www.wikidata.de-de.nina.az
Die Geschichte der Juden in Lindau Bodensee beginnt nachweislich spatestens im 13 Jahrhundert 1 Das rege judische Leben war wiederholt durch antijudische Ausschreitungen stark beeintrachtigt die im Holocaust ihren Hohepunkt fanden Auch heute leben judische Burger eher unauffallig in der bayerisch schwabischen ehemaligen Reichsstadt Die meisten von ihnen sind aus der ehemaligen Sowjetunion seit deren Auflosung zunachst als Kontingentfluchtlinge zugewandert Inhaltsverzeichnis 1 Mittelalter 2 Neuzeit 2 1 19 und 20 Jahrhundert 3 Siehe auch 4 Literatur 5 EinzelnachweiseMittelalter BearbeitenUrkundlich erstmals erwahnt werden in Lindau ansassige Personen judischen Glaubens im Reichssteuerverzeichnis von 1241 In diesem Dokument wird der Lindauer Judengemeinde gleich ihren Uberlinger Glaubensgenossen eine Steuer von 2 Mark Silber auferlegt 1 Das judische Leben konzentrierte sich im Mittelalter auf einige Strassenabschnitte auf der Lindauer Insel so lasst beispielsweise der altere Name der westlichen Grub Judengasse den Schluss zu hier habe eine Vielzahl von Juden gelebt Als Standort des religiosen Zentrums der Synagoge kommen den Quellen zufolge zwei Orte in Frage Entweder befand sich das Gotteshaus auf dem Gelande des heutigen Reichsplatzes nahe dem Rathaus das Zinsbuch des Lindauer Damenstifts lokalisiert dort eine Judenschule ein auch von Luther gebrauchtes gangiges Synonym fur eine Synagoge oder in der Alten Metzg auf dem Gebiet des heutigen Oberen Schrannenplatzes hier erwahnt das gleiche Dokument ein Haus das der Juden war Ersteres gilt dabei als wahrscheinlicher auch der Verfasser der Lindauer Gebaudechronik von 1818 beschreibt den Platz sudlich des Lindavia Brunnens als fruheren Standpunkt der Synagoge 2 nbsp Wilhelm von Montfort um 1300 Das Wirken von einigen Juden in Lindau ist durch zeitgenossische Schriften bezeugt Es wird ein Susskint Judeus de Lindow Burger Lindaus der 1343 auch das Ravensburger Burgerrecht erworben hatte ebenso erwahnt wie ein Lassauer Lazarus und ein Elyas der als Jude sogar zeitweise Mitglied des Stadtrats war Ebenfalls um das Ravensburger Burgerrecht bemuht haben sich die Lindauer Juden Henni und Hug Murer Ausserdem kann nachgewiesen werden dass Lindauer Juden im Geldverleihgeschaft tatig waren Zu den Kunden der Lindauer Judin Maria gehorten unter anderem einflussreiche Personlichkeiten wie Wilhelm von Montfort der Abt von St Gallen Er lieh sich im Jahr 1286 30 Mark Silber im darauffolgenden Jahr nochmals 19 Mark von Marias Berufsgenossen Berchtold 2 Ein weiterer Berufszweig den die Lindauer Juden ausubten war der Fernhandel Das Verbot der judischen Ausubung von Handwerksberufen und ein Verbot fur Christen Zinsgeschafte zu tatigen fuhrte 1344 zum Ruf eines judischen Geldverleihers in die Stadt Dem vorangegangen war eine Welle der Emporung gegen einige Burgerinnen die zu Wucherzinsen Geld verliehen hatten und dies mit der einer angeblich erteilten Absolution durch die Monche des Barfusserklosters gerechtfertigt hatten Der judische Geldverleiher folgte der Bitte und erhielt als Dank das Lindauer Burgerrecht 2 Mit dem Aufkommen der Pest 1348 wuchs auch die Ausgrenzung der judischen Mitburger Fur den Schwarzen Tod sowie fur ein verheerendes Erdbeben das im selben Jahr die Region erschutterte wurden die Juden verantwortlich gemacht dazu kamen etliche weitere Aufstachelungen von Seiten der christlichen Fanatiker die letztendlich die Ermordung aller judischer Einwohner durch das Stadtregiment am 6 Dezember zur Folge hatte 2 Die Juden Lindaus wurden zum in der darauffolgenden Zeit als Judenanger oder Judengerichtsstatte bekannten Stelle am Ufer des Lindauer Festlandes geschafft und verbrannt 15 bis 18 Personen an der Zahl 3 Der Tat die den Schuldnern der Juden nicht ungelegen kam waren ahnliche Pogrome in anderen Stadten Suddeutschlands vorangegangen Erst um 1378 wurde Lindau wieder von Juden bewohnt 4 Im Jahr 1430 kam es zu weiteren gewalttatigen Ausschreitungen gegen die Lindauer Juden Ein Teil von diesen befand sich auf der Ruckreise von einer judischen Hochzeit in Ravensburg als ein 13 jahriger Knabe ermordet wurde Das Opfer ein Christ wurde zwischen Ravensburg und Weingarten erhangt aufgefunden Der zunachst Angeklagte walzte die Schuld auf die Ravensburger Juden ab und unterstellte ihnen einen Ritualmord begangen und des Jungen Blut getrunken zu haben was zu dieser Zeit eine weit verbreitete Vorurteilen geschuldete Vorstellung war In der allgemeinen antijudischen Stimmung wurde den Beschuldigungen stattgegeben und ein Grossteil der Ravensburger Juden ermordet Die Gewaltwelle gegen Juden sprang auch auf andere Stadte der Region uber darunter Lindau Dort wurde die gesamte Judengemeinde am 3 Juli verbrannt 5 Der Stadtrat beschloss daraufhin den Juden ein dauerhaftes Siedlungsverbot in ihrer Stadt aufzuerlegen 6 was sich im Lauf der Geschichte jedoch als nicht ewig wahrend herausstellte Neuzeit BearbeitenBis ins 18 Jahrhundert war den Juden das Wohnrecht in Lindau verweigert das Ansiedlungsverbot zuletzt 1605 erneuert worden 7 8 Eine weitere Episode der judischen Geschichte Lindaus ist uberliefert die Aufschluss uber judische Beerdigungsrituale gibt Auf dem Weg nach Hohenems befindlich verstarb ein judischer Junge von 14 Jahren namens Moyses an Entkraftung Er war mit einer Gruppe von neun weiteren Betteljuden von Buttenwiesen nahe Dillingen an der Donau nach der vorarlbergischen Stadt aufgebrochen um mit finanzieller und materieller Unterstutzung der Juden in Hohenems das Pessachfest zu begehen Der Jugendliche fand seinen Tod am 16 April 1772 in Leiblachsberg bei Sigmarszell Um der Geruchsentwicklung durch den Leichnam vorzubeugen brachte eine Lindauer Abordnung unter Fuhrung des Registrators Daniel Riesch den toten Jungen nach Lindau um ihn auf dem heutigen Alten Friedhof in der Armsunderecke beerdigen zu lassen Ein herbeigerufener Rabbiner aus Hohenems liess den Leichnam mit warmem Wasser reinigen und in frisches Leinen kleiden Danach wurden ihm pergamentene Abschriften der Zehn Gebote als Tefillin um den Kopf gewunden und tonerne Scherben auf Augen und Mund gelegt Nachdem jeder Anwesende etwas Erde unter den Kopf des Toten geschoben hatte und das Gebet gesprochen war beglichen die Hohenemser Juden die angefallenen Kosten 7 Die restriktive Lindauer Judenpolitik der vorigen Jahrhunderte erfuhr im 18 Jahrhundert eine leichte im darauffolgenden Jahrhundert aber eine starke Lockerung Schon 1793 wurde einer judischen Hochzeitsgesellschaft erlaubt die Feierlichkeiten im Hof des Gullmannschen Hauses am Paradiesplatz ehemals Wohnhaus von Daniel Heider abzuhalten Der aus Augsburg stammende Brautigam und seine Hohenemser Braut wahlten Lindau wegen seiner Lage zwischen den beiden Stadten Geladen waren etwa 50 Personen aus Augsburg meist Kaufleute und circa 30 von Seiten der Braut 8 19 und 20 Jahrhundert Bearbeiten Die erste nach der Vertreibung dauerhaft in Lindau lebende judische Familie war die des Munchner Fabrikanten Jakob Alexandersohn der um 1810 in die Stadt zog und erste Impulse fur die beginnende Industrialisierung in Lindau gab 8 Die Kaufmannsfamilie Nordlinger folgte aus Laupheim 1840 nach der 1869 geborene Sohn Max war als Rechtsanwalt und 1925 ernannter bayerischer Justizrat eine einflussreiche Personlichkeit nbsp Schaufenster Herrenmoden Spiegel International in der Lindauer Cramergasse 2009 nbsp Von Ludwig Siebert 1934 gestiftetes Kirchenfenster in der evangelischen Kirche St Stephan Das rechte Bild zeigt u a eine von antisemitischen Vorurteilen gepragte Darstellung eines JudenDas auch heute noch von katholischen Angehorigen der ursprunglich judischen Familie Spiegel gefuhrte Bekleidungsgeschaft auf der Insel wurde 1886 eroffnet Der judische Modeunternehmer Max Spiegel errichtete damit eine Filiale des renommierten Konstanzer Hauses Spiegel amp Wolf Das Lindauer Haus wurde 1899 vom aus Westfalen stammenden Emil Spiegel vermutlich ein Neffe ubernommen 9 10 Weitere in Lindau ansassige Juden waren die Textilunternehmer Kochmann und Weil sowie Dr Cohn die Familie Persich der Fabrikant Julius Herzberger und sein Bruder Alfons 11 Die im Mittelalter existente Lindauer Synagoge war inzwischen abgebrochen also musste man zum Synagogenbesuch nach Hohenems oder Konstanz reisen Wegen verwandtschaftlichen Beziehungen zogen manche jedoch den Besuch der Laupheimer oder Gailinger Synagoge vor Siegfried Kochmann Emil Spiegel Werner Nordlinger ein Spross der oben erwahnten Familie Nordlinger sowie Dr Cohn wendeten sich 1920 in einem Schreiben an den Stadtrat in dem sie eine unverhohlene Besorgnis uber eine bevorstehende Veranstaltung des Deutsch Volkischen Schutz und Trutzbundes zum Ausdruck brachten Ludwig Siebert seit 1919 fur die Bayerische Volkspartei Burgermeister der Stadt antwortete ihnen sie hatten keine antijudischen Ausschreitungen zu befurchten Die Deutschnationalen schon in den 1920er Jahren eine starke Kraft in Lindau zeigten unter anderem durch Anbringen von Hetzschriften an Hauswanden Prasenz Der NSDAP Ortsverband grundete sich 1922 und konnte bei den Kommunalwahlen zwei Jahre darauf zwei der 30 Stadtratssitze erringen Durch Beziehungen zu Lindauer Parteifunktionaren der Lindauer Hafnermeister Emil Bogdon war ein aktiver Unterstutzer des Hitler Putsches kam Adolf Hitler schon 1923 nach Lindau Ludwig Siebert durch seinen Parteieintritt 1931 erster NSDAP Burgermeister Bayerns wurde nach der Machtergreifung Hitlers zum bayerischen Ministerprasidenten ernannt 11 In den Ergebnissen der Reichstagswahlen im Juli und im November 1932 zeigt sich die gefestigte Position der rechten Parteien in der gesamtdeutschen sowie lokalen Politiklandschaft In Lindau erreichte die NSDAP jedoch ein um fast einen Prozentpunkt besseres Ergebnis und die nationalkonservative DNVP sogar fast das Doppelte im Vergleich zum deutschen Gesamtwert 11 Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung begannen massive Repressalien gegen Juden und Feinde des Systems Die Anzahl der judischen Lindauer belief sich 1930 auf 16 Personen zuzuglich getaufte Rassejuden Die bis 1938 in Lindau verbliebenen Juden wurden nach der Reichspogromnacht gezwungen in das Haus der Familie Spiegel umzuziehen das damit als eine Art Judenhaus fungierte 10 Der zum evangelischen Glauben konvertierte Arzt Otto Davidson wurde kurzzeitig nach dem Pogrom im Stadtgefangnis gefangen gehalten 12 Die Geschafte judische Besitzer wurden in der Folgezeit arisiert Die Lindauer Juden wurden bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs inhaftiert zur unfreiwilligen Ausreise gedrangt oder ermordet Zu den Opfern der Gewaltherrschaft zahlen Julius Herzberger im italienischen Exil zum Selbstmord getrieben samt Ehefrau die Familie Schlumberger deren Mitglied Ernst in Mischehe geheiratet und ein Kind gezeugt hatte sowie die Familien Spiegel und Weil Letztere kamen fast vollstandig in Konzentrationslagern um Werner Nordlinger und Joseph Spiegel gelang die rechtzeitige Emigration in die Vereinigten Staaten 9 andere wie Dr Davidson der 1945 seine Praxis wiedereroffnete uberlebten das Konzentrationslager 12 An die Ermordeten erinnert eine Gedenktafel in der Lindauer Peterskirche Eine Tafel auf dem Lindauer Friedhof erinnert an Arbeiterinnen und Arbeiter aus Osteuropa die in den Lagern Friedrichshafen und Saulgau zu Tode gekommen waren unter ihnen befanden sich auch Juden 13 14 In der fruhen Nachkriegszeit bot ein DP Lager in Lindau Platz fur etwa 30 heimatlose Juden Im Ortsteil Zech waren Displaced Persons vom franzosischen Sektor Berlins uberstellt worden 15 In heutiger Zeit ist wieder eine kleine Anzahl von Juden in der Stadt wohnhaft Die zustandige Israelitische Kultusgemeinde in Konstanz schweigt sich zum Schutz ihrer Lindauer Mitglieder uber deren genaue Zahl aus Siehe auch BearbeitenGeschichte der Juden in Deutschland Judisches Leben in HohenemsLiteratur BearbeitenKarl Schweizer Judisches Leben und Leiden in Lindau Ein Uberblick Lindau 1989 Karl Schweizer Heiner Stauder Lindauer Gedenkweg Verfolgung und Widerstand 1933 1945 Lindau 2010Einzelnachweise Bearbeiten a b Reichssteuerverzeichnis von 1241 online einsehbar Nr 103 a b c d Karl Schweizer Am Nikolaustag verbrannte Lindau erstmals Juden Memento des Originals vom 14 Januar 2014 im Internet Archive nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot www schwaebische de Lindauer Zeitung vom 6 Dezember 2008 abgerufen am 7 Januar 2014 Barbara Rosch Der Judenweg Judische Geschichte und Kulturgeschichte aus Sicht der Flurnamenforschung Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 2009 S 315 online einsehbar bei Google Books Sabine Ullmann Judentum in Schwaben bis 1800 Historisches Lexikon Bayerns vom 30 September 2013 abgerufen am 10 Januar 2014 Judische Geschichte von Ravensburg auf alemannia judaica de abgerufen am 8 Januar 2014 Josef Wurdinger Urkunden Auszuge zur Geschichte der Stadt Lindau ihrer Kloster Stiftungen und Besitzungen Band III 1400 1621 Stettner Verlag Lindau 1872 S 66 online einsehbar bei Google Books a b Karl Schweizer Am Karfreitag 1772 wird ein judischer Junge in Lindau beerdigt Lindauer Zeitung vom 3 September 2011 abgerufen am 10 Januar 2014 a b c Karl Schweizer 1793 darf in Lindau ein judisches Paar auf traditionelle Weise heiraten Lindauer Zeitung vom 3 September 2009 abgerufen am 10 Januar 2014 a b Karl Schweizer Judisches Leben und Leiden in Lindau Ein Uberblick Lindau 1989 S 70 a b Karl Schweizer Die Lindauerin Martha Spiegel wird zum Opfer des NS Holocaust Lindauer Zeitung vom 25 Januar 2013 abgerufen am 12 Januar 2014 a b c Karl Schweizer Heiner Stauder Lindauer Gedenkweg Verfolgung und Widerstand 1933 1945 Lindau 2010 S 6 ff a b Karl Schweizer Heiner Stauder Lindauer Gedenkweg Verfolgung und Widerstand 1933 1945 Lindau 2010 S 56 ff Judische Friedhofe in Bayern Abschnitt Lindau auf alemannia judaica de abgerufen am 12 Januar 2014 Karl Schweizer Heiner Stauder Lindauer Gedenkweg Verfolgung und Widerstand 1933 1945 Lindau 2010 S 54 ff Lindau Judisches DP Lager auf after the shoah org abgerufen am 12 Januar 2014 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Geschichte der Juden in Lindau Bodensee amp oldid 227768383