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Als senatorische Geschichtsschreibung bezeichnen Althistoriker jene antiken Geschichtswerke die die romische Geschichte dezidiert aus der Perspektive des Senats schildern Inhaltsverzeichnis 1 Entwicklungsstufen 1 1 Republik 1 2 Kaiserzeit 2 Charakteristika und Problematik 3 Literatur 4 AnmerkungenEntwicklungsstufen BearbeitenRepublik Bearbeiten Bereits in republikanischer Zeit wurde die romische Geschichtsschreibung die vergleichsweise zur griechischen erst recht spat einsetzte ganz entscheidend von Personen aus dem senatorischen Umfeld getragen Der Senator Quintus Fabius Pictor verfasste in der zweiten Halfte des 3 Jahrhunderts v Chr noch in griechischer Sprache ein heute verlorenes Geschichtswerk von der sagenhaften Fruhzeit Roms bis in seine Gegenwart Bald darauf entstanden dann die lateinischen Origines Ursprunge Catos des Alteren von denen nur noch Fragmente erhalten sind die aber ein hohes intellektuelles Niveau ihres senatorischen Verfassers verraten Von den folgenden Geschichtswerken senatorischer Pragung sind mit am bekanntesten die des Sallust und des Gaius Asinius Pollio Waren die fruhen Werke romischer Geschichtsschreiber noch annalistisch aufgebaut und behandelten somit nach Jahren geordnet langere Zeitraume so widmeten sich die spateren Autoren so etwa Sallust und Asinius Pollio verstarkt der Zeitgeschichte 1 Die Commentarii des Gaius Iulius Caesar dienten diesem zur Legitimierung seines Kriegs in Gallien und des anschliessenden Burgerkriegs waren aber streng genommen keine Geschichtswerke Kaiserzeit Bearbeiten Titus Livius verfasste zu Beginn der Kaiserzeit eine Universalgeschichte Roms doch gehorte er nicht der senatorischen Fuhrungsschicht an wie auch mehrere der ihm nachfolgenden Geschichtsschreiber z B Velleius Paterculus der zwar Senator war aber nicht zur Nobilitat zahlte Der besondere Charakter der senatorischen Geschichtsschreibung in der romischen Kaiserzeit hangt mit dem Wesen der Staatsform des Prinzipats zusammen Seit Kaiser Augustus wurde die nach den Burgerkriegen scheinbar erneuerte res publica faktisch von einem Monarchen dem princeps beherrscht der durch seine gewaltige Klientel seine auctoritas sein riesiges Vermogen und die Kontrolle uber die Armee eine Machtposition innehatte die durch die Verleihung von Sondervollmachten vor allem das imperium proconsulare maius und die tribunizische Gewalt formal legalisiert wurde Der altehrwurdige Senat war weitestgehend entmachtet bestand aber fort und stellte ein lange unverzichtbares Gremium dar das die Position des Kaisers legitimierte und in Gestalt der Senatoren zudem eine soziale Elite reprasentierte auf die der princeps zumindest bis ins 3 Jahrhundert nicht verzichten konnte Bezeichnenderweise waren bis zu dieser Zeit alle Kaiser vor ihrer Herrschaft und formal auch dann noch weiterhin Senatoren Offiziell lag die Macht nach wie vor bei Senat und Volk von Rom Senatus Populusque Romanus die Senatoren legten grossten Wert darauf diese Fiktion aufrechtzuerhalten Da der Senat also auch wahrend der Kaiserzeit eine Versammlung der Reichselite darstellte wiesen die meisten seiner Mitglieder eine ausgepragte klassische Bildung paideia auf viele waren literarisch tatig und es lag fur sie nahe sich nach dem Ruckzug aus der Tagespolitik mit Geschichtsschreibung zu befassen So wie der grosste Teil der antiken Literatur sind auch die meisten dieser Werke heute verloren siehe auch Bucherverluste in der Spatantike aber die der beiden wohl bedeutendsten Tacitus und Cassius Dio sind zumindest teilweise erhalten geblieben Um 100 n Chr verfasste Tacitus ein ehemaliger Suffektkonsul eine lateinische Darstellung der Jahre von 14 bis 68 die Annalen sowie von 69 bis 96 die Historien in ursprunglich 30 Buchern 2 Dabei stutzte sich Tacitus auf eine ganze Reihe heute verlorener Werke 3 etwa das des Aulus Cremutius Cordus Cordus hatte in seinem Geschichtswerk Brutus gelobt und Cassius als den letzten Romer bezeichnet was als Majestatsbeleidigung aufgefasst worden war die meisten Exemplare seines Werks wurden auf Senatsbeschluss verbrannt Ahnlich war es bereits unter Augustus Titus Labienus ergangen Vor allem im 1 Jahrhundert bluhte die senatorische Geschichtsschreibung wobei einige Autoren wie Servilius Nonianus oder Cluvius Rufus selbst Senatoren waren andere wie Aufidius Bassus waren offenbar ritterlichen Standes scheinen aber aus ahnlicher Perspektive geschrieben zu haben All diesen Historikern ist gemein dass ihre Werke heute praktisch spurlos verloren sind wenngleich sie spateren Autoren als Vorlage gedient haben durften Dies gilt auch fur die Historia Romana in 31 Buchern die Plinius der Altere verfasste Nach Tacitus erlosch dann die grosse romische Geschichtsschreibung senatorischen Typs vorerst oder genauer gesagt Die entsprechenden Werke sind wie etwa jenes des Servilius Nonianus oder des Marius Maximus der allerdings Kaiserbiographien verfasste heute praktisch vollstandig verloren und entziehen sich daher einer konkreten Bewertung Durch Sueton wurde um 120 die Biographie zum beliebten Genre wobei die Kaiser nun vollig im Mittelpunkt standen Sueton stutzte sich dabei auf mehrere heute verlorene Quellen 4 Der Senator und zweifache Konsul Cassius Dio der im fruhen 3 Jahrhundert schrieb fuhrte mit seiner in griechischer Sprache verfassten 80 Bucher umfassenden Romischen Geschichte die Tradition der grossen senatorischen Geschichtsschreibung fort allerdings fehlt bei ihm soweit erkennbar die Ruckbesinnung auf die verlorene republikanische Freiheit libertas die typisch fur das Werk des Tacitus gewesen war Dennoch betont Dio etwa die grosse Schwierigkeit fur die Zeit ab Augustus auf Quellen zugreifen zu konnen deren Inhalt nicht im Sinne der Kaiser gefiltert bzw zensiert war Da sich zentrale Vorgange nun nicht mehr offentlich abspielten sei es zudem schwierig zu entscheiden welche Informationen zuverlassig seien Jeder Historiker laufe nun Gefahr Dinge zu berichten die blosse Geruchte seien wahrend man von vielen Dingen die tatsachlich passiert seien gar nichts mehr erfahre 5 Wie Tacitus misst auch Dio die Herrscher wesentlich an ihrem Verhalten gegenuber dem Senat In der romischen Kaiserzeit schrieben daher nur sehr wenige Geschichtsschreiber selbst wenn sie Zeitgeschichte schrieben auch uber die unmittelbare Gegenwart in der sie ihr Werk verfassten da kritische Schilderung der Kaiser fur die Autoren gefahrlich sein konnte Oft schilderten sie eher einen Zeitraum bis einige Jahre vor dem Abfassungszeitraum als ein anderer Kaiser an der Macht war und Kritik so leichter geubt werden konnte uber die zeitgenossischen Herrscher berichteten eher Panegyriker die ausschliesslich Positives berichteten 6 In der Spatantike entstand im 4 Jahrhundert die so genannte Enmannsche Kaisergeschichte die zwar heute verloren ist die aber von mehreren Breviatoren benutzt wurde unter anderem Aurelius Victor und in der die Ereignisse wohl aus einer senatsfreundlichen Perspektive geschildert wurden wahrend der letzte grosse lateinische Historiker der Antike der ehemalige Militar Ammianus Marcellinus die Senatoren Roms scharf fur ihr lasterhaftes Leben kritisierte Wenngleich das Werk nicht erhalten ist so sind aufgrund des sozialen Hintergrunds des Autors hier auch die Annales des Virius Nicomachus Flavianus zu nennen Wohl um 400 verfasste dann ein anonymer nicht christlicher Autor eine Biographiensammlung romischer Kaiser die sehr problematische Historia Augusta in der ein betont pro senatorischer Standpunkt vertreten wurde 7 Auch Prokopios von Caesarea schrieb noch im 6 Jahrhundert am Ende der Antike aus einer solchen Perspektive 8 Charakteristika und Problematik BearbeitenTypisch fur die senatorische Geschichtsschreibung sind folgende Merkmale Die Autoren waren sehr gebildet und kannten das politische Geschaft aus eigener Erfahrung Der thematische Schwerpunkt liegt daher auf der politisch militarischen Geschichte Aufgrund ihrer Stellung war es ihnen moglich staatliche Archive fur ihre Recherchen zu benutzen Sie waren daher insgesamt in einer guten Position um an zuverlassige Informationen zu gelangen Wie die meisten antiken Geschichtsschreiber erhoben sie den Anspruch nur der Wahrheit verpflichtet zu sein und in den Worten des Tacitus sine ira et studio ohne Zorn und Eifer zu schreiben was aber nicht selten auch nur ein topisches Motiv war Zugleich schufen sie wie alle antiken Geschichtsschreiber literarische Kunstwerke mit oft hohem Formwillen und dem Anspruch die Leser zu unterhalten Auswahl und Interpretation des Materials sowie die Beurteilung der Akteure insbesondere der Kaiser sind in viel hoherem Masse als es die altere Forschung wahrnahm vom senatorischen Standpunkt der Autoren beeinflusst An Kaisern die die Senatoren in deren Augen nicht respektvoll genug behandelten rachte man sich indem man sie nach ihrem Tod negativ darstellte Zugleich musste man den Umstand berucksichtigen dass Teile des Senats mit dem jeweiligen Herrscher kooperiert und von ihm profitiert hatten Daher bedienten sich die senatorischen Geschichtsschreiber teils sehr subtiler und raffinierter Manipulationstechniken Zusammenfassend kann festgehalten werden dass die senatorische Geschichtsschreibung eine unverzichtbare Quelle darstellt Sie gibt aber den Standpunkt und die Weltsicht einer kleinen sehr standesstolzen und in sich durchaus gespaltenen Elite wieder Zu berucksichtigen ist dass Kaiser die in diesen Werken postum in dusteren Farben dargestellt werden von anderen Teilen der Bevolkerung teilweise anders wahrgenommen und beurteilt wurden So war Nero wohl bei einem grossen Teil der einfachen Bevolkerung und besonders im griechischen Osten des Reiches recht beliebt wahrend Domitian zumindest die Sympathien der Armee genoss Beide werden bei Sueton und Tacitus der Domitian in dem erhaltenen Teil seiner Historien zwar nur am Rande erwahnt dessen Domitianbild sich aber an den entsprechenden Passagen des Agricola 9 ablesen lasst durchgangig negativ dargestellt Diese Relativierung des in den senatorischen Quellen gezeichneten Bildes einzelner Kaiser fuhrt nicht notwendigerweise zu einer volligen Umkehr der seit dem 19 und fruhen 20 Jahrhundert gangigen Einschatzungen von deren Personlichkeit und Leistung So wird etwa Nero weiterhin auch unter Berucksichtigung der Voreingenommenheit der Quellen von den meisten Althistorikern kaum positiv beurteilt Es besteht kein Grund zur Annahme die senatorischen Geschichtsschreiber hatten sich ausschliesslich an den Interessen des Senats als Korperschaft orientiert und ubergeordnete Staatsinteressen vollig ausser Acht gelassen Ihre Darstellung war aber davon beeinflusst inwiefern die jeweiligen Kaiser im Einvernehmen mit dem Senat herrschten und die herkommlichen Rechte der Senatoren achteten Literatur BearbeitenMichael von Albrecht Geschichte der romischen Literatur 2 Bande 3 Auflage als TB Deutscher Taschenbuch Verlag Munchen 2003 Dieter Flach Romische Geschichtsschreibung 3 neubearbeitete Auflage Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1998 ISBN 3 534 13709 4 John Matthews The Emperor and his Historians In John Marincola Hrsg A Companion to Greek and Roman Historiography Band 1 von 2 Blackwell Malden MA u a 2007 ISBN 978 1 405 10216 2 S 290 304 Ronald Syme Tacitus 2 Bande Clarendon Press Oxford 1958 Dieter Timpe Antike Geschichtsschreibung Studien zur Historiographie Herausgegeben von Uwe Walter Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 2007 ISBN 978 3 534 19353 0 Anmerkungen Bearbeiten Vgl dazu von Albrecht 2003 Bd 1 S 290ff und S 654ff Zu Tacitus vgl Syme 1958 Einen neueren Uberblick bietet etwa Stephan Schmal Tacitus Hildesheim 2005 John Wilkes Julio Claudian Historians In Classical World 65 1972 S 177ff von Albrecht 2003 Bd 2 S 1104ff Dio 53 19 Zu Dios Werk ist immer noch grundlegend Fergus Millar A Study of Cassius Dio Oxford 1964 F Paschoud Wie spricht man vom lebenden Kaiser In K Vossing Hrsg Biographie und Prosopographie Stuttgart 2005 S 103 118 Einfuhrend und mit weiterer Literatur Klaus Peter Johne Historia Augusta In Der Neue Pauly Bd 5 1998 Sp 637 640 Siehe Prokopios Anekdota 12 12ff Vgl auch Averil Cameron Procopius and the Sixth Century London 1985 S 249f Tacitus Biographie De vita et moribus Iulii Agricolae des Gnaeus Iulius Agricola Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Senatorische Geschichtsschreibung amp oldid 215705446