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Die Verordnung uber die Strafrechtspflege gegen Polen und Juden in den eingegliederten Ostgebieten RGBl 1941 I 759 ff gemeinhin als Polenstrafrechtsverordnung bezeichnet war eine Verordnung des NS Staates vom 4 Dezember 1941 die sich hauptsachlich gegen als Schutzangehorige eingestufte Polen und Juden in den seit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges eingegliederten polnischen Gebieten richtete aber in wesentlichen Teilen auch fur polnische Ostarbeiter und Zwangsarbeiter im gesamten Reich galt Sie wurde vom Ministerrat fur die Reichsverteidigung erlassen und sah ein abgekurztes Gerichtsverfahren vor das weit uber die damals ohnehin allgemein angeordneten Verkurzungen des Rechtsschutzes von Beschuldigten hinausging Gleichzeitig wurde das materielle Strafrecht in Generalklauseln ungemein verscharft BasisdatenTitel Verordnung uber die Strafrechtspflege gegen Polen und Juden in den eingegliederten OstgebietenKurztitel PolenstrafrechtsverordnungArt ReichsverordnungGeltungsbereich Deutsches ReichRechtsmaterie StrafrechtErlassen am 4 Dezember 1941RGBl 1941 I S 759 ff Inkrafttreten am 30 Dezember 1941Letzte Anderung durch VO vom 20 Dezember 1944RGBl 1944 I S 353Inkrafttreten derletzten Anderung 5 Januar 1945Ausserkrafttreten 4 Februar 1946Kontrollratsgesetz Nr 11Weblink RGBl 1941 I S 759Bitte den Hinweis zur geltenden Gesetzesfassung beachten Verordnung uber die Strafrechtspflege gegen Polen und Juden in den eingegliederten Ostgebieten vom 4 Dezember 1941Beim Nurnberger Juristenprozess wurde die Verordnung 1947 als Kriegsverbrechen eingestuft Der Deutsche Bundestag hob alle darauf beruhenden Urteile im Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile NS AufhG 1998 auf Inhaltsverzeichnis 1 Vorlaufer und Zustandekommen 2 Form und wesentlicher Inhalt 3 Geltungsbereich 4 Zeitgenossische Anwendung der VO 5 Juristische Aufarbeitung 5 1 Nurnberger Juristenprozess 5 2 Aufhebung der Unrechtsurteile 6 Siehe auch 7 Literatur 8 Weblinks 9 EinzelnachweiseVorlaufer und Zustandekommen BearbeitenIn den eingegliederten Ostgebieten regelte zunachst nur ein 7 in einem Erlass vom 8 Oktober 1939 1 dass das bisher geltende Recht bis auf Weiteres in Kraft blieb soweit es nicht der Eingliederung in das Deutsche Reich widersprach Die Ausdeutung dieser Formulierung fuhrte zu einer Rechtsunsicherheit und in den Geheimen Lageberichten des Sicherheitsdienstes wurde vom Wunsch nach einer baldigen Klarung der bestehenden Zweifelsfragen berichtet 2 Nach den Polen Erlassen vom 8 Marz 1940 folgte im Juni 1940 eine Verordnung uber die Einfuhrung des deutschen Strafrechts in den eingegliederten Ostgebieten RBl I S 844 3 die die Bestimmungen des Strafgesetzbuches fur das Deutsche Reich nebst einigen Einschrankungen der Strafprozessordnung ubernahm In einem Artikel II wurden fur Polen jedoch besondere Vorschriften aufgefuhrt Gewalttaten gegen Angehorige deutscher Dienststellen Beschadigungen von behordlichen Einrichtungen Aufrufe zu Ungehorsam gegen Anordnungen Brandstiftungen sowie Planung solcher Handlungen oder Mitwisserschaft wurden mit dem Tode bestraft Im November 1940 beanstandete der Stellvertreter des Fuhrers die Einfuhrung des deutschen Strafrechts als Fehler und forderte ein besonderes Strafrecht und Einfuhrungsgesetz zum Strafprozessrecht fur Polen In einem Vermerk mit dem der Entwurf der Ministerratsverordnung uber die Strafrechtspflege gegen Polen und Juden am 22 April 1941 verschickt wurde hiess es Die Vorschlage tragen dem Wunsch des Stellvertreters des Fuhrers weitgehend Rechnung Der Entwurf stellt ein drakonisches Sonderstrafrecht fur Polen und Juden auf das sehr weite Tatbestande formuliert und uberall die Todesstrafe zulasst Auch die Art der Freiheitsstrafe ist gegenuber dem deutschen Strafrecht verscharft 4 Abgelehnt wurden lediglich die Vorschlage des Stellvertreters des Fuhrers die Prugelstrafe einzufuhren und die Reichsstatthalter zu ermachtigen ein Sonderstrafrecht durch Rechtsverordnung einzufuhren statt es formlich im Reichsgesetzblatt zu veroffentlichen und in Kraft zu setzen Form und wesentlicher Inhalt BearbeitenDie Polenstrafrechtsverordnung ist nicht im ublichen Verwaltungsstil abgefasst und weicht auch in der ausseren Form von den ublichen Verordnungen ab Statt Einteilung in Paragrafen sind Ziffern gesetzt formale Erfordernisse wie das Ausserkraftsetzen vorhergehender Verordnungen fehlen wie auch die Unterschrift des eigentlich zustandigen Reichsjustizministers 5 Auffallig ist die offene Benennung eines Sonderrechts das Polen und Juden einen Status minderen Rechts wenn nicht gar eine vollige Rechtlosstellung ausserhalb jeder Rechtsordnung zuweist 6 Die Polenstrafrechtsverordnung stellt das Gebot voran Polen und Juden hatten sich entsprechend den deutschen Gesetzen und den fur sie ergangenen Anordnungen der deutschen Behorden zu verhalten und alles zu unterlassen was der Hoheit des Deutschen Reiches und dem Ansehen des deutschen Volkes abtraglich sei Die folgenden unter Ziffer I bis III aufgefuhrten uferlosen Generalklauseln 7 sehen als Regel die Todesstrafe vor und greifen Bestimmungen auf die bereits in der Verordnung uber die Einfuhrung des deutschen Strafrechts in den eingegliederten Ostgebieten vom 6 Juni 1940 enthalten waren Danach werden Polen und Juden mit dem Tode bestraft wenn sie gegen einen Deutschen wegen seiner Zugehorigkeit zum deutschen Volkstum eine Gewalttat begehen Die Todesstrafe war auch Regel bei deutschfeindlichen Ausserungen bei Gewalttaten gegen Angehorige der Wehrmacht Polizei und Behorden bei Aufruf zum Ungehorsam gegenuber Verordnungen sowie auch das Unterlassen einer Anzeige wenn jemand von derlei Vorhaben oder unerlaubtem Waffenbesitz Kenntnis erlangte Freiheitsstrafen mussten Polen und Juden im Straflager oder als verscharftes Straflager abbussen Auch wenn das Gesetz nicht ausdrucklich die Todesstrafe vorsah konnte diese verhangt werden wenn die Tat von besonders niedriger Gesinnung zeugt oder aus anderen Grunden besonders schwer ist Die folgenden Abschnitte IV bis XII hohlten das allgemeine Strafverfahrensrecht aus indem das Legalitatsprinzip durchbrochen wurde Staatsanwalte mussten Straftaten die von Deutschen gegenuber Polen und Juden begangen wurden nicht von Amtes wegen verfolgen Vorlaufige Festnahmen sowie Inhaftnahme waren schon bei dringendem Tatverdacht und ohne besondere Haftgrunde zulassig Urteile gegen Polen und Juden waren sofort vollstreckbar wahrend die Strafverfolgungsbehorden Rechtsmittel gegen Entscheidungen einlegen durften Richter konnten nicht als befangen abgelehnt werden Privat und Nebenklagen blieben Polen und Juden versagt Spater wurde die Moglichkeit der Verteidigung eingeschrankt und ab Mai 1942 die Bestellung eines Pflichtverteidigers ins Ermessen des Gerichts gestellt 8 Ziffer XII ermachtigte die Gerichte durch eine Generalklausel von Vorschriften des Gerichtsverfassungsgesetzes und des Reichsstrafverfahrensrechts abzuweichen wo dies zur schnellen und nachdrucklichen Durchfuhrung des Verfahrens zweckmassig sei Neben Amtsgerichten waren Sondergerichte zustandig bei Bedarf konnten Standgerichte eingesetzt werden Geltungsbereich BearbeitenDie Polenstrafrechtsverordnung betraf rund acht Millionen Polen die noch in den dem Reich einverleibten vor 1914 deutschen Gebieten Danzig Westpreussen Posen und Oberschlesien sowie einem Streifen altpolnischen Gebietes lebten 9 Die Bestimmungen der Ziffern I bis IV galten gleichfalls fur alle Polen und Juden die bis zum 1 September 1939 auf dem Gebiet des polnischen Staates gewohnt und eine Straftat auf dem Gebiet des deutschen Reiches begangen hatten Damit galt die Verordnung auch fur die polnischen Zwangsarbeiter im gesamten Reich 10 Am 30 Juli 1942 wurde sie auch fur das CdZ Gebiet Luxemburg eingefuhrt 11 Obwohl sich die Verordnung ausdrucklich auch gegen Juden richtete gewann sie kaum Bedeutung fur die Verfolgung der Juden und den Holocaust 10 Schon vorher hatten Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD mit Erschiessungen begonnen die Deportationen und Ghettoisierung waren bereits angelaufen und ein erstes Vernichtungslager nahm seine morderische Tatigkeit gerade auf Uberdies entzog die Dreizehnte Verordnung zum Reichsburgergesetz vom 1 Juli 1943 die verbliebenen Juden dem Anwendungsbereich der Verordnung uber die Strafrechtspflege gegen Polen und Juden in den eingegliederten Ostgebieten In den Akten der Sonderjustiz wird der Erlass fast ausschliesslich als Polenstrafrechtsverordnung bezeichnet Zeitgenossische Anwendung der VO BearbeitenDer damalige Staatssekretar im Justizministerium Roland Freisler kommentierte die Verordnung dahin dass sie eine allgemeine Gehorsamspflicht der Polen bestimme 12 Freisler ausserte sich sehr zufrieden daruber dass das gesamte formelle und materielle Strafrecht gegen Polen auf knapp drei Seiten geregelt worden sei In der Praxis erfuhr das Gesetz uber den ohnehin weitgehenden Wortlaut hinaus eine extensive Auslegung Unter Gewalttaten verstand man entgegen der sonst ublichen juristischen Terminologie nicht nur Taten von besonderer Schwere sondern jede strafbare Handlung die unter Anwendung von Gewalt begangen war Die Gewalttat konnte also aus einer einfachen Korperverletzung oder Notigung bestehen So wurde ein Angeklagter der einen deutschen Kriminalsekretar geohrfeigt hatte 1944 zum Tode verurteilt 13 Der Geschlechtsverkehr eines Polen mit einer Deutschen setze das Ansehen und das Wohl des Deutschen Reiches und des deutschen Volkes herab und wurde wegen deutschfeindlichen Verhaltens als Rassenschande verfolgt 14 Nach Inkrafttreten der Polenstrafrechtsverordnung stieg die Anzahl der Todesurteile stark an In den eingegliederten Ostgebieten wurden 1942 nachweisbar 1129 Todesurteile vollstreckt 15 Im selben Jahr wurden 61 836 Polen verurteilt und mehr als 45 000 ins Straflager verbracht 16 Die Gerichte wandten die Polenstrafrechtsverordnung dabei entgegen dem strafrechtlichen Ruckwirkungsverbot auch ruckwirkend fur Taten an die teils lange vor dem Erlass der Verordnung begangen worden waren 17 Mit dem Kontrollratsgesetz Nr 11 vom 30 Januar 1946 wurde mit zahlreichen weiteren Strafbestimmungen der nationalsozialistischen Zeit auch die Polenstrafrechtsverordnung aufgehoben Juristische Aufarbeitung BearbeitenNurnberger Juristenprozess Bearbeiten nbsp Ein Zeuge beim Juristenprozess in Nurnberg 1947Der Anklager im Nurnberger Juristenprozess stellte im Schlusspladoyer heraus nicht die Aufrechterhaltung der Ordnung in den einverleibten Gebieten sei Zweck der Polenstrafrechtsverordnung gewesen und es habe auch keine militarische Notwendigkeit dafur gegeben Ziele seien offenkundig Ausrottung und Verfolgung gewesen In seinem Urteil stellte das Gericht fest diese Verordnung erfulle den materiellen Tatbestand von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit 18 Aufhebung der Unrechtsurteile Bearbeiten Durch das Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile NS AufhG hob der Bundestag 1998 verurteilende strafgerichtliche Entscheidungen auf die unter Verstoss gegen elementare Gedanken der Gerechtigkeit zur Durchsetzung oder Aufrechterhaltung des nationalsozialistischen Unrechtsregimes ergangen waren Die Verordnung uber die Strafrechtspflege gegen Polen und Juden in den eingegliederten Ostgebieten wird im Gesetz ausdrucklich angefuhrt Siehe auch BearbeitenPolen Erlasse Franz SchlegelbergerLiteratur BearbeitenDiemut Majer Fremdvolkische im Dritten Reich Ein Beitrag zur nationalsozialistischen Rechtssetzung und Rechtspraxis in Verwaltung und Justiz unter besonderer Berucksichtigung der eingegliederten Ostgebiete und des Generalgouvernements Boldt Boppard am Rhein 1981 ISBN 3 7646 1744 6 Schriften des Bundesarchivs 28 Weblinks Bearbeiten nbsp Wikisource Verordnung uber die Strafrechtspflege gegen Polen und Juden in den eingegliederten Ostgebieten Quellen und VolltexteEinzelnachweise Bearbeiten Erlass des Fuhrers und Reichskanzlers uber Gliederung und Verwaltung der Ostgebiete vom 8 Oktober 1939 RGBl I S 2042 Heinz Boberach Hrsg Meldungen aus dem Reich Die geheimen Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS 1939 1945 Herrsching 1984 ISBN 3 88199 158 1 Bd 4 S 1315 Verordnung uber die Einfuhrung des deutschen Strafrechts in den eingegliederten Ostgebieten vom 6 Juni 1940 RBl I S 844 Bundesminister der Justiz Hrsg Im Namen des Volkes Justiz und Nationalsozialismus Katalog zur Ausstellung Koln 1989 ISBN 3 8046 8731 8 S 227 Diemut Majer Fremdvolkische im Dritten Reich ein Beitrag zur nationalsozialistischen Rechtssetzung und Rechtspraxis in Verwaltung und Justiz unter besonderer Berucksichtigung der eingegliederten Ostgebiete und des Generalgouvernements Boppard am Rhein 1981 ISBN 3 7646 1744 6 S 747 Diemut Majer Fremdvolkische im Dritten Reich S 748 Diemut Majer Fremdvolkische im Dritten Reich S 756 Diemut Majer Fremdvolkische im Dritten Reich S 771 772 Jorg Friedrich Freispruch fur die Nazi Justiz Reinbek bei Hamburg 1983 ISBN 3 499 15348 3 S 394 a b Hans Wullenweber Sondergerichte im Dritten Reich Frankfurt Main 1990 ISBN 3 630 61909 6 S 24 Andre Hohengarten Die Nationalsozialistische Judenpolitik in Luxemburg Saint Paul Luxemburg 2004 2 Auflage S 38 Zeitschrift Deutsche Justiz 1942 25 ff Urteil in Bundesminister der Justiz Hrsg Im Namen des Volkes Justiz und Nationalsozialismus Katalog zur Ausstellung Koln 1989 ISBN 3 8046 8731 8 S 227 Diemut Majer Fremdvolkische im Dritten Reich S 758 Diemut Majer Fremdvolkische im Dritten Reich S 790 791 Jorg Friedrich Freispruch fur die Nazi Justiz S 395 Johannes Wielgoss Seliger Franciscek Kesy und seliger Edward Klinik In Helmut Moll Hrsg Zeugen fur Christus Das deutsche Martyrologium des 20 Jahrhunderts Band I 7 uberarbeitete und aktualisierte Auflage Ferdinand Schoningh Paderborn u a 2019 ISBN 978 3 506 78012 6 S 221 224 hier S 223 Urteil des Oberlandesgerichts Posen vom 31 Juli 1942 in Zwickau Jorg Friedrich Freispruch fur die Nazi Justiz S 397 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Polenstrafrechtsverordnung amp oldid 238752580