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Der stoische Weise griechisch sofos lateinisch sapiens ist das Idealbild der stoischen Ethik das zuerst von Chrysippos von Soli 3 Jh v Chr formuliert wurde Der Philosoph Chrysipp definierte den stoischen Weisen hielt sich selbst aber fur keinen 1 Romische Kopie einer griechischen Marmorbuste Paris LouvreInhaltsverzeichnis 1 Antike Philosophie 2 Rezeption 2 1 Antike 2 2 Neuzeit 3 Literatur 4 NachweiseAntike Philosophie BearbeitenDer Weise lebt demnach in vollkommener Weise in Ubereinstimmung mit der Natur die mit der Vernunft und gleichzeitig mit der Tugend identifiziert wird dem hochsten Gut der Stoiker 2 In allen seinen Handlungen zeigen sich in gleichem Masse alle vier Kardinaltugenden die Weisheit die Tapferkeit die Massigung und die Gerechtigkeit Daher besitzt er aus zwei Grunden Eudaimonia die vollkommene Gluckseligkeit 3 Zum einen hat er erkannt dass die Affekte und Begierden allein auf Geisteskrankheiten oder Irrtumern beruhen Somit ist er von ihnen frei und als Individuum autark Da Affekte und Begierden immer korperbezogen sind fuhrt das bei einigen Stoikern wie Poseidonios 135 51 v Chr und Epiktet ca 50 125 zu einer gewissen Leibfeindlichkeit und Verachtung alles Korperlichen 4 Zwar habe ein solcher vollkommener Mensch keine Bedurfnisse mehr doch sei es ihm von Nutzen mit Gott in Freundschaft zu leben die aus einer Ubereinstimmung im Urteil uber das Gute und das Bose bestehe 5 Zum anderen heisst es dem Weisen sei klar dass alle Lust und alle Unlust in Bezug auf das hochste Gut indifferent sind adiaforon adiaphoron Die Wechselfalle des in stoischer Sicht unwandelbaren und vorherbestimmten Schicksals wie Krankheit Armut oder gesellschaftliche Isolation kann er mit der sprichwortlich gewordenen stoischen Ruhe ertragen der apa8eia apatheia Leidenschaftslosigkeit Allenfalls positive Leidenschaften wie Freundlichkeit Freude oder Liebe zu seinen Kindern werden ihm gestattet 6 Auch Mitleid das sozusagen eine Ansteckung mit den negativen Affekten eines anderen bedeute store die Seelenruhe des Weisen und wurde deshalb explizit abgelehnt Das schloss aber nicht aus dass er Hilfsbedurftigen half oder Almosen gab 7 Sogar eine Verantwortungsubernahme im politischen Raum wurde von einigen Stoikern mit dem Ideal des Weisen fur kompatibel erachtet 8 Hierin unterscheidet sich das stoische Ideal des leidenschaftslosen Weisen von dem epikureischen Ziel der ἀtara3ia ataraxia Unverwirrtheit die Distanz zum gesellschaftlich politischen Geschehen impliziert mit dem es sonst vieles gemeinsam hat 9 Cicero 106 43 v Chr kann daher in seinen Tusculanae disputationes die auf stoischen Quellen basieren erklaren der Weise sei glucklich selbst auf der Folter 10 Der griechische Philosoph Plutarch 45 ca 125 der den Stoikern kritisch gegenuberstand uberliefert eine Formulierung in der das paradoxe Gluck des Weisen noch weiter zugespitzt wird Der stoische Weise verliert auch im Kerker seine Freiheit nicht man sturze ihn vom Felsen herab er leidet keine Gewalt man spanne ihn auf die Folter er leidet keine Qual man hacke ihm die Glieder ab er bleibt unverletzt fallt er auch beim Ringen ist er doch unbesiegt man schliesse ihn mit Mauern ein ihm gilt keine Belagerung wird er von den Feinden verkauft so ist er doch kein Gefangener 11 Dass eine Manifestation dieses Idealbilds in der Realitat uberaus unwahrscheinlich war raumten die Stoiker unumwunden ein Bei Alexander von Aphrodisias einem Peripatetiker des 3 Jahrhunderts ist uberliefert sie hielten einen stoischen Weisen fur seltener als den Phonix 12 Gleichwohl behaupteten die Stoiker dieses Ideal sei die einzige Moglichkeit fur einen Menschen glucklich zu werden In seinen 46 v Chr entstandenen Paradoxa Stoicorum diskutiert Cicero die These wer kein Weiser sei sei notwendigerweise ein Sklave Der stoische Philosoph Seneca ca 1 65 ruckte von den allzu rigorosen Forderungen der alten und mittleren Stoa ab und stellte alltagspraktische Ratschlage in den Mittelpunkt seiner belehrenden Schriften So betont er in einem seiner Briefe zu Fragen der Ethik dass das Leben bereits dann ertraglich werde wenn man nur angefangen habe nach Weisheit zu streben 13 Gleichwohl verwendet auch er die Figur des nahezu gottgleichen vollkommenen Weisen um zu zeigen wie erstrebenswert dessen Eigenschaften seien Si hominem videris interritum periculis intactum cupiditatibus inter adversa felicem in mediis tempestatibus placidum ex superiore loco homines videntem ex aequo deos non subibit te veneratio eius non dices ista res maior est altiorque quam ut credi similis huic in quo est corpusculo possit Wenn du einen Menschen siehst nicht zu schrecken von Gefahren unberuhrt von Begierden im Ungluck glucklich mitten in sturmischen Zeiten gelassen von einer hoheren Warte die Menschen sehend von gleicher Ebene die Gotter wird dich nicht Ehrfurcht vor ihm ankommen 14 In seiner Schrift de beneficiis Uber die Wohltaten definiert Seneca den Weisen als jemanden dem die ganze Welt gehore der aber keinerlei Muhe habe sie in seinem Besitz zu behalten Wie ein Gott sehe er als machtigster und bester auf die gesamte Menschheit herab 15 Die Stoiker wurden fur ihr utopisches Ideal des Weisen bereits in der Antike scharf kritisiert Seneca selbst erlaubt gleich nach der eben zitierten Definition aus de beneficiis sich daruber lustig zu machen derideas licet 16 Insbesondere die antidogmatisch skeptischen Akademiker fanden im Ideal des Weisen einen Angriffspunkt So lasst Cicero in seiner theologischen Schrift De natura deorum Gaius Aurelius Cotta als Vertreter dieser Schule gegen die Stoiker polemisieren die ein allzu unwahrscheinliches Gluck als Ideal hinstellten Nam si stultitia consensu omnium philosophorum maius est malum quam si omnia mala et fortunae et corporis ex altera parte ponantur sapientiam autem nemo adsequitur in summis malis omnes sumus quibus vos optume consultum a dis inmortalibus dicitis Denn wenn nach dem ubereinstimmenden Urteil aller Philosophen Unwissenheit ein grosseres Ubel als alle ihre gegenubergestellten Schicksalsschlage und korperlichen Leiden zusammen die wahre Weisheit dagegen niemand erlangen kann so befinden wir uns alle im grossten Ungluck wir fur die nach eurer Behauptung die unsterblichen Gotter aufs beste gesorgt haben 17 Der Dichter Horaz 65 8 v Chr der in seiner Jugend Epikureer gewesen war goss noch in seiner im Jahr 20 v Chr veroffentlichten ersten Epistel beissenden Spott uber die Stoiker und ihren Weisen aus der wie Jupiter reich frei geehrt schon und vor allem gesund sei es sei denn ihn quale ein Schnupfen 18 Rezeption BearbeitenAntike Bearbeiten In der Antike wurden bedeutende Manner durch die Darstellung ihres Todes oft zu stoischen Weisen stilisiert Die Autoren legen dann grossen Wert darauf zu zeigen dass ihr Held dem Tod mutig und wurdevoll entgegengegangen und bis ans Ende Herr seiner Affekte geblieben sei Beispiele sind Marcus Porcius Cato Uticensis wie ihn Lucan in seinen Pharsalia ausmalt frei von Affekten rein der Vernunft gehorchend voll Liebe zum Staat und seinen Mitmenschen und dabei glucklich 19 die Schilderung von Senecas erzwungenem Selbstmord in den Annalen des Tacitus 20 oder die Heroisierung des Ablebens von Plinius dem Alteren beim Ausbruch des Vesuv 79 durch seinen Neffen 21 In der Bibelwissenschaft wird auf Parallelen zwischen der Schilderung des stoischen Weisen und dem Heiligkeitsideal der fruhen Christen verwiesen Der Apostel Paulus beschreibt im ca 56 entstandenen zweiten Korintherbrief seine eigene paradoxe Lage in Bedrangnis und Schwache bei gleichzeitiger Herrlichkeit und Zuversicht Von allen Seiten werden wir in die Enge getrieben und finden doch noch Raum wir wissen weder aus noch ein und verzweifeln dennoch nicht wir werden gehetzt und sind doch nicht verlassen wir werden niedergestreckt und doch nicht vernichtet Wohin wir auch kommen immer tragen wir das Todesleiden Jesu an unserem Leib damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar wird 22 Somit liegt zumindest eine indirekte Beeinflussung durch die stoische Philosophie nahe 23 Neuzeit Bearbeiten Trotz der starken Rezeption der stoischen Ethik seit der Renaissance spielte das Ideal des Weisen in der Philosophie der Neuzeit keine bedeutende Rolle Arthur Schopenhauer spottete 1819 in seinem Werk Die Welt als Wille und Vorstellung Der Stoische Weise konnte in ihrer der Stoiker Darstellung selbst nie Leben oder innere poetische Wahrheit gewinnen sondern bleibt ein holzerner steifer Gliedermann mit dem man nichts anfangen kann der selbst nicht weiss wohin mit seiner Weisheit dessen vollkommene Ruhe Zufriedenheit Glucksaligkeit dem Wesen der Menschheit geradezu widerspricht und uns zu keiner anschaulichen Vorstellung davon kommen lasst 24 Heute wird das Ideal des stoischen Weisen als strukturell inhuman kritisiert Der stoische Weise wird zwar beispielsweise ein Kind aus einem brennenden Haus retten aber nicht um des Kindes willen sondern um selbst das Rechte zu tun sollte sein Rettungsversuch scheitern und das Kind sterben wurde der stoische Weise kein Bedauern empfinden da er eo ipso frei von storenden Affekten ware da zweitens der Tod auch fur das Kind ja kein Ubel sei und da drittens der Tod des Kindes von der Vorsehung veranlasst ware die mit dem die Welt durchwaltenden gottlichen Logos identisch sei 25 Literatur BearbeitenM Andrew Holowchak The Stoics A Guide for the Perplexed Continuum International 2008 Dirk Obbink The Stoic Sage in the Cosmic City In Katerian Ierodiakonu Hrsg Topics in Stoic Philosophy Clarendon Oxford 1999 S 178 127 Max Pohlenz Die Stoa Geschichte einer geistigen Bewegung 2 Bande 4 Auflage Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 1970 ISBN 3 525 25711 2 ISBN 3 525 25712 0 Nachweise Bearbeiten R W Sharples Stoics Epicureans and Sceptics An Introduction to Hellenistic Philosophy Routledge New York 1996 S 107 Carl Friederich Geyer Einfuhrung in die Philosophie der Antike Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1978 S 98ff M Andrew Holowchak The Stoics A Guide for the Perplexed Continuum International 2008 S 19 25 Willy Hochkeppel War Epikur ein Epikureer Aktuelle Weisheitslehren der Antike dtv Munchen 1984 S 172 Jula Wildberger Seneca und die Stoa Der Platz des Menschen in der Welt Band 1 Text Walter de Gruyter Berlin New York 2006 ISBN 978 3 11 091563 1 S 267 f abgerufen uber De Gruyter Online Amelie Oksenberg Rorty Besanftigung der stoischen Leidenschaften Die zwei Gesichter der Individualitat In Barbara Guckes Hrsg Zur Ethik der alteren Stoa Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 2004 S 166 Christoph Halbig Die stoische Affektenlehre In Barbara Guckes Hrsg Zur Ethik der alteren Stoa Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 2004 S 66 f Peter Scholz Der Philosoph und die Politik Die Ausbildung der philosophischen Lebensform und die Entwicklung des Verhaltnisses von Philosophie und Politik im 4 und 3 Jh v Chr Franz Steiner Verlag Stuttgart 1998 S 349f Carl Friederich Geyer Einfuhrung in die Philosophie der Antike Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1978 S 104 Tusc V 73 diese These hatte auch Epikur vertreten Malte Hossenfelder Die Philosophie der Antike Band 3 Stoa Epikureismus und Skepsis 2 Auflage C H Beck Munchen 1985 S 116 Plutarch Von der Ruhe des Gemuts und andere philosophische Schriften Hrsg und ubers von Bruno Snell Artemis Zurich 1948 S 75 Alex Aph 61N Ep 16 1 L Annaeus Seneca Philosophische Schriften hrsg und ubers von Manfred Rosenbach Band 3 4 Auflage Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1995 S 122 Ep 41 4 L Annaeus Seneca Philosophische Schriften Hrsg und ubers von Manfred Rosenbach Band 3 4 Auflage Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1995 S 327 Unus est sapiens cuius omnia sunt nec ex difficili tuenda omne humanum genus potentissimus eius optimusque infra se videt Benef VII 3 2 L Annaeus Seneca Philosophische Schriften Hrsg und ubers von Manfred Rosenbach Band 5 4 Auflage Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1995 S 532 Benef VII 3 3 L Annaeus Seneca Philosophische Schriften Hrsg und ubers von Manfred Rosenbach Band 5 4 Auflage Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1995 S 532 Nat III 79 M Tullii Ciceronis De natura deorum libri III Vom Wesen der Gotter Drei Bucher lateinisch deutsch hg ubers u erl v Wolfgang Gerlach und Karl Bayer Heimeran Verlag Munchen 1978 S 441 ep I 1 V 106 108 Marcia L Colish The Stoic Tradition from Antiquity to the Early Middle Ages Stoicism in Classical Latin Literature Brill Leiden 1990 S 180 Jan Radicke Lucans poetische Technik Studien zum historischen Epos Mnemosyne Supplement 249 Brill Leiden 2004 S 140 151 Bernhard Zimmermann Der Tod des Philosophen Seneca Stoische probatio in Literatur Kunst und Musik In Barbara Neymeyr Jochen Schmidt Bernhard Zimmermann Stoicism in European Philosophy Literature Art and Politics A Cultural History from Antiquity to Modernity Walter de Gruyter Berlin New York 2008 S 393 424 Eckard Lefevre Plinius Studien VI Der grosse und der kleine Plinius Die Vesuv Briefe 6 16 6 20 In Gymnasium 103 1996 S 200 2 Kor 4 8 10 EU Wolfgang Schrage Kreuzestheologie und Ethik im Neuen Testament Gesammelte Studien Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 2004 S 29 f Arthur Schopenhauer Die Welt als Wille und Vorstellung Erstes Buch 16 online auf Zeno org A A Long Hellenistic Philosophy Stoics Epicureans Sceptics Taschenbuchausgabe University of California Press Los Angeles 1986 S 197 f Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Stoischer Weiser amp oldid 226094159