www.wikidata.de-de.nina.az
Die Verkehrssitte ist ein unbestimmter Rechtsbegriff der die Anschauungen Gepflogenheiten und die gleichmassige einheitliche und freiwillige tatsachliche Ubung durch Rechtssubjekte im Rechtsverkehr zum Inhalt hat Inhaltsverzeichnis 1 Allgemeines 2 Geschichte 3 Erwahnung in Gesetzen 4 Anwendung 5 International 6 Literatur 7 EinzelnachweiseAllgemeines BearbeitenDas Kompositum Verkehrssitte setzt sich aus Verkehr und Sitte zusammen Unter Verkehr ist der Rechtsverkehr also die Rechtsbeziehungen der Rechtssubjekte untereinander zu verstehen Sitte ist jeder in einer Gesellschaft haufig geubte Brauch Demnach handelt es sich um Verkehrssitte wenn Rechtsbeziehungen ganz oder teilweise nicht auf Rechtsnormen beruhen sondern durch standige Ubung gestaltet werden Um hierbei Rechtssicherheit zu erhalten hat der Gesetzgeber das objektive Merkmal der Verkehrssitte berucksichtigt 1 Da davon auszugehen ist dass die Vertragspartner auch die Sitten und Gebrauche des Rechtsverkehrs fur ihre konkreten Rechtsbeziehungen zur Grundlage nehmen wollen ist die Verkehrssitte zu beachten 2 Das Recht ist in fruheren Zeiten aus der Sitte also den Anschauungen der betroffenen Gesellschaftskreise entstanden Die betroffenen Gesellschaftskreise werden rechtlich als Verkehrskreise bezeichnet Die Verkehrssitte ist im Gegensatz zum Gewohnheitsrecht keine Rechtsnorm sondern bei der Auslegung von Vertragen 157 BGB und bei der Bestimmung des Inhalts eines Schuldverhaltnisses nach Treu und Glauben 242 BGB zu berucksichtigen 3 Besondere Bedeutung hat der Handelsbrauch als die Verkehrssitte der Kaufleute Geschichte BearbeitenDer Staatsrechtslehrer Paul Laband ging 1873 in seiner Abhandlung Die Handelsusance erstmals ausfuhrlich auch auf Verkehrssitten ein 4 Der Begriff der Verkehrssitte wurde bei den Beratungen zum neuen BGB zwischen 1881 und 1889 erstmals im Textentwurf eingefugt 5 Eine Dissertation aus dem Jahre 1894 befasste sich mit den Verkehrssitten die wie die Handelsgebrauche zur Feststellung des Parteiwillens dienten 6 Das BGB und das HGB ubernahmen schliesslich im Januar 1900 den unbestimmten Rechtsbegriff in einigen Bestimmungen ohne eine Legaldefinition vorzunehmen Das Reichsgericht RG stellte im Oktober 1903 bei der Auslegung der neuen Gesetzesbestimmung fest dass es sich bei der Verkehrssitte nicht um eine Rechtsnorm sondern um eine tatsachliche Ubung handele 7 Bereits im Januar 1907 das vertrat das RG die ebenfalls heute noch geltende Auffassung dass die Verkehrssitte auch ohne Kenntnis der Vertragsparteien zu berucksichtigen sei 8 Es verstand unter der kaufmannischen Verkehrssitte im Mai 1926 eine Art der Geschaftsbehandlung wie sie von samtlichen an dem betreffenden Geschaftszweig beteiligten Kreisen wenn auch in ortlicher Beschrankung geubt werde und es sich nicht nur um eine Anschauung des Kreises handelt dem die eine Geschaftspartei angehorte 9 Der Bundesgerichtshof BGH stellte im September 2009 noch einmal die Voraussetzungen seiner standigen Rechtsprechung zur Verkehrssitte zusammen Eine Verkehrssitte als eine die beteiligten Verkehrskreise untereinander verpflichtende Regel verlangt dass sie auf einer gleichmassigen einheitlichen und freiwilligen tatsachlichen Ubung beruht die sich innerhalb eines angemessenen Zeitraums fur vergleichbare Geschaftsvorfalle gebildet hat und der eine einheitliche Auffassung samtlicher an dem betreffenden Geschaftsverkehr beteiligten Kreise zu Grunde liegt Dazu genugt es nicht dass eine bestimmte Ubung nur von einem bestimmten wenn auch quantitativ bedeutsamen Teil der beteiligten Verkehrskreise gepflogen wird sie muss sich vielmehr innerhalb aller beteiligten Kreise als einheitliche Auffassung durchgesetzt haben 10 Erwahnung in Gesetzen BearbeitenDas Burgerliche Gesetzbuch BGB erwahnt den unbestimmten Rechtsbegriff in 157 und 242 BGB das Handelsgesetzbuch HGB in den 412 486 und 531 HGB Soweit 157 BGB massgeblich ist werden Verkehrssitten zum Vertragsbestandteil und haben Vorrang vor dispositivem Recht ist 242 BGB heranzuziehen gelten die Verkehrssitten erst erganzend bei einer fehlenden gesetzlichen Regelung 11 Ausserdem wird die Verkehrssitte in der ZPO dem ZVG und dem UrhG erwahnt Anwendung BearbeitenSind Vertrage unklar formuliert und deshalb auslegungsbedurftig ist auf die Verkehrssitte Rucksicht zu nehmen Verkehrssitte ist dem Gesetzeskommentar von Karl Larenz und Manfred Wolf zufolge eine im Verkehr allgemein oder innerhalb eines bestimmten Kreises von Verkehrsteilnehmern bestehende tatsachliche Ubung oder sprachliche Gepflogenheit deren sich die Angehorigen des jeweiligen Verkehrskreises regelmassig zu bedienen pflegen und die daher grundsatzlich bei jedem von ihnen als bekannt vorausgesetzt werden kann 12 Folgende Voraussetzungen sind zur Geltung von Verkehrssitten erforderlich Die standige Ubung bestimmter Gepflogenheiten Es muss eine gleichmassige einheitliche und freiwillige tatsachliche Ubung vorliegen die sich uber einen langeren Zeitraum hinweg gebildet hat 13 Die standige Ubung innerhalb feststehender Verkehrskreise Verkehrssitte kann branchenspezifisch ausgepragt sein und ortlichen Einflussen unterliegen wobei es auf die Kenntnis der Parteien nicht ankommt 14 Sie kann auch ortlich verschieden sein Eine bestimmte Gepflogenheit muss sich nicht landesweit ausgebreitet haben es genugt vielmehr wenn sie ortlich ublich ist und dort beherrschenden Einfluss gewonnen hat siehe Trierer Weinversteigerung Nicht abhangig ist die Geltung der Verkehrssitte davon ob die Parteien sie gekannt haben 15 Zur Anwendung der Verkehrssitte genugt es dass die Partei dem betreffenden Verkehrskreis angehort Die Verkehrssitte wird Vertragsbestandteil es sei denn ein Vertragspartner widerspricht ihr ausdrucklich 16 Wenn der erklarte Wille der Verkehrssitte widerspricht ist dieser massgebend 17 International BearbeitenAuch in Osterreich ist die Verkehrssitte bei der Auslegung von Willenserklarungen zu berucksichtigen Gemass 863 Abs 2 ABGB ist bei konkludenten Handlungen oder Unterlassungen auf die im redlichen Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebrauche Rucksicht zu nehmen Nach 864 Abs 1 ABGB kommt ein Vertrag auch dann zustande wenn eine ausdruckliche Erklarung der Annahme nicht zu erwarten ist und dem Antrag innerhalb einer angemessenen Frist tatsachlich entsprochen wird Zudem ist gemass 914 ABGB bei der Auslegung von Vertragen nicht den buchstablichen Sinne des Ausdrucks zu haften sondern die Absicht der Parteien zu erforschen und der Vertrag so zu verstehen wie es der Ubung des redlichen Verkehrs entspricht In der Schweiz ist die Verkehrssitte nur bei einem ausdrucklichen Verweis im Obligationenrecht OR anwendbar Das betrifft nur drei Bereiche namlich den Ortsgebrauch Art 466 OR bis Art 304 OR den Handelsbrauch Art 124 Abs 3 OR und Art Art 429 Abs 2 OR und die Geschaftsubung Art 184 Abs 2 OR Art 189 Abs 1 OR Art 201 OR und Art 211 Abs 2 OR Literatur BearbeitenPaul Oertmann Rechtsordnung und Verkehrssitte insbesondere nach burgerlichem Recht zugleich ein Beitrag zu den Lehren von der Auslegung der Rechtsgeschafte und von der Revision Scientia Verlag Aalen 1971 ISBN 3 511 00796 8 Peter Rummel Vertragsauslegung nach der Verkehrssitte Manz Wien 1972 ISBN 3 214 06909 8 Zugleich Dissertation an der Universitat Wien 1970 Nadia Al Shamari Die Verkehrssitte im 242 BGB Konzeption und Anwendung seit 1900 Mohr Siebeck Tubingen 2006 ISBN 3 16 149150 5 Zugleich Dissertation an der Universitat Frankfurt am Main 2005 Einzelnachweise Bearbeiten Christian Heinrich Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit 2000 S 396 ff Curt Tengelmann Das Recht des Einkaufs 1964 S 18 Carl Creifelds Rechtsworterbuch 2000 S 1431 Paul Laband Die Handelssusance in Zeitschrift fur das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht 1873 S 4666 ff Nadia Al Shamari Die Verkehrssitte im 242 BGB Konzeption und Anwendung seit 1900 2006 S 18 Konrad Hagen Die Usance und Treu und Glauben im Verkehre 1894 S 7 RGZ 55 375 377 RG Urteil vom 19 Januar 1907 Az I 263 03 RG Urteil vom 19 Mai 1926 Az I 309 25 RGZ 114 9 12 BGH Urteil vom 30 September 2009 Az VIII ZR 238 08 Hans Jurgen Sonnenberger Verkehrssitten im Schuldvertrag 1970 S 120 Karl Larenz Manfred Wolf BGB Allgemeiner Teil 8 Auflage 1997 28 Rn 47 BGH Urteil vom 30 September 2009 Az VIII ZR 238 08 Christian Heinrich Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit 2000 S 397 BGH Urteil vom 12 Dezember 1953 Az VI ZR 242 52 Memento des Originals vom 4 Januar 2017 im Internet Archive Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot www jurion de Curt Tengelmann Das Recht des Einkaufs 1964 S 18 BGH Urteil vom 12 Dezember 1953 Az VI ZR 242 52Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten Normdaten Sachbegriff GND 4187832 2 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Verkehrssitte amp oldid 230553920