www.wikidata.de-de.nina.az
Die zweite Marcellusflut auch Mandrankels Grote Madetuen oder Grote Mandrenke grosse Manntranke grosses Ertrinken bezeichnet eine verheerende Sturmflut welche die deutsche Nordseekuste von Ostfriesland bis Nordfriesland betraf Laut spaterer Uberlieferung begann sie am 15 Januar 1362 erreichte am 16 Januar dem Tag Marcelli Pontificis das heisst des heiliggesprochenen Papstes Marcellus I nach welchem sie den Namen Marcellusflut erhielt ihren Hohepunkt und fiel erst am 17 Januar wieder ab In dieser Flut sollen die nordfriesischen Uthlande zerrissen sein Rund 100 000 Hektar Land darunter viel fruchtbares Kulturland gingen verloren Zwischen Elbe und Ripen sollen der Uberlieferung nach zehntausende Menschen ums Leben gekommen sein Rungholt der damalige grosste Handelsort des Nordens ging verloren 1 Rekonstruierter Kustenverlauf um 1240 vor der Sturmflut 1362 auf der 1649 herausgegebenen Nordfriesland Karte von Johannes Mejer Die roten Linien geben den heutigen Kustenverlauf an Auch die Entstehung von Dollart Leybucht und Jadebusen wurde mit diesem Datum verbunden Zeitgenossische Quellen in England Holland und Bremen berichten ausschliesslich uber einen Sturm aus dem Westen Sudwesten und Suden der die sudliche Nordseekuste verschont haben wird 2 In der deutschen Kustenforschung des 20 Jahrhunderts nahm die Sturmflut jedoch seit Carl Woebcken eine Schlusselstellung ein wobei sie fur einen grossen Teil des spatmittelalterlichen Landverlusts verantwortlich gemacht wurde 3 Die hollandische Kustenforscherin Elisabeth Gottschalk war jedenfalls fur die Niederlande ausserst skeptisch weil sie keine einzige massgebliche zeitgenossische Quelle vorfand die fur die massive Wirkung dieser Sturmflut den Beweis lieferte 4 Inhaltsverzeichnis 1 Quellen und Datierung 2 Die Vorbedingungen 2 1 Deiche 2 2 Landnutzung 2 3 Fruhere Sturmfluten 2 4 Die Krise des 14 Jahrhunderts 3 Die Flut in Nordfriesland 4 Ostfriesland und Oldenburg 5 Die Folgen 6 Siehe auch 7 Literatur 8 Weblinks 9 EinzelnachweiseQuellen und Datierung BearbeitenUber die zweite Marcellusflut gab es zunachst nur mundliche Uberlieferungen Zwar hat sich keine andere Flut so tief in das Gedachtnis der Menschen eingegraben trotzdem sind die chronikalischen Aufzeichnungen die fruhestens aus dem 15 Jahrhundert stammen mit Vorsicht zu geniessen 5 So datierte Matthias Boetius in seiner Schrift De Cataclysmo Norstrandico 1615 den Untergang von Rungholt nach Berichten von Einheimischen auf das Jahr 1300 und die Marcellusflut selbst auf 1354 Der Husumer Stadtprediger Peter Bokelmann sprach in einer Festpredigt von 1564 uber den Man Drenkelss von 1354 Andere Chronisten wie Neocorus und Peter Sax setzten die Marcellusflut fur 1300 an Das Zerreissen der nordfriesischen Uthlande wurde durch Peter Sax und den Nordstrander Chronisten Johannes Petreus auf 1338 datiert Letzterer verhielt sich seinen Quellen gegenuber aber sehr kritisch Der Volkskundler Bernd Rieken halt es daher fur moglich dass zwar der Tag korrekt uberliefert wurde weil ein zweites Mal nach 1219 eine derart verheerende Sturmflut auf den Marcellustag fiel das genaue Jahr sich in der mundlichen Uberlieferung aber nicht erhielt 6 Doch hat sich auch die Datierung auf den Marcellustag erst recht spat durchgesetzt Andere Chroniken berichteten von Latare 1362 den 27 Marz oder Maria Geburt 8 September Der hollandische Klimaforscher Jan Buisman der fast alle zeitgenossischen Chroniken Nordwesteuropas ausgewertet hat warnt deshalb vor ubereilten Schlussfolgerungen Es ist nicht auszuschliessen dass sich an der norddeutschen Kuste sonderlich im Bereich der Jademundung Unfalle ereignet haben wie seit Jahrhunderten behauptet wird doch fehlt es dafur an einwandfreien Beweisen Vielleicht gab es einen lokalen Deichbruch an der Unterweser Es ist moglich dass weiter nordlich auf den Inseln oder an der Kuste Nordfrieslands wo der Sturm vielleicht starker aus dem Westen oder Nordwesten wehte Uberschwemmungen aufgetreten sind Aber auch fur diese Bereiche kommen wir ohne weitere Studien nicht weiter als Spekulationen Es wird Zeit dass den Ungewissheiten und Vermutungen die bereits seit Jahrzehnten vorherrschen ein Ende bereitet wird 7 In neuerer Zeit konnten anhand des Vergleichs von Daten Zusammenhange mit Sturmflutereignissen z B an der britischen Kuste hergestellt werden Grosse Teile der Hafenstadt Dunwich wurden demnach wahrscheinlich einen Tag vor Rungholt zerstort 8 Die Vorbedingungen BearbeitenDeiche Bearbeiten Im 11 oder 12 Jahrhundert hatten die Bewohner der Marschen begonnen sich mit Deichen vor den Gezeiten zu schutzen Meist waren es zwar nur niedrige Deiche um die Acker wahrend der Vegetationsphase zu schutzen jedoch hat jeder Deichbau zur Folge dass die eingedeichten Gebiete absacken da die durch naturliche oder kunstliche Entwasserung durch Siele ausgespulte Erde nicht mehr durch Sedimentablagerungen bei regelmassigen Uberflutungen ausgeglichen werden Gleichzeitig nimmt in abgedammten Prielen der Tidenhub in der Regel zu was zur Abspulung des Vorlandes und damit zum Druck auf die Deiche fuhrt Landnutzung Bearbeiten Der Salztorfabbau zum Gewinn von Brennmaterial und Salz liess das Land weiter absinken oft unter Hohe des Meeresspiegels so dass nach einem Deichbruch das eingebrochene Wasser nicht mehr abfliessen konnte Gepflugter Boden bietet dem Wasser eine grossere Angriffsflache als durchgehender Pflanzenbewuchs Uberflutungen fuhren zu Erosion Zudem erfordert Ackerbau Entwasserung was wieder die Senkung des Bodens fordert Die Insel Strand bestand grosstenteils aus urbargemachtem Hochmoor das allmahlich versank und verzehrt wurde Ortlich gab es noch bis in die fruhe Neuzeit Hochmoorschichten mit einer Hohe von drei bis funf Metern Wenn diese vor den Deichen lagen wurden sie vom Hochwasser emporgehoben und soweit sie nicht zusammenbrachen an andere Stellen versetzt Dadurch konnte es bei einer einzigen Sturmflut zu einem grossflachigen Verlust riesiger Areale kommen 9 Fruhere Sturmfluten Bearbeiten Zwar fiel der Wasserspiegel der Nordsee zwischen 1000 und 1400 vermutlich um einige Dezimeter doch fuhrte gleichzeitig der zunehmende Deichbau ab dem 11 Jahrhundert zu einem schleichenden Meeresspiegelanstieg 9 Infolgedessen wurde die Nordseekuste im 13 und 14 Jahrhundert von vielen schweren Sturmfluten haufig mit grossen Landverlusten heimgesucht so z B in den Jahren 1287 und 1341 Dabei verursachten vor allem nachfolgende Fluten selbst bei geringerer Hohe schwere Schaden wenn sie durch die als Folge der bei den Sturmfluten entstandenen starken Stromungen vertieften Priele auf noch nicht wiederhergestellte Deiche trafen Die Krise des 14 Jahrhunderts Bearbeiten Eine Klimaveranderung der Beginn der sogenannten Kleinen Eiszeit hatte in den Jahrzehnten vor der Flut fur schlechtere Ernten in den Kustengebieten gesorgt so dass die Bewohner weniger vermogend waren als noch zu Anfang des 14 Jahrhunderts Der Schwarze Tod die grosse europaische Pandemie meist als Pestepidemie bekannt der sich auch an den Nordseekusten ausbreitete dezimierte die Bevolkerung zusatzlich 1349 1350 hatte es eine verheerende Pestepidemie gegeben Die so geschwachte Bevolkerung war nicht mehr in der Lage die Deiche zu unterhalten 10 Nur zwanzig Jahre vor der Marcellusflut verwustete das Magdalenenhochwasser 1342 ein verheerendes Starkregenereignis weite Teile Mitteleuropas Die Flut in Nordfriesland Bearbeiten nbsp Nordfriesische Uthlande vor der zweiten Marcellusflut 1362Die Fluten durchstiessen die Marschen zum Teil bis zum Geestrand Die alte Kustenlinie mit ihren schutzenden Nehrungen wurde vollkommen zerstort die Priele vorher nur flache bei Ebbe trockenfallende Tiefs zwischen den nahe beieinander liegenden Marschinseln vertieften sich zu Wattstromen die mit jeder folgenden Flut das Wasser tiefer in das Land vordringen liessen In Nordfriesland entstanden die ersten Halligen Wie viel Land bis zur Mitte des 15 Jahrhunderts verlorenging lasst sich nicht genau rekonstruieren da aus dieser Zeit keine exakten Karten existieren Die Namen der untergegangenen Kirchen und Orte in Nordfriesland lassen sich aus dem in einer Handschrift von etwa 1300 erhaltenen Waldemar Erdbuch und Kirchenregistern der Jahre 1305 und 1462 erschliessen Da die Bewohner in den Jahren nach der Flut nicht in der Lage waren die Deiche wieder aufzubauen ging in den Fluten der folgenden Jahrzehnte weiteres Land verloren so dass laut einem Bericht des Bischofs Nikolaus Brun in Nordfriesland insgesamt 44 Kirchen und Kirchspiele betroffen waren Etwa 24 verlorene Kirchspiele befanden sich auf Strand und anderen Uthland Inseln die ubrigen auf dem Festland Ganz so weit nach Westen wie es die Rekonstruktion von Johannes Mejer um 1650 darstellt reichte das Land jedoch vermutlich nicht 11 Die alteste Quelle uber die Sturmflut 1362 stammt aus einer Kopie des verlorengegangenen Schleswiger Stadtbuchs wo sich der Eintrag findet Anno MCCCLXII am XVI Tage des Januars da war eine grosse Wasserflut im Frieslande darin auf dem Strande 30 Kirchen und Kirchspiele ertranken 12 1666 drei Jahrhunderte nach der Flut beschrieb der Chronist Anton Heimreich aus alteren Quellen dass die sturmische Westsee vier Ellen etwa 2 4 Meter uber die hochsten Deiche in Nordfriesland gegangen sei Die Flut habe 21 Deichbruche verursacht der Ort Rungholt sei zusammen mit sieben anderen Kirchspielen in der Edomsharde untergegangen und 7600 Menschen seien umgekommen Diese letzte Zahl findet sich bei Neocorus Fur die gesamte Westkuste von der Elbe bis nach Ribe sprechen die Chroniken von 100 000 Toten eine Zahl die sicherlich sehr stark ubertrieben ist Johannes Petreus zitierte aus alteren Chroniken Gott habe die Einwohner bestraft weil sie ihn nicht anerkennen wollten Viele Leute und Rinder seien weggestorben und man hatte daraufhin die Deiche wegen des Mangels an Menschen und Brotkorn nicht wiederherstellen konnen Der Norderhever entstand als grosser Priel im Watt der nach der Burchardiflut von 1634 die Reste Strands endgultig entzweiriss Ostfriesland und Oldenburg Bearbeiten nbsp Maade Jade und Unterweser um 1362In Ostfriesland wurden seit der zweiten Halfte des 14 Jahrhunderts die Leybucht und die Harlebucht durch unterschiedliche Fluten vergrossert Am Jadebusen bildete sich das Schwarze Brack zwischen Ellens Sande und Neustadtgodens Butjadingen und Stadland wurden zu Inseln Bei Emden brach am Anfang des 15 Jahrhunderts auf der gegenuberliegenden Seite der Emsdeich was zum ersten Dollarteinbruch und zum Untergang des Dorfes Janssum fuhrte 13 Bei der Harlebucht gingen das Kirchdorf Otzum und weitere Dorfer verloren Vermutlich ist die Insel Juist um diese Zeit von Borkum getrennt worden Die Marcellusflut hatte vermutlich daran kaum Schuld Lediglich die Norder Annalen berichten dass am Marcellustag 1361 viele solide Hauser und Kirchturme einschliesslich des Turms des Dominikanerklosters von Norden vom Winde umgeblasen wurden Viele grosse Baume wurden entwurzelt und die Deiche der Westermarsch wurden vom Wasser geebnet wodurch viele Menschen und Rinder in ihren Hausern ertranken Das entspricht der Wirkung eines Sturmes aus dem Sudwesten Aus Butjadingen wurde nur berichtet dass zwei Pfarrhauser und dreissig Bauernhofe im Banter Kirchspiel umgeblasen wurden Fast alle Dorfer die hier im 15 Jahrhundert untergingen waren um 1420 noch vorhanden Am Stollhammer Deich im Landkreis Wesermarsch nahe der Nordostecke des Jadebusens wurden die Reste einer Dorfwurt aus dem 11 oder 12 Jahrhundert entdeckt die wie angenommen wird Opfer der zweiten Marcellusflut wurde Die Funde die unter einer 1 3 Meter dicken Kleischicht gemacht wurden bestehen aus Backstein und Basaltbruchstucken Muhlstein Holz Keramik Leder Metall und Knochenobjekten Schlacken und Stoff Die Folgen BearbeitenIn der Flut waren grosse Flachen Kulturland verlorengegangen Nach dieser Flut begannen erste Landgewinnungsmassnahmen in Nordfriesland das heisst die Menschen versuchten dem Meer das verlorene Land durch organisierten Deichbau wieder abzuringen Bis zu diesem Zeitpunkt waren nur niedrige Sommerdeiche gebaut worden die das bebaute Land lediglich vor den meist niedrigeren Sturmfluten im Sommer schutzten Das Leben von Mensch und Vieh wurde vor den Gewalten des Meeres in erster Linie durch die Errichtung von Warften geschutzt Nach der verheerenden Flut lagerten sich auf den hoher und geschutzter gelegenen Flachen des untergegangenen Landes neue Sedimente ab und liessen neue Schichten fruchtbaren Marschbodens entstehen Dieser Anwachs wurde nach und nach eingedeicht und zu neuen Kogen gewonnen Die Wirkung der Flut blieb als so verheerend in Erinnerung dass die Burchardiflut die grosse Teile der ubrig gebliebenen Insel Alt Nordstrand zerstorte auch als Zweite Grote Mandranke bezeichnet wurde Die Geschichte Rungholts wurde oft mythisch uberhoht am bekanntesten wohl durch Detlev von Liliencrons Gedicht Trutz Blanke Hans Erst als 1938 Reste des historischen Rungholts gefunden wurden erkannte die Geschichtswissenschaft die reale ehemalige Existenz des Ortes an Siehe auch BearbeitenErste Marcellusflut Liste von Sturmfluten an der NordseeLiteratur BearbeitenMarcus Petersen Hans Rohde Sturmflut Die grossen Fluten an den Kusten Schleswig Holsteins und in der Elbe Neumunster 1977 Niedersachsisches Landesamt fur Denkmalpflege Archaologie in Deutschland 4 99 Seite 39 40 Weblinks BearbeitenSchicksalhafte Fluten Die Grote Mandranke als NDR Bericht vom 16 Januar 2012Einzelnachweise Bearbeiten Faltblatt Nordfriesland fruher und heute Ingenieurburo Strunk Husum Druck Bogdan Gisevius Berlin West mit Karten von Nordfriesland um 1240 und 1634 die der Husumer Kartograph Johannes Mejer 1649 erstellt hatte sowie von heute Jan Buisman Duizend jaar weer wind en water in de Lage Landen Dl 2 1300 1450 Franeker 1996 S 207 213 Reimer Hansen Beitrage zur Geschichte und Geographie Nordfrieslands im Mittelalter In Zeitschrift der Gesellschaft fur schleswig holsteinische Geschichte 24 1894 S 1 92 bes S 12 16 31 44 Carl Woebcken Deiche und Sturmfluten an der deutschen Nordseekuste Bremen Wilhelmshaven 1924 Neudr Leer 1973 S 75 76 Die Entstehung des Dollart Aurich 1928 S 35 36 M K Elisabeth Gottschalk Stormvloeden en rivieroverstromingen in Nederland Bd 1 1977 S 375 Bernd Rieken Nordsee ist Mordsee Sturmfluten und ihre Bedeutung fur die Mentalitatsgeschichte der Friesen Nordfriisk Instituut Band 187 Munster 2005 S 169 170 Rieken Nordsee ist Mordsee S 207 Buisman Duizend jaar weer wind en water Bd 2 S 210 213 Atlantis der Nordsee Terra X Memento vom 2 Februar 2014 im Internet Archive a b Jurgen Newig Die Kustengestalt Nordfrieslands im Mittelalter nach historischen Quellen in G Schernewski T Dolch Hrsg Geographie der Meere und Kusten Coastline Reports 1 2004 ISSN 0928 2734 S 23 36 S 28 PDF 1 23 MB abgerufen am 2 November 2020 Rungholt Ratsel um das Atlantis der Nordsee Die Ursachen der Flut scinexx 25 April 2008 Vgl die Darstellungen in Jurgen Newig Die Kustengestalt Nordfrieslands im Mittelalter nach historischen Quellen in G Schernewski T Dolch Hrsg Geographie der Meere und Kusten Coastline Reports 1 2004 ISSN 0928 2734 S 23 36 PDF 1 23 MB abgerufen am 2 November 2020 Albert Panten Die Nordfriesen im Mittelalter In Nordfriisk Instituut Hrsg Geschichte Nordfrieslands Heide Boyens amp Co 1995 ISBN 3 8042 0759 6 S 72 Grote Mandranke bringt Tod und Elend Memento des Originals vom 19 Januar 2012 im Internet Archive nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot www nwzonline de Artikel in der Nordwest Zeitung vom 16 Janner 2012 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Zweite Marcellusflut amp oldid 238791269