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Der Rheinubergang von 406 war der Ubergang mehrerer grosser vorwiegend germanischer Kriegergruppen uber den Rhein und ihr damit verbundenes Eindringen in die Westhalfte des Romischen Reiches zum Jahreswechsel 406 07 Der zeitweilige Zusammenbruch der romischen Rheinverteidigung ermoglichte es gemeinsam mit Burgerkriegswirren im Imperium mehreren germanischen Kriegerverbanden sich fur einige Zeit in Hispanien festzusetzen was mit zum Prozess der Auflosung des westromischen Reiches beitrug Die bei dieser Gelegenheit in das Reich gelangten Vandalen sollten schliesslich von Hispanien aus Africa erreichen und diese Provinz erobern Das Konigreich der Sueben im Norden Hispaniens hatte bis ins 6 Jahrhundert Bestand wahrend die an den Rhein vorgestossenen Burgunden nach einer Niederlage gegen den romischen Heermeister Flavius Aetius 436 in der zweiten Halfte des 5 Jahrhunderts eine eigene Reichsbildung in Gallien betrieben Inhaltsverzeichnis 1 Ausgangslage 2 Der Rheinubergang 406 07 3 Neudatierung durch Kulikowski 4 Literatur 5 AnmerkungenAusgangslage BearbeitenDas Jahr 406 war fur das Westromische Reich ein Krisenjahr Bereits 405 war der Gote Radagaisus mit einem grossen Heer in Italien eingefallen und konnte vom Heermeister Stilicho nur mit Unterstutzung hunnischer vandalischer und alanischer Soldner im August 406 in der Schlacht bei Faesulae in Etrurien gestoppt werden Ebenfalls im Jahr 406 kam es dann in Britannien das der Kirchenvater Hieronymus als eine an Tyrannen Usurpatoren fruchtbare Provinz beschrieb 1 zu einer Reihe von Usurpationen Nach dem spatantiken Geschichtsschreiber Olympiodoros von Theben der ein umfassendes Geschichtswerk uber diese Zeit verfasste das aber nur fragmentarisch erhalten ist erhoben die Truppen in Britannien zunachst einen Soldaten namens Marcus zum Augustus Dieser wurde nach einiger Zeit jedoch beseitigt Stattdessen wurde der Zivilbeamte Gratian zum Kaiser proklamiert nach vier Monaten aber ebenfalls ermordet Schliesslich erhoben die britannischen Truppen wohl im Herbst 406 einen zuvor nicht naher bekannten Soldaten namens Constantinus als Konstantin III zum Kaiser 2 dessen vielleicht einziger Vorzug sein Name war hatte doch Konstantin der Grosse ebenfalls seinen Weg zur Macht in Britannien begonnen und war schliesslich siegreich gewesen 3 Die Ursache fur die britannischen Usurpationen liegt sehr wahrscheinlich nicht nur darin begrundet dass man sich auf der vom westromischen Hof in Ravenna weit entfernten Insel von der Reichsregierung vernachlassigt sah Eine Notiz beim Geschichtsschreiber Zosimos der allerdings nicht immer verlasslich ist legt vielmehr nahe dass die Ursache dafur auf dem Kontinent zu suchen ist wo die Bewegungen barbarischer gentes im Grenzraum vermutlich auch fur Unruhe in Britannien gesorgt hatten zu Details siehe Volkerwanderung Nach Zosimos wollten die britannischen Truppen jedenfalls zum Schutz des Imperiums in Gallien aktiv werden 4 Dass der britannische Usurpator Konstantin III schliesslich im Jahr 407 oder bereits 406 mit seinem Feldheer von der Insel nach Gallien ubersetzte bietet dafur eine gewisse Bestatigung Zosimos berichtet dass die meisten Stadte Galliens von Honorius abfielen und zu Konstantin uberliefen Der Rheinubergang 406 07 Bearbeiten nbsp Lyoner Bleimedaillon mit der stilisierten Darstellung von Moguntiacum Rheinbrucke und CastellumWohl zum Jahreswechsel 406 07 uberschritten dann grossere barbarische Kriegergruppen den Rhein und drangen nach Gallien vor Hieronymus erwahnt in einem Brief mehrere beteiligte gentes 5 darunter die Vandalen unterteilt in die Teilstamme der Hasdingen und Silingen die Sueben und die iranischen Alanen Der Rheinubergang wird auch in anderen spatantiken Quellen erwahnt 6 doch sind zahlreiche Einzelheiten aufgrund der sparlichen Quellenlage umstritten 7 Uber die genauen Hintergrunde fur das Aufbrechen des polyethnischen Verbandes schweigen die Quellen ebenso wie auch der genaue Ort Zeitpunkt und Dauer des Rheinubergangs strittig sind 8 Es ist moglich dass die verschiedenen Gruppen die damalige Schwache der romischen Rheinverteidigung ausnutzten waren doch mehrere Verbande aufgrund der Auseinandersetzung mit den Westgoten unter Alarich 402 und spater aufgrund der Kampfe gegen Radagaisus abgezogen worden und auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen nach Gallien aufbrachen Ebenso kann jedoch eine Flucht vor den Hunnen nicht ausgeschlossen werden 9 Fraglich ist auch wie gross diese Gruppen waren und wo genau sie ubersetzten In der modernen Forschung wird oft ein Rheinubergang bei Mogontiacum angenommen doch muss dies letztlich offenbleiben Sehr wahrscheinlich erfolgte der Ubergang aber zwischen den heutigen Stadten Mainz Mogontiacum und Worms weil diese als erste von den Eindringlingen angegriffen wurden 10 Sollte die Rheinbrucke bei Mogontiacum noch intakt gewesen sein kame sie als moglicher Uberquerungspunkt in Frage Bisweilen wird in einigen modernen Darstellungen spekuliert die Barbaren hatten den zugefrorenen Rhein uberquert doch ist davon in den Quellen nicht die Rede 11 Ebenso ist es unwahrscheinlich dass grossere Verbande den Ubergang in nur einer Nacht hatten schaffen konnen wie ofter aus der Notiz des Prosper Tiro von Aquitanien abgeleitet wird der obwohl andere Quellen kaum Details berichten als Datum des Rheinubergangs den 31 Dezember 406 angibt CCCLXXIX Arcadio VI et Probo Wandali et Halani Gallias traiecto Rheno ingressi II k Ian 12 Als Arcadius zum sechsten Mal d h 406 und Probus Konsuln waren fielen Vandalen und Alanen nach der Uberquerung des Rheins in Gallien ein einen Tag vor den Kalenden des Januar Somit wird der 31 Dezember eher den Beginn des Rheinubergangs bezeichnen wobei sich die Gruppen anschliessend aufteilten 13 Einige Quellen darunter zuerst Orosius geben an die germanischen Verbande seien nicht auf eigene Initiative in Gallien einmarschiert sondern seien von Stilicho angeheuert worden 14 Da die entsprechende Passage die Ereignisse klar verzerrt wird dieses Zeugnis aber von vielen Historikern als Verleumdung angesehen Den wenigen an der Rheingrenze verbliebenen Truppen war es jedenfalls nicht moglich den Angreifern effektiv Widerstand zu leisten Allerdings scheint der Rheinubergang nicht den vollstandigen Zusammenbruch der Grenzverteidigung zur Folge gehabt zu haben denn der Mainzer Dukat Militardistrikt ist anschliessend wieder eingerichtet worden 15 Jedenfalls lag Gallien den Kriegern offen die zahlreiche Stadte angriffen und plunderten Uber die nachfolgenden Zuge der verschiedenen Gruppen sind wir nur bruchstuckhaft informiert Es ist nicht einmal gesichert dass die verschiedenen Orte die Hieronymus angibt wirklich allesamt erobert wurden Schliesslich befand sich Hieronymus damals im fernen Betlehem und erfuhr eher aus zweiter Hand von den Vorgangen Die Barbaren zogen nach der Uberquerung des Rheins jedenfalls zunachst nach Nordwesten anschliessend nach Suden und Sudwesten 16 Der Rheinubergang von 406 7 war fur das Imperium nach Ansicht vieler Historiker uberaus folgenreich Im Grunde handelte es sich um den einzigen erfolgreichen Einbruch germanischer Kriegerverbande in das Westreich wahrend des 5 Jahrhunderts der Versuch des Radagaisus war 406 abgewehrt worden und die Romer hatten die Westgoten 375 selbst ins Reich geholt Die 406 7 ins Imperium gelangten Gruppen spielten in den folgenden Jahrzehnten immer wieder eine wichtige Rolle denn die Romer waren nicht in der Lage die nun in das Reich gelangten Kriegerverbande dauerhaft unter Kontrolle zu halten Die Vandalen drangen 409 im Rahmen weiterer innerromischer Konflikte in Hispanien ein setzten 429 nach Nordafrika uber und entrissen der westromischen Regierung die Kontrolle uber ihre reichste Provinz Die an den Rhein vorgestossenen Burgunden und Alanen betatigten sich als Kaisermacher und erhoben mit Jovinus einen vornehmen Gallo Romanen zum Kaiser der weitgehend von ihnen abhangig war Ab 443 betrieben die Burgunden wie vor ihnen schon die Vandalen erfolgreich eine eigene Reichsbildung ebenso wie die Sueben in Hispanien Die 418 in Aquitanien angesiedelten Westgoten von denen sich die westromische Regierung eine stabilisierende Wirkung erhoffte brachen 468 das foedus und expandierten auf Kosten des Imperiums In der Konsequenz waren die Barbareneinfalle im Jahr 407 wohl derart verheerend dass Olympiodoros von Theben sein Geschichtswerk vielleicht auch deshalb in diesem Jahr beginnen liess 17 Neudatierung durch Kulikowski BearbeitenEs wurde bereits erwahnt dass das britannische Feldheer unter dem Usurpator Konstantin III im Jahr 407 intervenierte und nach Gallien ubersetzte Die ebenfalls bereits angesprochene Notiz des Zosimos legt nun die Vermutung nahe dass in Britannien bereits zum Zeitpunkt der Erhebung des Usurpators Marcus etwas uber die Volkerverschiebungen im gallischen Grenzraum bekannt war Dafur spricht dass der spatantike Geschichtsschreiber Renatus Profuturus Frigeridus von Zusammenstossen barbarischer Gruppen im Vorfeld des Rheinubergangs berichtet Demnach haben kurz vor dem Rheinubergang Franken wohl als romische Foderaten gegen Vandalen gekampft Deren Konig Godigisel fiel im Kampf und die Vandalen seien nur durch das Eingreifen einer Truppe Alanen unter Respendial gerettet worden 18 Der amerikanische Historiker Michael Kulikowski griff vor einigen Jahren einen bereits 1922 von Norman H Baynes vertretenen Forschungsansatz auf wonach der Rheinubergang nicht auf den Jahreswechsel 406 07 sondern auf 405 06 zu datieren sei 19 Kulikowski kam zu diesem Ergebnis durch eine Neulesung der Quellen vor allem Prospers der als einziger ein genaues Datum nennt Nach Meinung Kulikowskis wurde es besser zum Stil Prospers passen wenn nicht der 31 Dezember 406 sondern der 31 Dezember 405 gemeint ware 20 Auch von anderer Seite wurde die These Kulikowskis aufgenommen wurde sich damit doch auch ein homogeneres Gesamtbild bezuglich der Notiz des Zosimos ergeben Die Usurpationen in Britannien wurden zusatzlich an Plausibilitat gewinnen da folgt man Kulikowskis Ansatz dort bereits 406 der Rheinubergang bekannt war und die britannischen Truppen zur Verteidigung Galliens eingreifen wollten Allerdings sprechen auch einige Grunde gegen diese These da Kulikowski keine befriedigende Antwort auf die Frage liefert warum der westromische Heermeister Stilicho der die Geschicke des Westreichs bis 408 faktisch allein lenkte nach dem Sieg uber Radagaisus nicht den Eindringlingen in Gallien entgegentrat Dieser Umstand wurde eher dafur sprechen dass im Sommer 406 noch keine barbarischen Gruppen in Gallien eingefallen waren 21 Die Argumentation Anthony R Birleys der sich gegen die Neudatierung aussprach 22 hat auch Kulikowski selbst dazu veranlasst seinen Ansatz zu hinterfragen 23 Literatur BearbeitenGuido M Berndt Konflikt und Anpassung Studien zu Migration und Ethnogenese der Vandalen Historische Studien 489 Matthiesen Husum 2007 S 85 94 Bruno Bleckmann Der Barbareneinfall von 406 und die Erhebung des Usurpators Constantinus III Zu einem chronologischen Problem des fruhen funften Jahrhunderts In Ligia Ruscu Carmen Ciongradi Radu Ardevan Cristian Roman Cristian Gǎzdac Hrsg Orbis Antiquus Studia in honorem Ioannis Pisonis Bibliotheca Musei Napocensis Band 21 Nereamia Napocae Press Cluj Napoca 2004 ISBN 973 7951 55 7 S 41 44 Helmut Castritius Die Vandalen Etappen einer Spurensuche Kohlhammer Urban Taschenbucher 605 Kohlhammer Stuttgart u a 2007 ISBN 978 3 17 018870 9 John F Drinkwater The Usurpers Constantine III 407 411 and Jovinus 411 413 In Britannia 29 1998 S 269 298 Guy Halsall Barbarian Migrations and the Roman West 376 568 Cambridge University Press Cambridge u a 2007 ISBN 978 0 521 43491 1 Peter J Heather The Fall of the Roman Empire Macmillan London 2005 ISBN 0 333 98914 7 Peter J Heather Why Did the Barbarian Cross the Rhine In Journal of Late Antiquity 2 2009 S 3 29 Michael Kulikowski Barbarians in Gaul Usurpers in Britain In Britannia 31 2000 S 325 345 Ralf Scharf Der Dux Mogontiacensis und die Notitia Dignitatum Eine Studie zur spatantiken Grenzverteidigung Reallexikon der Germanischen Altertumskunde Erganzungsbande 50 de Gruyter Berlin u a 2005 ISBN 3 11 018835 X Roland Steinacher Die Vandalen Aufstieg und Fall eines Barbarenreichs Klett Cotta Stuttgart 2016 ISBN 978 3 608 94851 6 S 49ff Courtenay Edward Stevens Marcus Gratian Constantine In Athenaeum 35 1957 ISSN 0004 6566 S 316 347 Phillip Wynn Frigeridus the British tyrants and the early fifth century barbarian invasions of Gaul and Spain In Athenaeum 85 1997 S 69 117 Anmerkungen Bearbeiten Hieronymus Epistulae 133 9 Olympiodoros Fragment 12 Fragment 13 1 in der Ausgabe von R Blockley Siehe Orosius Adversum Paganos 7 40 4 Vgl auch Drinkwater 1998 S 272 Zosimos 6 3 Hieronymus Epistulae 123 Uberblick bei Guy Halsall Barbarian Migrations and the Roman West 376 568 Cambridge u a 2007 S 211 Anmerkung 117 Einen aktuelle Uberblick mit Diskussion der Forschung bietet Roland Steinacher Die Vandalen Aufstieg und Fall eines Barbarenreichs Stuttgart 2016 S 49ff knapp aber informativ Guy Halsall Barbarian Migrations and the Roman West 376 568 Cambridge u a 2007 S 210 212 Vgl Helmut Castritius Die Vandalen Stuttgart u a 2007 S 48ff So vor allem Peter Heather der damit erst kurzlich gegen Forscher wie Guy Halsall und Walter Goffart argumentierte die interne Konflikte im Imperium und nicht externe Angreifer als ausschlaggebend ansehen da diese die Barbaren erst dazu verleitet hatten anzugreifen Siehe dazu Peter J Heather Why Did the Barbarian Cross the Rhine In Journal of Late Antiquity 2 2009 S 3 29 Andy Merrills Richard Miles The Vandals Oxford Malden MA 2010 S 35 f Vgl auch Roland Steinacher Die Vandalen Aufstieg und Fall eines Barbarenreichs Stuttgart 2016 S 50 Prosper 1229 f in Chronica Minora I hrsg von Theodor Mommsen Monumenta Germaniae Historica AA 9 Berlin 1892 S 465 Vgl Helmut Castritius Die Vandalen Stuttgart u a 2007 S 50 f Orosius Historiae adversus paganos 7 38 1 4 Zu Details vgl Ralf Scharf Der Dux Mogontiacensis und die Notitia Dignitatum Berlin u a 2005 Allgemein Peter J Heather The Fall of the Roman Empire London 2005 S 206 ff Vgl Stevens Courtenay Edward Stevens Marcus Gratian Constantine In Athenaeum 35 1957 hier S 317 f Frigeridus Historia erhalten als Exzerpt bei Gregor von Tours Decem libri historiarum 2 9 Helmut Castritius Die Vandalen Stuttgart u a 2007 S 59f verlegt dieses Ereignis in das Jahr 410 und nach Hispanien womit er sich der Neuinterpretation durch Phillip Wynn Frigeridus the British tyrants and the early fifth century barbarian invasions of Gaul and Spain In Athenaeum 85 1997 S 69 117 anschliesst Ublicherweise wird diese Episode jedoch auf unmittelbar vor dem Rheinubergang datiert siehe etwa Michael Kulikowski Barbarians in Gaul Usurpers in Britain In Britannia 31 2000 hier S 326 John Martindale u a The Prosopography of the Later Roman Empire Bd 2 Cambridge 1980 S 515f Michael Kulikowski Barbarians in Gaul Usurpers in Britain In Britannia 31 2000 S 325 345 Michael Kulikowski Barbarians in Gaul Usurpers in Britain In Britannia 31 2000 hier S 328 f Ralf Scharf Der Dux Mogontiacensis und die Notitia Dignitatum Berlin u a 2005 S 121 ff zur Kritik am Ansatz Kulikowskis ebd S 122 Wenn Radagais bis zu diesem Moment das Hindernis bildete welches Hindernis steht nun noch im Weg Gerade diese Frage wird weder von Kulikowski noch Schumacher beantwortet Sie haben eine von ihnen behauptete Lucke in der kausalen Kette geschlossen indem sie einfach eine andere aufgerissen haben Vgl A R Birley The Roman Government of Britain Oxford 2005 S 455ff Siehe die selbstkritische Ausserung in Michael Kulikowski Rome s Gothic Wars Cambridge 2007 S 217 Anmerkung 37 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Rheinubergang von 406 amp oldid 235878865