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Die Lernpsychologie beschaftigt sich mit den psychologischen Vorgangen des Lernens und ahnlichenkognitiven Prozessen wie Menschen oder Tiere Informationen erwerben verarbeiten und speichern Die Ergebnisse dieser Wissenschaft sind Lerntheorien Nachbardisziplinen sind auf der Grundlagenseite die Verhaltensforschung die Neurobiologie und Hirnforschung sowie auf der Anwendungsseite die Padagogische Psychologie und die Didaktik Wahrend die philosophische Theorie das Lernen lange rein spekulativ erklarte z B Platon als Wiedererinnerung Anamnesis an Wissen vor der Geburt oder in der Mystik als Visio dei Schau Gottes entstand etwa mit Beginn des 20 Jahrhunderts eine experimentell naturwissenschaftlich orientierte Lerntheorie Inhaltsverzeichnis 1 Geschichtliche Ubersicht 1 1 Anfange um 1900 1 2 Theorien im fruhen 20 Jahrhundert 1 3 Kognitive Wende um ca 1960 1 4 Konstruktivismus 1 5 Anchored Instruction und Cognitive Apprenticeship 2 Siehe auch 3 Literatur 4 Weblinks 5 EinzelnachweiseGeschichtliche Ubersicht BearbeitenAnfange um 1900 Bearbeiten Am Anfang stand der Versuch seelische Vorgange durch experimentelle Selbstbeobachtung Introspektion zu erforschen Dies leisteten in Deutschland zuerst Wilhelm Wundt 1879 und Hermann Ebbinghaus dessen Buch uber die Experimente mit seinen eigenen Gedachtnisleistungen mit sinnfreiem Lernmaterial wie Zahlenkombinationen 1885 erschien Sie bildeten die Grundlage fur die Experimentelle Gedachtnispsychologie die einige Regeln und Gesetze formulierte das Ebbinghaus Gesetz geringfugig vermehrter Lernstoff erfordert betrachtlich mehr Wiederholungen 1 die Lernkurve 2 die Vergessenskurve Verlust anfanglich am starksten die Jostschen Gesetze im Zweifel behalt man das zuerst Gelernte den Primar und Rezenzeffekt sogenannter Primacy Recency Effekt die Elemente in der Mitte lernt man am schwersten Wegen der Unsicherheit der Selbstbeobachtungsmethode begannen andere Psychologen Experimente zum Lernen an Tieren durchzufuhren In den USA entstand aus der Kritik an der Selbstbeobachtung der Behaviorismus Aus einer Verbindung von Assoziationspsychologie Reflexologie und Behaviorismus im Konnektionismus entwickelte Edward Lee Thorndike 1898 eine Lerntheorie die das Reiz Reaktions Schema um den Aspekt Verstarkung erweiterte Aus zufallsverteiltem Verhalten wird dasjenige gelernt das kontingent unmittelbar und spezifisch und ausreichend haufig verstarkt wird Thorndikes Regeln fur Instrumentelles Konditionieren und fur erfolgreiches Lernen sind Gesetz der Bereitschaft law of readiness Gesetz der Wirkung law of effect Gesetz der Ubung law of exercise Prinzip des Versuchs und Irrtums 3 Theorien im fruhen 20 Jahrhundert Bearbeiten Aus seiner Forschung uber die Verdauungssekrete von Hunden entstand die klassische Reflexologie des russischen Physiologen Iwan Pawlow der ab 1905 die Regeln fur die klassische Konditionierung fand In Fortsetzung von Thorndikes Arbeit schuf B F Skinner die Regeln fur das Operante Konditionieren Einige konkrete padagogische Anwendungen bestehen bis in die Gegenwart die Programmierte Unterweisung 1960er bis 1980er Jahre und die Padagogische Verhaltensmodifikation Eine Gegenauffassung vertrat die Gestaltpsychologie Berliner Schule Psychologie bzw Gestalttheorie Lernen als Einsicht und produktives Denken Karl Duncker Max Wertheimer Kurt Koffka Wolfgang Kohler Psychologe 4 Gelernt wird nicht durch Gewohnung an die richtige effektivste Verfahrensweise in vielen Versuchen mit rein zufalligen Variationen Behaviorismus sondern durch Erkennen der effektivsten Verfahrensweise fur ein Problem Die Struktur der Ausgangssituation sowie Erfahrung Problemraum Intelligenz und die Ziele des lernenden Wesens beeinflussen diese Einsicht in die richtige Problemlosung bei der bestimmte Teillosungen dann so ineinandergreifen dass der Losungsweg eine einsichtige Gestalt Form annimmt Eine Losung kann somit in nur einem Versuch gefunden und fur immer gelernt werden Auch kann der Mensch Fehlendes selbststandig zur Gestalt erganzen Lernen ist nicht blosses Abbilden 5 Kognitive Wende um ca 1960 Bearbeiten Hauptartikel Kognitive Wende Dem Behaviorismus entgegen wirkte die Entwicklungspsychologie von Jean Piaget 1896 1980 Epistemologischer Funktionalismus der die im Lernenden entwickelten kognitiven Strukturen und Stufen als Voraussetzung des Lernaktes betont und auf das Alter aufmerksam macht Der Mensch lernt nicht durch Abbildung der Aussenwelt sondern nimmt die Aussenwelt je nach erreichtem Stadium in der kognitiven Entwicklung anders wahr Die Entwicklung selbst vollzieht sich nicht einfach als Reifung sondern im Wechselspiel von Lerner und Umwelt Weiter fuhrte die neu entstehende Informationstheorie in den Feldern Computerwissenschaft und Kunstliche Intelligenz zur Analyse innerer Vorgange Vor allem die linguistischen Theorien uber die Struktur der Sprache Noam Chomsky zeigten dem Behaviorismus seine Grenzen auf Damit wurde ein breites Feld geschaffen fur die Kognitionspsychologie z B Cognitive Psychology von Ulrich Neisser 1967 und Bedeutung erzeugendes generatives entdeckendes Lernen in den USA David Paul Ausubel Jerome Bruner in der Schweiz Hans Aebli In Abkehr vom Black Box Modell der behavioristischen Verhaltenspsychologie wollte man die im Lernenden ablaufenden Prozesse der Informationsverarbeitung erklaren Es ist also ein Paradigmenwechsel und eine Entwicklung von der behavioristischen zu einer kognitiven Denkweise die zwar die Black Box immer noch nicht durchleuchten kann sich dessen aber bewusst ist Altere Theorien die Lernen nur auf ausserliche Imitation oder innere Identifikation zuruckfuhrten wurden durch das kognitiv orientierte Modell Lernen 6 erweitert Ausgehend vom aggressiven Verhalten Jugendlicher pragte ab 1963 der Kanadier Albert Bandura die Forschung wesentlich durch die Bobo doll study Allgemeiner wird vom Beobachtungslernen gesprochen Von grosser Bedeutung fur die Lernpsychologie war ferner die Unterscheidung verschiedener Speicherformen im Gedachtnis das Sensorische Gedachtnis das Kurzzeit oder Arbeitsgedachtnis und das Langzeitgedachtnis Robert C Atkinson und Richard M Shiffrin 1968 spater das Search of Associative Memory SAM Modell Die Forschung hat bis in die Gegenwart die Theorie weiter entwickelt die den komplizierten Weg der kognitiven Verarbeitung zum nachhaltigen Wissen und Konnen aufzeigt Konstruktivismus Bearbeiten Daraus und auf dem Fundament im erkenntnistheoretischen Konstruktivismus entstanden konstruktivistische Lerntheorien Konstruktivistische Didaktik und Lernen als Wissenskonstruktion Der Begriff Lernen wird gegenwartig wesentlich weiter gefasst als beim Auswendiglernen der fruhen Gedachtnis forschung oder Reagieren der Reflexe ablesbar an der Vielzahl moglicher Lernziele Lernen mit dem Ziel Konnen das Automatisieren von Fahigkeiten zu geistigen und motorischen Fertigkeiten Lernen mit dem Ziel Problemlosen Lernen mit dem Ziel Behalten und Prasenthalten von Wissen Lernen von Verfahren Lernen lernen Arbeiten lernen Nachschlagen lernen kritisch Lesen lernen Lernen zur Steigerung der Fahigkeiten und Krafte mit dem Ziel spaterer Ubertragung formale Bildung die klassische Begrundung Latein lernen zu lassen Lernen mit dem Ziel des Aufbaus einer Gesinnung Werthaltung Einstellung Lernen mit dem Ziel vertieftes Interesse an einem Gegenstand zu gewinnen Lernen mit dem Ziel einer Verhaltensanderung Heinrich Roth 1963 nach Seel 2003 Lernen ist etwas anderes als Gewohnung Lernen ist ein Merkmal intelligenten Verhaltens Lernen und Denken geschehen unter Zuhilfenahme von gestischen bildhaften sprachlichen und symbolischen Zeichen Denken schafft neues Wissen auf der Basis des bereits vorhandenen Der bedeutendste Einzelfaktor der Lernen beeinflusst ist was der Lernende bereits weiss Ausubel 1968 nach Seel 2003 Neueste Ansatze erweitern das kognitiv konstruktivistische Modell indem sie auch motivationale affektive und sozio kulturelle Variablen berucksichtigen Anchored Instruction und Cognitive Apprenticeship Bearbeiten Lernen gilt im Konstruktivismus als ein konstruktiver kumulativer selbstgesteuerter situativer individuell unterschiedlicher gleichzeitig auf die Interaktion mit anderen angewiesener Prozess des Aufbaus von Wissen und der Konstruktion von Bedeutung Erik de Corte 2000 Lernumgebungen werden haufig unter dem Begriff des situierten bzw problemorientierten Lernens zusammengefasst unter der Annahme dass Lernen kontextgebunden d h situiert bzw problemorientiert erfolge 7 Den Anchored Instruction Ansatz entwickelte die Cognition and Technology Group 8 der Vanderbilt University Das zentrale Element der Lernumgebungen sind sogenannte narrative Anker komplexe Geschichten die Schulern z B mittels Videofilm prasentiert werden An einer Stelle bricht der Film ab worauf die Zuschauer das Problem zunachst entdecken und mithilfe der im Film enthaltenen Informationen selbststandig und kooperativ losen sollen Die Lehrkraft halt sich zuruck und ubernimmt in diesen Lernumgebungen die Rolle eines Moderators und zuruckhaltenden Betreuers Den Cognitive Apprenticeship Ansatz kognitive Meisterlehre stellten Collins Brown und Newman 1989 9 vor Prinzipien der Handwerkslehre werden auf den Erwerb kognitiver Fahigkeiten ubertragen Der Lehrer bleibt aktiv und leitet die Lernenden immer wieder an da sonst bei komplexeren Problemen leicht Uberforderung eintritt Im Laufe der Zeit wird die Lehrersteuerung zuruckgefahren Ein weiteres Kernelement ist dass Lehrende ihr Konnen und Wissen durch lautes Denken ubertragen Zur Gestaltung des Unterrichts nach den Grundsatzen des cognitive apprentice ship gibt es verschiedene Lehrstrategien Modeling Vorzeigen und Vormachen sowie das laute Denken der Lehrperson Coaching Begleitung der Lernenden wahrend der Problembearbeitung Scaffolding Vermittlung mit minimaler Hilfe um eine Brucke zu schlagen zwischen dem was schon bekannt ist und den Anforderungen der Aufgabe Fading allmahliche Reduktion der Unterstutzung Articulation Anregung der Lerner ihre Gedanken Ideen und Losungen wiederzugeben Cooperation kooperative Bearbeitung von Aufgaben und Problemen Reflection impliziert den Vergleich von Losungen und Strategien im Austausch mit anderenSiehe auch BearbeitenLerngeschichte Affektiver FilterLiteratur BearbeitenUlric Neisser Kognitive Psychologie Stuttgart 1974 USA 1967 ND engl 2014 Cognitive Psychology Classic Edition ISBN 978 1 84872 694 9 George Mandler A history of modern experimental psychology From James and Wundt to cognitive science Cambridge MA MIT Press 2007 Hans Aebli Denken Das Ordnen des Tuns 2 Bande Stuttgart 1980 81 Robert M Gagne Die Bedingungen menschlichen Lernens Hannover 1980 USA 1965 Walter Edelmann Simone Wittmann Lernpsychologie 8 Auflage Psychologie Verlags Union Weinheim 2019 ISBN 978 3 621 28601 5 Norbert M Seel Psychologie des Lernens 2 Auflage Ernst Reinardt UTB Munchen 2003 ISBN 978 3 8252 8198 4 Guy Lefrancois Psychologie des Lernens 5 erweiterte Auflage Springer Berlin 2014 ISBN 978 3 642 41971 3 Weblinks BearbeitenPlassmann Schmitt Lern Psychologie de Interaktive Lernumgebung der Universitat Duisburg Essen Abgerufen am 27 April 2021 Einzelnachweise Bearbeiten Ebbinghaus Gesetz im Dorsch Lexikon der Psychologie 2016 hogrefe com abgerufen am 29 April 2021 Hilde Haider Lernkurve im Dorsch Lexikon der Psychologie 2020 hogrefe com abgerufen am 29 April 2021 Operante Konditionierung nach Thorndike In Lern Psychologie Abgerufen am 29 Februar 2020 Lexikon der Gestalttherapie www gestalttherapie lexikon de abgerufen am 29 Februar 2020 Max Wertheimer 1957 Produktives Denken Deutsche Ubersetzung von Productive Thinking durch Wolfgang Metzger Frankfurt Waldemar Kramer Karl Duncker 1935 Zur Psychologie des produktiven Denkens Berlin Springer Ferdinand Herget 2001 Einsichtiges Lernen Berlin Lit Verlag Brigitte Scheele Franz Caspar Modelllernen im Dorsch Lexikon der Psychologie 2016 hogrefe com abgerufen am 29 April 2021 Frank Lipowsky Unterricht PDF In Padagogische Psychologie E Wild J Moller 2015 abgerufen am 10 Mai 2022 The Jasper project lessons in curriculum instruction assessment and professional development 1999ff http worldcat org identities lccn n96115682 K Reich Cognitive Apprenticeship PDF In Methodenpool Universitat zu Koln abgerufen am 26 Dezember 2021 Normdaten Sachbegriff GND 4074166 7 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Lernpsychologie amp oldid 229132509