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Als Mediengenealogie bezeichnet man in der Medientheorie die Entwicklungen und Kausalitaten in der Entwicklung von Medien Dabei legt man in der Regel einen sehr weitgefassten Medienbegriff zugrunde der nicht auf die Massenmedien begrenzt ist Der Begriff Genealogie verweist dabei auf eine nicht lineare Geschichtstheorie Mit der Geschichte der Entstehung und Entwicklung von Kommunikationsmitteln im Allgemeinen befasst sich die Mediengeschichte Inhaltsverzeichnis 1 Ubersicht 2 Mediengenealogie nach Flusser 3 Mediengenealogie nach Innis 4 Mediengenealogie nach McLuhan 5 Mediengenealogie nach Ong und Havelock 6 Zitate 7 Siehe auch 8 Literatur 9 WeblinksUbersicht BearbeitenWeitgehende Ubereinstimmung herrscht in der groben Struktur der Medienabfolge Beginnend mit der Entwicklung der Sprache setzt die kulturelle Entwicklung der Menschheit im medialen Sinne an diese Epoche ist primar durch Oralitat Mundlichkeit gepragt und steht beispielsweise mit dem mundlich tradierten Mythos und dem traditionellen Bild in einer engen Beziehung Wissen wird mundlich tradiert stirbt ein erfahrener Mensch der Gemeinschaft verschwindet ein Wissensspeicher strukturelle Amnesie Abgelost wird diese Epoche in der alten Welt durch die Erfindung der Schrift um 3500 v Chr welche die Phase der Literalitat und damit der schriftlichen Uberlieferungen einleitet Neben Schriftkritik vor allem durch Sokrates und Platon findet hier in der griechischen Antike der Ubergang vom Mythos zum Logos statt und die Philosophie entsteht Texte werden erstmals in diskrete Einheiten Buchstaben ohne individuelle semantische Bedeutung zerlegt Wissen kann interpersonell gespeichert werden wird durch die Moglichkeit des Transports raumlich mobil und durch die Unabhangigkeit von Personen zeitlich stabil Durch die schriftliche Fixierung beginnt auch die Moglichkeit der Adressierung d h der Zuweisung einer Urheberschaft zu einem identifizierbaren Autor Diese Phase reicht von der Antike bis ins Mittelalter wo Wissen in Skriptorien manuell reproduziert und fur eine begrenzte Leserschaft in Bibliotheken aufbewahrt wird Abgelost wird diese Epoche zumindest in Europa mit der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern um 1440 Gutenberg Galaxis welcher die Neuzeit und die Herausdifferenzierung der verschiedenen Wissenschaften einleitet Texte werden in mechanisch rekombinierbare diskrete Einheiten Typen zerlegt und im Publikationssystem eines Typographeums dauerhaft gespeichert Ein Prozess der allgemeinen Alphabetisierung setzt ein Wissen wird preiswerter zuganglicher praziser adressier und referenzierbar es findet eine weitere Demokratisierung von Wissen statt Das Wissen kann massenhaft mechanisch reproduziert werden was insbesondere ab etwa 1810 durch Rotationsdruck und Endlospapier weiter beschleunigt wird Wir befinden uns derzeit nach weitgehend ubereinstimmender Lesart in einer fundamentalen Umbruchsphase die als Turing Galaxis Zeitalter der technischen Bilder oder einfach elektronisches Computerzeitalter bezeichnet wird Das alphabetische Monopol wird aufgehoben und die Aufschreibesysteme differenzieren sich mit der Moglichkeit der mechanischen Speicherung serieller Daten aus Das Kunstwerk wird technisch reproduzierbar die langst in diskrete Einheiten zerlegten Texte werden durch technische Ubertragungstechnologien wie Telegraf und Telefon materiell entkoppelt und weitgehend verzogerungsfrei uber grosse Distanzen austauschbar dieser Prozess fuhrte uber das interkontinentale Telefonnetz zum globalen Datennetz des Internets Die Digitalisierung schliesslich nivelliert auch die Problematik von Medienbruchen und ermoglicht die Medienintegration in Hypertext und Multimedia Mediengenealogie nach Flusser BearbeitenVilem Flusser geht in seiner Mediengenealogie von einem funfstufigen historischen Phasenmodell aus ein Modell der Kulturgeschichte und der Entfremdung des Menschen vom Konkreten Ins Universum der technischen Bilder S 10 das durch zunehmende Abstraktion und abnehmende Dimensionalitat gekennzeichnet ist Erste Stufe konkretes Erleben Vierdimensionalitat Die erste Stufe ordnet Flusser dem Naturmenschen zu der in einer vierdimensionalen Umwelt des unmittelbaren und konkreten Erlebens lebt In dieser Stufe hat der Mensch keine fassbare Subjekt Objekt Wahrnehmung Es gibt keine greifbare Verbindung zwischen Raum und Zeit Mensch und Tier befinden sich in einer vierdimensionalen Raumzeit welche den Mensch und das Tier angeht Es ist die Stufe des konkreten Erlebens Ins Universum der technischen Bilder S 10 Zweite Stufe Benutzen und Herstellen von Gegenstanden Dreidimensionalitat Die zweite Stufe etwa 2 000 000 bis 40 000 v Chr bezieht sich auf das Interesse des Menschen an Gegenstanden also an einer dreidimensionalen Umwelt in dieser Phase ereignet sich also ein Wechsel von der Vier in eine Dreidimensionalitat Bedingt durch eine Subjekt Objekt Trennung lernt der Mensch Gegenstande zu benutzen oder herzustellen Es ist die Stufe des Fassens und Behandelns Ins Universum der technischen Bilder S 10 f Der menschliche Umstand ist objektiv problematisch und muss umgeformt informiert werden Standpunkte S 73 Die Werkzeuge im ublichen Sinn sind Verlangerungen menschlicher Organe Fur eine Philosophie der Fotografie S 22 dies entspricht also in etwa dem was Marshall McLuhan als extensions of man d h Medien bezeichnet Dritte Stufe Traditionelle Bilder Zweidimensionalitat Mit der dritten Stufe wird die zweidimensionale Umwelt pragend fur die Kultur traditionelle Bilder die anschaulich und imaginar sind schieben sich zwischen den Menschen und seine Lebenswelt Um die Naturwelt deuten zu konnen benutzt er die Malerei In dieser Phase hat der Homo sapiens zwischen sich als Subjekt und den objektiven Umstand eine imaginare zweidimensionale Vermittlungszone geschoben Ins Universum der technischen Bilder S 11 Wir mussten lernen die Tiefe aus den Objekten zu abstrahieren und die derart abstrahierten Flachen auf Flachen festzuhalten Die Bedeutung der Bilder ist magisch Dadurch ist der Umstand durch die Bilder hindurch nur magisch zu fassen Standpunkte S 74 Vierte Stufe Erfindung der linearen Schrift Eindimensionalitat Ab etwa 2000 v Chr werden lineare Texte wie Homers Epen oder die Bibel zunehmend kulturpragend Diese Art der Vermittlungstechnik von Informationen bei der ein Begreifen mittels Begriffen ermoglicht wird lasst eine eindimensionale Umwelt entstehen Diese Phase beinhaltet also eine weitere Vermittlungszone zwischen Mensch und Objekten die linearen Texte werden erfunden und ubernehmen die Vermittlung von Botschaften Es ist die Stufe des Begreifens des Erzahlens die historische Stufe Ins Universum der technischen Bilder S 11 Diese linearen Textwelt abstrahiert die Breite aus der Bildflache und verwandelt die Bildszenen in Prozesse Standpunkte S 74 Funfte Stufe Erfindung der technischen Bilder Nulldimensionalitat Die heutige Gesellschaft befindet sich auf dem Weg in eine nachalphabetischen Phase der nulldimensionalen technischen Bilder das Universum der technischen Bilder bei der die Texte ihre Funktion verlieren Lineare Texte sind unzulanglich und unanschaulich geworden Somit ubernehmen technische punktuelle Bilder langsam die Funktion der Texte Informationen zu uber tragen Es ist die Stufe des Kalkulierens und Komputierens Ins Universum der technischen Bilder S 11 Die Lange beginnt aus der Zeile abstrahiert zu werden und was ubrig bleibt sind nulldiemnsionale Punktelemente Diese Elemente sind unfassbar nicht mit den Handen zu fassen unvorstellbar nicht mit Augen zu sehen und unbegreiflich nicht mit Fingern zu greifen Aber sie sind kalkulierbar Und sobald diese Elemente kalkuliert sind konnen sie zu sekundaren Bildern zusammengerafft komputiert werden Diese sekundaren Bilder sollen die unbegreiflich gewordene kornige Welt der Begriffe wieder vorstellbar machen Standpunkte S 74 Mediengenealogie nach Innis BearbeitenDer Wirtschaftswissenschaftler und spatere Medientheoretiker aus der so genannten kanadischen Schule Harold A Innis konzipierte in den 1940er Jahren eine universalgeschichtliche Untersuchung der Einflusse und Effekte von Kommunikationsmedien auf die Formen sozialer Organisation Er betrachtet dabei insbesondere die Entstehung von Wissensmonopolen monopolies of knowledge und ihre Institutionalisierung vgl auch Diskursanalyse Er fuhrte die Vorstellung Medien seien historisch und systematisch aufeinander bezogen in die Medientheorie ein Innis unterteilte die menschheitsgeschichtlichen Epochen nach der Art ihrer Kommunikationsmittel ein man konnte hier auch von einer Art Leitmedium der jeweiligen Epochen sprechen ab den Anfangen der mesopotamischen Zivilisation Ton Meissel und Keilschrift bis zur griechisch romischen Zivilisation Papyrus Pinsel agyptische Hieroglyphen und Hieratisch bis zur Abspaltung der ostlichen Reichshalfte Schilfrohr und Alphabet fruhes Mittelalter bis Beginn des 10 Jahrhunderts Pergament und Schreibfeder in China Papier und Pinsel in Europa bis zur Entstehung der Buchdruckerkunst bzw der Renaissance Papier und Feder bis Beginn des 19 Jahrhunderts handwerklich hergestelltes Papier und Druckerpresse seit Beginn des 19 Jahrhunderts maschinell produziertes Papier und elektrisch betriebene Druckerpresse ab Mitte des 19 Jahrhunderts aus Holz gewonnenes Papier ab Anfang des 20 Jahrhunderts Rolle des Zelluloidfilms und RadioMediengenealogie nach McLuhan BearbeitenMarshall McLuhan 1911 1980 baute auf Innis Theorie auf und entwarf seine Mediengenealogie in seinem Werk The Gutenberg Galaxy Darin unterteilt er vier menschheitsgeschichtliche Epochen die jeweils durch die Einfuhrung eines neuen Mediums abgelost werden 1 Orale Stammeskultur Wissensuberlieferung und Kommunikation erfolgen mundlich Herrschaft des Ohres 2 Literale Manuskript Kultur durch Einfuhrung der phonetischen Schrift Lesen erfolgt laut alle Sinne werden mit einbezogen 3 Gutenberg Zeitalter durch Erfindung des Buchdrucks Herrschaft des Auges und des linearen Denkens 4 Zeitalter der Elektrizitat Marconi Zeitalter durch Erfindung des drahtlosen Telegraphen harmonische Einbeziehung aller Sinne Taktilitat Mediengenealogie nach Ong und Havelock BearbeitenWalter J Ong Oralitat und Literalitat Jack Goody und Ian Watt The Consequencies of Literacy 1963 Eric A Havelock Preface to Plato 1963 fruhgeschichtliche Genealogie des phonetischen AlphabetsZitate Bearbeiten Das Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken Friedrich Nietzsche in seinem Briefwechsel von 1882 Siehe auch BearbeitenAlphabetisches Monopol Noosphare und Infosphare Medientheorie DiskursanalyseLiteratur BearbeitenHarold A Innis Die Eule der Minerva 1947 in Karlheinz Barck Hrsg Harold A Innis Kreuzwege der Kommunikation Ausgewahlte Texte Wien New York Springer 1997 ISBN 3 211 82847 8 Marshall McLuhan The Gutenberg Galaxy London 1962 englischsprachige Erstausgabe Die Gutenberg Galaxis Das Ende des Buchzeitalters Bonn u a 1995 deutschsprachige Ubersetzung Michael Giesecke Der Buchdruck in der fruhen Neuzeit Eine historische Fallstudie uber die Durchsetzung neuer Informations und Kommunikationstechnologien stw 1357 Frankfurt Suhrkamp 1998 ISBN 3 518 28957 8 Norbert W Bolz Am Ende der Gutenberg Galaxis Munchen Fink 1995 ISBN 3770528719 englischsprachige Rezension Friedrich Kittler Grammophon Film Typewriter Berlin Brinkmann amp Bose 1986 ISBN 3 922660 17 7 engl Ausgabe Gramophone Film Typewriter Stanford 1999 Friedrich Kittler Aufschreibesysteme 1800 1900 Munchen Fink 1985 ISBN 3 7705 2881 6 engl Ausgabe Discourse Networks 1800 1900 with a foreword by David E Wellbery Stanford 1990 Vilem Flusser Ins Universum der technischen Bilder 2000 ISBN 3923283431 Siegfried Zielinski nach den Medien Nachrichten vom ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert 2011 ISBN 3883963070Weblinks BearbeitenSteve Ballmer Chef des Software Giganten Microsoft In zehn Jahren gibt es keine Zeitung mehr In spiegel online vom 6 Juni 2008 Wolfgang Bock Bild Schrift Cyberspace http www aisthesis de wbock medien html Norbert Bolz Am Ende der Gutenberg Galaxis http www uibk ac at sci org voeb texte bolz html Frank Hartmann Eintritt in die Gutenberg Galaxis Philosophische Grundlagen 2 6 http www netzgestalten de Frank Hartmann Eisenstein htm Rudolf Maresch HyperKult um den Computer Zu einem Buch uber Geschichte Theorie und Kontext digitaler Medien In Telepolis 28 April 1998 https www heise de tp features HyperKult um den Computer 3439743 html Horst Wenzel Vom Anfang und vom Ende der Gutenberg Galaxis http userpage fu berlin de sybkram medium wenzel html Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Mediengenealogie amp oldid 227736617