entwurf der im deutschsprachigen Raum in ahnlicher Weise von Johann Wolfgang von Goethe eingefordert wurde Die Abschnitte I bis XV Bearbeiten Sowohl die Erlauterungen zu den einzelnen Abschnitten als auch die Angaben zu den Seitenzahlen werden sich im Folgenden auf die deutsche Ubersetzung von Eckart Richter aus dem Jahre 1967 beziehen 33 Im Abschnitt I umriss Diderot das Feld seiner Reflexionen Uber die Natur will ich hier schreiben S 27 und erlauterte gleich seine Vorgehensweise die Gedanken in derselben Ordnung fliessen lassen in der die Gegenstande sich meiner Reflexion darbieten S 27 28 Im Abschnitt II und spater in XII nahm er Bezug auf das wichtige Werk von Georges Louis Leclerc de Buffon und Louis Jean Marie Daubenton der Allgemeine und spezielle Geschichte der Natur Histoire naturelle generale et particuliere 1749 die ihn in seinen Ansichten beeinflussten Im Abschnitt II fuhrt er mit seiner grundlegenden Kritik an einer einzig mathematisch fundierten Wirklichkeitsbeschreibung fort So habe eine ausschliesslich mathematische Naturbeschreibung einen nur geringen Erkenntniswert Es wurde der Mathematiker der versuchte die Fulle der Fakten der Natur oder Wirklichkeit in einem Netz von mathematischen Methoden und Begriffen zu uberfuhren sich eine Realitat schaffen die mehr einer allgemeinen Metaphysik ahnelte Im Abschnitt VII setzte er sich mit dem Problem der Begriffsbildung den Fragen der Erkenntnisgewinnung durch Induktion bzw Deduktion auseinander er schrieb Solange die Dinge nur in unserem Verstand bestehen sind sie unsere Anschauungen das heisst Begriffe die wahr oder falsch anerkannt oder bestritten sein konnen Bestandigkeit gewinnen sie nur dadurch dass sie in Verbindung mit den Dingen ausser uns treten Diese Verbindung erfolgt entweder durch eine ununterbrochene Kette von Erfahrungen oder aber durch eine ununterbrochene Kette von Vernunftschlussen die einerseits an die Beobachtung und andererseits an die Erfahrung anknupfen oder endlich durch eine Kette von Erfahrungen die in gewissen Abstanden zwischen Vernunftschlussen eingefugt sind S 32 In Abschnitt IX aussert er die Vermutung dass die menschliche Reflexion noch nicht in der Lage sei zu verstehen wie streng die Gesetze der Erforschung der Wahrheit sind und wie begrenzt die Zahl unserer Mittel ist Alles lauft darauf hinaus dass wir von den Sinnen zur Reflexion und von der Reflexion zu den Sinnen zuruckkommen mussen S 33 Diderot sieht in der Intuition und dem Analogiedenken wichtige Erkenntniswerkzeuge fur das Naturverstandnis Er widerspricht einer rein empirischen Konzeption der Naturerklarung insofern er die Notwendigkeit von Hypothesen im Sinne der Intuition also der intuitiven Naturerkenntnis einerseits in Wechselwirkung mit der Beobachtung und dem Experiment andererseits annimmt 34 Im Abschnitt XV schrieb er Wir haben drei Hauptmittel Naturbeobachtung Reflexion und Experiment Die Beobachtung sammelt die Tatsachen die Reflexion kombiniert sie das Experiment pruft das Ergebnis der Kombination Die Naturbeobachtung muss unablassig die Reflexion tief und das Experiment genau sein S 27 Im Aphorismus des Abschnitts XXIII unterscheidet Diderot eine philosophie rationelle einer auf philosophischer Spekulation begrundeter Hypothesenbildung von einer philosophie experimentale einer der empirischen Tatsachenforschung verpflichteten Methodologie Hierzu bemuhte er das Bild eines mit einer Augenbinde verblendeten tastenden und seine Umgebung entdeckenden Menschen Wir haben zwei Arten der Philosophie unterschieden experimentelle und rationale Philosophie Die eine hat eine Binde vor den Augen bewegt sich immer nur tastend vorwarts ergreift alles was ihr in die Hande kommt und findet schliesslich wertvolle Dinge Die andere sammelt diese wertvollen Stoffe und versucht sich aus ihnen eine Fackel zu bilden doch hat ihr diese angebliche Fackel bisher weniger genutzt als ihrer Rivalin das Tasten und dies konnte gar nichts anders sein Die experimentelle Philosophie weiss nicht was bei ihrer Arbeit herauskommen wird aber sie arbeitet unablassig Die rationale Philosophie dagegen erwagt die Moglichkeiten entscheidet und halt plotzlich inne Sie behauptet kuhn Man kann das Licht nicht zerlegen Die experimentelle Philosophie hort zu und schweigt ihr gegenuber jahrhundertelang dann zeigt sie ihr plotzlich das Prisma und sagt Das Licht ist zerlegbar S 41 In den Abschnitten XIV bis XXV kehrte er immer wieder die Bedeutung der Intuition und des Analogieschlusses fur die Erkenntnis der Natur heraus Anhand beider Philosophien zeigte er die Unzulanglichkeiten in den Methodologien auf so sei der spekulative Ansatz der philosophie rationelle mit seinen fur eine exakte Naturforschung irrelevanten Begriffsbildungen ebenso unbrauchbar wie der Aktionismus eines unvorbereitetes planlosen Experimentierens manouvrier d experience Erst der Naturforscher der die Fahigkeit in sich vereint aus den Einzelbeobachtungen und dem intuitiven Begreifen grosserer Zusammenhange eine Gesamttheorie zu der entsprechenden Naturerscheinung zu konstruieren sei hierzu in der Lage 35 Resumee BearbeitenFur Diderot war Naturwissenschaft dadurch charakterisiert dass sie nicht nach einem Warum fragen sondern auf die Frage nach dem Wie eine Antwort finden sollte Damit war Wissenschaft die Methode die verhinderte dass sich Menschen in Tauschung und Selbsttauschung sei es durch sich selbst oder durch den anderen auslieferten Siehe auch BearbeitenDas Gesamtwerk von Denis DiderotAusgaben BearbeitenZeitgenossische Bearbeiten Pensees l interpretation de la nature Amsterdam 1754 Online Pensees sur l interpretation de la nature London 1770 archive org Ubersetzungen Bearbeiten Denis Diderot Zur Interpretation der Natur Vorwort von Eckart Richter Verlag Philipp Reclam jun Leipzig 1967 Denis Diderot Philosophische Schriften Herausgegeben von Theodor Lucke Verlag das europaische Buch Berlin 1984 ISBN 3 88436 509 6 S 417 471Literatur BearbeitenHerbert Dieckmann The First Edition of Diderot s Pensees sur l interpretation de la nature Isis Vol 46 No 3 Sep 1955 S 251 267 Knud Haakonssen The Cambridge History of Eighteenth Century Philosophy Cambridge University Press 2007 ISBN 0 521 86743 6 James Llana Natural History and the Encyclopedie Journal of the History of Biology 33 1 1 25 2000 Paul Mazliak La biologie au siecle des Lumieres Vuibert 2006 ISBN 2 7117 7193 8 Kristin Reichel Diderots Entwurf einer materialistischen Moral Philosophie 1745 1754 Methodische Instrumente und poetologische Vermittlung Konigshausen amp Neumann Wurzburg 2012 ISBN 978 3 8260 4940 8 Roselyne Rey Dynamique des formes et interpretation de la nature Recherches sur Diderot et sur l Encyclopedie 1991 Volume 11 Numero 11 S 49 62 Jean Rostand Diderot et la Biologie Revue d histoire des sciences et de leurs applications 1952 Volume 5 Numero 5 1 S 5 17 Marie Leca Tsiomis Diderot Pensees sur l Interpretation de la nature Recherches sur Diderot et sur l Encyclopedie Varia 39 2005 Ursula Winter Der Materialismus bei Diderot Droz 1972 ISBN 2 600 03851 5 fast vollstandige Wiedergabe 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nature Denis Diderot Zur Interpretation der Natur Vorwort von Eckart Richter Verlag Philipp Reclam jun Leipzig 1967 The EXPERIMENTAL PHILOSOPHY Francis Bacon 1561 1626 AD Abgerufen am 21 August 2021 Soren Preibusch Diderot Pensees sur l interpretation de la nature Kernthesen anhand ausgewahlter Textpassagen Seminar Philosophie und Technik in der Encyclopedie 24 11 204 Ursula Winter PDF 45 kB Novum organum scientiarum Typis G Girardi Venetiis 1762 archive org Lilo K Luxembourg Francis Bacon and Denis Diderot Philosophers of Science Munksgaard Copenhagen 1967 Dabei wird der Begriff des Experiments durch Francis Bacon anders verwendet als im modernen Sprachgebrauch Siehe hierzu Lisa Jardine Francis Bacon Discovery and the Art of Discourse Cambridge University Press 1975 ISBN 0 521 20494 1 S 136 137 Peter Eckhard Knabe Hrsg Frankreich im Zeitalter der Aufklarung dme Verlag Koln 1985 ISBN 3 922977 15 4 S 133 Frank Baasner Der Begriff sensibilite im 18 Jahrhundert Aufstieg und Niedergang 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Nichts kann aus dem Nichts seienden entstehen b Nichts kann in das Nichts seiende ubergehen c das All ist konstant so wie es ist und wird immer so sein Diese Annahmen legen eine materialistische Auffassung uber die Natur nahe Kristin Reichel Diderots Entwurf einer materialistischen Moral Philosophie 1745 1754 Methodische Instrumente und poetologische Vermittlung Konigshausen amp Neumann Wurzburg 2012 ISBN 978 3 8260 4940 8 S 348 Denis Diderot Zur Interpretation der Natur Verlag Philipp Reclam jun Leipzig 1967 S 42 41 46 ff Volker Gerhardt Experimentalphilosophie Uber existenzielle und pragmatische Motive im gegenwartigen Denken Abgerufen am 21 August 2021 Francois Pepin Francine Markovits Philosophie experimentale et chimie chez Diderot Universite de Paris Nanterre 2007 ISBN 978 2 8124 0384 2 Thilo Schabert Diderot In Arno Baruzzi Aufklarung und Materialismus im Frankreich des 18 Jahrhunderts List Verlag Munchen 1968 S 99 131 Zur Interpretation der Natur Vorwort von Eckart Richter 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