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Geschlechtsvormundschaft lateinisch cura sexus 1 ist ein Rechtsbegriff der die Beschrankung von Frauenrechten in einer Gesellschaft bezeichnet und als wichtigstes Merkmal des Familien Patriarchalismus gilt 2 Dabei geht es um die rechtliche Unselbstandigkeit Heteronomie oder rechtlich bedingte Einschrankungen der Selbstandigkeit Autonomie von Frauen Bei Geschlechtsvormundschaft kann eine Frau ihre Rechte nicht in gleicher Weise wie ein Mann wahrnehmen sondern bedarf eines mannlichen Beistands oder Vormunds und muss die Fuhrung ihrer Geschafte gegebenenfalls vollstandig einem Mann uberlassen 3 Je nach rechtlicher Ausgestaltung kann die Geschlechtsvormundschaft in einer grossen Bandbreite von Regelungen in verschiedenen Rechtsgebieten unterschiedlich stark oder schwach ausgestaltet sein Bei einer starken Ausgestaltung kann sie dem Vormund generelle Vollmachten im Sinne einer Vormundschaft erteilen die der Vormund auch gegen den Willen des Mundels umsetzen kann Sie kann auch schwacher ausgestaltet sein als vom Mundel auszuwahlende Beistandschaft in der Form einer Geschlechtsbeistandschaft oder Geschlechtskuratel 3 Inhaltsverzeichnis 1 Weltweite Entwicklung 2 Entwicklung in Europa 3 Tabuisierung und Beginn der Erforschung 4 Siehe auch 5 Weblinks 6 Literatur 7 EinzelnachweiseWeltweite Entwicklung BearbeitenAuch wenn Geschlechtsvormundschaft in vielen Landern heute nicht mehr im Rechtssystem verankert ist etwa betreffend ein Wali als Heiratsvormund nach Massgabe des islamischen Rechts so pragen die zugrundeliegenden Traditionen soziale Normen Moralvorstellungen und das Rechtsempfinden vielfach noch immer Geschlechterrollen und Geschlechtshabitus In etlichen Landern der Welt sind bis heute in den Rechtssystemen noch starker oder schwacher ausgepragte Varianten der Geschlechtsvormundschaft vorhanden 4 Die Wahrnehmung und Thematisierbarkeit elementarer Unrechtserfahrungen von Frauen als Menschenrechtsverletzungen aber ist vor allem deshalb so schwierig weil ihre Nichtanerkennung als Gleiche oder Trager von Rechten die Zurucksetzung Bevormundung Entwurdigung der Frauen die Verletzung ihrer korperlichen Integritat in vielen fast allen Kulturen selbstverstandlicher Bestandteil des Geschlechterarrangements und damit der Frauenrolle sind Kulturelle Traditionen Gewohnheiten und Alltagsroutinen legitimieren oft selbst die Gewaltsamkeit dieser Verhaltnisse als Recht Dabei gibt es auffallige Gemeinsamkeiten bei den Leid und Unrechtserfahrungen von Frauen es ist gerade der private rechtsfreie Raum der so fest und tief in historische Traditionen und kulturelle Eigenarten eingepasst ist Ute Gerhard 1997 5 Entwicklung in Europa BearbeitenWie in vielen Landern weltweit hat die Geschlechtsvormundschaft auch in Europa eine lange Tradition von der griechischen und romischen Antike uber das Mittelalter bis in die Neuzeit Sie bildete sich unter zahlreichen Schuben und Gegenschuben erst allmahlich zuruck wobei die unterschiedlichen Rechtssysteme sehr verschiedene Regelungen und Entwicklungen mit hoher Variationsbreite entstehen liessen Im antiken Griechenland wurde die Geschlechtsvormundschaft als Institut und Rechtsbegriff erstmals voll entwickelt und bestand auch in der romischen Antike fort 2 Im Mittelalter gab es in etlichen Rechtssystemen keine Geschlechtsvormundschaft etwa im Sachsenspiegel Schwabenspiegel im Magdeburgischen Recht im bayerischen und frankischen Recht und in mehreren stadtischen Statuen Auch wo es sie weiterhin gab wurde sie vielfach abgemildert Abgelost wurde sie im 12 Jahrhundert von der Trauung durch die Kirche und die eheliche Geschlechtsvormundschaft genannt Ehevogtei 6 Auch wenn es formal eine Geschlechtsvormundschaft gab waren die Auswirkungen auf den Alltag der Frauen gering da es in der Regel nur wenige Situationen gab in denen eine Zustimmung des Vormundes erforderlich war 7 Mit zunehmender Durchsetzung des Gleichheitsgrundsatzes verschwand die Geschlechtsvormundschaft erst zwischen Ende des 19 bis Ende des 20 Jahrhunderts vollstandig aus dem Recht Besonders die Sonderform der ehelichen Geschlechtsvormundschaft hatte in Europa lange Bestand vgl auch Gleichberechtigungsgesetz 3 In der Schweiz wurde 1882 durch ein Bundesgesetz die Geschlechtsvormundschaft aufgehoben Die nichtverheirateten Frauen erhielten dadurch die volle Rechts und Handlungsfahigkeit Die verheirateten Frauen erlangten die vollstandige rechtliche Gleichstellung erst mit dem neuen Eherecht von 1988 8 9 Tabuisierung und Beginn der Erforschung BearbeitenMit der Zuruckdrangung der Geschlechtsvormundschaft wurde die lange Tradition zugleich ab Mitte des 19 Jahrhunderts weitgehend tabuisiert und ist deshalb bis heute beispielsweise nicht in den Handworterbuchern zur deutschen Rechtsgeschichte zu finden Die systematische Erforschung der Geschlechtsvormundschaft seit der Aufklarung begann erst Ende des 20 Jahrhunderts 3 Siehe auch BearbeitenMunt Vormundschaft im Personenrecht des Mittelalters pater familias Vater als Familienvorstand im romischen Recht Manusehe aus der Hand des Vaters in die Hand des Ehemannes Wali Rolle als Heiratsvormund mannlicher Heiratsvormund nach islamischem Recht Menschenrechte in Saudi Arabien Situation der Frau GeschlechterpolitikWeblinks BearbeitenAnnemarie Ryter Ein Leben unter Geschlechtsvormundschaft Anna Barbara Imhof aus Wintersingen 1840 1888 doi 10 5169 seals 871667 Literatur BearbeitenUrsula Flossmann Herbert Kalb Karin Neuwirth Osterreichische Privatrechtsgeschichte 7 Auflage Verlag Osterreich Wien 2014 ISBN 978 3 7046 6743 4 Ute Gerhard Die Frau als Rechtsperson oder Wie verschieden sind die Geschlechter Einblicke in die Jurisprudenz des 19 Jahrhunderts In Zeitschrift der Savigny Stiftung fur Rechtsgeschichte Germanistische Abteilung Band 130 Nr 1 1 August 2013 S 281 304 doi 10 7767 zrgga 2013 130 1 281 Ursula Pia Jauch Immanuel Kant zur Geschlechterdifferenz Aufklarerische Vorurteilskritik und burgerliche Geschlechtsvormundschaft Doktorarbeit Zurich 1987 Passagen Wien 1988 ISBN 3 900767 09 2 Gisela Jung Die zivilrechtliche Stellung der Frau im Grossherzogtum Hessen Uber die Geschlechtsvormundschaft im 19 Jahrhundert Hessische Historische Kommission Darmstadt Darmstadt 1997 ISBN 3 88443 064 5 Ernst Holthofer Die Geschlechtsvormundschaft Ein Uberblick von der Antike bis ins 19 Jahrhundert In Ute Gerhard Hrsg Frauen in der Geschichte des Rechts Von der Fruhen Neuzeit bis zur Gegenwart Beck Munchen 1997 ISBN 3 406 42866 5 S 390 451 Leseprobe in der Google Buchsuche Annamarie Ryter Als Weibsbild bevogtet Zum Alltag von Frauen im 19 Jahrhundert Geschlechtsvormundschaft und Ehebeschrankungen im Kanton Basel Landschaft Verlag des Kantons Basel Landschaft Liestal 1994 ISBN 3 85673 234 9 David Warren Sabean Allianzen und Listen Geschlechtsvormundschaft im 18 und 19 Jahrhundert In Ute Gerhard Hrsg Frauen in der Geschichte des Rechts Von der Fruhen Neuzeit bis zur Gegenwart Beck Munchen 1997 ISBN 3 406 42866 5 S 460 479 Leseprobe in der Google Buchsuche Hiltrud Schroter Das Gesetz Allahs Menschenrechte Geschlecht Islam und Christentum Ulrike Helmer Konigstein Taunus 2007 ISBN 978 3 89741 221 7 Susanne Weber Will Geschlechtsvormundschaft und weibliche Rechtswohltaten im Privatrecht des preussischen Allgemeinen Landrechts von 1794 In Ute Gerhard Hrsg Frauen in der Geschichte des Rechts Von der Fruhen Neuzeit bis zur Gegenwart Beck Munchen 1997 ISBN 3 406 42866 5 S 452 459 Leseprobe in der Google Buchsuche Johann Winkler Die Geschlechts Vormundschaft in ihrer geschichtlichen Entwicklung Inauguraldissertation Universitat Zurich Luzern 1868 Lexikoneintrage Geschlechtsvormundschaft In Herders Conversations Lexikon Band 3 Freiburg im Breisgau 1856 S 69 70 Geschlechtsvormundschaft In Heinrich August Pierer Julius Lobe Hrsg Universal Lexikon der Gegenwart und Vergangenheit 4 Auflage Band 7 Altenburg 1859 S 268 269 zeno org Einzelnachweise Bearbeiten Geschlechtsvormundschaft In Heinrich August Pierer Julius Lobe Hrsg Universal Lexikon der Gegenwart und 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Zwischen Moral und Handelsgeist weibliche Handlungsraume und Geschlechterbeziehungen im Spiegel des hamburgischen Stadtrechts vom 13 bis zum 16 Jahrhundert V Klostermann Frankfurt am Main 1998 ISBN 3 465 02749 3 S 87 ff Eidg Kommission fur Frauenfragen Frauen im Zivilrecht Mundigkeit Ehe Scheidung Martin Gabathuler Lynn Blattmann Geschlechterrollen In Historisches Lexikon der Schweiz Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Geschlechtsvormundschaft amp oldid 235352622