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Naqus persisch arabisch ناقوس DMG naqus Glocke Plural nawaqis bezeichnet zwei unterschiedliche von Christen in arabischen Landern im Nahen Osten verwendete Kultinstrumente die zu den Schlagidiophonen gezahlt werden Das eine ist ein Schlagbalken aus einem langen Stuck Holz der seit vorislamischer Zeit anstelle einer Glocke geschlagen wurde um die Glaubigen zum Gottesdienst zu rufen und heute in der Region verschwunden ist Das Klangholz wurde uber der Schulter getragen oder war an Seilen stationar aufgehangt Unterschiedliche holzerne Schlagbretter sind bis heute in den orthodoxen Klostern Osteuropas als griechisch semantron rumanisch toacă und russisch bilo gelegentlich im Einsatz Zum anderen steht naqus seit dem spaten Mittelalter fur eine Handglocke aus Metall die von orthodoxen Christen in Agypten und im Libanon in der Liturgie verwendet wird Erstmals wurden die Glocken beim Gottesdienst in den fruhchristlichen koptischen Zentren in Agypten gespielt Das arabische Wort naqus geht auf das syrische naqoscha von naqasch schlagen zuruck und gelangte mit der Bedeutung Gong Handglocke bis in athiosemitische Sprachen Inhaltsverzeichnis 1 Klangholz 2 Handglocke 3 Gebel Naqus 4 Literatur 5 EinzelnachweiseKlangholz Bearbeiten nbsp Der Priester Themel schlagt die Araber von Tarsus mit seinem semantron in die Flucht Miniatur in der griechischen Chronik Madrider Bilderhandschrift des Skylitzes zweite Halfte 12 Jahrhundert Kapitel XI fol 132rNach der islamischen Tradition waren sich die Gefahrten des Propheten Mohammed unsicher welches das Zeichen fur die taglichen Gebete salat sein sollte Mohammed entschied sich demnach zwischen einem Feuer einer Glocke einem judischen Horn schofar und dem naqus fur den Gebetsruf adhan des Muezzin 1 Offensichtlich schlugen die Muslime in der ersten Zeit in Fustat den naqus als fruhmorgendlichen Gebetsruf 2 Der Ton des naqus als Gebetsruf war beim ersten Hahnenschrei zu horen 3 Die Christen verwendeten seit vorislamischer Zeit den naqus Holzklappern naqus erwahnte bereits der Dichter Labid um 560 um 661 der diese in Dorfern an der Kuste sudwestlich von Katar auf der arabischen Halbinsel sah Archaologische Ausgrabungen an einem vorislamischen nestorianischen Kloster auf einer Insel westlich von Abu Dhabi lassen vermuten dass die Kirche ein Obergeschoss mit einem Kirchturm besass in dem sich vermutlich anstelle einer Glocke ein holzerner naqus befand 4 In Europa verbreiteten sich etwa ab 1285 von einer Hemmung gesteuerte Raderuhren die bald den Kuster ersetzten und zur mechanischen Steuerung grosser Kirchenglocken verwendet wurden In muslimischen Landern waren zwar mechanische Uhren aus Europa zur Bestimmung der taglichen Gebetszeiten willkommen aber Glockenlauten zur Zeitansage war in der Offentlichkeit verpont weil Glocken mit dem christlichen Kult in Verbindung gebracht wurden und ihr Lauten den Ruf des Muezzins hatte beeintrachtigen konnen 5 Diese Vorbehalte hatten zuvor schon fur die Verwendung des naqus gegolten Der Islamgelehrte Abu Yusuf 729 731 798 erwahnte in seinem Kitab al Ḫaraǧ Buch uber die Grundsteuer die Verpflichtungen die Christen unter islamischer Herrschaft befolgen mussten Dazu gehorte nicht den naqus vor oder wahrend der islamischen Gebetszeiten zu schlagen Anderswo heisst es der naqus durfe nur leise oder nur innerhalb der Kirche ertonen Diese Beschrankungen werden auch von orthodoxer Seite bestatigt etwa vom Patriarchen Michael der Syrer 1126 1199 und dem Gelehrten Gregorius Bar Hebraeus um 1225 1286 Den naqus laut in der Offentlichkeit zu schlagen galt als Gesetzesverstoss Dafur erhielten zu manchen Zeiten christliche Wurdentrager die Erlaubnis bei besonderen religiosen Feiern Trommeln zu schlagen und Trompeten oder andere Musikinstrumente zu spielen Die Kesseltrommel naqqara und Langtrompeten buk dienten seit alter Zeit dazu Herrschern die Ehre zu erweisen 6 Die Geschichte des Priesters Themel die sich Anfang des 10 Jahrhunderts zugetragen haben soll ist ein Beispiel fur die Auseinandersetzungen an der Grenze zwischen dem Byzantinischen Reich und seinen muslimischen Nachbarn aber auch fur die Versuche Religionskonflikte im Alltag kleinzuhalten Die Miniatur in der byzantinischen Chronik des Johannes Skylitzes Ende 11 Anfang 12 Jahrhundert zeigt wie der Priester mit dem Klangholz auf muslimische Angreifer eindrischt die mitten im Gottesdienst die Kirche plundern wollten Der Priester verletzte und totete einige und trieb alle in die Flucht Der sich anschliessende versohnliche Aspekt fehlt in der Abbildung Weil ein Priester keine Gewalt anwenden darf verbot ihm der Bischof die weitere Amtsausubung Themel protestierte vergeblich und setzte sich schliesslich zu den Arabern ab nahm den muslimischen Glauben an kampfte auf deren Seite als Befehlshaber gegen die Christen und verubte zahlreiche Graueltaten wie es in der Geschichte weiter heisst 7 nbsp Tragbares Klangholz in Form eines Doppelpaddels das bis heute vereinzelt in rumanischen Klostern verwendet wird Toacă im Kloster Sinaia Der judische Gelehrte Daniel al Kumisi 946 schrieb um 900 uber die Christen von Jerusalem dass sie den naqus ublicherweise verwenden wurden Ein Bericht aus der Mitte des 11 Jahrhunderts uber eine vermutlich in Palastina gelegene Stadt erwahnt dass sich die Christen nicht um die bestehenden Gesetze gekummert und eine Kirche hoher als die hiesige Moschee gebaut hatten Die Kirche wurde daraufhin abgerissen ausserdem habe das laute Schlagen des naqus die Muslime gestort 8 Allgemein stand der naqus haufig im Zentrum kultureller Spannungen zwischen Christen in arabischen Gebieten Nachdem Kalif Al Walid I um 705 die byzantinische Johannesbasilika in Damaskus zur Umayyaden Moschee hatte umbauen lassen berichtet al Masʿudi von einem Vorfall der fur Irritationen sorgte In dem Augenblick als der Kalif in der Moschee den Minbar bestieg um eine Ansprache an die Glaubigen zu halten sei ein naqus zu horen gewesen Die Nahe zwischen Kirche und Moschee scheint haufig fur Gerauschbelastigungen gesorgt zu haben 9 Der Religionsgrunder Baha ullah 1817 1892 verfasste mehrere tausend Tafel genannte Schriften Eine Schrift aus dem Jahr 1863 tragt den Titel Lawḥ i Naqus Tafel der Glocke Baha ullah der zum Eintritt ins erklarte Paradies des Bahaitum aufruft personifiziert sich als die Holztafel bei deren Ton glaubige Ostchristen zum Gebet eilen 10 Im Werk A Visit to the Monasteries of the Levant 1849 des englischen Reiseschriftstellers Robert Curzon 14 Baron Zouche 1810 1873 findet sich auf dem Titelblatt die Illustration eines simandro gleich semantron genannten Schlagbalkens mit dem ein Monch im Hof eines griechischen Klosters zum Gebet ruft Der Monch halt ein langes Brett das wie ein Doppelpaddel aussieht mit einer Hand in der verjungten Mitte und schlagt es vermutlich mit einem elastischen Stab wabil in der anderen Hand 11 Die Abbildung zeigt ein Instrument das Ende des 19 Jahrhunderts im arabischen Raum verschwunden war Eine ahnliche Form und rituelle Funktion hat der seit dem 1 Jahrtausend bis heute in tibetisch buddhistischen Klostern verwendete Schlagbalken gandi Handglocke Bearbeiten nbsp Um 1950 in der katholischen Kirche in Agypten verwendete Handglocke naqus in Gestalt einer NachttischlampeNeben den Klangholzern werden auch die aus der altagyptischen Zeit uberkommenen kleinen Glocken die Kopten in Agypten im Gottesdienst benutzen naqus genannt Die altesten Glocken sind aus dem Neuen Reich bekannt Deren Formen griffen die christlichen Kopten zwischen dem 3 und 6 Jahrhundert wieder auf Laut Hans Hickmann konnte in dieser Zeit der Ursprung fur die spatere Verwendung von Glocken in der romisch katholischen Liturgie in Rom gelegen haben 12 Es gibt Handgriffglocken als halbschalige Stielglocken ohne Kloppel Die Form eines anderen naqus Typs erinnert an eine Nachttischlampe Die pilzformige Glocke mit einem runden Standfuss und einer Gesamthohe von 29 Zentimetern und einem Glockendurchmesser von 22 Zentimetern ist zu schwer um sie in der Hand zu halten Dieser naqus wurde Mitte des 20 Jahrhunderts in der katholischen Kirche in Agypten verwendet jedoch nicht in der griechisch orthodoxen Kirche 13 Ausschliesslich metallene Idiophone begleiten traditionell liturgische Gesange in der maronitischen Kirche im Libanon Hierzu gehoren naqus aus zwei metallenen Halbschalen an einem Handgriff die mit einem Metallstab angeschlagen werden und wie Triangeln klingen ferner grossere Zimbeln Paarbecken und marawe marawih Sg marwahah Letztere bestehen aus einer Metallscheibe an einem etwa einen Meter langen Holzstiel mit kleinen am Rand der Scheibe befestigten Metallteilen und sind typologisch mit Rasseltrommeln und Sistren verwandt Die Gemeinde empfangt beim Erklingen von naqus und marawe die heiligen Sakramente 14 In den 1970er Jahren wurden zusatzlich Melodieinstrumente wie Keyboard kanun oud kamantsche und nay in den maronitischen Gottesdienst eingefuhrt 15 In der Erzahlsammlung Tausendundeine Nacht kommen unter den zahlreichen Musikinstrumenten die Idiophone kasat Sg kas grosse schalenformige Becken in den Kampfszenen vor Die unterschiedlichen Glocken jalajil Sg juljul und ajras Sg jaras dienten als Schmuck an den Schabracken von Pferden und Kamelen Der Klang der Zimbeln qalaqil Sg qalqal die an Mauleseln und Kamelen befestigt waren sollte den Gegner erschrecken Dann finden sich noch Fusskettchen der Frauen und der Zauberstab qaḍib Pl quḍban mit dem im fruhen Arabien haufig der Rhythmus geschlagen wurde Der von Christen verwendete naqus der eine Schlagplatte aus Holz oder Metall war wird in zwei Erzahlungen in Tausendundeine Nacht erwahnt in denen er vom Dach der Marien Kapelle die Glaubigen zum Gebet ruft 16 Eine Verkleinerungsform von naqus ist nuqaisat worunter die Berber im Maghreb Fingerzimbeln verstehen 17 Gebel Naqus BearbeitenEin Felsberg an der Kuste des Roten Meeres im Sudwesten der Sinai Halbinsel nordwestlich des Kustenortes el Tur und sudwestlich des Katharinenklosters heisst nach einer Legende Gebel Naqus Glocken Berg Der Sandsteinfels war namensgebend fur eine geologische Schicht aus einer Silikatsandablagerung die im sudlichen Sinai vorkommt Der weisse Sand mit einem hohen Silikatanteil ist fur die Glasherstellung geeignet 18 Das Abendland erhielt Kenntnis von der Legende durch die Reisebeschreibung Bernhard von Breidenbachs der 1483 auf dem Sinai unterwegs war Demnach gab es einst in dem abgelegenen Gebiet bei el Tur ein Monchskloster das so spurlos verschwand dass niemand mehr seinen Ort kennt von dem aber zu bestimmten Stunden der Klang der Gebetsglocken zu horen ist 19 Als erster europaischer Reisender lokalisierte der Naturforscher Ulrich Jasper Seetzen 1767 1811 der sich im Sommer 1810 wahrend der Dattelernte 20 bei el Tur aufhielt den mysteriosen Glockenklang an den Hangen des Gebel Naqus und fand auch die physikalische Erklarung Seetzen sah dass von der festgebackenen Sandschicht welche die steilen Hange des Hugels bedeckt um die Mittagszeit wenn die Sonne besonders heiss brennt loser Sand herabzugleiten beginnt und dabei ein Gerausch verursacht das ihn an den Klang von Aolsharfen erinnerte 21 Captain Palmer Leiter einer englischen Expedition im Rahmen der Royal Geographical Society auf der Sinai Halbinsel 1868 berichtete von Arabern die angaben der Ton vom Berg sei nur freitags und samstags zu horen und stamme von den geschlagenen Holzbrettern des versunkenen Klosters 22 Der englische Schriftsteller William Henry Davenport Adams 1828 1891 wies 1879 ebenfalls darauf hin dass man sich unter dem mysteriosen naqus nicht eine Glocke sondern ein Holzbrett vorzustellen habe 23 Literatur BearbeitenNaḳus In The Encyclopaedia of Islam New Edition Band 7 1993 S 943 Naqus In Sibyl Marcuse Musical Instruments A Comprehensive Dictionary Doubleday New York 1964 S 360Einzelnachweise Bearbeiten Thomas Patrick Hughes A Dictionary of Islam W H Allen amp Co London 1895 S 430 Buchstabe N Richard J H Gottheil The Origin and History of the Minaret In Journal of the American Oriental Society Band 30 No 2 Marz 1910 S 132 154 hier S 134 Georg Jacob Das Leben der vorislamischen Beduinen Studien in arabischen Dichtern Heft III Mayer amp Muller Berlin 1895 S 85 bei Internet Archive Peter Hellyer Nestorian Christianity in the Pre Islamic UAE and Southeastern Arabia In Journal of Social Affairs Band 18 Nr 72 Winter 2001 S 79 99 hier S 81 Touraj Atabaki Time Labour Discipline and Modernization in Turkey and Iran Some Comperative Remarks In Ders Hrsg The State and the Subaltern Modernization Society and the State in Turkey and Iran I B Tauris London 2007 S 2 Milka Levy Rubin Non Muslims in the Early Islamic Empire From Surrender to Coexistence Cambridge University Press New York 2011 S 77f 91 160 Ralph Johannes Lilie Einleitung In Thomas Pratsch Hrsg Konflikt und Bewaltigung die Zerstorung der Grabeskirche zu Jerusalem im Jahre 1009 De Gruyter Berlin 2011 S 2f Moshe Gil A History of Palestine 634 1099 Cambridge University Press Cambridge 1977 S 161 464f Finbarr B Flood The Medieval Trophy as an Art Historical Trope Coptic and Byzantine Altars in Islamic Contexts In Muqarnas Band 18 2001 S 41 72 hier S 62f Tablet of the Bell Lawh i Naqus also known as Tablet of Praised be Thou O He Subhanika Ya hu Wilmette Institute faculty notes Baha i Library Online Robert Curzon Ancient Monasteries of the East or The Monasteries of the Levant Titel der Auflage von 1854 Nachdruck Gorgias Press New Jersey 2001 Musical Instruments In Aziz S Atiya Hrsg The Coptic Encyclopedia Band 6 Macmillan Publishing New York 1991 S 1738 1741 Hans Hickmann Miscellanca Egyptologica In The Galpin Society Journal Band 4 Juni 1951 S 25 29 hier S 29 und Abb 8 Hans Hickmann The Rattle Drum and Marawe Sistrum In Journal of the Royal Asiatic Society of Great Britain and Ireland Nr 1 2 Apr 1950 S 2 6 hier Abb 2 Guilnard Moufarrej Maronite Music History Transmission and Performance Practice In Review of Middle East Studies Band 44 Nr 2 Winter 2010 S 196 215 hier S 209 Henry George Farmer The Music of the Arabian Nights Continued from p 185 October 1944 In Journal of the Royal Asiatic Society of Great Britain and Ireland Nr 1 April 1945 S 39 60 hier S 51 Nuqaisat In Sibyl Marcuse Musical Instruments A Comprehensive Dictionary Doubleday New York 1964 S 369 F S Ramadan Characteristics of White Sand Deposits in Southern Sinai Region Egypt Memento vom 20 Februar 2015 im Internet Archive In Middle East Journal of Applied Sciences 4 1 2014 S 100 108 hier S 106 Carl Ritter The Comparative Geography of Palestine and the Sinaitic Peninsula Band 1 Haskell House Publishers New York 1865 T amp T Clark Edinburgh 1866 S 161 Carl Ritter The Comparative Geography of Palestine and the Sinaitic Peninsula 1866 S 155 Carl Ritter Die Erdkunde von Asien Band VIII Zweite Abtheilung Die Sinai Halbinsel Palastina und Syrien Erster Abschnitt Die Sinai Halbinsel G Reimer Berlin 1848 S 162f F W Holland Recent Explorations in the Peninsula of Sinai In Proceedings of the Royal Geographical Society of London Band 13 Nr 3 1868 1869 S 204 219 hier S 216 William Henry Davenport Adams Mount Sinai Petra and the Desert Described and Illustrated T Nelson and Sons London 1879 S 38 bei Internet Archive Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Naqus amp oldid 238974228