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Jacques Maritain 18 November 1882 in Paris 28 April 1973 in Toulouse war ein franzosischer Philosoph ein Schuler von Henri Bergson und massgeblicher Vertreter der katholischen Philosophie im 20 Jahrhundert Jacques Maritain Inhaltsverzeichnis 1 Uberblick 2 Maritain im Detail 2 1 Vorthomistische Phase 2 1 1 Ausbildung und Beginn 2 1 2 Kritik an Bergson und erste Werke 2 2 Thomismus und Humanismus 2 2 1 Bekenntnis zu Demokratie und Humanismus 2 2 2 Personalismus 2 2 3 Mitwirkung an der Allgemeinen Erklarung der Menschenrechte 2 3 Spatwerk 2 4 Maritains lebendiger Thomismus 3 Schriften 3 1 Im Original 3 2 In deutscher Ubersetzung 4 Literatur 5 Einzelnachweise 6 WeblinksUberblick BearbeitenWahrend seines Studiums an der Pariser Sorbonne kam Jacques Maritain mit dem Gedankengut von Thomas von Aquin in Beruhrung das im Mittelpunkt seiner zahlreichen Publikationen steht Unter dem Einfluss von Leon Bloy trat Maritain der selbst in einem protestantischen Milieu aufgewachsen war mit seiner Frau Raissa 1906 der katholischen Kirche bei In den 1930er Jahren hielt er sich verschiedentlich zu Gastvorlesungen in den USA auf Bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges entschied er in Nordamerika zu bleiben Er lehrte in Toronto Kanada an der Princeton University in Princeton New Jersey und an der Columbia University in New York City Nach dem Zweiten Weltkrieg war er franzosischer Botschafter im Vatikan und wirkte am Text der UN Menschenrechtscharta mit Von 1948 bis 1960 lehrte er als emeritierter Professor an der Princeton University und kehrte anschliessend nach Frankreich zuruck Nach dem Tod seiner Ehefrau Raḯssa Ende 1960 lebte der Witwer bis zu seinem Tod als Mitglied der franzosischen Ordensgemeinschaft Kleine Bruder Jesu des Charles des Foucauld 1 Die grosse Anerkennung die sich Maritain in den USA erwarb dokumentiert sich in dem an der University of Notre Dame in South Bend Indiana USA bestehenden Jacques Maritain Center Die Konigliche Akademie von Belgien nahm ihn im Dezember 1945 als assoziiertes Mitglied auf 2 1955 wurde er als Ehrenmitglied in die American Academy of Arts and Letters gewahlt 3 Dem christlichen Denken von Maritain wird grosser Einfluss auf die katholische Kirche in der zweiten Halfte des 20 Jahrhunderts zugebilligt da sein Integraler Humanismus Buchtitel von 1935 den Dialog mit der Moderne vorbereitet habe den das II Vatikanum der Kirche zur Aufgabe gemacht hat Maritain im Detail Bearbeiten Vorthomistische Phase Bearbeiten Ausbildung und Beginn Bearbeiten Geboren wurde Maritain am 18 November 1882 in Paris Als junger Mann beschaftigte er sich mit sozialistischen Ideen und stand wahrend der Affare um den judischen Obersten Alfred Dreyfus auf dessen Seite gegen ungerechtfertigte Angriffe 1901 traf er wahrend seines Studiums an der Pariser Sorbonne seine Kommilitonin Raissa Oumansoff die Tochter russisch judischer Immigranten beide verband lebenslang eine romantische intellektuelle und spirituelle Zusammenarbeit 4 In seiner vorthomistischen Phase 1882 1910 wandte sich Maritain da er nach Lebenssinn stiftender absoluter Wahrheit suchte vom liberal relativistischen Protestantismus seiner Familie ab und liess sich 1906 mit Raissa 1883 1960 inzwischen seine Frau und mit Leon Marie Bloy als Pate in die katholische Kirche aufnehmen 5 Zunachst frustriert durch die positivistischen und antimetaphysischen Stromungen an der Sorbonne an der er von 1900 bis 1906 Philosophie und Naturwissenschaften studierte fand er in der Philosophie von Henri Bergson einen grundsatzlichen Zugang zum Absoluten Weil er dessen Ansatz als anti intellektuell ansah kam ihm ein Stipendium der Biologie sehr entgegen das ihm von 1906 bis 1908 in Heidelberg bei Hans Driesch die Moglichkeit bot die Philosophie furs Erste ruhen zu lassen Dies anderte sich schlagartig als Maritain ab dem Herbst 1910 mit dem Studium der Summa Theologiae begann Kritik an Bergson und erste Werke Bearbeiten Mit dem Eifer eines Neophyten zeigte Maritain 1914 mit seinem ersten Buch La Philosophie bergsonienne offensiv die Widerspruche in Bergsons Denken durch eine Gegenuberstellung mit der thomistischen Philosophie auf Von da an versuchte Maritain einerseits die Grundbegriffe des hl Thomas und der klassischen Metaphysik in verschiedenen Bereichen fruchtbar zu machen so u a in der Philosophiegeschichte Antimoderne 1922 Trois Reformateurs 1925 in der Asthetik Art et Scolastique 1920 Frontieres de la poesie 1926 in Fragen der Spiritualitat De la vie d oraison 1925 Primaute du spirituel 1927 Gleichzeitig stand Maritain in intensivem Austausch mit Schriftstellern Kunstlern und Denkern verschiedener Couleur viele Briefwechsel u a mit Julien Green 1926 1972 Reponse a Jean Cocteau 1926 Maritains geistiges Interesse verstarkt durch seine Professur fur moderne Philosophiegeschichte ab 1914 am Institut Catholique liess ihn zunachst im Universum der Ideen vollig aufgehen Das brachte nach dem Urteil seiner Frau Raissa eine gewisse Weltfremdheit mit sich da ihn seine Mitmenschen nur als Trager abstrakter Theorien interessierten In dieser Phase widmete sich Maritain vor allem epistemologischen Problemen Thomismus und Humanismus Bearbeiten Im Thomismus fand er nicht nur eine realistische Philosophie des Begriffes sondern auch eine Metaphysik die er vehement gegen Modernismus und Liberalismus einsetzte Seine Sympathie mit der Action Francaise forciert durch seinen Beichtvater Humbert Clerissac OP und seine Ausserungen gegen den Demokratismus und die egalitare Utopie fuhrten dazu dass man ihn nicht nur zur extremen Rechten zahlte sondern auch als Sprecher der kirchlichen Lehre sah Das anderte sich deutlich nach dem Verbot der restaurativ royalistischen Action Francaise durch Pius XI 1926 Indem Maritain Roms Position verteidigte Le sens de la condamnation 1927 Clairvoyance de Rome 1929 distanzierte er sich zunehmend von konservativen philosophischen wie auch kirchlichen Kreisen Als epistemologisches Hauptwerk und gleichzeitig als Schlussstrich seiner konzeptualistischen Phase gilt Les Degres du savoir 1932 Darin zeigte Maritain wie die verschiedenen Erkenntnisarten aus Naturwissenschaft Mathematik Metaphysik und Mystik aufeinander aufbauen und einander erganzen Bekenntnis zu Demokratie und Humanismus Bearbeiten Nicht nur an Maritains Werken ab 1933 lasst sich ablesen dass seine dritte Schaffensphase unter dem Primat der Freiheit stand Philosophisch richtete Maritain sein Augenmerk erst verstarkt auf die Ontologie d h er untersuchte neben der Essenzordnung intensiv die von ihm bis dahin eher vernachlassigte Existenzordnung Sept lecons sur l etre 1934 De Bergson a Thomas d Aquin 1944 Zusatzlich suchte er personlich gegenuber der katholischen Hierarchie eine eigenstandigere Position als christlicher und weniger als apologetischer Philosoph einzunehmen Dabei scheute er sich nicht fur das politisch linke Spektrum einzutreten Er unterstutzte den Aufbau der liberalkatholischen Zeitschrift Sept sowie als freier Mitarbeiter die 1935 entstehende linke Wochenzeitung Vendredi die sich ruhmte die bekanntesten Kopfe der Linken zu vereinen Zudem wandte er sich konsequent der Praktischen Philosophie zu und beschaftigte sich mit Fragen der Ethik Science et Sagesse 1935 Saint Thomas et le probleme du mal 1942 sowie mit den Grundlagen der Politik Seine Studien pragte nun ein klares Bekenntnis zur Demokratie und gipfelten bereits 1936 in Humanisme integral dem grossen Werk seiner zweiten Phase Darin legte Maritain eine Gesellschaftsordnung vor deren humanistische Grundwerte dem Geist des Evangeliums entsprechen zugleich aber ohne eine konfessionelle Bindung von Parteien auskamen Weitere Werke zum Schutz der demokratischen Freiheit und zur Vermeidung von Diktaturen folgten Les Droits de l homme et la loi naturelle 1942 Christianisme et democratie 1943 Principes d une politique humaniste 1944 nicht zuletzt um vom Naturgesetz her die Rechte der Person allgemein verbindlich definieren und ihre unantastbare Wurde durch einen theozentrischen Humanismus schutzen zu konnen Seit Mitte der zwanziger Jahre wurde Maritain europaweit zu Vortragen eingeladen 1933 zu ersten Gastvorlesungen nach Toronto und Chicago Nachdem seine Tatigkeit als Gastprofessor in den USA stetig zunahm verlegte er nicht zuletzt aufgrund der Kriegswirren seinen Wohnsitz ab 1940 nach New York von wo aus er durch mehr als einhundert Artikel und Radioansprachen den Kampf gegen das NS Regime unterstutzte Personalismus Bearbeiten Maritains letzte Schaffensphase 1947 1973 von vielen Maritain Kritikern ubergangen war gepragt durch die Erarbeitung eines koharenten Personalismus Obwohl Maritain auf Drangen von Charles de Gaulle 1945 1948 das Amt des Botschafters am Heiligen Stuhl in Rom ubernommen hatte nutzte er jede freie Minute um die verschiedenen Erkenntnisformen seiner vorigen Phase die Maritains Meinung nach fur den Philosophen konstitutive Seins bzw Existenzintuition Sept lecons sur l etre 1934 die Erkenntnis durch naturliche Mystik Quatre essais sur l esprit 1939 sowie die moralischen Entscheidungen vorausgehende Einsicht in die moralische Ordnung De Bergson a Thomas d Aquin 1944 weiter zu entfalten und in einem umfassenden System zusammenzufuhren Daneben unterstutzte er auch Initiativen der Verstandigung zwischen Christen und Juden in der Konferenz von Seelisberg und in der Fribourg Konferenz Bisher schienen ihm nur Erkenntnisformen brauchbar obwohl er um andere wusste die zur Essenzebene gehoren und als begriffliche Erkenntnis den verschiedenen Abstraktionsgraden zugeordnet werden konnen Indem er nun beim menschlichen Erkennen verschiedene Arten konnaturaler Einsichten unterschied konnte er auch die Erkenntnisformen in seine Epistemologie integrieren die auf der Existenzebene stattfinden Damit gelang Maritain eine metaphysische Grundlegung der Person Court traite 1947 Raison et raisons 1947 die nicht langer nur als suppositum als Trager von Intellekt und Wille galt Indem Maritain die Subsistenz nicht mehr als passiven Status der Unabhangigkeit sondern als aktive und autonome Ausubung des Existenzaktes definierte konnte er die Person als neue subsistierende Dimension umschreiben die um sich selbst weiss Selbstinnerlichkeit und uber sich selbst verfugt Selbstand Selbstand meint fur ein geistbegabtes Subjekt dass es sich nicht in mentalen Operationen erschopft sondern einer nie versiegenden Quelle gleicht die sich in Akten von Erkenntnis und Liebe verstromt Darum pragte Maritain den Begriff geistige Uberexistenz um damit das Zentrum der Person zu umschreiben das im Letzten auf unerschopflichen interpersonalen Austausch angelegt ist In diesem Kontext ist zu diskutieren wie Maritains Verhaltnis zum franzosischen Existenzialismus ist Mit Sartre und dessen Atheismus La signification de l atheisme contemporain 1949 aber auch mit Kierkegaard und Heidegger hat er sich intensiv auseinandergesetzt ihre Beitrage aber gegenuber Thomas als verfehlt erklart 6 Mitwirkung an der Allgemeinen Erklarung der Menschenrechte Bearbeiten Nach 1945 wurde ihm eine wichtige Aufgabe ubertragen Er sollte die Leitung der Delegation ubernehmen die Frankreich bei den UNESCO Sitzungen in Mexiko Stadt vertrat wo es einen Entwurf fur einen global geltenden Katalog von Menschenrechten auszuarbeiten galt In den Diskussionen konnte Maritain auf seinen philosophisch fundierten Katalog von 26 Menschenrechten zuruckgreifen Les Droits de l homme et la loi naturelle 1942 und damit gleichermassen eine prazise wie ubergreifende Bestimmung der eigentlichen personalen Rechte vorlegen Sein Einfluss auf die Beratungen in Mexiko kam schliesslich darin zum Ausdruck dass sich 22 der 26 von ihm vorgeschlagenen Rechte in der Allgemeinen Erklarung der Menschenrechte wiederfanden die die Vereinten Nationen am 10 Dezember 1948 verabschiedeten Bereits im Fruhjahr 1948 bat Maritain um seine Entlassung aus dem diplomatischen Dienst und kehrte aus Rom in die USA seine Wahlheimat zuruck Spatwerk Bearbeiten In Princeton nahm er als Professor emeritus den eigens fur ihn eingerichteten Lehrstuhl fur Moralphilosophie an und arbeitete weiter an Aspekten des Existentialismus und Personalismus Dazu gehorten zunachst Ausfuhrungen zum Freiheitsbegriff zur intuitiven Einsicht in moralische Normen und zum aus moralischem Handeln resultierenden Seinswachstum La loi naturelle 1950 Neuf lecons sur la philosophie morale 1951 Approches de Dieu 1953 Mit diesen Grundlagen konnte er 1953 in seinem Hauptwerk dieser Phase L Intuition creatrice dans l art et dans la poesie anhand der detaillierten Untersuchung dessen was sich im Kunstler von der auslosenden Inspiration bis zum fertigen Kunstwerk abspielt ein dynamisches Seelenmodell vorlegen Darin integrierte er samtliche Aspekte konnaturaler Erkenntnis innerpsychischer Vorgange schopferisch personaler Selbstandigkeit und ontologischer Seinsmachtigkeit Spater ging Maritain auch noch an die theologische Untersuchung der Person Jesu und seiner beiden Naturen De la grace et de l humanite de Jesus 1967 Der Lehrstuhl in Princeton liess Maritain genugend Freiraum fur internationale Vortrage v a in den aufstrebenden Staaten Lateinamerikas fur Kongresse wie auch fur eine Reihe weiterer sehr verschiedener Veroffentlichungen Pour une philosophie de l education 1953 Le Peche de l Ange 1956 Pour une philosophie de l histoire 1957 Liturgie et contemplation 1959 La Philosophie morale 1960 Durch den Tod seiner Schwagerin Vera 1959 die seit 1907 den gemeinsamen Haushalt versorgt hatte und seiner Frau 1960 geriet Maritain in eine schwere Krise Er liess sich im Marz 1961 in Toulouse nieder wo er bis zu seinem Tod bei den von Charles de Foucauld gegrundeten Petits Freres de Jesus eine neue geistige Heimat fand und sich eigentlich nur ungestort auf das Sterben vorbereiten wollte Wider Erwarten begann er erneut zu publizieren Auf die personlichen Aufzeichnungen seiner Frau Journal de Raissa 1962 folgten seine eigenen Memoiren Carnet de notes 1964 In der Folgezeit erganzte er viele seiner Werke und Gedanken durch eine Fulle weiterer Artikel und Vortrage Approches sans entraves 1973 posthum Sein Buch Le Paysan de la Garonne 1966 ist eine Zusammenfassung seines Denkens in einem kritischen Blick auf Veranderungen in der Kultur in der Politik und in der Kirche es ist nicht zuletzt eine Kritik von Entwicklungen beim Zweiten Vatikanischen Konzil 7 Vor diesem Hintergrund kann Maritains letzte Schaffensphase kaum als Ruckfall ins rechte Lager bezeichnet werden sondern ist als eigenstandiges Streben nach einem koharenten personalistischen Ansatz zu werten Offizielle Anerkennung erntete er dafur u a durch die Grundung des Jacques Maritain Center an der Notre Dame University in Indiana USA 1958 des Cercle d etudes Jacques et Raissa Maritain in Kolbsheim Frankreich 1962 des Institut International Jacques Maritain 1964 in Rom sowie durch die Verleihung des Grand Prix de Litterature im Juni 1961 und des Grand Prix National des Lettres 1963 seitens der Academie Francaise Am 8 Dezember 1965 nahm er zum Abschluss des II Vaticanums zusammen mit Jean Guitton aus der Hand seines langjahrigen Freundes Papst Paul VI mit dem er sich in der Zeit als Vatikanbotschafter in Rom fast wochentlich getroffen hatte die Botschaft an die Welt der Geisteswissenschaften in Empfang Sein Werk hatte grossen Einfluss auf die Grundhaltungen des Konzilspapstes Maritain lieferte auch einen Entwurf fur das Credo des Gottesvolkes von 1968 den sein langjahriger Freund Charles Journet unabgesprochen unverandert dem Papst zusandte Dieser fand in dem Entwurf den angemessenen Ausdruck des sensus fidelium Glaubenssinnes der Glaubigen und legte den Entwurf weitgehend dem verbindlichen Credo zugrunde Auf Maritains offiziellen Eintritt ins Noviziat der Kleinen Bruder am 1 Oktober 1970 folgten bereits ein Jahr spater die Ewige Profess in deren Gemeinschaft der Pilger des Absoluten er 1973 starb Maritains lebendiger Thomismus Bearbeiten Maritain vertrat einen lebendigen Thomismus der unvoreingenommen mit den geistigen Anstrengungen der Moderne sympathisiert und wie der hl Thomas uber aktuelle Probleme nachdenkt Fur ihn war der Thomismus heute noch wie im Mittelalter aktiv eroberungslustig und als einziger in der Lage unter der Bedingung dass die Integritat seiner Prinzipien erhalten bleibt auf die gegenwartigen Schwierigkeiten zu antworten Darum Maritains viel zitiertes Weh mir wenn ich nicht Thomas treibe Ausfuhrlich prasentierte Maritain sein Verstandnis des Thomismus in Le Docteur angelique 1930 22 25 wo er thesenhaft u a darauf hinweist dass es eine thomistische Philosophie aber keinen Neothomismus gibt Denn der Thomismus erhebt den Anspruch die Vernunft fur die Unterscheidung von richtig und falsch zu gebrauchen Er will das moderne Denken nicht vernichten sondern es reinigen und alles integrieren was seit Thomas als wahr entdeckt wurde So gesehen ist der Thomismus eine Weisheit denn seine Prinzipien und seine Struktur basieren einzig auf der Erfahrung und der Vernunft Damit ist er zwar von den Grundgegebenheiten des Glaubens unabhangig aber offen fur dessen Anregungen Bereits wenige Jahre zuvor schrieb er dass der Thomismus nicht die Philosophie eines Einzelnen ist oder ein System unter anderen sondern vielmehr die bestandig sich weiter entwickelnde Philosophie der Menschheit Als Seinsphilosophie vertraut sie der Vernunft mit mehr Kuhnheit als alle anderen Philosophien steht jedoch im Dialog mit ihnen und greift deren Beitrage auf Mit dieser Auffassung grenzte sich Maritain von vielen Neo Thomisten ab die mehr an einer nach innen gerichteten Systematisierung des Thomismus interessiert waren Nach ihrem Verstandnis entsprach der Philosophia perennis ein geschlossenes System da nur so gegenuber den Veranderungen der Moderne und deren Prinzip der Geschichtlichkeit das alles zu relativieren schien uberzeitliche Gultigkeit garantiert werden konnte Dazu stand Maritains kreativer Ansatz in gewissem Gegensatz da dieser zwar die Texte des Thomas voraussetzte allerdings nicht im Sinne der Forschung die ein Philosophiehistoriker betreibt Vielmehr sollten aktuelle Fragen und Probleme im Licht des Denkens und der Prinzipien des Aquinaten betrachtet werden Dieser sei der Apostel der Moderne unsere Aufgabe hingegen ist es fur die neuen Materialien und Probleme die wertvollen Werkzeuge der Weisheit die Denkmittel einzusetzen mit denen er uns ausgerustet hat Maritains Verstandnis des Thomismus ist durchweg von grosser Kreativitat gepragt so dass Etienne Gilson trotz seiner andersartigen Thomas Interpretation von begnadeten charismatischen Einsichten spricht Es gab wohl keine Frage egal wo sie gestellt wurde die Maritain nicht begriff und auf die er keine Antwort gab Damit verweist Gilson auf das Phanomen dass sich Maritains Schriften mit fast samtlichen Bereichen der Geisteswissenschaften beschaftigten Neben den verschiedenen Disziplinen der Philosophie wie Ontologie Epistemologie Metaphysik Logik Philosophiegeschichte Anthropologie und Ethik befasste er sich u a mit Fragen der Kunst Politik Padagogik Spiritualitat Theologie Wenn es einem Thomisten im 20 Jahrhundert gelungen ist den Thomismus und seine Prinzipien uber philosophisch interessierte Zirkel hinaus fruchtbar ins Gesprach zu bringen dann ist es verstandlich dass sich Papst Johannes Paul II entschloss Maritain neben die Meister der antiken Philosophie zu stellen Denn Maritain hat sich typisch neuscholastischen Katalogisierungsbemuhungen erfolgreich widersetzt und in kreativer Eigenstandigkeit viele offene Fragen des Thomismus beantwortet oder vorangebracht So u a eine auf konnaturale Einsichten aufbauende Epistemologie eine gleichermassen die Essenz wie die Existenzordnung berucksichtigende Ontologie ein von den Kategorien Freiheit und Liebe ausgehender analoger Personbegriff ein dynamisches Seelenmodell das nicht nur Erkenntnisse der modernen Psychologie aufnimmt sondern auch Anforderungen und Konsequenzen ethischen Handelns in einer modernen Anthropologie integriert Sein koharenter Personalismus ermoglichte es dem spaten Maritain das neuzeitliche Prinzip der Geschichtlichkeit nicht als Faktor einer Relativierung uberzeitlicher Wahrheiten sondern als Ausdruck menschlicher Freiheit und Verantwortung zu sehen Der Mensch ist zu Erkenntnis und Handeln in Freiheit und Liebe geschaffen und kann zur Vermenschlichung der Welt sowie zu ihrer Vergottlichung mit Hilfe der Gnade beitragen ganz im Sinne eines integralen Humanismus Diese Interaktion mit der Welt und ihren Geschopfen beeinflusst einerseits den Lauf der Geschichte muss aber andererseits an uberzeitlichen Prinzipien gemessen werden konnen die daruber entscheiden ob das Wechselspiel der Freiheiten das die Grundlage der Geschichte bildet eine zu oder abnehmende Humanisierung des Menschen und seiner Welt Seinswachstum oder minderung bewirkt Gilsons Urteil Maritain ist der einzige Thomist unserer Tage dessen Denken sich bewahrheitet hat als hochstehend kuhn kreativ und fahig sich mit den drangendsten Problemen auseinander zu setzen Zurzeit 2020 gibt es im Buchhandel keinen Text Maritains in deutscher Sprache trotz seines Lobes noch durch Joseph Ratzinger 8 Auch Papst Franziskus lobte ihn 2016 erneut als tiefen franzosischen Denker mit Guitton Blondel und dem Nichtkatholiken Levinas Maritain identifizierte aber weitgehend das christliche Erbe mit den Werten der Demokratie dann wird man schwerlich erwarten dass die demokratische Uberzeugung in einer nichtchristlichen Umwelt Bestand haben kann 9 Nicht nur diese Position macht seine Rezeption heute schwierig 10 Heinz Hurtens Sichtung des Einflusses auf das politische Denken in Deutschland hebt seine negative Bewertung der katholischen Zentrumspartei oder christlichen politischen Parteien CDU hervor die in den 1950er Jahren nicht gut ankommen konnten 11 Auch sei der sehr wirkmachtige Personalismus in der Trias mit Subsidiaritat und Solidaritat in Deutschland eher mit Max Scheler und Romano Guardini auch mit Martin Buber begrundet worden Der Begriff sei auf Emmanuel Mounier zuruckzufuhren Maritains Beitrage zur Erklarung der Menschenrechte blieben weitgehend in Deutschland unbekannt da die 1948 erklarten sozialen Rechte fur viele unter dem Verdacht standen eine zu grosse Konzession an die Linke gewesen zu sein Auch Maritain selbst identifizierte sich keineswegs mit der Erklarung von 1948 da in ihr das Wort Gott gar nicht vorkomme An ihre Stelle wollte er eine letztlich christliche Moralische Charta treten lassen 12 Schriften BearbeitenIm Original Bearbeiten La philosophie bergsonienne 1914 1948 Elements de philosophie 2 Bd e Paris 1920 23 Art et scolastique 1920 Theonas ou les entretiens d un sage et de deux philosophes sur diverses matieres inegalement actuelles Paris Nouvelle librairie nationale 1921 Antimoderne Paris Edition de la Revue des Jeunes 1922 Reflexions sur l intelligence et sur sa vie propre Paris Nouvelle librairie nationale 1924 Trois reformateurs Luther Descartes Rousseau avec six portraits Paris Plon 1925 Reponse a Jean Cocteau 1926 Une opinion sur Charles Maurras et le devoir des catholiques Paris Plon 1926 Primaute du spirituel 1927 Pourquoi Rome a parle coll Paris Spes 1927 Quelques pages sur Leon Bloy Paris 1927 Clairvoyance de Rome coll Paris Spes 1929 Le docteur angelique Paris Paul Hartmann 1929 Religion et culture Paris Desclee de Brouwer 1930 1946 1968 nochmals mit Du regime 1933 Le thomisme et la civilisation 1932 Distinguer pour unir ou Les degres du savoir Paris 1932 Le songe de Descartes Suivi de quelques essais Paris 1932 De la philosophie chretienne Paris Desclee de Brouwer 1933 Du regime temporel et de la liberte Paris DDB 1933 Sept lecons sur l etre et les premiers principes de la raison speculative Paris 1934 Frontieres de la poesie et autres essais Paris 1935 La philosophie de la nature Essai critique sur ses frontieres et son objet Paris 1935 1948 Lettre sur l independance Paris Desclee de Brouwer 1935 Science et sagesse Paris 1935 Humanisme integral Problemes temporels et spirituels d une nouvelle chretiente zunachst spanisch 1935 Paris Fernand Aubier 1936 1947 Les Juifs parmi les nations Paris Cerf 1938 Questions de conscience essais et allocutions Paris Desclee de Brouwer 1938 La personne humaine et la societe Paris 1939 Le crepuscule de la civilisation Paris Ed Les Nouvelles Lettres 1939 Quattre essais sur l esprit dans sa crudition charnelle Paris 1939 1956 De la justice politique Notes sur le presente guerre Paris 1940 Scholasticism and politics New York 1940 A travers le desastre New York 1941 1946 Confession de foi New York 1941 Ransoming the time Redeeming the time New York 1941 La pensee de St Paul New York 1941 Paris 1947 Les Droits de l Homme et la Loi naturelle New York 1942 Paris 1947 Saint Thomas and the problem of evil Milwaukee 1942 Essays in Thomism New York 1942 Christianisme et democratie New York 1943 Paris 1945 Education at the crossroad New Haven 1943 Principes d une politique humaniste New 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Examen historique et critique des grands systemes Paris 1960 Man s approach to God Latrobe Pennsylvania 1960 On the use of philosophy Princeton 1961 A preface to metaphysics New York 1962 Dieu et la permission du mal 1963 Carnet de notes Paris DDB 1965 L intuition creatrice dans l art et dans la poesie Paris Desclee de Brouwer 1966 engl 1953 Le paysan de la Garonne Un vieux laic s interroge a propos du temps present Paris DDB 1966 Challenges and renewals ed J W Evans L R Ward Notre Dame Ind 1966 The education of man The educational philosophy of J M ed D I Gallagher Notre Dame Ind 1967 De la grace et de l humanite de Jesus 1967 De l Eglise du Christ La personne de l eglise et son personnel Paris 1970 Approches sans entraves posthum 1973 Oeuvres completes de Jacques et Raissa Maritain 17 Bde 1982 2008 In deutscher Ubersetzung Bearbeiten Antimodern Die Vernunft in der modernen Philosophie und in der aristotelisch thomistischen Erkenntnisordnung Augsburg 1930 original 1922 Der Thomismus 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Struktur der Gotteslehre bei Jacques Maritain Munchen 1967 Diss 1965 H Riefstahl Jacques Maritain Zum 5 Jahrestag seines Todes Zeitschrift fur philosophische Forschung 32 1978 S 103 ff Benedikt Ritzler Artikel Maritain Jacques in Berger David und Vijgen Jorgen Hrsg Thomistenlexikon Verlag nova amp vetera Bonn 2006 Spalten 426 ff ISBN 3 936741 37 9 Benedikt Ritzler Freiheit in der Umarmung des ewig Liebenden Die historische Entwicklung des Personverstandnisses bei Jacques Maritain Bern 2000 Diss 1999 ISBN 3 906764 37 0 Martin Schewe MARITAIN Jacques katholischer Philosoph In Biographisch Bibliographisches Kirchenlexikon BBKL Band 5 Bautz Herzberg 1993 ISBN 3 88309 043 3 Sp 829 835 Artikel Artikelanfang im Internet Archive Hermann Steinkamp Der Personalismus in der Sozialphilosophie Jacques Maritains Bonn 1966 Diss 1966 Einzelnachweise Bearbeiten Victor Conzemius Jacques Maritain Zeitgenossenschaft als Zeugnis In Stimmen der Zeit Bd 220 2002 S 159 176 hier S 162 Academicien decede Jacques Henri Aime Maritain Academie royale des Sciences des Lettres et des Beaux Arts de Belgique abgerufen am 17 Oktober 2023 franzosisch Honorary Members Jacques Maritain American Academy of Arts and Letters abgerufen am 15 Marz 2019 Vgl den Abschnitt uber Maritain in Jan Werner Muller Making Muslim Democracies Boston Review Nov Dez 2010 Victor Conzemius Jacques Maritain Zeitgenossenschaft als Zeugnis In Stimmen der Zeit Bd 220 2002 S 159 176 hier S 161 Jacques Maritain Existence and the Existent Paulist Press 2015 ISBN 978 1 58768 241 4 google de abgerufen am 23 Juni 2020 Victor Conzemius Jacques Maritain Zeitgenossenschaft als Zeugnis In Stimmen der Zeit Bd 220 2002 S 159 176 hier S 160 James G Hanink Maritain amp Ratzinger Puzzles about the Person academia edu abgerufen am 26 August 2020 Benedikt Ritzler J M Politischer Vordenker und Vertreter einer erneuerten Weisheitsphilosophie convivio mundi de PDF Die Tagespost Die Tagespost 18 Mai 2016 abgerufen am 26 August 2020 deutsch 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lobid OGND AKS LCCN n80067092 NDL 00448853 VIAF 7393855 Wikipedia Personensuche PersonendatenNAME Maritain JacquesALTERNATIVNAMEN Maritain Jacques Henri Aime vollstandiger Name KURZBESCHREIBUNG franzosischer PhilosophGEBURTSDATUM 18 November 1882GEBURTSORT ParisSTERBEDATUM 28 April 1973STERBEORT Toulouse Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Jacques Maritain amp oldid 238234301