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Treu und Glauben bezeichnet das Sozialverhalten eines redlich und anstandig handelnden Menschen ohne den Begriff naher zu definieren Seinen historischen Ursprung hat der Grundsatz von Treu und Glauben in der bona fides im romischen Recht Ein romischer Burger hielt viel auf seine gute Treue gemeint war damit zum Beispiel seine Zuverlassigkeit und Lauterkeit im Rechtsverkehr Auf den Grundsatz von Treu und Glauben wird bis heute haufig Bezug genommen Ausgepragt ist er in den Staaten unterschiedlich Typisch ist ein Verweis wie etwa im deutschen Schuldrecht Innerhalb eines Schuldverhaltnisses ist der Schuldner nach 242 BGB verpflichtet die Leistung so zu bewirken wie Treu und Glauben mit Rucksicht auf die Verkehrssitte es erfordern In der Schweiz besitzt dieser Grundsatz sogar Verfassungsrang und ist dadurch von umfassenderer Wirkung Inhaltsverzeichnis 1 Deutschland 1 1 Inhalt 1 2 Anwendungsbereich 2 Schweiz 3 Osterreich 4 Liechtenstein 5 Niederlande 6 UN Kaufrecht 7 Grundregeln des EU Vertragsrechts 8 Siehe auch 9 Literatur 10 Weblinks 11 EinzelnachweiseDeutschland BearbeitenInhalt Bearbeiten Als Generalklausel ist der Grundsatz von Treu und Glauben abstrakt gefasst Zur Konkretisierung sind Fallgruppen gebildet worden Dazu gehort zum Beispiel das Verbot des Rechtsmissbrauchs das Verbot des vertraglichen Insichwiderspruchs venire contra factum proprium sowie der Dolo agit Grundsatz Die Fallgruppen dienen vornehmlich dazu diejenigen Sachverhalte aufzufangen die nicht bereits von einer spezialgesetzlichen Konkretisierung des Grundsatzes erfasst werden Solche finden sich in den 243 ff BGB beispielsweise in der Verpflichtung bei Gattungsschulden Waren mittlerer Art und Gute zu leisten Besonders anschaulich ist der Zusammenhang zwischen dem Grundsatz von Treu und Glauben und 241 Abs 2 BGB der klarstellt dass die Parteien eines Vertrages nicht nur die im Vertrag vorgesehenen Pflichten erfullen sondern auch Rucksicht auf die Rechte Rechtsguter und Interessen des anderen Teils nehmen mussen Bevor 241 Abs 2 BGB im Jahre 2002 ins BGB aufgenommen wurde wurde der Inhalt dieser Vorschrift allein aus Treu und Glauben abgeleitet siehe positive Vertragsverletzung Anwendungsbereich Bearbeiten Prinzipiell ist Treu und Glauben nur innerhalb einer Vertragsbeziehung anwendbar Das ergibt sich aus dem Wortlaut des 242 BGB Ausserhalb einer Vertragsbindung sind die Schranken fur das Handeln des Einzelnen niedriger Gemass 226 BGB ist nur solches Handeln unzulassig das dazu dient dem anderen zu schaden Schikaneverbot Aus 826 BGB ergibt sich ferner dass vorsatzlich sittenwidriges Handeln unzulassig ist Diese Abgrenzung wird jedoch oft durchbrochen In vielen Fallen wird der Grundsatz von Treu und Glauben von Lehre und Rechtsprechung auch ausserhalb einer Vertragsbindung angewandt Ein wichtiges Beispiel bildete bis zu ihrer Kodifizierung im BGB im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung die Figur der culpa in contrahendo 242 BGB 1 nach welchem der Schuldner verpflichtet ist seine Leistung so zu erbringen wie Treu und Glauben unter Berucksichtigung der Verkehrssitte es verlangen wird auch als Konigsnorm des deutschen Vertragsrechts bezeichnet Der Bundesgerichtshof hat in der Entscheidung BGHZ 2 184 auch die Rechtsprechung mit einbezogen Hoher als der Wortlaut des Gesetzes steht sein Zweck und Sinn Diesen im Einzelfall der Rechtsanwendung nutzbar zu machen und danach unter Berucksichtigung von Treu und Glauben den Streitfall einer vernunftigen und billigen Losung zuzufuhren ist die Aufgabe des Richters 2 Kontroversen bestehen daruber ob der Grundsatz auch im Offentlichen Recht und dabei insbesondere im Verwaltungsverfahrens und im Prozessrecht Anwendung findet 3 So wird das allgemeine Rechtsschutzbedurfnis als Voraussetzung fur die Zulassigkeit eines Gerichtsverfahrens von vielen aus Treu und Glauben abgeleitet Zum Teil wird Treu und Glauben auch als elementares Gerechtigkeitsprinzip angesehen das jede Rechtsordnung beherrscht und die Ausubung von Rechten sowie die Erfullung von Pflichten in einer Weise verlangt auf die die andere Seite vertrauen kann 4 Schweiz BearbeitenIn der Schweizer Rechtsordnung spielt Treu und Glauben eine vergleichbare Rolle wenn sich auch die gesetzlichen Formulierungen z T unterscheiden Siehe beispielsweise Art 2 Abs 1 des schweizerischen Zivilgesetzbuches 1 Jedermann hat in der Ausubung seiner Rechte und in der Erfullung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln 2 Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz In der Bundesverfassung definiert der Artikel 5 Grundsatze rechtsstaat lichen Handelns das Handlungsprinzip von Treu und Glauben als hohes Rechtsgut fur offentliche Stellen und private Rechtspersonen Dieser Artikel ist Bestandteil des 1 Titels Allgemeine Bestimmungen und steht noch vor den Grundrechten Art 5 Nach der Rechtsprechung des schweizerischen Bundesgerichts beinhaltet der aus Bundesverfassung abgeleitete Grundsatz von Treu und Glauben auch das Gebot redlichen vertrauenswurdigen und rucksichtsvollen Verhaltens Das schweizerische Bundesgericht hat daher Art 2 ZGB wegen der besonderen Leitfunktion auch als Leitstern der Gesetzesanwendung BGE 83 II 348 f und als Schranke aller Rechtsausubung BGE 45 II 398 bezeichnet Diese Normierung wird in der Beziehung von staatlichen Organen zu allen Personen im Artikel 9 im Zusammenhang mit dem Schutz vor Willkur erneut ausdrucklich bekraftigt Art 9 Osterreich BearbeitenIn Osterreich war der Grundsatz Treu und Glauben bereits im ehemaligen Codex Theresianus kodifiziert und fand auf dem Umweg uber das deutsche BGB 242 BGB und 157 BGB wieder den Weg ins osterreichische Recht 5 Der Begriff Treu und Glauben der inhaltlich der im 914 ABGB erwahnten Ubung des redlichen Verkehrs entspricht beherrscht ganz allgemein das burgerliche Recht Der rechtsgeschaftliche Verkehr darf nicht dazu missbraucht werden einen anderen hineinzulegen sondern soll sich ehrlich abspielen HS 2398 69 6 Liechtenstein BearbeitenDer Grundsatz von Treu und Glauben hat in Liechtenstein einen ubergesetzlichen Rang als allgemeiner Rechtsgrundsatz 7 Treu und Glauben umfasst dabei das gesamte Handeln im Rahmen des Rechts und hat neben der ausdrucklichen Erwahnung auch in Art 2 PGR als grundsatzlicher Rechtssatz und Basis der Rechtsgemeinschaft und Rechtsordnung auch Auswirkung auf alle zivilrechtlichen Bereiche und Normen insbesondere auch das ABGB wie umgekehrt zum Beispiel die Gute Sitten Klausel in 879 Abs 1 ABGB auf das gesamte burgerliche Recht 1 ABGB ausstrahlt Aus der zwingenden Beachtung des redlichen Verkehrs bei der Vertragsauslegung 914 ABGB wird dieser Grundsatz von Treu und Glauben ebenfalls ersichtlich Aus Art 2 Abs 1 SR bzw Art 2 PGR wird zum Beispiel abgeleitet Auslegung und Regelungsgrenzen von Allgemeinen Geschaftsbedingungen AGB siehe auch 914 ABGB Erganzung luckenhafter Vertrage BGE 115 II 488 Vertragliche Aufklarungs und Informationspflichten BGE 116 II 519 ff 119 II 456 ff Culpa in contrahendo BGE 116 II 431 ff Vertrauensprinzip in Vertragen BGE 119 II 177 ff 123 III 18 ff 165 ff Vertrauenshaftung BGE 120 II 331 ff 121 III 350 ff 123 III 220 ff 124 III 297 ff 130 III 345 ff Anpassung von Vertragen an veranderte Umstande Clausula rebus sic stantibus BGE 120 II 155 ff 129 III 618 Gebot schonender Rechtsausubung und Ubermassverbot BGE 121 III 219 ff 8 Dieser allgemeinen Rechtsgrundsatz entfaltet daher in Liechtenstein interlegistische Bindungswirkung 9 Treu und Glauben sind im offentlich rechtlichen Bereich auch ein Aspekt des Gleichheitsgebotes Willkurverbotes und als solcher ein allgemeiner in vielen Anwendungsbereichen ungeschriebener Rechtsgrundsatz 10 Der Verstoss gegen dieses Vertrauen ist im offentlichen Bereich ein willkurliches Verhalten in der Regel der Behorde bzw der Behordenorgane Inwieweit der Vertrauensschutz auch fur den Normunterworfenen und die Behorde gelten soll ist jedoch in Liechtenstein noch nicht abschliessend geklart Niederlande BearbeitenTreu und Glaube werden im niederlandischen Recht als allgemeine Richtschnur bei der Auslegung von Gesetzen und Vertragen gesehen 11 Art 3 12 des niederlandischen burgerlichen Gesetzbuches Burgerlijk Wetboek BW gibt eine Auslegungshilfe fur den Begriff redelijkheid en billijkheid der sich an verschiedenen Stellen im Gesetz findet und mit Treu und Glauben oder billigem Ermessen zu ubersetzen ist redelijkheid vernunftig oder angemessen 11 Der Begriff ist auszulegen nach den allgemein anerkannten Rechtsprinzipien der grundsatzlichen Rechtsstruktur in den Niederlanden und den relevanten sozialen und personlichen Interessen die an einer Situation beteiligt sind Art 6 248 BW macht redelijkheid en billijkheid zur zentralen Vorschrift fur die Rechtsfolgen von Vertragen UN Kaufrecht BearbeitenIm UN Kaufrecht ist die bona fides guter Glaube als schutzenswertes Rechtsgut in Artikel 7 Absatz 1 erwahnt Bei der Auslegung dieses Ubereinkommens sind sein internationaler Charakter und die Notwendigkeit zu berucksichtigen seine einheitliche Anwendung und die Wahrung des guten Glaubens im internationalen Handel zu fordern Dennoch ist umstritten ob Vertrage die dem UN Kaufrecht unterliegen nach Treu und Glauben auszulegen sind 12 Wahrend der Entstehung des UN Kaufrechts wurde die Aufnahme eines weiter gehenden Passus als Einfallstor fur nationale Rechtsansichten und Quelle von Rechtsunsicherheit abgelehnt 13 Grundregeln des EU Vertragsrechts BearbeitenDer Begriff Treu und Glauben engl good faith frz bonne foi guter Glaube findet sich in Art 2 101 der Acquis communautaire Im vorvertraglichen Verkehr mussen Parteien nach Treu und Glauben handeln 14 Auch Art 2 1 des Entwurfs zu einem Gemeinsamen Europaischen Kaufrecht sieht vor dass die Parteien sich bei ihrer Zusammenarbeit vom Gebot von Treu und Glauben und vom Grundsatz des redlichen Geschaftsverkehrs leiten lassen sollen Parteien die sich hieran nicht halten konnen ihnen eigentlich zustehende Rechte verlieren oder schadensersatzpflichtig werden Art 2 2 Diese Regelungen sind vertraglich nicht abbedingbar Art 2 3 Siehe auch BearbeitenTransparenzgebot UberraschungsverbotLiteratur BearbeitenKonrad Schneider Treu und Glauben im Rechte der Schuldverhaltnisse des Burgerlichen Gesetzbuches Beck Munchen 1902 Konrad Schneider Treu und Glauben im Civilprozesse und der Streit uber die Prozessleitung Ein Beitrag zur Beantwortung der Prozessleitungsfrage Beck Munchen 1903 Konrad Schneider Zur Verstandigung uber den Begriff von Treu und Glauben In Archiv fur burgerliches Recht Bd 25 1905 ISSN 0174 8467 S 269 315 Rudolf Henle Treu und Glauben im Rechtsverkehr Vortrag gehalten am 6 November 1911 zu Bonn im Zyklus der wissenschaftlichen Vortrage des Gustav Adolf Frauenvereins Vahlen Berlin 1912 Franz Wieacker Zur rechtstheoretischen Prazisierung des 242 BGB Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart 193 194 ISSN 0340 7012 Mohr Tubingen 1956 Gottfried Baumgartel Treu und Glauben gute Sitten und Schikaneverbot im Erkenntnisverfahren In Zeitschrift fur Zivilprozess Bd 69 1956 S 89 131 Hans Wolfgang Stratz Treu und Glauben 1 Beitrage und Materialien zur Entwicklung von Treu und Glauben in deutschen Privatrechtsquellen vom 13 bis zur Mitte des 17 Jahrhunderts Rechts und staatswissenschaftliche Veroffentlichungen der Gorres Gesellschaft NF 15 Schoningh Paderborn 1974 ISBN 3 506 73315 X Ernst Zeller Treu und Glauben und Rechtsmissbrauchsverbot Prinzipiengehalt und Konkretisierung von Art 2 ZGB Schulthess Polygraphischer Verlag Zurich 1981 ISBN 3 7255 2135 2 Zugleich Zurich Universitat Dissertation 1981 Bernhard Pfister Die neuere Rechtsprechung zu Treu und Glauben im Zivilprozess Europaische Hochschulschriften Reihe 2 Rechtswissenschaft 2341 Peter Lang Frankfurt am Main u a 1998 ISBN 3 631 31810 3 Zugleich Regensburg Universitat Dissertation 1996 1997 Antonius Opilio Arbeitskommentar zum liechtensteinischen Sachenrecht Band 1 Art 1 bis Art 264 Gesetzesstand Januar 2009 Edition Europa Dornbirn 2009 ISBN 978 3 901924 23 1 google books link Bawar Bammarny Treu und Glauben und UN Kaufrecht CISG Eine rechtsvergleichende Untersuchung mit Schwerpunkt auf dem islamischen Rechtskreis Europaische Hochschulschriften Reihe 2 Rechtswissenschaft 5173 Peter Lang Frankfurt am Main u a 2011 ISBN 978 3 631 61470 9 Zugleich Heidelberg Universitat Dissertation 2010 Bernd Ruthers Die unbegrenzte Auslegung Zum Wandel der Privatrechtsordnung im Nationalsozialismus 7 unveranderte um ein neues Nachwort erweiterte Auflage Mohr Siebeck Tubingen 2012 ISBN 978 3 16 152058 7 Weblinks Bearbeiten nbsp Wiktionary Treu und Glauben Bedeutungserklarungen Wortherkunft Synonyme UbersetzungenEinzelnachweise Bearbeiten Ahnlich auch in Art 6 2 Burgerlijk Wetboek Niederlande Art 1134 Code Civil Frankreich Art 1337 Codice Civile Italien Art 8 EU Grundrechtecharta und diverse Sekundarrechtsakte z B Richtlinie 86 653 EWG Richtlinie 93 13 EWG Richtlinie 95 46 EG und in der Rsp des EuGH z B Rs 159 02 237 02 82 03 und andere Absatz und Anmerkungen zitiert nach Antonius Opilio Arbeitskommentar zum liechtensteinischen Sachenrecht Band I EDITION EUROPA Verlag 2009 Art 2 SR Rz 2 Dafur das Bundesverwaltungsgericht NJW 1974 2247 und die herrschende Meinung dagegen z B Tiedemann in BeckOK VwVfG 28 Edition Stand 1 Juli 2015 36 Rn 49 1 Im Verhaltnis zum Staat gelte nur das Rechtsstaatsprinzip VG Koln Urteil vom 10 Mai 2019 6 K 693 17 nrwe de Zivilrecht Grundriss und Einfuhrung in das Rechtsdenken Kapitel 11 PDF 2 1 MB Univ Prof Dr Heinz Barta Universitat Innsbruck 2004 OGH Rechtssatznummer RS0017859 7 Oktober 1974 Antonius Opilio Arbeitskommentar zum liechtensteinischen Sachenrecht Band I EDITION EUROPA Verlag 2009 Art 2 SR Rz 2 Aufzahlung weitgehend nach Antonius Opilio Arbeitskommentar zum liechtensteinischen Sachenrecht Band I EDITION EUROPA Verlag 2009 Art 2 SR Rz 3 Antonius Opilio Arbeitskommentar zum liechtensteinischen Sachenrecht Band I EDITION EUROPA Verlag 2009 Art 2 SR Rz 4 Antonius Opilio Arbeitskommentar zum liechtensteinischen Sachenrecht Band I EDITION EUROPA Verlag 2009 Art 2 SR Rz 8 a b Mincke Heutger Einfuhrung in das niederlandische Recht 2 Aufl 2021 Rn 88 Dagegen Schlechtriem Schwenzer Kommentar zum Einheitlichen UN Kaufrecht 6 Aufl 2013 Art 8 Rn 30 Schlechtriem Schroeter Internationales UN Kaufrecht 5 Aufl 2013 Rn 101 Acquis Group of the Acquis Principles German Chapter 1 8 Text of the Acquis Principles amtliche Ubersetzung ins Deutsche Kap 1 8 November 2007 Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten Normdaten Sachbegriff GND 4137659 6 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Treu und Glauben amp oldid 222968041