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Als Machtegleichgewicht oder Gleichgewicht der Krafte englisch Balance of Power wird in der internationalen Politik Europas seit dem 17 Jahrhundert eine politische Ordnung souveraner National Staaten verstanden die zwar in Dauerkonflikt miteinander stehen aber dadurch dass sich die schwacheren jederzeit gegen den starksten von ihnen verbunden konnen keinen schrankenlosen Krieg gegeneinander fuhren 1 Neben dem Machtegleichgewicht existieren als Modell der Friedenssicherung die Machtausubung eines Hegemons und die Machtkontrolle durch internationale Vertrage und Institutionen 2 In der Theorie der Internationalen Beziehungen ist die Machtverteilung unter den Staaten ein zentrales Thema neorealistischer Deutungsmuster Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 2 Neorealistische Sichtweisen 3 Literatur 4 EinzelnachweiseGeschichte BearbeitenNach Jacob Burckhardt bestand das erste Modell eines Machtegleichgewichts zwischen den italienischen Stadtrepubliken des ausgehenden Mittelalters und der Renaissance 3 Auf gesamteuropaischer Ebene setzte es sich in der Fruhen Neuzeit durch als sich nach den Konfessionskriegen souverane Territorialstaaten herausbildeten Das Konzept des Machtegleichgewichts verdrangte universalistische Theorien wie den Weltherrschaftsanspruch des Papstes oder die Reichsidee Als Hochphase des klassischen Gleichgewichtsdenkens gilt die Zeit zwischen dem Westfalischen Frieden 1648 und dem Ausbruch der Franzosischen Revolution 4 Es setzte sich dauerhaft 1713 nach dem Spanischen Erbfolgekrieg durch als eine von England gefuhrte Allianz den Hegemonieanspruch Frankreichs durchkreuzte Zwar gelang die Friedenssicherung nur mangelhaft denn in den Jahren bis 1790 bekampften sich die europaischen Grossmachte in 16 Kriegen Auch wurden beim anschliessenden Friedensschluss oft Kompensationen durchgefuhrt die ohne Rucksicht auf die Interessen Dritter oder der betroffenen Bevolkerung durchgefuhrt wurden Insgesamt blieb das europaische Staatensystem auch weil ideologische Gegensatze fehlten bis zum Ausbruch der Franzosischen Revolution stabil 5 Aus dieser Zeit stammt auch der Begriff Machtegleichgewicht englisch balance of power 1741 kennzeichnete der britische Premierminister Robert Walpole damit sein politisches Konzept in Bezug auf den europaischen Kontinent 6 Nach der Zerschlagung der Hegemonie die das Franzosische Kaiserreich unter Napoleon I errichtet hatte wurde auf dem Wiener Kongress 1815 15 der die Grenzen in Europa fur die Dauer einiger Jahrzehnte festlegte ein neues Machtegleichgewicht installiert Als Europaisches Konzert bezeichnet man die Gleichgewichtskonzeption der Grossmachte Russland Vereinigtes Konigreich Osterreich Preussen und Frankreich s auch Pentarchie Sie stellte einen Versuch dar Grundsatze einer Staatengemeinschaft und eines Kraftegleichgewichts zu vereinbaren um den Frieden in Europa zu erhalten 7 Der Staatengemeinschaft lag die Vorstellung unabhangiger und gleichberechtigter Staaten zugrunde der Status quo und sein Gleichgewicht sollten durch abgestimmte Aktionen dieser funf Grossmachte aufrechterhalten werden 8 Zu diesem Zweck kooperierten sie 1818 1822 in vier Monarchenkongressen bei der Bekampfung revolutionarer Aktivitaten in Europa und der Beilegung oder Bekampfung internationaler Konflikte Die Reichweite dieser Kongressdiplomatie war allerdings begrenzt da das gemeinsame Handeln stets seine Grenze in der Aktionsbereitschaft des zuruckhaltendsten unter ihnen fand 9 Im Konzert der Grossmachte war Grossbritannien durch sein Kolonialreich die einzige Weltmacht Auf dem Kontinent standen ihm aber vier Grossmachte gegenuber und jede von ihnen war Grossbritannien zu Lande uberlegen Grossbritannien versuchte deswegen die Festlandsmachte in einem Gleichgewichtszustand zu halten damit sie sich gegenseitig blockierten und Grossbritannien seine Handlungsfreiheit in Ubersee bewahrte Diese Politik war erfolgreich bis im spaten 19 Jahrhundert Deutschland auf dem Kontinent ein Ubergewicht bekam und sich nicht mehr in die Gleichgewichtspolitik des Inselstaates einbinden liess Deutschland forcierte den Schlachtflottenbau Grossbritannien rustete ebenfalls auf und sah sich gezwungen Bundnisse einzugehen Es schloss mit Frankreich 1904 die Entente cordiale und glich sich 1907 mit Russland im Vertrag von Sankt Petersburg aus Damit hatte Grossbritannien sich dem russisch franzosischen Machtblock angeschlossen Dieser Machtblock war 1892 entstanden als Frankreich mit Russland eine Militarkonvention geschlossen hatte nachdem Bismarck sich im russisch osterreichischen Konflikt um den Balkan fur ein Bundnis mit Osterreich Ungarn entschieden hatte Damit waren zwei feste Blocke entstanden in denen die kontinentalen Grossmachte paarweise miteinander verbunden waren Frankreich mit Russland Deutsches Reich mit Osterreich Ungarn Kleinere Machte gruppierten sich um diese Blocke So war auf dem Kontinent eine klassische Gleichgewichtssituation hergestellt Grossbritannien hatte versucht sich keinem der beiden Blocke fest anzuschliessen Angesichts der deutschen Weltmachtpolitik schloss es sich aber doch der russisch franzosischen Allianz an Die Krafteverhaltnisse zwischen den Machtblocken entwickelten sich zu Ungunsten Deutschlands und Osterreich Ungarns ihm stand nun die Triple Entente gegenuber Als der Erste Weltkrieg begann waren innerhalb weniger Tage alle funf Grossmachte in einen Krieg miteinander verwickelt Die Mechanismen zur Krisenlosung die die Kongress Diplomatie uber Jahrzehnte entwickelt hatte brach vollstandig zusammen 10 Nach dem Weltkrieg ersetzte der auf der Pariser Friedenskonferenz 1919 gegrundete Volkerbund das Konzept des Machtgleichgewichts durch ein System der kollektiven Sicherheit 11 Nach dessen Scheitern in den 1930er Jahren und dem Zweiten Weltkrieg bildete sich mit der militarischen Paritat der beiden Atommachte USA und Sowjetunion ein Gleichgewicht des Schreckens das die Grundkonstellation der Weltpolitik bis zum Ende des Kalten Krieges wesentlich bestimmte 12 Neorealistische Sichtweisen BearbeitenKenneth Waltz der Begrunder des Neorealismus stellte die Internationalen Beziehungen systemisch dar bestehend aus Struktur und den einzelnen Staaten als interacting units Seine Balance of Power BOP Theorie besagt dass Staaten Akteure in einer Struktur seien in der aufgrund der Abwesenheit einer Zentralgewalt Weltregierung Anarchie herrsche Dies zwinge den Staaten ein auf Sicherheit und Macht konzentriertes Handeln auf Hilf dir selbst Prinzip Schliesslich sei das oberste staatliche Ziel das eigene Uberleben Staaten seien rationale und von Interessen geleitete Akteure mit unterschiedlicher Macht Staatliche Sicherheitspolitik soll die eigene Macht garantieren und sie wird damit bei dieser Theorie zur vordringlichsten Aufgabe der Staaten erhoben Dabei spielen nicht nur die militarische Starke sondern auch die okonomische Macht eines Staates eine wichtige Rolle Gibt es Machtungleichgewichte dann tendieren Staaten nach Waltz dazu diese auszugleichen Das geht durch eigene Aufrustung oder durch Bildung von Allianzen 13 Waltz meint eine bipolare Struktur so wie sie im Ost West Konflikt deutlich zutage trat sei die beste da am ehesten friedenserhaltend 14 Stephen M Walt stellte die Balance of Power Theorie auf eine neue Grundlage und sprach vom Gleichgewicht des Schreckens Balance of Threat weil nicht alle Staaten in balancing Aktivitaten einsteigen sondern nur gegenuber jenen die sie furchten Beispielsweise haben die westeuropaischen Staaten im Kalten Krieg versucht ein Gleichgewicht gegen den Warschauer Pakt zu erhalten aber sie haben sich nicht untereinander als bedrohlich und demzufolge nicht als ausgleichungswurdig empfunden John J Mearsheimer versuchte nach dem Ende des Ost West Konflikts die Balance of Power Theorie neu aufzustellen weil der Neo Realismus das Ende des Kalten Krieges nicht vorhersagen oder erklaren konnte Mearsheimer selbst versteht sich als offensive realist d h er glaubt dass Staaten nicht nur Balancing Aktivitaten verfolgen sondern oft auch aggressiv sein mussen um ihr Uberleben zu sichern Im Gegensatz dazu beschrieb er Waltz als defensive realist der das Uberleben der Staaten nur durch balancing sichergestellt sieht Mearsheimer gilt als relativ angriffslustiger Theoretiker der andere Theorien Neoliberalismus Konstruktivismus etc stark kritisiert und heute v a vor einem aufstrebenden China warnt Literatur BearbeitenMichael Sheehan The Balance of Power History and Theory London New York 1996 ISBN 0 415 11931 6 Arno Strohmeyer Gleichgewicht der Krafte In Friedrich Jaeger Hrsg Enzyklopadie der Neuzeit Band 4 Friede Gutsherrschaft Stuttgart Weimar 2006 ISBN 3 476 01994 2 S 925 931 Kenneth N Waltz Theory of International Politics Random House New York 1979 John J Mearsheimer The Tragedy of Great Power Politics W W Norton New York 2001 Stephen M Walt The Origins of Alliances Cornell University Press Ithaca 1987 Einzelnachweise Bearbeiten Hans Peter Nissen Gerda Haufe Rainer Olaf Schultze Gleichgewicht In Dieter Nohlen Hrsg Lexikon der Politik Band 1 Politische Theorien Directmedia Berlin 2004 S 159 Wichard Woyke Internationale Sicherheit In derselbe Hrsg Handworterbuch Internationale Politik 6 Auflage Leske Budrich Opladen 1995 S 196 Bard Thompson Humanists and Reformers A History of the Renaissance and Reformation William B Eerdmans Grand Rapids Cambridge 1996 S 293 Hans Peter Nissen Gerda Haufe Rainer Olaf Schultze Gleichgewicht In Dieter Nohlen Hrsg Lexikon der Politik Band 1 Politische Theorien Directmedia Berlin 2004 S 159 Karl Otmar Freiherr von Aretin Tausch Teilung und Landerschacher als Folgen des Gleichgewichtssystems der europaischen Grossmachte Die Polnischen Teilungen als europaisches Schicksal In Jahrbuch fur die Geschichte Mittel und Ostdeutschlands 30 1981 S 53 68 Michael Hundt Frieden und internationale Ordnung im Zeitalter der Franzosischen Revolution und Napoleons I 1789 1815 In Bernd Wegner Wie Kriege enden Wege zum Frieden von der Antike bis zur Gegenwart Krieg in der Geschichte Band 14 Schoningh Paderborn 2002 S 123 f Gunter Barudio Das Zeitalter des Absolutismus und der Aufklarung 1648 1779 Fischer Weltgeschichte Band 25 Fischer Frankfurt am Main 1981 S 357 Hans Peter Nissen Gerda Haufe Rainer Olaf Schultze Gleichgewicht In Dieter Nohlen Hrsg Lexikon der Politik Band 1 Politische Theorien Directmedia Berlin 2004 S 159 Elisabeth Fehrenbach Vom Ancien Regime zum Wiener Kongress Oldenbourg Grundriss der Geschichte Band 12 3 Auflage Oldenbourg Munchen 2014 ISBN 978 3 486 82068 3 S 124 131 abgerufen uber De Gruyter Online Wichard Woyke Internationale Sicherheit In derselbe Hrsg Handworterbuch Internationale Politik 6 Auflage Leske Budrich Opladen 1995 S 196 Louis Bergeron Francois Furet und Reinhart Koselleck Das Zeitalter der europaischen Revolutionen 1780 1848 Fischer Weltgeschichte Band 26 Fischer Frankfurt am Main 1969 S 220 ff Hans Peter Nissen Gerda Haufe Rainer Olaf Schultze Gleichgewicht In Dieter Nohlen Hrsg Lexikon der Politik Band 1 Politische Theorien Directmedia Berlin 2004 S 159 Helmut Altrichter Walther L Bernecker Geschichte Europas im 20 Jahrhundert Kohlhammer Stuttgart 2004 ISBN 3 17 013512 0 S 36 ff Wichard Woyke Internationale Sicherheit In derselbe Hrsg Handworterbuch Internationale Politik 6 Auflage Leske Budrich Opladen 1995 S 196 Xuewu Gu Balance of Power In Carlo Masala Frank Sauer Andreas Wilhelm Hrsg Handbuch der internationalen Politik VS Verlag fur Sozialwissenschaften Wiesbaden 2010 ISBN 978 3 531 14352 1 S 67 75 hier S 72 Niklas Schornig Neorealismus In Siegfried Schieder Manuela Spindler Hrsg Theorien der Internationalen Beziehungen Leske Budrich Opladen 2003 S 61 88 Kenneth N Waltz Theory of International Politics Random House New York 1979 Wichtig fur Waltz Theorieverstandnis sind vor allen die Kapitel 1 und 4 6 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Machtegleichgewicht amp oldid 238061973