www.wikidata.de-de.nina.az
Als Kartoffelrevolution wird die Hungerrevolte bezeichnet die sich zwischen dem 21 April und 22 23 April 1847 1 in der preussischen Hauptstadt Berlin ereignete Die Lithografie Sturm auf die Kartoffelstande zeigt eine wutende Menschenmenge die Kartoffelhandler attackiert Vinzenz Katzler 1823 1882 um 1847 in WienAusloser waren Missernten infolge der Kartoffelfaule die auch die Grosse Hungersnot in Irland sowie Hungerkrisen und erhohte Lebensmittelpreise in anderen Landern Europas verursacht haben Weitere Grunde lagen im sozialen Elend grosserer Teile der Stadtbevolkerung Die Revolte die sich auch gegen die verbreiteten Betrugsmethoden der Berliner Backereien und Fleischereien richtete wurde durch den Einsatz des Militars niedergeschlagen Wie der kurz zuvor eroffnete Erste Vereinigte Landtag Preussens gehort auch die Kartoffelrevolution zur Vorgeschichte der Berliner Marzrevolution von 1848 Inhaltsverzeichnis 1 Begrifflichkeit und Einordnung 2 Ursachen 3 Die Unruhen 3 1 Ausbreitung im Stadtgebiet 3 2 Ersturmung von Laden 3 3 Rolle der Polizei und des Militars 3 4 Verhaftungen 4 Politische Dimension 4 1 Reaktion des Ersten Vereinigten Landtages 4 2 Politische Bedeutung fur die Revolution von 1848 5 Zeitgenossische Rezeption 6 Quellen 7 Literatur 8 Weblinks 9 EinzelnachweiseBegrifflichkeit und Einordnung BearbeitenDie Bezeichnung Kartoffelrevolution wurde bereits von den Zeitgenossen gepragt Sie wurde jedoch davor und danach auch fur andere Unruhen verwendet so etwa 1844 in Newcastle in der Gegend von Limerick oder 1872 in Tarnow bei Lemberg 2 3 In seinem Werk Berliner Marz 1848 bezeichnete auch der Schriftsteller Adolf Streckfuss 1823 1895 die Revolte mit diesem Begriff 4 Er geht darauf zuruck dass die Hunger und Sozialrevolte mit der Plunderung von Kartoffelstanden begann wird den Geschehnissen jedoch kaum gerecht da die Aufstandischen nicht nur Kartoffelstande attackierten Der Protest erfasste auch Backereien und Fleischereien sowie Lokalitaten und Statussymbole der wohlhabenden Berliner Burger Rudiger Hachtmann 5 Die Kartoffelrevolution war eine von 193 bekannten Hungerunruhen die den Deutschen Bund im Jahr 1847 erschutterten 65 Prozent dieser Aufstande fanden auf preussischem Boden statt nur dessen westliche Provinzen blieben davon weitgehend verschont 6 Manfred Gailus schatzt dass sich in den deutschen Staaten 1847 zehntausende Personen an Hungerunruhen aktiv beteiligten In der Berliner Kartoffelrevolution vermischten sich verschiedene Protestformen Der anfangliche Marktkrawall entwickelte sich zu einer umfassenderen Attacke auf Lebensmittelgeschafte 7 Wahrend die Proteste so der Politikwissenschaftler Wilhelm Bleek in einwohnerreichen und durch Zuzug schnell wachsenden Stadten wie Berlin und Stuttgart Zuge einer gewalttatigen Machtprobe mit der Obrigkeit und den Wohlhabenden annahmen beschrankten sich die Geschehnisse in Kleinstadten haufig auf eine Umverteilung von Lebensmitteln 8 In den deutschen Staaten bildeten Lebensmittelunruhen zwischen 1840 und 1850 die Hauptform der Sozialproteste Vergleichbare Hungerkrisen lassen sich nur in den 1790er Jahren und 1816 1817 feststellen 9 Ursachen BearbeitenFur das Zustandekommen der Berliner Kartoffelrevolution waren drei Faktoren ausschlaggebend Erstens fiel die Kartoffel und Getreideernte von 1846 in Preussen durchschnittlich um 30 bis 50 Prozent geringer aus als in den Vorjahren 10 Bereits im Jahr 1845 war der in Nordamerika vorkommende Kartoffelschadling Phytophthora infestans nach Europa eingeschleppt worden Im selben Jahr verursachte dieser Pilz in den westlichen Provinzen Preussens grosse Schaden auf den Feldern Die ostlichen Provinzen waren aufgrund der Witterungsverhaltnisse nur vereinzelt betroffen 11 In Irland das wegen seiner regenreichen Sommermonate und gemassigten Winter besonders anfallig war loste der Pilz die sogenannte Grosse Hungersnot aus Die Kartoffelknollen verfaulten haufig noch in der Erde Im Jahr 1846 kam in Preussen zum Ausfall der Kartoffelernten noch der schlechte Ertrag auf den Roggen und Weizenfeldern hinzu 12 Hierfur waren die aussergewohnlich schlechten Wetterbedingungen verantwortlich Starkregen im April und anschliessende Trockenheit Im Rheinland ging der Roggenertrag 1846 um etwa 50 in Schlesien sogar um 60 Prozent zuruck 13 Zweitens reagierten die preussische Regierung und die Stadtverwaltungen nur unzureichend auf den Ernteausfall Zur Vorbeugung sozialer Unruhen hatte man in allen deutschen Residenzstadten abgesehen von Stuttgart und Berlin fruhzeitig Getreidevorrate aufgekauft 14 Die preussische Regierung beauftragte erst im Januar 1847 den im Agrarhandel unerfahrenen Geheim Sekretar Liedke damit russisches Getreide aufzukaufen Daraufhin erwarb er Ware die sich als minderwertig herausstellte Bereits bei der Ankunft im Hafen von Stettin wurde offensichtlich dass das Getreide verdorben war Der noch essbare aus dem russischen Getreide gemahlene Ladungsteil wurde durch die Zugabe von Gersten und Maismehl gestreckt Die Berliner Stadtverordnetenversammlung ihrerseits hatte zwar schon im Oktober 1846 in einer Petition den preussischen Konig Friedrich Wilhelm IV darum gebeten den Export von Getreide Kartoffeln und Spiritus zu verbieten Der preussische Innenminister Ernst von Bodelschwingh antwortete jedoch darauf dass die Petition ohne Wissen des Berliner Magistrats eingereicht worden war Wegen dieses Formfehlers sei sie nicht an den Konig weitergegeben worden 15 Die aus dieser Situation resultierende Verknappung der Lebensmittel in der Stadt liess im April 1847 die Preise fur Roggen um das Doppelte und fur Kartoffeln um das Drei bis Funffache ansteigen 1846 kosteten funf Pfund Kartoffeln einen Silbergroschen Ende Januar 1847 schon drei im April funf Silbergroschen Die Summe entsprach dem halben durchschnittlichen Tagesverdienst der meisten Berliner 16 In der Folge waren wirtschaftlich schwachere Gruppen der Stadt mehr noch als zuvor von Hunger und Unterernahrung betroffen 17 Drittens standen dieser Entwicklung auf den Markten kaum ausgepragte Kontrollmoglichkeiten des Staates gegenuber Ein Polizeierlass von 1846 hatte den Berliner Backern vorgeschrieben ihre Preislisten von einem Revier Polizei Leutnant kontrollieren zu lassen Dementsprechend waren de jure Preise fur bestimmte Brotgrossen einzuhalten Tatsachlich liessen sich diese Vorschriften jedoch nicht flachendeckend von der Marktpolizei durchsetzen In vielen Fallen umgingen die Berliner Backer daher die Vorschriften indem sie etwa minderwertiges Material verwendeten oder Gewichtsfalschungen vornahmen Die in Jahrzehnten angesammelte Unzufriedenheit der Marktkaufer uber diesen alltaglichen Missstand entlud sich schliesslich in der Kartoffelrevolution 18 Die genannten Probleme vermengten sich mit der allgemein prekaren sozialen Lage grosserer Teile der Bevolkerung Zahlreiche Familien siedelten vom Land in die Grossstadt um Das so entstehende Uberangebot an Arbeitskraften druckte die Lohne in Berlin Gleichzeitig verlangerten sich die Arbeitszeiten auf haufig 17 Stunden am Tag Kinderarbeit war Teil des Alltages Bereits minimale Preisschwankungen genugten um Hunger in der Stadt zu einer Massenerscheinung werden zu lassen 19 Eine Finanz und Gewerbekrise fuhrte 1847 zu Massenentlassungen im Berliner Textil und Maschinenbausektor Die Zahl der Arbeitslosen nahm nochmals weiter zu 20 Die Unruhen BearbeitenAusbreitung im Stadtgebiet Bearbeiten In der Forschung ist umstritten wo die Kartoffelrevolution genau ihren Ausgangspunkt nahm Die Schwierigkeiten hierbei bestehen in der grossraumigen Verteilung der Unruhe im Stadtgebiet und der zahlreichen Aktionen voneinander unabhangiger Gruppen Am Morgen des 21 April 1847 kam es etwa zeitgleich an acht Marktplatzen der Stadt zu Ausschreitungen Zentren dieser ersten Unruhen waren meist die ausseren Stadtteile Berlins vor allem die Friedrichstadt die Rosenthaler Vorstadt und der Bereich ostlich des Alexanderplatzes 21 Laut Rudiger Hachtmann begann die Kartoffelrevolution konkret am Belle Alliance Platz dem heutigen Mehringplatz An einem Kartoffelstand reizte eine Bauerin mit derben Antworten eine Menschenmenge so weit dass mehrere Frauen sich gewaltsam auf sie sturzten und ihr die Kartoffeln raubten 22 Manfred Gailus bezeichnet hingegen den Gendarmenmarkt als Ausgangspunkt der Unruhen Wegen uberteuerter Preise habe eine Menschenmenge eine Kartoffelhandlerin angegriffen Diese fluchtete sich in ein Backerhaus in der Charlottenstrasse das anschliessend von der Menge belagert gesturmt und geplundert wurde 23 Waren am Morgen des 21 April nur die Marktplatze betroffen weitete sich der Aufstand am Mittag auf die Strassen und Laden im Stadtzentrum aus Das Gebiet um das Berliner Schloss und die Strasse Unter den Linden wurde erfasst 24 Symbole der staatlichen Macht der Kirchen und des burgerlichen Reichtums gerieten am Abend des 21 April in den Fokus der Aufstandischen So wurden Unter den Linden die Scheiben der Koniglichen Oper mehrerer Luxushotels der Cafes Kranzler und Spargnapani sowie eher zufallig einige Fenster des Palais des Prinzen von Preussen eingeworfen wofur manche Zeitgenossen wohl zu Unrecht einen politischen Protest gegen seinen Bewohner erblickten 25 Auch die Fenster von Kirchen im Zentrum wie der Bethlehemskirche und die Gaslaternen in der Wilhelm und der Friedrichstrasse wurden zerstort sodass die Passanten wie ein Zeitgenosse notierte sich nur auf Glasscherben bewegen konnten 26 Ersturmung von Laden Bearbeiten Insgesamt wurden 45 Laden gesturmt darunter 30 Backereien und elf Schlachtereien 27 Eine beispielhafte Szene der Ausschreitungen kann aus dem Bericht einer Gerichtsverhandlung rekonstruiert werden Um die Mittagszeit des 22 April 1847 versammelte sich eine Menschenmenge in der Weberstrasse vor einer Backerei In dieser aufgeheizten Situation soll die Ehefrau eines Schlossers die Aufmerksamkeit der Menge auf sich gezogen haben Sie habe nicht nur behauptet der Backermeister backe das kleinste Brot sondern warf diesem auch vor noch kein Brot verteilt zu haben Daraufhin drang die Menge in die Backerei ein und der bedrangte Backer verlor Brot im Wert von etwa 50 Talern Auch das Ladenschild wurde ihm entwendet 28 Im ganzen Stadtgebiet konnte der Diebstahl von Lebensmitteln allen voran von Brot und Wurst nicht unterbunden werden Die Aufstandischen stahlen nicht nur aus Hunger Sie zerstorten die Lebensmittel zum Teil absichtsvoll etwa durch das Zertreten und Wegwerfen in die Gosse Auf diese Weise brachten sie ihre Wut uber die Methoden der Geschaftsbesitzer offentlich zum Ausdruck 29 Bei der Ersturmung der Laden beschadigten oder stahlen die Aufstandischen auch Mobeliar und Gerate Samtliche Turen und Fenster wurden eingeschlagen 30 Das offentliche Leben kam zum Erliegen Markte blieben menschenleer die Turen und Fenster der Laden wurden mit schweren Gegenstanden verrammelt Am 22 und 23 April wurden Auffuhrungen in den Theatern abgesagt Schulen blieben geschlossen 31 Rolle der Polizei und des Militars Bearbeiten Ein schnelles Eingreifen der Ordnungskrafte blieb aus vielen Grunden schwierig Die formal vor Ort zustandige Marktpolizei und Gendarmerie unterschatzte zunachst das Ausmass der Unruhe da die einzelnen Schauplatze sich weit im Stadtgebiet verteilten Die in Berlin stationierten Soldaten wurden daher zunachst nicht eingesetzt Obwohl am Nachmittag des 21 April vereinzelt Soldaten im Dienst standen waren sie hinsichtlich des Ausmasses des Aufstandes uberfordert Der Oberbefehlshaber der Garnison in Berlin Prinz Wilhelm hielt sich am Abend zeitweise noch im Theater auf Erst am Vormittag des 22 April liess Wilhelm eine Besprechung mit seinen Offizieren durchfuhren in der Berlin in drei Bezirke gegliedert wurde Fur jeden Bezirk waren jeweils ein Kavallerie und ein Infanterieregiment zustandig Dennoch gelang es dem Militar erst gegen Mitternacht den Aufstand vollstandig aufzulosen 32 Bis zum 25 April 1847 zeigte das Militar Prasenz im offentlichen Raum Es setzte niedrigere Preise fur Lebensmittel auf den Marktplatzen durch und suchte nach Teilnehmern des Aufstandes 33 Ein zeitgenossischer Archivar der Stadt Berlin Paul Clauswitz geht davon aus dass zum Zeitpunkt der Kartoffelrevolution nur 30 Polizisten die offentliche Ordnung aufrechterhalten sollten Dieser Missstand rief die burgerliche Opposition auf den Plan Sie forderte den Aufbau einer grosseren Polizei oder alternativ die Grundung einer Burgerwehr die fruhzeitig auf soziale Unruhe reagieren konnte Der Magistrat von Berlin wandte sich am 23 April 1847 mit der Bitte an das preussische Innenministerium der Bildung von militarischen Schutzvereinen in Unruhezeiten zuzustimmen Innenminister Bodelschwingh wies das Ansinnen zuruck da Burgerwehren das staatliche Gewaltmonopol untergraben wurden Keinesfalls wollte der Staat eine Unterstutzung der liberalen Opposition durch Ordnungskrafte zulassen Die Fuhrung sollte allein in den Handen der regierungsnahen Aristokratie bleiben 34 Die Kartoffelrevolution bewirkte dennoch personelle Wechsel Der Stadtgouverneur Karl von Muffling musste im Oktober 1847 seinen Posten raumen An seine Stelle trat Friedrich von Wrangel Julius von Minutoli ersetzte als Polizeiprasident Eugen von Puttkamer 35 Verhaftungen Bearbeiten Gailus geht von insgesamt funf bis zehntausend Personen aus die sich an der Kartoffelrevolution beteiligten Angesichts dieser Grossenordnung konnte das Militar nur einen kleinen Teil davon fassen Daher kann das Gefangenenprotokoll wenig uber die tatsachliche soziale Zusammensetzung Auskunft geben Allerdings scheinen Handwerker und ungelernte Arbeiter den Grossteil der Aufstandischen gestellt zu haben Nur etwa dreihundert Personen wurden verhaftet Aber selbst diese Anzahl brachte die Kapazitat der Berliner Gefangnisse an ihre Grenzen 120 Gefangene mussten notdurftig in dem Militararrestlokal der Lindenstrasse untergebracht werden Von den Verhafteten standen 107 Personen vor dem Berliner Kammergericht 87 von ihnen erhielten Strafen Ein Teil der Aufstandischen wurde jedoch ohne einen langwierigen Prozess von Polizeirichtern verurteilt Wie viele Personen hiervon betroffen waren ist nicht in die Statistik eingegangen Die Gerichtsprozesse dauerten sechs Wochen Das harteste Urteil traf einen 32 jahrigen Arbeiter Vater von zwei Kindern er wurde zu zehn Jahren Zuchthaus und 30 Hieben verurteilt weil er einen Offizier geschlagen und einem Soldaten den Sabel entrissen hatte Die meisten Verurteilten kamen durch eine Amnestie aus Anlass des Geburtstags von Konig Friedrich Wilhelm IV am 15 Oktober 1847 wieder frei 36 Politische Dimension BearbeitenReaktion des Ersten Vereinigten Landtages Bearbeiten Die Kartoffelrevolution fand zu einem politisch brisanten Zeitpunkt statt Seit dem 11 April 1847 befand sich eine standische Vollversammlung von Vertretern aller acht Provinzen Preussens in Berlin der sogenannte Erste Vereinigte Landtag Die Kartoffelrevolution war daher fur einen Grossteil der gesellschaftlichen Elite des Landes sichtbar was die konigliche Regierung in einem denkbar schlechten Licht erscheinen liess 37 Als politisch stufte der Landtag die Ausschreitungen auf den Strassen und Platzen jedoch nicht ein Obwohl in den Briefen der Abgeordneten vereinzelt Bemerkungen uber die Kartoffelrevolution zu finden sind reagierte die Versammlung erst Tage spater auf die Unruhen Am 27 April und 17 Mai 1847 rangen sich die Abgeordneten zu Notstandsdebatten durch wobei uberwiegend der preussischen Burokratie die Schuld an den Ausschreitungen gegeben wurde Am 27 April 1847 beschloss der Landtag ein auf 6 Monate beschranktes Ausfuhrverbot fur Kartoffeln Diese durften nicht mehr in Lander ausserhalb des Deutschen Zollvereines gehandelt werden Am selben Tag untersagte der Landtag die Verarbeitung von Kartoffeln zu Schnaps Am 17 Mai 1847 einigten sich die Vertreter darauf kurzzeitig Arbeitsangebote schaffen zu wollen Langfristige Reformkonzepte zur Behebung der wirtschaftlichen Not grosser Bevolkerungsteile wurden jedoch nicht beschlossen 38 Politische Bedeutung fur die Revolution von 1848 Bearbeiten Eine wichtige Frage der Forschung besteht darin inwieweit die Kartoffelrevolution zur politischen Vorgeschichte der Berliner Marzrevolution von 1848 gezahlt werden kann Wilfried Lohken bringt die Gewaltbereitschaft der Berliner gegen Soldaten und Polizei im Barrikadenkampf in direkte Verbindung mit vorhergehenden Ereignissen wie der Schneiderrevolution von 1830 und der Kartoffelrevolution 39 Auch der Historiker Armin Owzar meint die Kartoffelrevolution sei ein Indiz einer fundamentalen Politisierung die langst auch die Frauen erfasst habe die vornehmlich fur den Kauf von Lebensmitteln verantwortlich waren 40 Der Historiker Ilja Mieck sah zwar ebenfalls in der Lebensmittelknappheit von 1847 eine Ursache der zunehmenden Politisierung einer breiteren Offentlichkeit Allerdings sei die Kartoffelrevolution Mieck zufolge in erster Linie eine aus der unertraglich gewordenen Not entstandene Hungerrevolte und kein bewusster politisch motivierter Aufstand gewesen wenn sich auch politische Forderungen mit den wirtschaftlichen verbanden 41 Der Historiker Rudiger Hachtmann kommt zu einem ahnlichen Ergebnis Die Aufstandischen hatten so Hachtmann in erster Linie billiges Brot nicht ein anderes politisches System gefordert So konnte der preussische Konig trotz der Unruhen am Vortag am 23 April 1847 unbehelligt auf dem Boulevard Unter den Linden seinen mittaglichen Spaziergang machen 42 Laut Gunter Richter blieb die relativ rasche Niederschlagung der Kartoffelrevolution der preussischen Regierung in Erinnerung Diese Erfahrung verleitete sie anfangs zu der Fehleinschatzung die Proteste am 18 Marz 1848 ebenfalls mithilfe von Soldaten auflosen zu konnen 43 Zeitgenossische Rezeption BearbeitenDie politische Deutung der Kartoffelrevolution war bereits in den zeitgenossischen Historiographien ein Thema So warf der Philosoph und Schriftsteller Karl Biedermann 1812 1901 in seiner Geschichte des ersten preussischen Reichstags den konservativen Kraften vor den Aufstand zur Diffamierung des Ersten Vereinigten Landtages missbraucht zu haben Die Gegner des Landtages hatten das Gerucht verbreitet die Regierung sei bei der Behebung des sozialen Notstandes von der standischen Versammlung ausgebremst worden da diese sich nicht sehr beeilen wurde und aus der Not des Volkes sogar Nutzen zoge 44 Der Schriftsteller Adolf Streckfuss 1823 1895 machte in seiner Darstellung 500 Jahre Berliner Geschichte Vom Fischerdorf zur Weltstadt die Einwohner der Vorstadte Berlins fur die Ausschreitungen in der Residenzstadt verantwortlich 45 Er hielt den Aufstand zwar fur unpolitisch schatzte ihn aber so die Interpretation der Politikwissenschaftlerin Claudia von Gelieu als eine gefahrliche Vorhut einer kommenden Zeit ein Trotz seiner mannlichen Sprache verschweigt Streckfuss nicht dass der Aufstand von Frauen initiiert und massgeblich mitgetragen wurde 46 Quellen BearbeitenKarl Biedermann Geschichte des ersten preussischen Reichstags Biedermannsche Verlagsbuchhandlung Leipzig 1847 Adolf Streckfuss Berlin im 19 Jahrhundert In vier Banden 1867 1869 Band 3 Seidl Berlin 1867 S 325 ff als Faksimile auf CD ROM erschienen bei Niedersachsische Staats und Universitatsbibliothek Gottingen 2006 Adolf Streckfuss Berliner Marz 1848 Das Neue Berlin Berlin 1948 Literatur BearbeitenHans Heinrich Bass Hungerkrisen in Preussen wahrend der ersten Halfte des 19 Jahrhunderts Studien zur Wirtschafts und Sozialgeschichte Band 8 Scripta Mercaturae St Katharinen 1991 ISBN 3 922661 90 4 teilweise zugleich Dissertation an der WWU Munster 1990 Manfred Gailus Strasse und Brot Sozialer Protest in den deutschen Staaten unter besonderer Berucksichtigung Preussens 1847 1849 Veroffentlichungen des Max Planck Institut fur Geschichte Gottingen Band 96 Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 1990 ISBN 3 525 35632 3 teilweise zugleich Dissertation an der TU Berlin 1988 Matthias von Hellfeld Hunger und Elend Kartoffelrevolution 1847 In ders 1848 in 48 Kapiteln Geschichte einer Revolution Herder Freiburg 2022 ISBN 978 3 451 39155 2 S 221 225 Wilfried Lohken Die Revolution 1848 Berlinerinnen und Berliner auf den Barrikaden Edition Hentrich Berlin 1991 ISBN 3 926175 80 X Inga Weise Die Berliner Kartoffelrevolution Eine Fallstudie zum sozialen Protest im Vormarz Freie Universitat Berlin 1991 Magisterarbeit an der Freien Universitat Berlin 1991 Kurt Wernicke Vormarz Marz Nachmarz Studien zur Berliner Politik und Sozialgeschichte 1843 1853 Edition Luisenstadt Berlin 1999 ISBN 3 89542 105 7 Kurt Wernicke der betretene Weg der Unordnung Kartoffelrevolution in Berlin 1847 In Berlinische Monatsschrift Luisenstadtischer Bildungsverein Heft 4 1997 ISSN 0944 5560 S 19 23 luise berlin de Weblinks BearbeitenAbschnitt aus einer langeren Darstellung der Berliner Marzrevolution 1848 bei der ZLB Kurzer Ubersichtstext auf Preussen Chronik de rbb Einzelnachweise Bearbeiten Das Ende der Kartoffelrevolution wird entweder auf den 22 oder 23 April 1847 datiert Nach der Darstellung des zeitgenossischen Schriftstellers Adolf Streckfuss 1823 1895 sollen zwar noch am 23 April 1847 aufstandische Vorstadter durch die Stadttore eingedrungen sein dabei aber Berlin von dem Militar bereits besetzt vorgefunden haben sodass sie keine Plunderungen mehr gewagt hatten Vgl hierzu Wilfried Lohken Die Revolution 1848 Berlinerinnen und Berliner auf den Barrikaden In Berliner Geschichte n Band 2 Edition Hentrich Berlin 1991 S 17 Laut dem Historiker Ilja Mieck wiederholten sich am 23 April die Zwischenfalle der vorangegangenen Tage Vgl hierzu Ilja Mieck Preussen von 1807 bis 1850 Reformen Restauration und Revolution In Handbuch der Preussischen Geschichte hrsg v Otto Busch Bd 2 Bern 1992 S 3 292 hier S 226 Der Historiker Manfred Gailus spricht hingegen von einer zweitagigen Berliner Kartoffelrevolution 21 22 April Vgl hierzu Hungerunruhen in Preussen In Manfred Gailus und Heinrich Volkmann Hrsg Der Kampf um das tagliche Brot Nahrungsmangel Versorgungspolitik und Protest 1770 1990 Westdeutscher Verlag Opladen 1994 S 176 199 hier S 181 Ein zweyter Kartoffelkrieg In Wiener Moden Zeitung Wiener Moden Zeitung und Zeitschrift fur Kunst schone Literatur und Theater Wiener Zeitschrift fur Kunst Literatur Theater und Mode Wiener Zeitschrift Tagsblatt fur die gebildete Lesewelt 14 Dezember 1844 S 7 online bei ANNO Vorlage ANNO Wartung wzz Lemberg Kartoffel Revolution In Gemeinde Zeitung Gemeinde Zeitung Unabhangiges politisches Journal 3 Dezember 1872 S 4 online bei ANNO Vorlage ANNO Wartung gem Adolf Streckfuss Berliner Marz 1848 Das Neue Berlin Berlin 1948 S 22 Rudiger Hachtmann Berlin 1848 Eine Politik und Gesellschaftsgeschichte der Revolution Dietz Bonn 1997 S 83 Manfred Gailus Hungerunruhen in Preussen In derselbe und Heinrich Volkmann Hrsg Der Kampf um das tagliche Brot Nahrungsmangel Versorgungspolitik und Protest 1770 1990 Westdeutscher Verlag Opladen 1994 S 176 199 hier S 176 177 Manfred Gailus Hungerunruhen in Preussen In Manfred Gailus Heinrich Volkmann Hrsg Der Kampf um das tagliche Brot Nahrungsmangel Versorgungspolitik und Protest 1770 1990 Westdeutscher Verlag Opladen 1994 S 176 199 hier S 182 Wilhelm Bleek Der Vormarz Deutschlands Aufbruch in die Moderne Beck Munchen 2019 S 278 Manfred Gailus Strasse und Brot Sozialer Protest in den deutschen Staaten unter besonderer Berucksichtigung Preussens 1847 1849 Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 1990 S 139 Manfred Gailus Strasse und Brot Sozialer Protest in den deutschen Staaten unter besonderer Berucksichtigung Preussens 1847 1849 Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 1990 S 306 Hans Heinrich Bass Naturliche und soziookonomische Ursachen der Subsistenzkrise Mitte des 19 Jahrhunderts eine Diskussion am Beispiel Preussens In Bernd Herrmann Hrsg Beitrage zum Gottinger Umwelthistorischen Kolloquium 2009 2010 Universitatsverlag Gottingen 2010 S 141 156 hier S 150 Richard J Evans Das europaische Jahrhundert Ein Kontinent im Umbruch 1815 1914 DVA Munchen 2018 Kapitel Die hungrigen Vierziger und ihre Folgen Hans Heinrich Bass Naturliche und soziookonomische Ursachen der Subsistenzkrise Mitte des 19 Jahrhunderts eine Diskussion am Beispiel Preussens In Bernd Herrmann Hrsg Beitrage zum Gottinger Umwelthistorischen Kolloquium 2009 2010 Universitatsverlag Gottingen 2010 S 141 156 hier S 150 151 Manfred Gailus Strasse und Brot Sozialer Protest in den deutschen Staaten unter besonderer Berucksichtigung Preussens 1847 1849 Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 1990 S 306 Manfred Gailus Strasse und Brot Sozialer Protest in den deutschen Staaten unter besonderer Berucksichtigung Preussens 1847 1849 Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 1990 S 323 324 Oliver Ohmann 1847 tobte in Berlin eine Kartoffel Revolution In BZ 20 November 2018 Rudiger Hachtmann Berlin 1848 Eine Politik und Gesellschaftsgeschichte der Revolution Dietz Bonn 1997 S 82 Manfred Gailus Strasse und Brot Sozialer Protest in den deutschen Staaten unter besonderer Berucksichtigung Preussens 1847 1849 Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 1990 S 311 312 Wilfried Lohken Die Revolution 1848 Berlinerinnen und Berliner auf den Barrikaden Edition Hentrich Berlin 1991 S 13 Wilfried Lohken Die Revolution 1848 Berlinerinnen und Berliner auf den Barrikaden Edition Hentrich Berlin 1991 S 15 Manfred Gailus Strasse und Brot Sozialer Protest in den deutschen Staaten unter besonderer Berucksichtigung Preussens 1847 1849 Gottingen 1990 S 307 Rudiger Hachtmann Berlin 1848 Eine Politik und Gesellschaftsgeschichte der Revolution Dietz Bonn 1997 S 82 83 Manfred Gailus Strasse und Brot Sozialer Protest in den deutschen Staaten unter besonderer Berucksichtigung Preussens 1847 1849 Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 1990 S 309 Manfred Gailus Strasse und Brot Sozialer Protest in den deutschen Staaten unter besonderer Berucksichtigung Preussens 1847 1849 Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 1990 S 307 So Rudiger Hachtmann Berlin 1848 Eine Politik und Gesellschaftsgeschichte der Revolution Dietz Bonn 1997 S 83 Manfred Gailus Strasse und Brot Sozialer Protest in den deutschen Staaten unter besonderer Berucksichtigung Preussens 1847 1849 Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 1990 S 306 307 Rudiger Hachtmann Berlin 1848 Eine Politik und Gesellschaftsgeschichte der Revolution Dietz Bonn 1997 S 82 Manfred Gailus Strasse und Brot Sozialer Protest in den deutschen Staaten unter besonderer Berucksichtigung Preussens 1847 1849 Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 1990 S 313 Manfred Gailus Strasse und Brot Sozialer Protest in den deutschen Staaten unter besonderer Berucksichtigung Preussens 1847 1849 Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 1990 S 314 Manfred Gailus Hungerunruhen in Preussen In Manfred Gailus und Heinrich Volkmann Hrsg Der Kampf um das tagliche Brot Nahrungsmangel Versorgungspolitik und Protest 1770 1990 Westdeutscher Verlag Opladen 1994 S 176 199 hier S 192 Ilja Mieck Von der Reformzeit zur Revolution 1806 1847 In Wolfgang Ribbe Hrsg Geschichte Berlins Bd 1 Von der Fruhgeschichte bis zur Industrialisierung Beck Munchen 1987 S 407 602 hier S 600 Manfred Gailus Strasse und Brot Sozialer Protest in den deutschen Staaten unter besonderer Berucksichtigung Preussens 1847 1849 Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 1990 S 309 Manfred Gailus Strasse und Brot Sozialer Protest in den deutschen Staaten unter besonderer Berucksichtigung Preussens 1847 1849 Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 1990 S 310 Manfred Gailus Strasse und Brot Sozialer Protest in den deutschen Staaten unter besonderer Berucksichtigung Preussens 1847 1849 Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 1990 S 325 326 Kurt Wernicke Vormarz Marz Nachmarz Studien zur Berliner Politik und Sozialgeschichte 1843 1853 Edition Luisenstadt Berlin 1999 S 124 Manfred Gailus Strasse und Brot Sozialer Protest in den deutschen Staaten unter besonderer Berucksichtigung Preussens 1847 1849 Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 1990 S 317 318 Kurt Wernicke Vormarz Marz Nachmarz Studien zur Berliner Politik und Sozialgeschichte 1843 1853 Luisenstadtischer Bildungsverein Berlin 1999 S 124 Manfred Gailus Strasse und Brot Sozialer Protest in den deutschen Staaten unter besonderer Berucksichtigung Preussens 1847 1849 Gottingen 1990 S 306 Johannes Gerhardt Der Erste Vereinigte Landtag in Preussen von 1847 Untersuchungen zu einer standischen Korperschaft im Vorfeld der Revolution von 1848 49 Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preussischen Geschichte 33 Duncker amp Humblot Berlin 2007 S 253 Wilfried Lohken Die Revolution 1848 Berlinerinnen und Berliner auf den Barrikaden Edition Hentrich Berlin 1991 S 14 Armin Owzar Das preussische Berlin Auf dem Weg zur Metropole 1701 1918 Elsengold Berlin 2019 S 66 Ilja Mieck Preussen von 1807 bis 1850 Reformen Restauration und Revolution In Otto Busch Hrsg Handbuch der Preussischen Geschichte Bd 2 Bern 1992 S 3 292 hier S 226 Rudiger Hachtmann Berlin 1848 eine Politik und Gesellschaftsgeschichte der Revolution Dietz Bonn 1997 S 86 Gunter Richter Friedrich Wilhelm IV und die Revolution von 1848 In Otto Busch Hrsg Friedrich Wilhelm IV in seiner Zeit Beitrage eines Kolloquiums Berlin 1987 S 107 131 hier S 113 Walter Bussmann Zwischen Preussen und Deutschland Friedrich Wilhelm IV Eine Biographie Siedler Munchen 1996 S 235 236 Helmut Konig Zivilisation und Leidenschaften Die Masse im burgerlichen Zeitalter Rowohlt Taschenbuch Verlag Reinbek bei Hamburg 1992 S 101 Claudia von Gelieu Vom Politikverbot ins Kanzleramt Ein hurdenreicher Weg fur Frauen Lehmanns Media Berlin 2008 S 34 35 nbsp Dieser Artikel wurde am 28 April 2020 in dieser Version in die Liste der lesenswerten Artikel aufgenommen Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Kartoffelrevolution amp oldid 238529192