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Kulturvergleichende Sozialforschung oder kurz Kulturvergleich ist eine Sammelbezeichnung fur Studien der Sozial oder Gesellschaftswissenschaften die Aspekte menschlicher Verhaltensweisen Darstellungsformen oder Wertvorstellungen aus verschiedenen Gesellschaften miteinander vergleichen Eine wichtige Rolle spielen Kulturvergleiche vor allem in der Ethnologie Volkerkunde Soziologie Psychologie Wirtschaftswissenschaft und der Politikwissenschaft Im weitesten Sinne sind interdisziplinare kulturvergleichende Betrachtungen in nahezu allen Forschungsbereichen zu finden Jede Begegnung fremder Kulturen erfordert Respekt von beiden Seiten und fuhrt bewusst oder unbewusst zu einem Kulturvergleich Das gilt fur Urlauber Geschaftsreisende Abenteurer und Wissenschaftler gleichermassen Tourist bei den Maasai Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 2 Der Kulturbegriff 3 Abgrenzungsproblematik 4 Methodik 4 1 Datensammlung 4 1 1 Das HRAF Projekt 4 2 Kulturstandards 4 3 Klassifizierung 4 3 1 Kalte und heisse Kulturen und Kulturelemente 4 3 2 Kulturdimensionen 5 Wissenschaftler 6 Literatur 7 EinzelnachweiseGeschichte Bearbeiten nbsp Hippie Szene Eigene Kultur oder Subkultur Die Frage nach den Eigenheiten von Kollektiven nach dem Bewusstsein dem Charakter der Identitat der Mentalitat von Grossgruppen wie Volkern Nationen oder ethnischen Gemeinschaften ist so alt wie die Zivilisationsgeschichte Heinz Gunther Vester 1 Es gehort zur menschlichen Natur beim Kontakt mit Fremden unwillkurlich Vergleiche anzustellen um den Menschen oder die Gruppe zu beurteilen salopp gesagt in eine Schublade zu stecken siehe Personale Kategorisierung Auf der Ebene fruherer Gesellschaften kann man dieses Abschatzen und Einordnen fremder Kulturen als lebensnotwendige Praxis ansehen denn man musste entscheiden ob es sich um Freund oder Feind handelte Solcherart Kategorisierungen polarisieren sind ausserst subjektiv und liefern demnach fehlerhafte und verzerrte Bilder von den Anderen Dennoch war gerade diese Auseinandersetzung mit fremdem Denken und Handeln die eigentliche Triebkraft fur jeglichen Kulturwandel Vordenker fur eine objektivere Betrachtung gab es bereits in der Antike Der wissenschaftlich fundierte Kulturvergleich beginnt mit dem 19 Jahrhundert als man begann Feldstudien bei den kolonisierten Volkern durchzufuhren In diesem Zusammenhang war Alexander von Humboldt einer der weniger Forscher dieser Zeit der die fremden Kulturen nicht als Wilde betrachtete In den 1940er und 50er Jahren war die kulturvergleichende Forschung besonders popular sicherlich nicht zuletzt im Rahmen der Aufarbeitung des Zweiten Weltkrieges Bis in die 1970er Jahre war das Interesse daran eher gering bevor es seit den 1980er Jahren vor dem Hintergrund der grossen globalpolitischen Veranderungen wieder stetig zunimmt Dennoch sind in Deutschland bislang nur sehr wenige kulturvergleichende Studien veroffentlicht worden Ein eingangiges Beispiel fur den Kulturvergleich seit dem Jahr 2000 sind die bekannten PISA Studien zum Leistungsstand von Schulern die sowohl einen bildungspolitischen als auch einen sozialwissenschaftlichen Hintergrund haben 2 Der Kulturbegriff Bearbeiten nbsp Das romantisierende Bild des edlen Wilden zeigt die Auswirkungen kulturvergleichender Forschungen auf die Bevolkerung der fruhen Neuzeit Sie bedienten die Sehnsucht der Menschen nach einem freien Leben in unzerstorter Natur Hauptartikel Kultur Eine grundlegende Schwierigkeit fur das Verstandnis der Ergebnisse von kulturvergleichenden Sozialforschungen sind die weit gefassten Bedeutungsinhalte der Bezeichnung Kultur fur die selbst innerhalb der Humanwissenschaften sehr unterschiedliche Definitionen existieren Die meisten Bestimmungen grunden entweder auf einem totalistischen Ansatz und beziehen sich allumfassend auf die gesamte Lebensweise eines Volkes oder sie grunden auf einem mentalistischen Ansatz und betreffen nur die Gedankenwelt Ideen und Wertvorstellungen eines Volkes KritikBei den meisten Kritiken geht es um die zentralen Fragen Sind Kulturen gleichwertig oder befinden sie sich auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen Sind einige Kulturen weiter entwickelt als andere Mussen einige Kulturen sich erst dahingehend entwickeln wo andere schon sind Obwohl sich die meisten Wissenschaftler bemuhen keine Bewertungen vorzunehmen ist eine gewisse psychologische Voreingenommenheit gegenuber fremden Kulturen Ethnozentrismus alleine schon durch die in den westlichen Wissenschaften gepragten Begrifflichkeiten kaum vermeidbar siehe auch Eurozentrismus Evolutionismus So kritisieren vor allem Ethnologen eine zu leichtfertige globale Verallgemeinerung der Ergebnisse von Einzelstudien die beispielsweise mit Managern oder Studenten aus verschiedenen Landern durchgefuhrt wurden Dabei entstunde der Eindruck es handele sich um Verhaltensweisen die fur alle Menschen gelten wurden obwohl sie tatsachlich nur etwas uber nationale Kulturen aussagen nicht jedoch uber beispielsweise indigene Kulturen 3 Abgrenzungsproblematik BearbeitenFur jede kulturvergleichende Studie muss zuerst festgelegt werden welche soziale Gruppen untersucht und verglichen werden sollen Bei ethnologischen Arbeiten die beispielsweise raumlich weit voneinander getrennt lebende indigene Volker untersuchen ist die Abgrenzung recht einfach Schwieriger wird es Subkulturen eindeutig abzugrenzen siehe Subkultur Abgrenzungsprobleme Grossere Probleme bereitet es wenn die Studie beispielsweise die Unterschiede in der Wertekultur aller sozialer Schichten mehrerer Lander vergleichen soll Lassen sich diese Schichten klar umreissen und miteinander vergleichen Konnen die kulturellen Einflusse von Migranten herausgefiltert werden Gibt es in einem Land eine besonders intensive Ausrichtung auf die Religion wodurch die Ergebnisse verfalscht werden konnten Viele dahingehende Fragen muss sich ein kulturvergleichender Wissenschaftler vor Beginn seiner Arbeit stellen und viele werden ihm Kritiker nach seiner Veroffentlichung stellen Einige Soziologen wie beispielsweise der Norweger Stein Rokkan oder der Amerikaner Melvin Kohn halten die Ergebnisse von Studien die nur durch Vergleiche verschiedener Gesellschaften der westlichen Kultur gewonnen wurden fur ungeeignet um daraus allgemeingultige Schlussfolgerungen abzuleiten Sie treten dafur ein immer die auch nicht westlich gepragten traditionellen Kulturen einzubeziehen um aussagekraftige Theorien zu erarbeiten Letztendlich beruht jeder Kulturvergleich zwangslaufig auf der Sichtweise desjenigen kulturellen Zusammenhangs dem der Wissenschaftler selber angehort Siehe auch Kulturraum und KulturarealMethodik BearbeitenDatensammlung Bearbeiten nbsp Die Ethnologin Frances Densmore macht Tonaufnahmen mit dem Blackfoot Hauptling Mountain Chief 1916 Die ursprungliche Methode war das Aufzeichnen beobachteter Verhaltensweisen bei fremden Volkern Zur Zeit des Sozialdarwinismus gab es zudem grossangelegte anatomische Vermessungsaktionen z B die Kraniometrie Man ging davon aus dass auch die Kultur den Menschen in den Genen liegt und versuchte daher dies anhand typischer Korpermasse der verschiedenen Menschenrassen zu belegen Es ist nicht verwunderlich dass die meisten kulturvergleichenden Studien des 19 Jahrhunderts aus der Perspektive einer angeblich uberlegenen europaischen Kultur verfasst wurden Moderne Ethnologen mussen jegliche Bewertung fremder Verhaltensweisen vermeiden wenn ihre Datensammlungen fur vergleichende Untersuchungen herangezogen werden sollen soweit das vor dem eigenen kulturellen Erbe der Forscher moglich ist Daruber hinaus konnen Angehorige traditioneller Kulturen die erst wenige Kontakte zur westlichen Welt hatten durch den Besuch von Wissenschaftlern beeinflusst werden so dass einerseits die Ergebnisse verfalscht werden und andererseits ein ungewollter Kulturwandel eintreten kann Es erfordert daher ein hohes Mass an Respekt vor der fremden Lebensweise und die Bereitschaft sich anzupassen Kulturvergleichende Forschungen innerhalb des westlichen Kulturraumes basieren zumeist auf Befragungen Das HRAF Projekt Bearbeiten 1949 grundete der US amerikanische Anthropologe George P Murdock 1897 1985 an der Yale University eine gross angelegte Datenbank fur holistische Kulturvergleiche die heute auf den Namen Human Relations Area Files HRAF bzw eHRAF fur die Online Version lauft HRAF mochte einen vollstandigen Uberblick uber die Vielfalt aller Kulturen liefern die Daten fur die Forschung vergleichbar und statistisch auswertbar machen Dazu wurde die Welt in 60 Kulturareale macro culture areas eingeteilt und 88 ubergeordnete Kulturkategorien geschaffen die wiederum vielfach untergliedert sind Die Ausgangsdaten von den rund 400 erfassten Volkern stammen von einer grossen Zahl verschiedener Ethnologen HRAF hat heute 300 Mitglieder Organisationen aus den USA und 20 anderen Landern Das HRAF stellt eine wichtige Grundlage fur kulturvergleichender Arbeiten dar und mit Hilfe der Datenbank entstand bereits eine Vielzahl von Veroffentlichungen uber die unterschiedlichsten Aspekte 4 5 Kulturstandards Bearbeiten nbsp Gemeinsames Tai Chi in der Offentlichkeit Auch wenn dies ein bekanntes Bild aus China ist handelt es sich dabei um ein typisch chinesisches Verhalten einen sogenannten Kulturstandard Der Psychologe Alexander Thomas hat den Begriff der Kulturstandards eingefuhrt der fur vergleichende Verhaltensstudien und zum Erwerb einer interkulturellen Handlungskompetenz verwendet wird Thomas versteht Kultur als Orientierungsrahmen einer Gesellschaft der das Fuhlen Denken und Handeln seiner Angehorigen bestimmt Demnach erfordert es kompetentes Einfuhlungsvermogen und das Wissen um die jeweiligen Standards um vorurteilsfrei und verstandlich mit Menschen anderer Kulturen kommunizieren zu konnen Die Kulturstandards sollen die Mentalitat einer Bevolkerung in Worte fassen Unter Kulturstandards werden alle Arten des Wahrnehmens Denkens Wertens und Handelns verstanden die von der Mehrzahl der Mitglieder einer bestimmten Kultur fur sich personlich und andere als normal selbstverstandlich typisch und verbindlich angesehen werden Eigenes und fremdes Verhalten wird auf der Grundlage dieser Kulturstandards beurteilt 6 In erster Linie ist es ein Versuch die typischen Verhaltensmuster der Mehrheit der Angehorigen eines Kulturraumes oder einer National kultur in bestimmten Situationen zu beschreiben Um dabei zu aussagekraftigen Ergebnissen zu gelangen werden die Eigen Aussagen der untersuchten Gruppe mit den Aussagen von Angehorigen eines anderen Kulturraumes uber die untersuchte Gruppe verglichen Wie gut stimmen Selbstbild und Fremdbild uberein Fuhrt man diese Untersuchung wechselseitig durch entsteht ein relativer Vergleich der Standards zweier Kulturen bzw Kulturareale Relativ deshalb weil daraus nicht hervorgeht ob die erfassten Kulturstandards in allen menschlichen Kulturen existieren sprich auf universale menschliche Verhaltensdimensionen zuruckzufuhren sind Eine Qualifizierung und Klassifizierung ist bei dieser Betrachtung demnach noch nicht moglich die Untersuchung endet bei der Begriffsbildung Dadurch dass man in eine bestimmte Kultur hineingeboren wird wird das typische Verhaltensrepertoire der eigenen Gruppe in den pragenden Kindheitsjahren unbewusst verinnerlicht Kulturstandards bestehen laut Thomas aus einer zentralen Norm und einem Toleranzbereich Die Norm gibt den Idealwert an der Toleranzbereich umfasst die noch akzeptierbaren Abweichungen vom Normwert Verhaltensweisen die uber diese Grenzen hinausgehen werden nach der Theorie von den Mitmenschen abgelehnt und ggf sanktioniert Zentrale Kulturstandards wandeln sich auch unter veranderten Lebensbedingungen nur sehr langsam Ein Beispiel fur einen Kulturstandard Deutsche versuchen in der Regel angeblich sich mit vorhandenen Konflikten offen auseinanderzusetzen indem sie diese direkt ansprechen In einigen asiatischen Landern ware dies nur bedingt moglich da dort eine offene Auseinandersetzung dem Gegenuber einen Gesichtsverlust zufugen wurde Andere Beispiele fur Kulturstandards sind Autoritatsdenken korperliche Nahe Pflichtbewusstsein Individualitat und Familienverbundenheit 7 Die folgende Tabelle gibt einen stark vereinfachten Uberblick fur einige Lander Obgleich Kulturstandards sicherlich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu erwartende Verhaltensweisen beschreiben daher popular sind und beispielsweise von den Industrie und Handelskammern verbreitet werden 8 bergen sie die Gefahr zur Bildung von Stereotypen und Vorurteilen Dies verstellt den Blick auf die Wirklichkeit die voller Abweichungen von solch stark reduzierten und eingrenzenden Begrifflichkeiten ist siehe auch Kritikpunkte unter der Tabelle Deutschland 9 10 USA 10 11 Peru 12 Indien 9 China 9 Menschen streben nach Selbstverwirklichung und Eigenverantwortung Individualismus Chancengleichheit Eigeninitiative Soziale Anerkennung gegenseitiger Hilfe Familienorientierung Anerkennung durch bestimmte Personen Soziale Anerkennung und GruppenzugehorigkeitLebensbereiche Trennung von Arbeit und Privatem Identifikation mit der Arbeit Verbindung mit Privatem Vermischung von Arbeit und Privatem Vermischung von Arbeit und Privatem Einheit und Gemeinschaftsbildung in allen LebensbereichenErstkontakte distanziert steif nuchtern unpersonlich gespielt frohlich kontaktfreudig zuganglich uberheblich freundlich jedoch misstrauisch abschatzend wortreich hoflich respektvoll emotional leicht verletzbar hoflich respektvoll humorvoll harmonischVerhalten bei Konflikten Direkte Aussprache Aufrichtigkeit Indirekter Umgang Harmonie Indirekt Suche nach Fremdverschulden Leid Indirekter Umgang Harmonie Indirekter Umgang Gesicht wahren Regeln und Prinzipien geben klare Orientierung sind unumstosslich werden flexibel gehandhabt Nicht Einmischung geht vor werden an der Situation gemessen dienen nur als grobe Richtlinie sind wenig bedeutsam stehen unter der kosmischen Ordnung werden an der Situation gemessen dienen nur als grobe RichtlinieVerhaltnis zu Obrigkeiten kritisch skeptisch patriotisch loyal misstrauisch eigensinnig unterwurfig aufstrebend unterwurfig anerkennendDenken und Handeln zielorientiert planvoll analytisch wenig spontan pragmatisch planvoll analytisch risikofreudig spontan passiv mythisch ganzheitlich flexibel spontan anpassungsfahig ganzheitlich innovativ flexibel spontan improvisierend ganzheitlich flexibel spontanArbeitsmoral Leistung gegen Bezahlung oder Anerkennung Ungeduld kurzfristige Ziele Leistung nur gegen Bezahlung und Anerkennung Gelassenheit Handlungsorientierung Gemeinschaftliche Leistung freigiebige Hilfsverpflichtungen Geduld Fleiss Gehorsam gegen Fursorge gegenseitige Hilfsverpflichtungen Bereitschaft fur Veranderung Gehorsam gegen Fursorge gegenseitige Hilfsverpflichtungen Geduld langfristige ZieleUmgang mit der Zeit streng durchgeplant und freizeitorientiert locker durchgeplant und leistungsorientiert ungeplant und gegenwartig alles gleichzeitig alles gleichzeitigKollektives Selbstverstandnis Wir sind beliebt aber Wir sind die Weltmacht Gemeinsam sind wir stark Es wird schon weitergehen Alle anderen sind Barbaren Diese Kulturstandards in Peru zeigen deutlich die Vermischung der indigenen Kultur mit der europaischen Die jahrhundertelange Unterdruckung und Ausbeutung der Indianer deren Anteil auch heute noch bei 31 44 Mestizen liegt hat vor allem zu dem grossen Misstrauen gegenuber Fremden gefuhrt Das Verhalten in Konfliktsituationen hat sich dabei vollig umgekehrt denn zur Zeit der Inka galt die direkte Aussprache und absolute Ehrlichkeit als grosse Tugend Das Modell der Kulturstandards wird im Rahmen der wirtschaftlichen Globalisierung gern verwendet um Arbeitnehmer die ins Ausland gehen auf die landestypische Mentalitat vorzubereiten Trotz der Popularitat des Modells gibt es einige schwerwiegende Kritikpunkte Kultur wurde dabei zu stark als unveranderbare Konstante betrachtet obwohl der Mensch jederzeit aktiv und bewusst seine Kultur schaffen konne Eine Standardisierung setzt klar abgrenzbare unbeeinflusste Reinkulturen voraus Diese wurden in Wirklichkeit jedoch nicht existieren da gerade in Zeiten der Globalisierung die Grenzen immer mehr verwischen Die Daten stammen meist aus Fragebogen und Interviews Da mehr als 50 aller Aussagen jedoch reine Lippenbekenntnisse ohne reale Umsetzung waren sei die Aussagekraft der Ergebnisse begrenztAngesichts dieser Kritiken werden Kulturstandards nicht als unumstossliche Wahrheit betrachtet sondern nur als Indiz mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit 13 Klassifizierung Bearbeiten nbsp Vergleicht man die Beziehung zur Natur der Angehorigen eines sehr traditionellen Yanomami und eines sehr modernen Volkes Deutsche sind die Forschungsergebnisse verschiedener kulturvergleichender Fachrichtungen deckungsgleich Wie immer eine Klassifizierung aussehen mag sie ist besser als keine Klassifizierung Claude Levi Strauss 14 Die in der Einleitung erwahnte Personale Kategorisierung nimmt jeder Mensch mehr oder weniger bewusst vor wenn er auf Fremde trifft Dieser zentrale Bestandteil zwischenmenschlichen Verhaltens fuhrt durch den Abgleich mit den Eindrucken anderer Mitglieder der eigenen Gesellschaft zu einer kollektiv empfundenen Abgrenzung Die Fremden werden je nachdem welchen der eigenen Wertvorstellungen sie entsprechen oder widersprechen klassifiziert und in der Regel in ein sehr vereinfachtes Begriffspaar von Wir im Gegensatz zu den Anderen gepresst Wir halten unsere Gesellschaft z B fur ehrlich fleissig und verantwortungsbewusst und die Anderen werden demgegenuber als unehrlich faul und verantwortungslos hingestellt ob gerechtfertigt oder nicht Man erkennt diese Tendenz bereits in der Tatsache dass die Eigenbezeichnung sehr vieler Volker schlichtweg Menschen bedeutet im Sinne von das einzig wahre Volk etwa Khoikhoi Runakuna Slawen N de Nenzen nbsp Darstellung einer Skalpierung um 1800 die das Bild des barbarischen Wilden bedient Tatsachlich fuhrten auch weisse Siedler Skalpjager und Mexikaner diese grausame Praktik durch die oftmals durch offizielle Skalppramien gefordert wurde In der antiken Literatur werden die Barbaren Ungebildete von den Zivilisierten griechisch romisch Gebildete abgegrenzt Im Mittelalter wurden vor allem die Christen den Heiden gegenubergestellt Wahrend der europaischen Expansion seit dem 15 Jahrhundert etablierte sich eine besonders eurozentrische Sichtweise die zwischen den fortschrittlichen gebildeten und christlichen Europaern und den unterentwickelten ungebildeten und nicht missionierbaren Wilden unterschied Um die gewalttatigen Eroberungen fremder Lander zu rechtfertigen und die Widerspruche zur christlichen Nachstenliebe zu entkraften wurden den fremden Volker jegliche nur denkbaren negativen Attribute angedichtet die sie letztendlich zu menschenahnlichen Tieren herabsetzen sollten deren Vernichtung keine Sunde sei Im Zeitalter der Aufklarung entstanden Bestrebungen in der Wissenschaft zu einer Umdeutung der bislang negativen Klassifizierung von Wilden und Zivilisierten Gesellschaftskritische Philosophen wie Jean Jacques Rousseau postulierten den von Natur aus guten Menschen der nur durch die Kultur charakterlich verdorben wurde So wurden die naturnah lebenden Volker pauschal zu edlen Wilden erhoben im krassen Gegensatz zur damals vorherrschenden Herabwurdigung dieser Kulturen Mit dem Beginn der wissenschaftlichen Volkerkunde im 19 Jahrhundert mehrte sich das Wissen uber fremde Kulturen so dass der Weg zu einer differenzierteren Sichtweise zwischen Barbaren und edlen Wilden geebnet wurde Lange Zeit unter dem Einfluss von Darwins Evolutionstheorie wurde jedoch als Leitbild fur alle Untersuchungen noch eine Unterscheidung zwischen Kulturvolkern und Naturvolkern im Sinne von kulturlosen Volkern vorgenommen die somit immer noch auf einem abwertenden Begriff fur die traditionellen Kulturen beruhte Pejorativum Erst nach dem Zweiten Weltkrieg anderte sich das langsam Auch in modernen kulturvergleichenden Forschungen werden zur Klassifizierung immer noch Begriffspaare verwendet jedoch nicht mehr im Sinne von unvereinbaren Gegensatzen Dichotomien sondern als polare Gegensatze die eine nebeneinanderliegende Sortierung der Ergebnisse auf entsprechend festgelegten Skalen zwischen den beiden Polen ermoglichen Im Folgenden zwei Beispiele solcher Klassifizierungen Kalte und heisse Kulturen und Kulturelemente Bearbeiten Hauptartikel Kalte und heisse Kulturen oder Kulturelemente nbsp Tanzende Prarie Indianer in Munster Traditionelle kalte Folklore in modernisierter heisser Kultur Die Ethnologie ist eine vergleichende Disziplin und als methodische Strategie ist der Kulturvergleich ihr zentraler Bestandteil Er steht am Beginn ethnologischer Forschungen So ist es nicht verwunderlich dass die ersten Klassifizierungssysteme fur Kulturen von Ethnologen stammen Mit der ursprunglich als Dichotomie gedachten Unterscheidung von kalten und heissen Kulturen fuhrte der Ethnologe Claude Levi Strauss erstmals eine neutrale Klassifizierung zur Unterscheidung von modernen und traditionellen naturangepassten Kulturen ein die die pejorativen Begriffe Barbaren Wilde Unzivilisierte oder Primitive vermied Levi Strauss erkannte dass man jede Gesellschaft nach ihrer weltanschaulichen Einstellung zum kulturellen Wandel einordnen konnte Als kalte Kulturen bezeichnete er solche Gesellschaften bei denen das gesamte Denken und Handeln bewusst und unbewusst darauf abzielt jegliche Veranderungen der traditionell fixierten Strukturen zu verhindern sofern es keine zwingende Notwendigkeit oder fremde Einflusse gibt Das Vertrauen gilt der Natur menschliches Wirken gilt grundsatzlich als unvollkommen Die sogenannten isolierten Volker die zumeist absichtlich den Kontakt zur westlichen Welt meiden sind die heutigen Reprasentanten der kalten Gesellschaften nbsp Shuar Indigene auf dem Weg zur Wasche am Fluss Moderne heisse Gebrauchsgegenstande aus Kunststoff in traditioneller kalter Kultur Heisse Kulturen sind das genaue Gegenteil Sie vertrauen der menschlichen Innovations fahigkeit und sind optimistisch die Natur durch gemeinschaftliche Arbeit an ihre Bedurfnisse anpassen zu konnen Daher ist ihr gesamtes Streben auf Fortschritt und Veranderung gerichtet Selbst wenn sich dadurch zuerst vorrangig die Lebensbedingungen der Privilegierten verbessern sind die unteren Schichten haufig die Triebfeder der Entwicklung Die moderne westlich orientierte Arbeits und Konsumgesellschaft ist der Prototyp der heissen Kultur Von Levi Strauss ubernahmen einige Ethnologen aber auch Soziologen Anthropologen Kulturhistoriker und verschiedene Fachrichtungen der Kulturwissenschaften diese Klassifizierung Allerdings waren kalt und heiss nun nicht mehr ein unvereinbares Gegensatzpaar sondern Pole in unterschiedlichen Spektren verschiedener Teilbereiche der Kultur Demgemass gibt es in allen Kulturen mehr oder weniger abkuhlende und aufheizende Kulturelemente so dass zwischen sehr kalten und sehr heissen Gesellschaften eine grosse Bandbreite verschiedener Zustande existiert Es gibt noch eine Reihe weiterer Ansatze die ihre Erkenntnisse aus dem Vergleich der traditionellsten und modernsten Kulturen den Polen des menschlichen Kulturspektrums gewinnen Sie nutzen zwar andere Begrifflichkeiten kommen jedoch zu Ergebnissen die mit den Merkmalen heisser und kalter Gesellschaften gut ubereinstimmen Kulturdimensionen Bearbeiten Eine ahnliche Klassifizierungsmethode wie beim kalt heissen Spektrum verbirgt sich hinter dem Begriff Kulturdimension Dabei wird versucht die Mentalitat der Menschen verschiedener Kulturraume auf grundlegende menschliche Verhaltensmuster zuruckzufuhren um die Kulturstandards anschliessend im Vergleich auf einer Skala zwischen zwei Polen anordnen zu konnen Zum besseren Verstandnis ein Beispiel Kame man zu der Auffassung dass der Umgang mit der Hierarchie in Unternehmen eine grundlegende Kulturdimension der Menschheit ist wurden die jeweiligen Kulturstandards in der Reihenfolge sehr kollegial in Danemark eher kollegial in Deutschland autoritar in Japan sehr autoritar in Frankreich angeordnet werden konnen Verschiedene Kulturwissenschaftler Anthropologen und Soziologen haben sich diesem Gedanken gewidmet und versucht die grundlegenden Kulturdimensionen zu finden und zu benennen Die mit Abstand umfangreichste aber ebenso umstrittenste Studie stammt von dem Niederlander Geert Hofstede Grundsatzlich gelten fur alle Dimensionen Modelle mehr oder weniger die gleichen Kritikpunkte wie bei den Kulturstandards Daruber hinaus wird die Frage gestellt ob die Ergebnisse tatsachlich zeitlich uberdauernde kulturelle Muster reprasentieren oder nur Momentaufnahmen zum Zeitpunkt der Studie sind Im Gegensatz zur Ethnologie beschaftigen sich diese Studien ausschliesslich mit Ausschnitten der modernen westlichen Kultur die durch eine sehr grosse Heterogenitat durch enorme Fluktuationen und eine Vielzahl von Subkulturen gepragt sind Um solchen Vorwurfen zu begegnen hat der franzosische Sozialphilosoph Jacques Demorgon eine differenzierte Kulturtheorie entwickelt in der ein Modell von universellen Kulturdimensionen eingebettet ist 15 Dies trifft auch auf die klassischen Modelle von Kluckhohn Strodtbeck und Edward T Hall zu die immer noch haufig zitiert werden Ebenfalls akzeptiert und von einer Verbesserung der Hofstede schen Ergebnisse motiviert sind die Modelle von Fons Trompenaars Shalom H Schwartz und vom Project GLOBE Global Leadership and Organizational Behavior Effectiveness Research Project Sie beschranken sich allerdings auf bestimmte Gruppen innerhalb der Kulturen insbesondere auf Arbeitnehmer und Manager und sind daher nicht unbedingt auf die Gesamtkultur ubertragbar 16 Die folgende Tabelle fuhrt stark vereinfacht einige universelle Kulturdimensionen verschiedener Autoren auf Ihre Tauglichkeit zu einer universellen Klassifizierung wird durch den Vergleich von segmentar organisierten traditionell naturangepassten Kulturen mit der modernen Konsumgesellschaft illustriert Diese Darstellung eignet sich daruber hinaus gut zu einem Vergleich mit dem Spektrum der kalten und heissen Gesellschaften und Kulturelemente Kulturdimension geringste Auspragung starkste Auspragung Autor en Segmentare traditionelle Gesellschaften Demokratische moderne GesellschaftenBeziehung zur Natur Unterordnung Einklang Kontrolle Dominanz Kluckhohn Strodtbeck u TrompenaarsIndividualismus Kollektivismus sehr kollektivistisch sehr individualistisch HofstedeAktivitat des Menschen Sein Handeln Kluckhohn StrodtbeckZeitverstandnis und Handlungsorganisation polychron personliche Kontakte vor Zeitplan viele Aufgaben gleichzeitig monochron Zeitplan vor personlichen Kontakten Aufgabenerledigung nacheinander E T Hall u DemorgonZeitorientierung Vergangenheit Zukunft Kluckhohn StrodtbeckLangzeitorientierung hoch traditionell verbindlich gering nostalgisch unverbindlich HofstedeEntscheidungen haufiger konsensorientiert haufiger dissensorientiert DemorgonPrivatheit Offentlichkeit Vermischung aller Lebensbereiche deutliche Trennung aller Lebensbereiche TrompenaarsAnmerkung Bei hier nicht genannten Kulturdimensionen wie beispielsweise Natur des Menschen Beziehung zu anderen Menschen Kluckhohn Strodtbeck Raumverstandnis High bzw low context Edward T Hall oder Machtdistanz Unsicherheitsvermeidung Hofstede u a liegen die verglichenen Extremkulturen nicht an den Polen der Kulturdimensionen Wissenschaftler BearbeitenBedeutende kulturvergleichende Forschungen stammen von folgenden Wissenschaftlern Ethnologie Mario Erdheim Claude Levi Strauss Ruth Benedict Liselotte Kuntner Werner Schiffauer Kulturanthropologie Felicitas Goodman Kulturwissenschaften Jan Assmann Edward T Hall Geert Hofstede Fons Trompenaars Gerhard Schweizer Philosophie Edward Goldsmith Guido Rappe Politikwissenschaft Ronald Inglehart Samuel P Huntington Kai Hafez Psychologie Ed Diener Erich Fromm Alexander Thomas Hans Joachim Kornadt Soziologie Emile Durkheim Max Weber Joachim MatthesLiteratur BearbeitenSusanne Rippl Christian Seipel Hrsg Methoden kulturvergleichender Sozialforschung Eine Einfuhrung Springer VS Wiesbaden 2008 Petia Genkova Tobias Ringeisen und Frederick T L Leong Hrsg Handbuch Stress und Kultur Interkulturelle und kulturvergleichende Perspektiven Springer VS Wiesbaden 2012 Rainer Alsheimer Alois Moosmuller Klaus Roth Hrsg Lokale Kulturen in einer globalisierenden Welt Perspektiven auf interkulturelle Spannungsfelder Waxmann Munster 2000 Heinz Hahn Hrsg Kulturunterschiede Interdisziplinare Konzepte zu kollektiven Identitaten und Mentalitaten Iko Frankfurt 1999 ISBN 3 88939 477 9 Dietmar Treichel Claude Helene Mayer Hrsg Lehrbuch Kultur Lehr und Lernmaterialien zur Vermittlung kultureller Kompetenzen Waxmann Munster 2011 Reinhold Zippelius Verhaltenssteuerung durch Recht und kulturelle Leitideen Duncker amp Humblot Berlin 2004 ISBN 3 428 11456 6 Einzelnachweise Bearbeiten Heinz Gunther Vester Kollektive Identitaten und Mentalitaten Von der Volkerpsychologie zur kulturvergleichenden Soziologie und interkulturellen Kommunikation Iko Frankfurt 1996 ISBN 3 88939 319 5 S 11 Thamara Nove Psychische Gesundheit von Schulern im Kulturvergleich Dissertation Universitat Trier 2011 S 14 ubt opus hbz nrw de PDF Alois Moosmuller Die Schwierigkeit mit dem Kulturbegriff in der Interkulturellen Kommunikation In Rainer Alsheimer Hrsg Lokale Kulturen in einer globalisierenden Welt Perspektiven auf interkulturelle Spannungsfelder Waxmann Munster 2000 ISBN 3 89325 926 0 S 15 32 hier S Geschichte des HRAF Projektes History and Development of the HRAF Collections In Human Relations Area Files Cultural information for education and research New Haven CT USA ohne Datum abgerufen am 3 November 2018 englisch Dieter Haller Dtv Atlas Ethnologie 2 Auflage dtv Munchen 2010 S 149 Alexander Thomas Hrsg Psychologie interkulturellen Handelns Hogrefe Gottingen 1996 ISBN 3 8017 0668 0 D Kumbier u F Schulz von Thun Interkulturelle Kommunikation Methoden Modelle Beispiele 3 Auflage Rowohlt Verlag GmbH Reinbek bei Hamburg 2009 S 74 75 Google Suche nach Kulturstandards Industrie und Handelskammer Abgerufen am 28 Juli 2013 a b c lehrerfortbildung bw de Abgerufen am 25 Juli 2013 a b Folie ohne Autor Kultur und Kulturstandards Entwicklungen und Funktionen Memento vom 28 September 2014 im Internet Archive PDF 520 kB 16 Seiten In Uni Regensburg de Ohne Datum abgerufen am 7 September 2019 Stefan Schmid Folie Amerikanische Kulturstandards aus deutscher Sicht Memento vom 4 Marz 2016 im Internet Archive PDF 2 4 MB 22 Seiten In Stefanschmid Consult de Ohne Datum abgerufen am 7 September 2019 Wilfried Dreyer Ulrich Hossler ggf Hrsg Perspektiven Interkultureller Kompetenz Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 2011 kulturglossar de Abgerufen am 26 Juli 2013 Claude Levi Strauss Das wilde Denken Suhrkamp Frankfurt am Main 1968 Petia Genkova Tobias Ringeisen Frederick T L Leong ggf Hrsg Handbuch Stress und Kultur Interkulturelle und Kulturvergleichende 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