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Lesegesellschaften waren ausserhalb von Staat Kirche und standischer Gesellschaftsordnung die verbreitetste Organisationsform im aufgeklarten 18 und fruhen 19 Jahrhundert 1 und werden als eine fruhe Form der Erwachsenenbildung betrachtet 2 Erste Lesegesellschaften entstanden in Deutschland um 1720 die grosste Anzahl an Grundungen war im fruhen 19 Jahrhundert zu verzeichnen Ende des 18 Jahrhunderts gab es im Alten Reich schatzungsweise 500 Lesegesellschaften mit mehr als 25 000 Mitgliedern 3 Johann Peter Hasenclever Das Lesekabinett 1843Spater entwickelten sich die Lesegesellschaften im deutschsprachigen Kulturraum teilweise zu Tragern der burgerlichen Emanzipation und trugen zu der Herausbildung politischer Parteien des 19 Jahrhunderts bei Inhaltsverzeichnis 1 Uberblick 2 Lesezirkel 3 Lesebibliothek 4 Lesekabinett 5 Der Club 6 Aufklarungs Lesegesellschaften 7 Museum 8 Beispiele fur Lesegesellschaften 9 Literarische Freundschaftszirkel 10 Social Reading 11 Siehe auch 12 Literatur 13 Weblinks 14 EinzelnachweiseUberblick BearbeitenLesegesellschaften waren ein wichtiges Instrument einer sich im 18 Jahrhundert teilweise geradezu rasant ausbreitenden burgerlichen Lesekultur Im Unterschied zur Einzellekture und zur intensiven Wiederholungslekture von Andachtsliteratur wurden sie von Privatleuten als Einrichtungen organisierten extensiven Lesekonsums ins Leben gerufen 4 Durch die Revolutionierung des Buchmarkts die nach einer Stagnation des Buchdrucks im 17 Jahrhundert einen sprunghaften Anstieg der Buchproduktion und eine erweiterte Titelpalette aller Schriftmedien bewirkte 5 wurden neue Leserkreise gewonnen wenn auch weiterhin grosse Teile der Gesamtbevolkerung von der Lekture ausgeschlossen blieben Angesichts relativ hoher Buchpreise oft nicht leicht erreichbarer Werke und eines Bedurfnisses nach gemeinschaftlichem Austausch lag ein Zusammenschluss von Literaturinteressierten in Form von Lesegesellschaften auf der Hand zumal mit dem Vorlaufer des Lesezirkels und Gemeinschaftsabonnements von Periodika bereits Erfahrungen vorlagen Gleichzeitig entstanden spezialisierte Lesegesellschaften wie Fachlesegesellschaften z B theologischer juristischer oder medizinischer Richtung deren spezifische Ausrichtung einen bestimmten Mitgliederkreis sicherte Ende des 18 Jahrhunderts gab es nur wenige Stadte in Deutschland in denen nicht zumindest eine Lesegesellschaft bestand landliche Lesegesellschaften hingegen waren deutlich seltener obwohl die Masse der Bevolkerung elementar lesekundig war 6 Grundsatzlich war der evangelische Norden Deutschlands gegenuber dem katholischen Suden starker reprasentiert in Suddeutschland setzte die Grundung von Lesegesellschaften auch erst spater ein 7 Die deutschen Lesegesellschaften waren uberwiegend burgerlich gepragt ab den Zeiten der Aufklarung galten sie teilweise auch als Zusammenschlusse zur Beforderung der Emanzipation des Burgertums Gleichwohl war der Anteil adliger Mitglieder insbesondere in den Residenzstadten betrachtlich Zwar gab es zahlreiche Lesegesellschaften denen grundsatzlich Angehorige aller sozialer Schichten beitreten durften doch sorgten meist statutare Vorgaben wie bestimmte Aufnahmevoraussetzungen oder einfach hohe Mitgliedsbeitrage fur soziale Abgrenzung Auch ein grundsatzlicher Ausschluss von Frauen und Studenten war fur die meisten Lesegesellschaften charakteristisch 8 Nur sehr wenige Lesegesellschaften standen wirklich schichtenubergreifend beiden Geschlechtern allen Standen und allen Berufen offen Schon in den ersten Jahrzehnten des 19 Jahrhunderts nahm die Zahl der Neugrundungen landesweit bereits wieder ab viele Lesegesellschaften und Lesezirkel existierten nur kurze Zeit oder wandelten sich im Rahmen des neu entstehenden Vereinswesens in Geselligkeitsvereine aus denen sich laut Wittmann wiederum die ersten Arbeiterbildungsvereine entwickelten 9 Grunde waren einerseits die Preissenkung der Bucher und Periodika die in immer grosserer Auflage hergestellt und dessen Kosten einzelner Exemplare fur Privatpersonen immer erschwinglicher wurden andererseits seit der franzosischen Revolution eine starkere Kontrolle teilweise sogar Verbote So wurde beispielsweise die 1785 gegrundete Wurzburger Gesellschaft schon im darauffolgenden Jahr verboten da der Furstbischof nach Aussage eines Zeitgenossen das Lesen politischer Schriften fur gefahrlich unbedingte und unbeschrankte Lekture uberhaupt fur schadlich hielt und weil insbesondere die Gesellschaft in einen politischen und revolutionaren Klubb ausgeartet war 10 Ein weiterer Grund mag gewesen sein dass die meisten Lesegesellschaften nutzlicher Literatur und Periodika Vorrang gegenuber Romanen und Erzahlungen gaben Belletristik war gelegentlich sogar ganz ausgeschlossen Mit ihrem Niedergang traten aufkommende Leihbuchereien an ihre Stelle Obwohl der Begriff Lesegesellschaft schon im fruhen 18 Jahrhundert aufgekommen war beschreibt er doch eine weitraumige und unspezialisierte kulturelle Zeiterscheinung und meint eine eher heterogene Gruppe von Gesellschaften die sich selbst nicht nur Lesezirkel Leseinstitut Leseverein oder Lesekabinett sondern auch Ressource Societat Club Kasino Museum oder Harmonie nannten Bei den Vorgangerformen des 17 Jahrhunderts handelte es sich um Sprachgesellschaften zur Reinigung Vereinheitlichung und Forderung der regionalen Sprachen 1617 begann diese Entwicklung im deutschen Sprachraum mit der Fruchtbringenden Gesellschaft des Fursten Ludwig I von Anhalt Kothen und dreier Herzoge aus Sachsen Mit dem Erfolg dieser Gesellschaften welcher sich darin abzeichnete dass sich eine Hochsprache etablierte und die Mundarten in den Hintergrund gedrangt wurden richtete sich um 1700 das Interesse der Folgegesellschaften auf die Literatur Die 1717 entstandene Deutsche Gesellschaft zu Leipzig wurde zum Vorbild von Sozietaten in denen sich Literaturliebhaber zusammenfanden die ihr Wirken oft in Zeitschriftenpublikationen festhielten Die wesentlichen Unterschiede der eigentlichen Lesegesellschaften des 18 Jahrhunderts zu den gelehrten und literarischen Gesellschaften des vorhergehenden 17 Jahrhunderts bestehen abgesehen von dem zeitlichen Abstand in ihrer Zusammensetzung und den Intentionen Es handelte sich im 17 Jahrhundert zumeist um Gemeinschaften von Akademikern die zum einen ihren Wirkungskreis innerhalb der Standegesellschaft ausbauen und sichern wollten und zum anderen versuchten die seltene Fachliteratur untereinander zuganglich zu machen Sie waren nur ein auf Literatur und Sprache spezialisierter Teil der allgemeinen sonst naturwissenschaftlich orientierten Akademiebewegung Die literarischen Gesellschaften in der Zeit der Wende vom 17 zum 18 Jahrhundert entstanden aus dem patriotisch moralischen Anspruch heraus eine deutsche protestantische Kultur zu fordern und in den Bereichen der Bildung und moralischen Erbauung wirksam zu werden Dagegen waren die Lesegesellschaften des spaten 18 Jahrhunderts eher Notgemeinschaften einer regionalen gehobenen und gebildeten Mittelschicht von Burgern und in den Adelsstand erhobenen Beamten die durch ihr vereintes Vorgehen am aktuellen Buchmarkt und Schrifttumswesen und dadurch am Zeitalter der wachsenden Erkenntnisse teilhaben wollten Diese Medien waren in dem Umfang wie sie benotigt wurden um den Wissensdurst zu stillen zu teuer Andererseits erreichte die Literatur eine immer grosser werdende Kundengemeinde in der das Bedurfnis wuchs das erworbene Wissen mit Gleichgesinnten zu diskutieren und zu erproben Diese Entwicklung ging einher mit dem Wandel des allgemeinen Leseverhaltens weg von der Wiederholungslekture wie etwa der Bibel hin zur einmaligen Lekture von allem was der literarische Markt zu bieten hatte d h dass nicht allein die Werke anerkannter Dichter sondern vor allem Zeitschriften oder auch popularwissenschaftliche Schriften gelesen wurden Lesezirkel BearbeitenDer fruheste Typ und die Keimzelle der spateren Lesegesellschaften war der Lesezirkel Dieser beschaffte sich die gewunschte Literatur das heisst in der Regel Zeitschriften und ahnliche periodische Veroffentlichungen entweder als Gemeinschaftsbesitz oder zu gleich verteilten Lasten und liess diese zirkulieren Es handelte sich hierbei um die Weiterentwicklung des Gemeinschaftsabonnements welches sich ursprunglich ausschliesslich auf Zeitschriften beschrankte Diese Entwicklung vollzog sich in den 1740er Jahren Einige Jahre spater reklamierten die Mitglieder dieser Einrichtungen als erste den neuaufkommenden Begriff Lesegesellschaften fur sich Eine moderne Form des Lesezirkels sind fur die Auslage in Wartezimmern zusammengestellte Zeitschriftenausgaben Lesebibliothek BearbeitenEinrichtung von Gemeinschaftsbibliotheken um Versaumnisse direkt beim Verursacher anzumahnen und damit nur diejenigen Werke ausgeliehen wurden die den jeweiligen Leser auch wirklich interessierten Zeitschriften zirkulierten weiterhin unter den Mitgliedern Lesekabinett BearbeitenDiese Entwicklung begann gegen 1775 allerdings nur dort wo zum einen die Mitglieder in einer angemessenen Nahe zur Bibliothek wohnten und andererseits auch das Bedurfnis artikulierten sich relativ regelmassig zu treffen Fur die Grundung eines Lesekabinetts war daher beinahe zwangslaufig eine stadtische Gesellschaftsstruktur notwendig Ein bemerkenswerter emanzipatorischer Effekt der Lesekabinette bestand darin dass sich mit der Bibliothek und den Gemeinschaftsraumen ein beachtlicher Besitz entwickelte dessen gemeinschaftliche Verwaltung eine finanzielle Vergesellschaftung wie eine Aktiengesellschaft nach sich zog so dass die Mitgliedschaft eine gesellschaftliche Aufwertung bedeutete Der Club BearbeitenClubs waren Weiterentwicklungen der Lesekabinette in Anlehnung an englische Vorbilder gleichen Namens Die Lesetatigkeit war zuruckgedrangt zu Gunsten der Ziele eines Geselligkeitsvereines Infolge der Franzosischen Revolution und der in diesem Zusammenhang gebrauchlichen Verwendung des Begriffes Club Jakobinerklub fanden Umbenennungen der Gesellschaften etwa in Harmonie statt Aufklarungs Lesegesellschaften BearbeitenAufklarungs Lesegesellschaften wurden mit padagogischer Zielrichtung und entsprechender Literaturauswahl gegrundet Museum BearbeitenEinige Lesegesellschaften nannten sich spater um in Museumsgesellschaften eine Wortbildung die heute zu Missverstandnissen Anlass gibt Der Grund lag in der Ausweitung der Interessen des gebildeten Burgertums uber das Lesen hinaus Man fuhlte sich den Musen fur Theater Musik und Tanz verpflichtet und betrachtete deshalb die Raumlichkeiten der Gesellschaft in denen die Veranstaltungen stattfanden als einen Tempel der Musen griechisch museion oder in der latinisierten Form Museum Beispiele fur Lesegesellschaften BearbeitenAllgemeine Lesegesellschaft Basel Bonner Lesegesellschaft Borromausverein Elberfelder Lesegesellschaft Lesegesellschaft Eppingen Erholungs Gesellschaft Aachen 1837 Lesegesellschaft Gernsbach Lesegesellschaften in Appenzell Ausserrhoden Schweiz Menslager Lesegesellschaft Museumsgesellschaft Freiburg Museumsgesellschaft Hannover auch Das Museum und Museums Club siehe Grosse Lesegesellschaft Museumsgesellschaft Zurich Schullehrerkonferenzgesellschaften als Lesegesellschaften im Dienste der Lehrerbildung Teutsche Lesegesellschaft Giessen 1814Literarische Freundschaftszirkel BearbeitenExklusivere Lesekabinette in denen sich akademische und gesellschaftliche Fuhrungseliten einer Stadt oder Region zusammenfanden Beispiele Gottinger Hain Klopstock Busch Lesegesellschaft in Hamburg Goethes Weimarer Freitagsgesellschaft Berliner Mittwochsgesellschaft Social Reading BearbeitenMittlerweile gibt es den Lesegesellschaften vergleichbare Angebote auch im Internet Die Moglichkeit des Onlineaustauschs uber Bucher bezeichnet man als Social Reading Darunter versteht man einen online gefuhrten intensiven und dauerhaften Austausch uber Texte 11 Dies schliesst nicht nur wissenschaftliche Texte sondern auch private Lekture ein Dafur stehen besondere Plattformen wie zum Beispiel vorablesen de LovelyBooks und GoodReads zur Verfugung Ein Vorteil dieses Austausches ist dass geografische Entfernungen der Nutzer keine Rolle spielen Fur Verlage konnen sich durch Netzwerkeffekte im Idealfall durch virale Verbreitung positiver Bewertungen Vorteile bei der Vermarktung ihrer Produkte ergeben Da das Rezeptionsverhalten der Leser offentlich wird kann es kommunikationssoziologisch in Hinblick auf Leser Leser und Autor Leser Interaktionen untersucht werden Die Online Community BucherTreff wurde 2003 gegrundet und erreichte ein Dutzend Jahre spater uber 20 000 Benutzer und deren Rezensionen bereitstellt Siehe auch BearbeitenLiterarischer Salon Liste der Lesegesellschaften in Baden Deutscher Press und VaterlandsvereinLiteratur BearbeitenMartin Biastoch Das Concilium Germanicum an der Grossen Schule in Wolfenbuttel 1910 2010 Ein Beitrag zur Wolfenbutteler Bildungsgeschichte Essen 2010 ISBN 978 3 939413 09 7 Otto Dann Hrsg Lesegesellschaften und burgerliche Emanzipation ein europaischer Vergleich Munchen 1981 Rolf Engelsing Der Burger als Leser Lesergeschichte in Deutschland 1500 1800 Stuttgart 1974 Ernst L Hauswedell Christian Voigt Hrsg Buchkunst und Literatur in Deutschland 1750 1850 Hamburg 1977 S 287f Helmuth Janson 45 Lesegesellschaften um 1800 bis heute Bonn 1963 Irene Jentsch Zur Geschichte des Zeitungslesens in Deutschland am Ende des 18 Jahrhunderts Diss Leipzig 1937 Torsten Liesegang Lesegesellschaften in Baden 1780 1850 Ein Beitrag zum Strukturwandel der literarischen Offentlichkeit Berlin 2000 Harun Maye Die Lesegesellschaft Ein Grenzobjekt der Spataufklarung In Zeitschrift fur Deutsche Philologie Jahrgang 139 2020 Heft 2 S 263 285 Marlies Prusener Lesegesellschaften im achtzehnten Jahrhundert In Borsenblatt fur den Deutschen Buchhandel 29 Frankfurt am Main 1972 S 189 301 Hilmar Tilgner Lesegesellschaften an Mosel und Mittelrhein im Zeitalter des aufgeklarten Absolutismus Ein Beitrag zur Sozialgeschichte der Aufklarung im Kurfurstentum Trier Stuttgart 2001 ISBN 3 515 06945 3 betreffend Trier Koblenz und Mainz Matthias Wiessner Die Journalgesellschaft eine Leipziger Lesegesellschaft um 1800 In Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte Harrassowitz Wiesbaden 2004 Bd 13 S 103 175 ISSN 0940 1954 Weblinks BearbeitenAllgemeine Lesegesellschaft Basel Museumsgesellschaft Freiburg im Breisgau Lesegesellschaft Mullheim Christine Haug Uber das Projekt zur Grundung einer Frauenlesegesellschaft in Giessen 1789 90 PDF 143 kB Einzelnachweise Bearbeiten Marlis Prusener Lesegesellschaften im 18 Jahrhundert In Borsenblatt fur den Deutschen Buchhandel 29 1972 S 189 301 Christa Berg Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte Band 3 C H Beck 1987 ISBN 3 406 32468 1 Moller S 262 Hardtwig S 293 van Dulmen S 84 Zaunstock S 153 Hermann Bausinger Aufklarung und Lesewut In Studien zur Geschichte der Stadt Schwabisch Hall Schwabisch Hall 1980 S 179 195 Rolf Engelsing Der Burger als Leser Lesergeschichte in Deutschland 1500 1800 Metzler 1974 S 183 186 Reinhart Siegert Zur Alphabetisierung in den deutschen Regionen am Ende des 18 Jahrhunderts In Hans Erich Bodeker Ernst Hinrichs Hrsg Alphabetisierung und Literarisierung in Deutschland in der fruhen Neuzeit Tubingen 1999 ISBN 3 484 17526 5 S 283 307 Stutzel Prasener S 74 u a Rebekka Habermas Frauen und Manner des Burgertums Vandenhoeck amp Ruprecht 2000 ISBN 3 525 35679 X S 157 Reinhard Wittmann Geschichte des deutschen Buchhandels S 210 Reinhard Wittmann Geschichte des deutschen Buchhandels S 209 Dominique Pleimling Social Reading Lesen im digitalen Zeitalter Aus Politik und Zeitgeschichte 41 42 2012Normdaten Sachbegriff GND 4035436 2 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Lesegesellschaft amp oldid 238767402