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Alles fliesst russ Vsyo techyot Wsjo tetschot ist eine streckenweise essay hafte Erzahlung des russischen Schriftstellers Wassili Grossman die in den Jahren 1955 bis 1963 entstand und 1989 im Juniheft der Zeitschrift Oktober 1 in Moskau erstmals in der Sowjetunion abgedruckt wurde Inhaltsverzeichnis 1 Uberblick 2 Veroffentlichungen 3 Inhalt der 26 Kapitel 4 Rezeption 5 Weblinks 6 Literatur 6 1 Deutschsprachige Ausgaben 6 2 Sekundarliteratur 7 EinzelnachweiseUberblick BearbeitenDiese essayistische Fiktion zerfallt in drei Themata Erstens ist der Textkorpus gestaltet als ernuchternde Reise eines Greises aus dem Gulag nach Hause in den europaischen Teil der Sowjetunion erzahlerisch gerahmt mit einer anruhrenden kleinen Geschichte Der Protagonist Iwan Grigorjewitsch Wanja gerufen in Sotschi geboren und aufgewachsen traumt im Gulag Der kleine Wanja weint weil die Russen die Tscherkessen von der Krim in die Turkei vertrieben hatten Wanjas Vater wiegelt ab Sie hatten hierbleiben konnen 2 Am Schluss des zutiefst deprimierenden Textes kehrt Iwan Grigorjewitsch krank und ergraut in den mit Dornengestrupp uberwucherten Garten am Vaterhaus zuruck und bedauert seine Heimkehr Jetzt kann er verstehen weshalb manche Haftlinge in Sibirien geblieben sind Draussen in der Freiheit ist es wirklich schrecklich 3 Zweitens liegt ein Erlebnisbericht vor Was ist Iwan Grigorjewitsch in den letzten dreissig Jahren zugestossen beziehungsweise welche unfassbaren Schicksale aus dieser Zeit sind ihm im Gulag Workuta und in sibirischen Lagern an den sibirischen Ufern des Nordlichen Eismeeres sowie im Kolymagebiet und in Norilsk bekannt geworden Und drittens was verbirgt sich hinter dem Titel Alles fliesst Antwort Heraklits Alles bewegt sich fort und nichts bleibt wird nicht erzahlerisch sondern als rein philosophisches Traktat exemplifiziert Dieses schwergewichtige dritte Thema implementiert als Essay also keine Prosa lasst sich etwa umschreiben mit Was ist der Mensch Genauer Wie ist der russische Mensch gestrickt Lenin wird nicht nur als Philanthrop vorgestellt sondern als erbarmungsloser Vernichter seiner unzahligen Feinde Dabei sei Lenin weiter nichts als das Produkt der russischen Geschichte der letzten neun Jahrhunderte 4 gewesen Das heisst Wassili Grossman resumiert 1963 in dieser seiner letzten Prosaarbeit die Todesopfer in den sowjetischen Gulags seien nicht nur von den beiden Fanatikern Lenin und Stalin verschuldet sondern verursacht als Resultat weit zuruckreichender russischer Geschichte Veroffentlichungen Bearbeiten1961 war das fertige Manuskript in der Sowjetunion auf Grund der Zensur in der Sowjetunion konfisziert worden Wassili Grossman schrieb um Die Zweitfassung aus dem Jahr 1963 erschien postum 1970 auf Russisch und 1972 auf Deutsch beide Male im Possev Verlag V Gorachek K G 5 in Frankfurt am Main Die Ubertragung ins Deutsche hatte Nikolai Artemoff besorgt Ludwig Homann hatte den Ubersetzer seinerzeit beraten 6 1971 kam die Ubersetzung ins Italienische Tutto scorre 1972 ins Englische Forever flowing Ubersetzer Thomas P Whitney 1917 2007 7 1973 ins Spanische Todo fluye 1974 ins Hebraische ל זורם 1984 ins Franzosische Tout passe und Polnische Wszystko plynie sowie 1990 ins Estnische Kōik voolab heraus 1990 erschien im Verlag Volk und Welt eine weitere deutsche Ausgabe die auf dem im Vorjahr der Zeitschrift Oktober veroffentlichten Text basiert und deren Ubersetzung von Renate Landa besorgt wurde Inhalt der 26 Kapitel Bearbeiten1 4Sowjetunion anno 1955 Der Zug aus Chabarowsk mit Iwan Grigorjewitsch an Bord dringt nach tagelanger Fahrt in den Moskauer Datsche ngurtel ein Der speckigen Wattejacke und den abgetragenen Soldatenschuhen des Reisenden sieht man den Strafling der 30 Jahre in Gefangnissen und Lagern zugebracht hat auf den ersten Blick an So wird der an Sklerose erkrankte dann unterwegs auf seiner Reise von Fremden gutmutig mit Opa angeredet Bevor Iwan Grigorjewitsch seinen Moskauer Cousin aufsucht begibt er sich zunachst im Kampf gegen das Ungeziefer ins Dampfbad Der gleichaltrige Cousin hat inzwischen als Wissenschaftler Karriere gemacht hat auch als Opportunist den Brief gegen die Morder Arzte mitunterzeichnet 5 9Iwan Grigorjewitsch hatte um 1926 als Student in einem Leningrader Horsaal seine Stimme gegen die Diktatur erhoben war postwendend relegiert worden und hatte seitdem die Haftanstalten nur kurzzeitig verlassen Bei dem Cousin hat Iwan Grigorjewitsch nichts verloren Aber seine erste Liebe Anja Samkowskaja wohnhaft in Leningrad mochte er doch wiedersehen Also fahrt er wieder per Bahn an die Newa Anna Wladimirowna wie sie jetzt heisst inzwischen kranklich und grauhaarig ist mit einem Chemophysiker verheiratet Zwar streicht Iwan Grigorjewitsch drei Tage durch die Stadt findet auch die Strasse die Hausnummer und wirft einen Blick hinauf zu der Wohnung doch zu einer Begegnung kommt es nicht Die Geliebte stirbt an Lungenkrebs Iwan Grigorjewitsch begegnet in der Stadt Vitali Pinegin Letzterem der ihn vor dreissig Jahren denunziert hatte verzeiht Iwan Grigorjewitsch wortlos wie er seinem Cousin mit pointierten Erwiderungen verziehen hat Beide der Moskauer und der Leningrader haben inzwischen hohe akademische Grade erreicht besitzen Datschen Sparbucher Orden Autos 8 10 13Iwan Grigorjewitsch kommt als Hilfs Schlosser unter und erinnert sich Die meisten Mithaftlinge hatten gar nicht gegen die Sowjetmacht gekampft Ehemalige Offiziere unter dem Zaren waren in den Gulag gekommen damit sie nicht mehr als Monarchisten aktiv werden konnten Iwan Grigorjewitsch denkt an die Frauenlager Darin war die stille Maschenka Ljubimowa zu Tode gekommen Zuvor war die 26 jahrige Mutter der kleinen Julia wegen Nichtanzeige konterrevolutionarer Verbrechen also wegen Verbrechen die ihr Ehemann hochstwahrscheinlich gar nicht verubt hatte vom Jaroslawler Guterbahnhof 9 aus im Guterwagen auf die Reise nach Sibirien geschickt worden Eine Flucht unterwegs war auf solchen Transporten kaum moglich gewesen Denn wer sich etwa durch ein Loch im Wagenboden zwangen konnte und sich aufs Gleisbett warf wurde am letzten Wagen von einem Stahlkamm zerfetzt Wer auf das Wagendach gelangte wurde von einem fest aufgebauten MG beschossen 10 Hoffnung auf Erlosung von dem Ubel hatte Maschenka wie alle die Gefallenen die Zermurbten und die Zahen von Anfang ihrer 9000 km langen Reise an bis zuletzt gehabt In einem Magadaner Gulag war die Frau an Typhus erkrankt zur Strassenreparatur gezwungen worden Welch ein Gluck als Maschenka mit dem gleichgultigen stark betrunkenen Oberaufseher Semissotow zweimal in der Woche schlafen musste Aber der schweigsam murrische Semissotow der sie nach dem erzwungenen Beischlaf immer noch siezte wurde versetzt und Maschenka musste wieder hinaus zur Knochenarbeit Vor ihrem Tode hatte Maschenka begriffen ihr Ehemann war umgebracht worden 14 20Iwan Grigorjewitsch wird den Gedanken an seine Mutter und die Entkulakisierung die im Dezember 1929 begann nicht los Zuerst wurden die Manner erschossen die unter Denikin gekampft hatten Dann kam fur den Rest die Todesstrafe durch Hunger Fast undenkbar sollte Stalin tatsachlich solchen Massenmord befohlen haben Und uberhaupt wie verschwanden zwischen 1936 und 1939 eine Generation von Sowjetmenschen Wie verschwanden Postyschew Kirow Varjkis 11 Betal Kalmykow Faisulla Chodshajew Mendel Chatajewitsch und Eiche Wassili Grossmans Kommentar Sie alle zeichneten sich durch Energie Willenskraft und totale Unmenschlichkeit aus 12 21 26Der Rest des Textes ist im Wesentlichen Essay Aus der Wertung Lenins und Stalins soll hier nur ersterer herausgegriffen und einige Gedanken Wassili Grossmans zur Person Lenins aufgefuhrt werden Der Autor offeriert eine ellenlange Liste von Exempeln fur den treuherzigen uberaus volksnahen Lenin und weist lediglich in einem Nebensatz indirekt auf dessen Streit mit Martow uber angemessenen staatlichen Terror hin Wassili Grossman vergleicht die Besessenheit Lenins dieses monolithischen Einfaltspinsels 13 mit der Awwakums Es geht aber eigentlich um viel weitreichendere Zusammenhange um die unerbittliche Unterdruckung der Personlichkeit wahrend der tausendjahrigen Geschichte der Russen 14 Da hat zum Beispiel die Kraft des Leninschen Volksstaates bauend auf der Unfreiheit des Russen die westliche Welt nach dem Weltkrieg verblufft Jene Unfreiheit sei neue Leibeigenschaft der Bauern und Arbeiter Die Rede ist von der russischen Seele einer tausendjahrigen Sklavin ein fur den moderneren Westeuropaer schwerverstandliches Phanomen Das ware dann wohl nach Liquidierung der Gutsherren Kaufleute und Fabrikanten Ruckfall in den Feudalismus Fur Wassili Grossman hat Lenin versagt wenn der Autor den Weg des Revolutionsfuhrers in einem Satz umschreibt Je harter sein Lenins Tritt je schwerer seine Hand wurde je willfahriger sich Russland seiner gelehrten und revolutionaren Gewalt ergab desto geringer wurde seine Macht gegen die wirklich satanische Kraft jahrhundertelanger Leibeigenschaft zu kampfen 15 Wassili Grossman kann den Teufelskreis kaum uberblicken Lenin vernichtet im fanatischen Glauben an die Allmacht des Chirurgenmessers Gutsherren Kaufleute und Fabrikanten bedient sich unfreier Russen Leibeigenschaft und erliegt jener fatalen falschen Wahl des Kampfmittels Unfreiheit sprich der neuen Leibeigenschaft Rezeption Bearbeiten13 April 2010 im Deutschlandfunk Kultur Lutz Bunk bezeichnet den Autor als den politisch kampferischen Tolstoi und den Chronisten der Schrecken des 20 Jahrhunderts 16 8 Mai 2010 in der Tagespost Ingo Langner zitiert das Credo des Autors Alles Unmenschliche ist sinn und nutzlos 17 10 Mai 2010 im CULTurMAG Elfriede Muller anerkennt die blitzgescheiten emotionalen Uberlegungen uber das Scheitern des Sozialismus 18 24 Juni 2010 im Deutschlandfunk Brigitte van Kann umschreibt einen Kernpunkt des Textes mit einem Anna Achmatowa Zitat Zwei Russlands sahen einander in die Augen Damit sind nach dem Ende der Stalin Ara Opfer und Denunzianten gemeint 19 29 Juli 2010 in der Zeit Nach Marie Schmidt habe die Moskauer Veroffentlichung anno 1989 dort einen Literaturskandal nach sich gezogen 20 3 August 2010 im Tagesspiegel Bernhard Schulz stellt klar der Text sei kein Augenzeugenbericht Wassili Grossmann sei nie in einen Gulag gesperrt worden Im Gegenteil wahrend des Zweiten Weltkriegs sei er ein geschatzter Kriegsberichterstatter gewesen Trotz eingelegter Moralpredigten enthalte das Buch lesenswerte weil aufschlussreiche Wahrheiten 21 20 August 2010 im Focus Endlich nach dem Zerfall der Sowjetunion werde auch im russischen Schriftstellerlexikon dieses Werk gelobt 22 6 September 2010 in der Berliner Literaturkritik Friedemann Kohler fasst treffsicher zusammen Durch Umarbeitungen bis kurz vor seinem Grossmans Tod verlor das Werk die formale Einheit Dafur wuchs es heran zu einem atemberaubend furchtlosen und klarsichtigen Essay uber die russische Geschichte und einem Hohelied auf die Freiheit 23 15 Oktober 2010 in der FAZ Sabine Berking bescheinigt dem Text politische Brisanz 24 26 Marz 2011 in der NZZ Uwe Stolzmann nennt das Werk einen erfrischend irritierenden Text 25 11 Oktober 2017 bei litteratur ch scheichsbeutel bemangelt jene historisch politische Analyse die der Handlung aufgepropft und nicht in die Erzahlung integriert wird 26 Weblinks BearbeitenDer Volltext online bei Lib ru russisch online bei e reading club russisch Eintrag bei fantlab ru russisch Eintrag im Slavistik PortalLiteratur BearbeitenDeutschsprachige Ausgaben Bearbeiten Wassilij Grossman Alles fliesst Aus dem Russischen von Nikolai Artemoff Albrecht Knaus Verlag Munchen 1985 ISBN 3 8135 0613 4 Wassili Grossman Alles fliesst Erzahlung Aus dem Russischen von Renate Landa Verlag Volk und Welt Berlin 1990 1 Aufl verwendete Ausgabe ISBN 3 353 00746 6 Wassili Grossman Alles fliesst Aus dem Russischen von Annelore Nitschke Mit einem Nachwort von Franziska Thun Hohenstein Ullstein Buchverlage Berlin 2010 ISBN 978 3 550 08795 0Sekundarliteratur Bearbeiten Ina Muller Hrsg Heidemarie Salevsky Aspekte der Translation Ausgewahlte Beitrage zu Translation und Translationswissenschaft Verlag Peter Lang Frankfurt am Main 2009 ISBN 978 3 631 58186 5 S 116Einzelnachweise Bearbeiten russ Oktyabr zhurnal Oktjabr Verwendete Ausgabe S 50 14 Z v u Verwendete Ausgabe S 76 11 Z v u Verwendete Ausgabe S 173 10 Z v o Possev russ posev auf Deutsch Die Aussaat Ina Muller S 116 Thomas P Whitneys Ubersetzung auf der Grundlage der 1970er Ausgabe im Verlag Northwestern University Press Verwendete Ausgabe S 60 3 Z v o Jaroslawler Guterbahnhof Verwendete Ausgabe S 94 unten russ Varejkis Iosif Mihajlovich 1894 1938 Verwendete Ausgabe S 148 13 Z v o Verwendete Ausgabe S 167 6 Z v u Verwendete Ausgabe S 169 5 Z v u Verwendete Ausgabe S 172 1 Z v u Besprechung deutschlandfunkkultur de Besprechung syberberg de Besprechung culturmag de Besprechung deutschlandfunk de Verweis auf Besprechung perlentaucher de Besprechung tagesspiegel de Besprechung focus de Besprechung 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