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Der Agendenstreit war der nach 1821 ausgebrochene Konflikt zwischen einer Anzahl protestierender Pfarrer und Presbyterien einerseits und Konig Friedrich Wilhelm III von Preussen und seinen Befurwortern andererseits uber dessen fur die evangelische Kirche in Preussen neu eingefuhrte und fur verbindlich deklarierte Agende Inhaltsverzeichnis 1 Vorgeschichte 2 Der Agendenstreit 1822 1834 3 Landesweite Folgen des Agendenstreites 4 Folgen des Agendenstreites am Beispiel Honigern 5 Literatur 6 Weblinks 7 QuellenVorgeschichte BearbeitenKonig Friedrich Wilhelm III beabsichtigte mit der von ihm erarbeiteten Agende eine liturgische Union zwischen Lutheranern und Reformierten Ziel des Konigs war es eine einheitliche evangelische Landeskirche in dem nach dem Wiener Kongress 1815 erheblich territorial vergrosserten Staat einzurichten Moglich ist dass beim ausserst religiosen Konig auch personliche Motive eine Rolle spielten Mit seiner verstorbenen lutherischen Gemahlin Luise hatte der reformierte Friedrich Wilhelm III aufgrund der konfessionellen Spaltung nicht gemeinsam das Abendmahl in Empfang nehmen konnen Daneben glaubte er das kirchliche Gerust des Protestantismus gegen die erheblich gewachsene katholische Minderheit im Nachkriegspreussen starken zu konnen 1 Zur Herbeifuhrung der Union verfasste er u a eine Agende die in allen evangelischen Kirchen Preussens in Geltung sein und wortwortlich benutzt werden sollte 2 Faktisch sollte so uber die blosse Verwaltungsunion eine gemeinsame Kirchenleitung fur die lutherische und reformierte Kirche hinausgegangen werden Hierbei kam dem kirchlich sehr interessierten Monarchen zugute dass in Preussen Gemeinden und Pfarrer infolge von Pietismus und Aufklarung sich oftmals kaum noch bewusst waren ob sie nun lutherisch oder reformiert waren Vielfach war das Lebensgefuhl allgemein evangelisch nicht spezifisch lutherisch oder reformiert Der Konig setzte daher unausgesprochen das Bestehen eines Lehrkonsenses und damit eine Konsensusunion zwischen beiden Konfessionen voraus Allerdings war das Vorhandensein der dogmatischen Voraussetzungen zwischen der evangelisch lutherischen Kirche und der reformierten Kirche umstritten Am 27 September 1817 zum 300 Jahrestag der Reformation erfolgte seitens des Konigs ein Aufruf zu gemeinsamen Abendmahlsfeiern Jedoch waren nach Auffassung der Kritiker weder die kirchenrechtlichen noch die dogmatischen Probleme im Vorfeld geklart Die ungeklarten Fragen zogen nach sich dass in Preussen anders als in Nassau in Baden und in der Pfalz auch spater nie ein Lehrkonsens erzielt worden ist und sich die sogenannte preussische Union darin von den anderen Kirchenunionen des 19 Jahrhunderts in Deutschland unterscheidet Zur Vereinigung von lutherischen und reformierten Gemeinden aufgrund des Unionsaufrufes kam es nur an wenigen Orten zum Beispiel in Unna selbst in der Regel dort nicht wo Lutheraner und Reformierte in direkter Nachbarschaft lebten Der Agendenstreit 1822 1834 BearbeitenDie vom Konig selbst entworfene und in Druck gegebene Agende 3 orientierte sich an der Brandenburgischen Kirchenordnung von 1540 Fur den Entwurf der neuen Liturgie stellte der Konig Texte aus deutschen schwedischen anglikanischen und hugenottischen Gebetsbuchern zusammen Er entwickelte Vorschriften fur die Dekoration des Altars die Verwendung von Kerzen liturgischen Gewandern und Kruzifixen Die religiosen Empfindlichkeiten der Reformierten wie auch der Lutheraner sollten berucksichtigt werden 4 Die Dominanz liturgischer Elemente mit der Predigt ganz am Schluss rief bereits 1821 den Protest des reformierten Geistlichen des Berliner Doms hervor Mit seinem Versuch dieses Werk als das verpflichtend zu benutzende Evangelische Gottesdienstbuch durchzusetzen beruhrte Friedrich Wilhelm III einen umstrittenen Punkt der Kirchenverfassung Wem steht in der evangelischen Kirche das ius liturgicum Recht zum Erlassen von Gottesdienstordnungen zu Einige Kirchengemeinden Preussens und insbesondere die in der Rheinprovinz und in der Grafschaft Mark bestehenden Synoden meinten dieses Recht stehe nicht dem Landesherrn selbst sondern den Synoden und Ortsgemeinden zu Der Konig hingegen beharrte auf seinem landesherrlichen Kirchenregiment Eine Anzahl von Kirchengemeinden widersetzten sich 1822 dem Verlangen des Konigs Dieser machte im selben Jahr den so genannten Unionsrevers bei Ordinationen verpflichtend 1824 stimmten zwei Drittel der Pfarrer zu Friedrich Schleiermacher kritisierte unter dem Pseudonym Pacificus Sincerus in der Schrift Uber das liturgische Recht evangelischer Landesfursten das Ansinnen des Konigs welcher dieser 1827 mit der anonymen Schrift Luther in Beziehung auf die Preussische Kirchenagende zu begegnen suchte Schleiermacher reagierte wiederum anonym mit der Schrift Gesprach zweier selbst uberlegender evangelischer Christen uber die Schrift Luther in bezug auf die preussische Agende Durch fur die preussischen Kirchenprovinzen separat gefundene Kompromisse wurde der Streit ab 1827 entscharft So wurde die sogenannte Berliner Agende zwar formal akzeptiert jedoch durfte ein Anhang mit liturgischen Besonderheiten und Traditionen der jeweiligen Provinz abgedruckt und verwandt werden Die Kultusunion in Preussen war damit faktisch gescheitert 1834 erklarte Konig Friedrich Wilhelm III zudem dass kein Kausalzusammenhang zwischen der Annahme der Union und Annahme der Agende bestehe Der Beitritt zur Union sei freiwillig und bedeute keine Aufhebung der bisher geltenden konfessionellen Bekenntnisse Landesweite Folgen des Agendenstreites BearbeitenDer Agendenstreit hatte zur Folge dass der lutherische Konfessionalismus in Preussen erstarkte Ein Teil uberzeugter Lutheraner trat der Union nicht bei In Schlesien besonders in Breslau kam es zur starksten Ablehnung Durch Bittschriften an den Konig baten dort Lutheraner um den Erhalt des lutherischen Gottesdienstes der Selbstandigkeit der Kirche auf der Grundlage einer lutherischen Verfassung und der Eigenstandigkeit der lutherischen Kirche in Lehre und Leben Initiator war der Theologieprofessor und Pfarrer an der evangelisch lutherischen Elisabethkirche in Breslau Johann Gottfried Scheibel Solche offene Opposition duldete der Konig nicht Scheibel wurde suspendiert und des Landes verwiesen Daraufhin bildeten sich in Schlesien wie auch in anderen Landesteilen selbstandige lutherische Gemeinden ausserhalb der Union Sie wurden zum Teil als Dissidenten verfolgt vertrieben enteignet und inhaftiert und an der weiteren Nutzung der Kirchengebaude teils unter Einsatz von Militar gehindert Zahlreiche Lutheraner emigrierten in der Zeit von 1834 bis 1839 nach Australien und in die USA Sie grundeten in den USA die Evangelisch Lutherische Missouri Synode 2 4 Millionen Mitglieder Stand 2010 5 Die Verfolgung der seither so genannten Altlutheraner endete 1840 unter Konig Friedrich Wilhelm IV 1841 organisierte sich die altlutherische Evangelisch Lutherische Kirche in Preussen unter Federfuhrung von Philipp Eduard Huschke kirchenrechtlich 1860 zahlte sie ca 55 000 Mitglieder Rechtsnachfolger der Evangelisch Lutherischen altlutherischen Kirche ist die Selbstandige Evangelisch Lutherische Kirche SELK Folgen des Agendenstreites am Beispiel Honigern BearbeitenDie Evangelisch Lutherische Gemeinde von Honigern Schlesien weigerte sich mit ihrem Pfarrer Eduard Kellner die neue Agende einzufuhren und liess sich auch nicht durch Drangen des zustandigen Superintendenten Kelch dazu bewegen Hierauf wurde Pfarrer Kellner vom Superintendenten suspendiert aber Pfarrer Kellner erkannte die Suspendierung durch den Superintendenten nicht an Der Landrat verlangte 1834 schliesslich die Herausgabe des Kirchenschlussels Die Kirchengemeinde weigerte sich 6 Nach vergeblichen Versuchen seitens der preussischen Landeskirche sich des Kirchgebaudes zu bemachtigen ruckte am 23 Dezember 1834 preussisches Militar an 400 Mann Infanterie des 2 Schlesischen Grenadier Regiments Nr 11 50 Kurassiere und 50 Husaren 200 Gemeindeglieder versammelten sich um die Kirche Nach zweimaligen Warnungen verschaffte sich das Militar durch Kolbenstosse und Hiebe gewaltsam Zutritt zur Kirche 7 Danach fand ein nach der Vorschrift der koniglichen Agende gehaltener Gottesdienst mit den unierten Geistlichen Konsistorialrat Hahn Superintendent Kelch und Pfarrer Busch statt der ein Exemplar der umstrittenen Unionsagende uberreicht bekam Literatur BearbeitenJurgen Kampmann Die Einfuhrung der Berliner Agende in Westfalen Die Neuordnung des evangelischen Gottesdienstes 1813 1835 Luther Verlag Bielefeld 1991 ISBN 3 7858 0330 3 Jurgen Kampmann Werner Klan Hrsg Preussische Union lutherisches Bekenntnis und kirchliche Pragungen Theologische Ortsbestimmungen im Ringen um Anspruch und Reichweite konfessioneller Bestimmtheit der Kirche Oberurseler Hefte Erganzungsbande Band 14 Edition Ruprecht Gottingen 2014 ISBN 978 3 8469 0157 1 Werner Klan Gilberto da Silva Hrsg Lutherisch und selbststandig Edition Ruprecht Gottingen 2012 ISBN 978 3 8469 0106 9 Hans Wilhelm Rahe Bischof Ross und die rheinisch westfalische Kirche um Kirchenverfassung Union und Agende im vormarzlichen Preussen Dusseldorf 1984 Hermann Sasse Das Jahrhundert der preussischen Kirche Zur Erinnerung an das Weihnachtsfest 1834 in Honigern In In Statu Confessionis Bd II Verl Die Spur Berlin 1976 ISBN 3 87126 212 9 S 184 193 Hermannsburg Weblinks BearbeitenKirchen Agende fur die Hof und Domkirche in Berlin 1822 Agende fur die evangelische Kirche in den Koniglich Preussischen Landen 1829 Ausgabe fur die Provinz Brandenburg Agende fur die evangelische Kirche in den Koniglich Preussischen Landen 1834 Ausgabe fur die Provinz Westfalen und die Rheinprovinz Teil 1 Die Folgen des Agendenstreites und die Evangelisch Lutherische Kirche in Preussen Altlutheraner Quellen Bearbeiten Christopher Clark Preussen Aufstieg und Niedergang 1600 1947 Deutsche Verlags Anstalt Munchen 2007 ISBN 978 3 421 05392 3 S 478 Anselm Schubert Christliche Klassik Friedrich Wilhelm III und die Anfange der Preussischen Kirchenagende von 1822 In Zeitschrift fur Kirchengeschichte Jg 119 2008 S 178 202 Kirchen Agende fur die Hof und Domkirche in Berlin Digitalisat der UB Greifswald Christopher Clark Preussen Aufstieg und Niedergang 1600 1947 Deutsche Verlags Anstalt Munchen 2007 ISBN 978 3 421 05392 3 S 478 2010 World Lutheran Membership Details Lutheran World Information 1 2011 Memento vom 26 September 2011 im Internet Archive Arthur Kalkbrenner Kriegerisches Christfest in Honigern 1834 In Namslauer Heimatruf Jg 48 2007 Nr 195 S 5 11 hier S 7 Arthur Kalkbrenner Kriegerisches Christfest in Honigern 1834 In Namslauer Heimatruf Jg 48 2007 Nr 195 S 5 11 hier S 8 10 Normdaten Sachbegriff GND 4279801 2 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Agendenstreit amp oldid 235809244