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Prolog zur Feier von Beethovens hundertstem Geburtstag in Zurich ist der Titel eines Gedichts von Gottfried Keller Vorgetragen wurde es am 13 Dezember 1870 anlasslich eines Konzerts in der Tonhalle Zurich Als Erstdruck erschien es am 17 Dezember dem Jahrestag von Beethovens Taufe in der Neuen Zurcher Zeitung 1883 nahm Keller es in den ersten Band seiner Gesammelten Gedichte auf Dort steht es unter Festlieder und Gelegentliches Inhaltsverzeichnis 1 Text 2 Kommentare 2 1 Zur Form 2 2 Zum Inhalt 2 3 Zur Entstehung 3 EinzelnachweiseText BearbeitenMan sagt dass in der Volkerschlacht Wo donnern Stuck und Wagen In schmelzenden Gesanges Pracht Als war der schonste Lenz erwacht Die Nachtigallen schlagen In Busch und Baum die Schlacht entlang Verborgen in den Wettern Wetteifernd mit Drommetenklang Und der Gefall nen Wehgesang Hort man die Triller schmettern Sie halten den Streit fur Fruhlingslust Den Tod fur holdes Minnen Sind keiner Sorge sich bewusst Da fahrt das Blei durch ihre Brust Und reisst das Nest von hinnen So war s als des Jahrhunderts Thor Aufsprang mit eh rnen Pforten Ein roter Morgen trat hervor Mit ihm ein endlos langer Chor Von blutenden Cohorten Was tausendjahrig sank in Staub Wohl unter ihren Schritten Und Gluck und Staub des Casars Raub Er selber dann wie falbes Laub Knirscht unter des Siegers Tritten Da sass ein stiller Mann im Land Dem war Gewalt gegeben Zu wirken mit gefeiter Hand Ein tausendtonig Zauberband In das emporte Leben Er goss des Wohllauts sussen Wein Aus uber die Wogenheere Mocht noch so laut die Brandung schrei n Doch starker klang sein Spiel darein Wie Orgelton am Meere Nicht sorglos wie die Nachtigall Hat er sein Lied gesungen Es war der grossen Klage Schall Die Menschenherz und weites All Geheimnisvoll durchdrungen Der Klage die mit hochster Kraft In Freude dann sich wendet Und die den Sternen kuhn entrafft Den letzten Kranz der Meisterschaft Dem sel gen Sanger spendet Voruber zogen hundert Jahr Seit er ans Licht geboren Hin ist die Welt die mit ihm war Noch wandeln seine Sterne klar Im Aether unverloren Noch hallt sein unsichtbares Haus Und klingt von Meer zu Meere Und wieder haust des Sturmes Graus geharnischt fuhrt der Tod hinaus Zahllose Volkerheere Ein Casar liegt mit goldner Zier Wird sich der Deutsche kronen Sein Donner grollt doch ferne hier In gold nem Frieden lassen wir des Zaub rers Lied ertonen 1 Kommentare BearbeitenZur Form Bearbeiten Jede der zwolf Strophen besteht aus funf Verszeilen Jede Zeile enthalt vier alternierende Hebungen und Senkungen jede schliesst abwechselnd mit mannlicher oder weiblicher Kadenz Der Versfuss ist der Jambus Die Endreime folgen dem Schema abaab das aus vier kreuzreimenden Zeilen abab besteht zwischen die eine auf a reimende eingeschoben ist Der Einschub erzeugt zwei durch Paarreim aa verbundene Zeilen die auf Besonderheiten des Gedankengangs hinweisen etwa auf starke Gegensatze wie in der Strophe zwei wo sich Wehgesang auf Drommetenklang reimt oder in Strophe funf falbes Laub auf Casars Raub Der Funfzeiler ist um ein Grad gedankenreicher und kunstvoller als der gelaufige Vier oder Sechszeiler und wirkt daher feierlicher 2 In den ubrigen Merkmalen unterscheidet sich die von Keller gewahlte Strophenform jedoch nicht von der schlichten des Volkslieds das vielgesungene Heidenroslein ist ja im Kern ohne den Refrain funfzeilig Warum diese Wahl Zusammen mit der Kurze des Prologs 300 Worter deutet sie darauf hin dass Keller hinter die Hauptgestalter der Beethoven Feier die ausubenden Musiker zurucktreten wollte Zugleich zeichnete der Volksliedton seinen Beitrag als von Herzen kommend aus keine blosse Stilubung des diensthabenden lokalen Verseschmieds Zum Inhalt Bearbeiten Man sagt dass Eingangs wird ein Phanomen beschrieben das zunachst wie eine Schauerlegende anmutet Doch Kriegsheimkehrer berichten ubereinstimmend davon wie in Schlachten die im Fruhjahr stattfinden der furchtbare Larm von Vogelgesang begleitet wird und sich anhort als sei er der Ausdruck gesteigerter Lebenslust Thema des Prologs ist der paradoxe Ubergang von Klage in Jubel und von triumphalen Tonen in Wehlaut Der Zauber der Beethovenschen Musik besteht fur den Dichter geradezu in der Klage die mit hochster Kraft In Freude sich dann wendet Das Wort Volkerschlacht in der ersten Zeile evoziert die Volkerschlacht bei Leipzig die ohne Nachtigallensang am 13 Oktober 1813 stattfand und die kriegsentscheidende Niederlage Napoleon Bonapartes zum Ergebnis hatte Als wenig spater am 8 Dezember in Wien die Urauffuhrung von Beethovens 7 Sinfonie stattfand wollte der Jubel des Publikums nicht enden als habe der Komponist das Werk eigens zur Siegesfeier geschrieben Volkerschlacht steht indessen fur kein einzelnes Ereignis sondern fur das Zeitalter das 19 Jahrhundert insgesamt So war s als des Jahrhunderts Tor Aufsprang mit eh rnen Pforten Beethovens Musik ist was Hegel fur die Philosophie forderte ihre Zeit in Gedanken gefasst 3 Was 1820 galt gilt auch 1870 noch Ein zweiter franzosischer Kaiser Napoleon III hat den Krieg verloren die deutsche Artillerie beschiesst Paris und der preussische Konig ist zum deutschen Kaiser designiert Der Dichter bricht daruber nicht in Jubel aus Von goldner Zier auf Monarchenhauptern halt er wenig sehr viel mehr aber von goldnem Frieden der es den Schweizern erlaubt Beethoven nach Gebuhr zu feiern und dazu seine Musik erklingen zu lassen Zur Entstehung Bearbeiten Das Thema der grossen Klage Schall Die Menschenherz und weites All Geheimnisvoll durchdrungen gehort seit der Renaissance zum gedanklichen Gemeingut der uber ihre Kunst reflektierenden Kunstler 4 Beethoven schrieb 1815 in einem Brief an Grafin Marie von Erdody Wir endliche mit dem unendlichen Geist sind nur zu leiden und Freuden gebohren und beynah konnte man sagen die ausgezeichneten erhalten durch Leiden Freude 5 Keller machte 1849 wahrend seiner Heidelberger Studienzeit eine Erfahrung die er damals einzig seinem Freund und musikalischen Mentor Wilhelm Baumgartner mitteilte Asthetische Notiz Ich wohnte jungst einer Operation im hiesigen Spital bei Einem alten Mann welcher den Arm gebrochen hatte mussten ein paar Stucke aus dem Ellebogen gesagt werden Der Mann wurde ich weiss nicht aus welchem Grunde nicht narkotisiert sodass er dem ganzen Schmerz ausgesetzt war Er fing ganz allmahlig wie man ihn in die Kur nahm an zu klagen und stohnen und ich erwartete ein unartikukliertes wildes Geschrei Allein als die Messer beiseite gelegt und die Sage ergriffe wurde und der Schmerz immer hoher stieg bis ins anscheinend Unaushaltbare da wurde der Mann freilich immer lauter aber er wandte sich an seinen Gott und gab seine Pein in wohl ausgesprochenen Worten und Anrufungen kund welche immer schoner ausgepragter und ergeifender wurden je tiefer die Sage drang er wurde zuletzt eigentlich beredt und erging sich in den auffallendsten Ausserungen welche so wie der Schmerz abnahm in wehmutige Betrachtungen ubergingen bis zuletzt alles verbunden war und er wieder still wurde Der Mann sah nicht eben intelligent aus und ich mochte fast behaupten dass er noch nie in seinem Leben so gut und ausdrucksvoll oder auch nur so klar bewusst gesprochen habe Ich weiss nicht ob sich alle Unglucklichen welche hochstem physischen Schmerze unterworfen werden so benehmen aber hier wenigstens habe ich gefunden dass der hochste Schmerz zugleich sich in der schonsten Form aussern kann was zwar eine alte Geschichte ist aber fur den Hausgebrauch durch eigene Anschauung vortrefflich aufgefrischt wird Fur Deine musikalischen Interessen habe ich bemerkt dass der Rhythmus in den Schmerzausserungen dieses Mannes ein durchaus gemessener fast langsamer und gravitatischer war aber ausserst fest und nachdrucklich 6 Einzelnachweise Bearbeiten Zitiert nach Historisch Kritische Gottfried Keller Ausgabe HKKA Bd 9 hrsg von Walter Morgenthaler u a Zurich 2009 S 232 234 Vgl hierzu Unterm Lyrikmond Gedichte lesen und horen schreiben und interpretieren https www lyrikmond de gedichte schreiben lange strophen php abgerufen am 16 Dezember 2020 Hegel 1820 in der Einleitung zu Grundlinien der Philosophie des Rechts Vgl hierzu Melancholie Gottfried Keller Zitiert nach https brieftext beethoven de henle letters b0827 phtml Gottfried Keller Gesammelte Briefe Hrsg von Carl Helbling Bern 1950 Bd 1 S 277 Werke von Gottfried Keller RomaneDer grune Heinrich Martin SalanderNovellenzyklenDie Leute von Seldwyla Teil IPankraz der Schmoller Romeo und Julia auf dem Dorfe Frau Regel Amrain und ihr Jungster Die drei gerechten Kammmacher Spiegel das KatzchenDie Leute von Seldwyla Teil IIKleider machen Leute Der Schmied seines Gluckes Die missbrauchten Liebesbriefe Dietegen Das verlorene LachenSieben LegendenZuricher NovellenHadlaub Der Narr auf Manegg Der Landvogt von Greifensee Das Fahnlein der sieben Aufrechten UrsulaDas SinngedichtVon einer torichten Jungfrau Regine Die arme Baronin Die Geisterseher Don Correa Die BerlockenGedichte Neuere Gedichte Melancholie Gesammelte Gedichte Die offentlichen Verleumder Prolog zur Feier von Beethovens hundertstem Geburtstag in ZurichGemaldeHeroische Landschaft Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Prolog zur Feier von Beethovens hundertstem Geburtstag in Zurich amp oldid 232140929