www.wikidata.de-de.nina.az
Der Reichskommissar fur Uberwachung der offentlichen Ordnung im behordlichen Schriftverkehr auch als Reichskommissar fur offentliche Ordnung RKO bezeichnet war eine dem deutschen Reichsministerium des Innern unterstellte Behorde und existierte vom Fruhjahr 1920 bis zu ihrer Auflosung am 1 Juli 1929 Der RKO war mit der Beobachtung links und rechtsextremer politischer Bewegungen beauftragt und war damit indirekt ein Vorlaufer des Geheimen Staatspolizeiamts Gestapo beziehungsweise des Bundesamts fur Verfassungsschutz Es war die erste zentrale deutsche Polizeibehorde zur Erfassung politischer Bewegungen Sie besass keine exekutiven Befugnisse sondern war auf die Nachrichtenerfassung aus den Landern und deren Nachrichtenstellen beschrankt Die vom RKO regelmassig erfassten Lageberichte an die Reichsregierung verschiedene Reichsbehorden und die Landerregierungen wurden 1979 vom Bundesarchiv Koblenz auf 399 Microfiches ediert Sie sind eine wichtige Quelle zur politischen sozialen und kulturellen Geschichte der Weimarer Republik aber auch zur Geschichte der KPD der NSDAP sowie links und rechtsextremistischer Splittergruppen sowie zur Tatigkeit auslandischer Geheimdienste in Deutschland Inhaltsverzeichnis 1 Vorgeschichte Staatsschutz im Deutschen Reich 1871 1918 2 Aufgaben und Kompetenzen des Preussischen Staatskommissars 3 Der Reichskommissar Anfangliche Konkurrenz zum Preussischen Staatskommissar 4 Die Lageberichte 5 Die Abwicklung des RKO Der Verbleib der Akten Forschungsstand 6 Literatur 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseVorgeschichte Staatsschutz im Deutschen Reich 1871 1918 BearbeitenDie erste richtiggehende politische Polizei Europas zur Uberwachung der so genannten inneren Ordnung war die Haute Police des franzosischen Konig Ludwig XIV Sie uberstand auch die Wirren der Franzosischen Revolution und wurde unter Eugene Francois Vidocq als Surete so einflussreich wie nie zuvor Die Surete wurde zum Vorbild fur zahlreiche Geheimdienste in Europa ihr besonderes Merkmal war die umfangreiche Verwendung von Spitzeln oder des Lockspitzels dem so genannten agent provocateur Im Gebiet des spateren deutschen Reiches gab es etwa mit der Mainzer Zentraluntersuchungskommission im fruhen 19 Jahrhundert erste ahnliche Ansatze Verstarkt bildeten sich in den einzelnen Staaten in der Reaktionsara nachd er Revolution von 1848 Geheimpolizeien heraus Fur die spatere Entwicklung auf Reichsebene war die Preussische Geheimpolizei am bedeutendsten die im Berliner Polizeiprasidium von 1848 eine politische Abteilung besass 1 Zwei Attentate auf Kaiser Wilhelm I im Jahr 1878 bewirkten auch im Deutschen Reich die Bestrebungen eine effektive politische Polizei aufzubauen die vor allem auf die Bekampfung oder Uberwachung der Sozialdemokratie hinzielte Die Preussische Geheimpolizei bestand in dieser Phase hauptsachlich aus der Zentralstelle zur Bekampfung der Sozialdemokratie die der Politischen Abteilung des Berliner Polizeiprasidiums angegliedert war 1899 wurde dort ebenfalls die Zentralstelle zur Bekampfung der anarchistischen Bewegung eingerichtet Die Zentralstellen berichteten standig an preussische und nichtpreussische Zivilverwaltungen sowie die kommandierenden Generale als oberste regionale Militarbehorden 1907 wurde ebenfalls beim Berliner Polizeiprasidium die Staatspolizeistelle zur Abwehr von Landesverrat eingerichtet die im Ersten Weltkrieg stark expandierte Zwar besassen grossere deutsche Bundesstaaten durchaus ahnliche Sonderabteilungen wie die preussische Polizei doch war hier noch keine Trennung der Beobachtung von politischen und kriminellen Delikten erfolgt Mittlere oder kleine Bundesstaaten wie beispielsweise das Grossherzogtum Oldenburg verfugten nicht uber Sonderabteilungen oftmals nicht einmal uber staatliche Kriminalpolizeien Seit ihrer Grundung 1907 durfte aber die preussische Staatspolizeistelle aufgrund eines Staatsvertrags auch in Oldenburg tatig werden Die Novemberrevolution 1918 fuhrte nur kurzfristig zur Auflosung der Politischen Polizei Auch die Sozialdemokratie bislang Objekt der staatlichen Uberwachung erkannte schnell selbst die Zweckmassigkeit eines politischen Polizeiapparats Bereits Anfang 1919 wurde die politische Polizei wieder begrundet und als Abteilung I A des Berliner Polizeiprasidiums eingerichtet Das politische und soziale Chaos im so genannten deutschen Nachkrieg wirkten sich auch auf die politischen Geheimdienste in Deutschland aus 1919 sollen allein gut 60 militarische oder militarisch aufgezogene Agenturen bestanden haben Sie wurden Ende des Jahres aufgelost oder umgewandelt und arbeiteten fur private Arbeitgeber weiter Die wichtigste dieser Organisationen war Deutsche Nachrichtenzentrale die auch die Tarnbezeichnung Deutsche Ostmarkenhilfe trug Leiter war der Privatdetektiv Gustav Gerhardt Zeitweise scheint sie dem Reichswehrministerium unterstellt gewesen zu sein arbeitete aber auch fur die Sicherheitspolizei Sie wurde spater in ein reines Detektivburo umgewandelt und war 1927 noch nachweisbar Am 21 Juli 1919 wurde im Preussischen Staatsministerium das Staatskommissariat fur die Uberwachung der offentlichen Ordnung eingerichtet das am 9 Dezember 1919 in Staatskommissar fur offentliche Ordnung umbenannt wurde Es war direkt dem Preussischen Ministerprasidenten und dem Minister des Innern unterstellt Aufgaben und Kompetenzen des Preussischen Staatskommissars BearbeitenDem Staatskommissar oblag die Nachrichtengewinnung von Gegnern der Reichsverfassung im gesamten Staatsgebiet Dazu bediente er sich der Meldestellen der preussischen Oberprasidien aber auch von Polizeibehorden anderer Bundesstaaten sowie dem Ausland und privater Quellen Bis 1923 betrieb er auch den Sicherheitsdienst fur den Reichsprasidenten den Reichskanzler und einzelne Reichsminister Der Kapp Putsch vom Marz 1920 fuhrte zu einem Einschnitt in der Behorde Der erste Staatskommissar Herbert Ritter und Edler Herr von Berger wurde wegen angeblicher politischer Unzuverlassigkeit abgelost und durch den fruheren Ersten Staatsanwalt Robert Weismann ersetzt Weismann besass zwar enge personliche Beziehungen zum preussischen Ministerprasidenten Otto Braun SPD war aber wegen Korruptionsvorwurfen nicht unumstritten Das Staatskommissariat wurde zum 1 Oktober 1923 aufgelost offenbar auf Betreiben des preussischen Minister des Innern Carl Severing der vermutlich mit dieser Massnahme die von ihm aufgebaute preussische Polizei starken wollte Die Aufgaben des Staatskommissars ubernahm nun die Abteilung I A des Berliner Polizeiprasidiums Unabhangig davon wurden im Reich bis etwa 1925 16 Nachrichtenstellen als quasi politische Polizeien eingerichtet Als besonders effektiv galten die Dienste in den Landern Bremen und Wurttemberg Die mittleren und kleineren Staaten verfugten naturgemass nicht uber Fachpersonal mit einer nachrichtendienstlichen Ausbildung ausserdem waren sie auch finanziell nicht in der Lage ein grosseres Netz von Informanten Spitzeln zu unterhalten Der Reichskommissar Anfangliche Konkurrenz zum Preussischen Staatskommissar Bearbeiten1919 gab es zwei Optionen fur einen zukunftigen zentralen deutschen Nachrichtendienst Der preussische Staatskommissar PrStKom war personell und technisch moglicherweise in der Lage seine Tatigkeit auf das ganze Reichsgebiet auszudehnen doch war das Misstrauen in den meisten Bundesstaaten Preussen gegenuber zu gross Daher plante die Reichsregierung bereits 1919 20 die Einrichtung einer zentralen Nachrichtenstelle als Teil eines bereits im Kaiserreich geplanten Reichskriminalamts Dieses so genannte Reichsinformationsamt sollte praktisch die Nachrichtenstellen der Lander ersetzen jedoch wurde diese Oberbehorde sowohl aus politischen als auch finanziellen Grunden in der Weimarer Republik nie realisiert Aufgrund der Vorgange um den preussischen Staatskommissar von Berger wahrend des Kapp Putsches entschied sich die Reichsregierung zur Grundung einer eigenen Behorde Am 28 April 1920 wurden dafur die haushaltstechnischen Grundlagen geschaffen Erster Reichskommissar fur offentliche Ordnung RKO wurde der am 18 April 1872 in Eppingen Grossherzogtum Baden geborene ehemalige Staatsanwalt und nunmehrige Oberst und Kommandeur des badischen Gendarmerie Korps Hermann Emil Kuenzer Er war Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei DDP einem liberal konservativen Vorlaufer der heutigen FDP Die Behorde war Reichsministerium des Innern angegliedert Organisatorisch war der RKO dem Polizeiprasidenten von Berlin unterstellt stellte aber erstmals eine zentrale Polizeibehorde des Reiches dar wenn auch ohne eigene Exekutivorgane Kuenzer der nur uber einen kleinen Personalbestand von gut 20 Beamten verfugte wurde von Anfang an mit diversen Kompetenzstreitigkeiten zwischen Reichs und Landesbehorden konfrontiert Das Auswartige Amt als zentrale Behorde fur die Nachrichtengewinnung im Ausland war im Datentransfer ausserst zuruckhaltend moglicherweise aus Angst vor dem Abfluss hochsensibler Daten an im Umgang mit Geheimdienstmaterial wenig geubte Polizeibehorden gerade der kleineren Lander Der Preussische Staatskommissar sah im RKO eine institutionelle Konkurrenz In Bayern wo eine extrem konservative beziehungsweise rechtsgerichtete Politik betrieben wurde bestand keinerlei Interesse an einer Uberwachung durch eine Reichsbehorde Die Verbindungen zu den Nachrichtenstellen der ubrigen Bundesstaaten waren relativ gut vor allem zu Bremen und Wurttemberg Massive Kritik an Kuenzer ubte der Chef der Abteilung I A in Berlin Bernhard Weiss Er warf ihm offen vor sich agents provocateurs zu bedienen und dadurch in einem Fall das Leben des Reichswehrchefs General Hans von Seeckt gefahrdet zu haben Trotz dieser Kompetenzstreitigkeiten baute Kuenzer seine Institution aus Auf Nachrichtenkonferenzen mit den anderen Nachrichtenstellen im Reich wurden Erfahrungen ausgetauscht und die Zusammenarbeit intensiviert Die Lageberichte BearbeitenAb dem 3 August 1920 verfasste der RKO anfanglich wochentlich spater 1928 nur noch dreimal jahrlich Lageberichte Objekt der Berichterstattung war bei der so genannten Linksbewegung eindeutig die KPD Die Rechtsbewegung war hingegen bis 1927 28 stark zersplittert erst allmahlich kristallisierte sich die NSDAP als fuhrende Partei heraus die vor allem in Norddeutschland noch langere Zeit mit der Deutschvolkischen Freiheitspartei DVFP konkurrierte Vor allem die KPD machte dem RKO den Vorwurf politischer Einseitigkeit zugunsten des rechten Lagers ein Vorwurf den Ernst Ritter 1979 nicht gelten liess Zweifellos war Kuenzer in Art Umfang und bis zu einem gewissen Grade auch in der Wertung der gebotenen Nachrichten von seinen Informanten abhangig die mehrheitlich gewiss nicht der politischen Linken zuzurechnen waren und selber eindeutig rechtsliberal eingestellt Insgesamt bemuhte er sich aber doch um ein ausgewogenes zuruckhaltendes strikt an den Werten der Weimarer Verfassung orientiertes Urteil und liess sich von keinem anderen Interesse leiten als dem alle Versuche jedweder Couleur zu politischer Gewalttatigkeit und der Bedrohung von offentlicher Sicherheit und Ordnung fruzeitig aufzudecken und damit zu verhindern Sicher war er in den 20er Jahren der in Deutschland in dieser Hinsicht bestinformierte Mann und es gibt keinen Anhaltspunkt dafur dass er sein Wissen missbraucht hat Die Abwicklung des RKO Der Verbleib der Akten Forschungsstand BearbeitenOffenbar aus einem Konkurrenzdenken das schon funf Jahre zuvor zur Abschaffung des Preussischen Staatskommissars gefuhrt hatte betrieb der nunmehrige Reichsminister des Innern Severing 1928 die Abschaffung des RKO die auch zum 1 Juli 1929 erfolgte Severing hielt das politische System der Weimarer Republik zehn Jahre nach der Ausrufung der Republik fur gefestigt genug und eine Institution wie den RKO fur uberflussig Praktisch widerstandslos wurde der RKO abgewickelt wobei Severing ein gunstiger Anlass zu Hilfe kam Kuenzer hatte jahrelang Kontakte zu dem russischen Emigranten Orloff unterhalten der einen eigenen Nachrichtendienst betrieben hatte und nun als Schwindler entlarvt worden war Die Abwicklung des RKO erfolgte gut drei Monate vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise im September 1929 die erst den rasanten Aufstieg der NSDAP und die so genannte Machtergreifung 1933 ermoglichte Nach Ritter war die als Nachfolgerin des RKO gegrundete Nachrichtensammelstelle im Reichsministerium des Innern keine echte Alternative zum RKO sowohl aufgrund mangelnden Personals als auch dem Umstand dass kaum noch informelle Quellen beispielsweise von V Leuten ausgewertet wurden Ab 1930 fehlen der Forschung behordengeschichtlich auswertbare Quellen Jedoch gilt als gesichert dass die Lander weiterhin an einer Zusammenarbeit mit einer koordinierenden Reichsinstitution interessiert waren da dies die einzige Moglichkeit war auf regionaler Ebene Informationen uber die radikalen politischen Lager aus dem gesamten Reichsgebiet zu erhalten Obwohl ein Teil der Akten des RKO in nationalsozialistischen Nachfolgeorganisationen wie dem Geheimen Staatspolizeiamt oder dem Reichssicherheitshauptamt verblieb und dadurch nach dem Zweiten Weltkrieg zeitweise in den Besitz der amerikanischen und sowjetischen Besatzungsmacht gelangten waren offenbar schon in den 1930er Jahren gut 1280 Aktenbande im Reichsarchiv in Potsdam abgegeben worden Sie uberstanden offenbar relativ unbeschadigt den schweren Bombenangriff auf Potsdam im April 1945 bei dem grosse Teile der Bestande des Reichsarchivs vernichtet wurden Die erhaltenen Akten wurden nun im Zentralen Staatsarchiv der DDR in Potsdam archiviert Nach 1990 wurden sie mit den im Bundesarchiv Koblenz erhaltenen Akten des RKO im Bundesarchiv Berlin zusammengefuhrt neue Signatur BA R 1507 Es handelt sich um 1400 Akteneinheiten in 34 laufenden Regalmetern Weitere 1382 Akteneinheiten liegen als Fond 772 im sogenannten Sonderarchiv Moskau 1979 wurden die Lageberichte zum Teil erganzt durch Kopien aus dem Staatsarchiv Bremen dem Niedersachsischen Staatsarchiv Oldenburg den Hauptstaatsarchiven Munchen und Stuttgart sowie dem Staatsarchiv Nurnberg vom Bundesarchiv Koblenz auf 399 Microfiches ediert und mit einer einfuhrenden Einleitung und einem Sach und Personenregister versehen Das Staatsarchiv Bremen verfugt als einziges Archiv in Deutschland weiterhin uber den einzig vollstandig Bestand der Lageberichte im Original Ab Lagebericht Nr 92 sind diese von den Herausgebern mit einem Inhaltsverzeichnis versehen Literatur BearbeitenHeinz Boberach Die schriftliche Uberlieferung der Behorden des Deutschen Reiches 1871 1945 Sicherung Ruckfuhrung Ersatzdokumentation in Heinz Boberach Hans Booms Hg Aus der Arbeit des Bundesarchivs Boppard am Rhein 1977 Dirk Emunds Vom Republikschutz zum Verfassungsschutz Der Reichskommissar fur Uberwachung der offentlichen Ordnung in der Weimarer Republik Hochschule des Bundes fur offentliche Verwaltung Hrsg Schriftenreihe Hochschule Leistung Verantwortung Forschungsberichte der Hochschule des Bundes fur Offentliche Verwaltung Band 5 Dr Kovac Hamburg 2017 ISBN 978 3 8300 9445 6 Reinhard Hohn Hrsg Vaterlandslose Gesellen Die Sozialdemokratie im Lichte der Geheimberichte der preussischen politischen Polizei 1878 1914 Erschienen ist lediglich Bd I 1878 1890 Koln Opladen 1964 Ernst Ritter Hrsg Reichskommissar fur Uberwachung der offentlichen Ordnung und Nachrichtensammelstelle im Reichsministerium des Innern Lageberichte 1920 1929 und Meldungen 1929 1933 Bestand R 134 des Bundesarchivs Koblenz veroffentlicht als Microfiche Ausgabe Einleitung und Indices Munchen u a 1979 Bernhard Weiss Polizei und Politik Berlin 1928 Helmut Roewer Stefan Schafer Matthias Uhl Lexikon der Geheimdienste im 20 Jahrhundert Munchen 2003 Dirk Emunds Vom Republikschutz zum Verfassungsschutz Der Reichskommissar fur Uberwachung der offentlichen Ordnung in der Weimarer Republik Kovac 2017 166 S ISBN 978 3830094456 Weblinks BearbeitenBestandeubersicht des BundesarchivsEinzelnachweise Bearbeiten Markus Loffelmann Mark Alexander Zoller Nachrichtendienstrecht Kompendien fur Studium Fortbildung und Praxis 1 Auflage Nomos Verlag Baden Baden 2022 ISBN 978 3 8487 6723 6 S 23 doi 10 5771 9783748908456 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Reichskommissar fur Uberwachung der offentlichen Ordnung amp oldid 230318861