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Die Hungersnot in Zentralkenia 1899 ist als eine verheerende Katastrophe in die Geschichte Kenias eingegangen Sie breitete sich ab 1898 rasch in der Zentralregion des Landes um den Mount Kenya aus nachdem es uber mehrere aufeinanderfolgende Jahre hinweg nur geringe Niederschlage gegeben hatte Heuschreckenplagen Viehkrankheiten die die Rinderbestande dezimierten sowie der wachsende Lebensmittelbedarf durchreisender Karawanen von britischen swahilischen und arabischen Handlern trugen ebenfalls zur Nahrungsknappheit bei Mit der Hungersnot ging zudem eine Pockenepidemie einher die ganze Landstriche entvolkerte Karte KeniasDie Zahl der Opfer ist unbekannt Schatzungen der wenigen europaischen Beobachter bewegten sich zwischen 50 und 90 Prozent der Bevolkerung Betroffen waren alle in diesen Regionen lebenden Menschen allerdings in unterschiedlichem Ausmass Da die Hungersnot zeitlich mit der Etablierung der britischen Kolonialherrschaft zusammenfiel sahen die Bewohner des zentralen Kenia sie nicht als Folge von naturlichen Ursachen Sie verstanden sie vielmehr als Zeichen einer universellen Krise die das Gleichgewicht zwischen Gott und der Gesellschaft storte und die sich ebenso in der Kolonialherrschaft manifestierte Die Hungersnot hatte eine soziale Neustrukturierung in der Region zur Folge Sie erleichterte es der britischen Kolonialmacht und den europaischen Missionsgesellschaften sich in Kenia zu etablieren trug zur Ethnisierung bei und verursachte ein jahrzehntelanges kollektives Trauma in der Bevolkerung Inhaltsverzeichnis 1 Zentralkenia am Ende des 19 Jahrhunderts 1 1 Soziale Organisation 1 2 Regionaler Austausch und Kontakt 1 3 Mangelnder Regen Rinderpest und Heuschreckenplagen 1 4 Die Vorboten der Kolonialmacht 2 Der Grosse Hunger 2 1 Uberlebensstrategien 2 1 1 Handel und Jagd 2 1 2 Migration 2 1 3 Kriminalitat und Gewalt 2 2 Pockenepidemie 2 3 Die Rolle der Kolonialverwaltung 2 4 Das Ende des Hungers 3 Folgen 3 1 Opfer 3 2 Soziale und okonomische Neuorientierung 3 3 Festigung der kolonialen Herrschaft 3 4 Ethnisierung der Beziehungen in Zentralkenia 4 Die Hungersnot im kollektiven Gedachtnis 5 Quellen 6 Literatur 7 EinzelnachweiseZentralkenia am Ende des 19 Jahrhunderts BearbeitenSoziale Organisation Bearbeiten nbsp Ein befestigtes Dorf in den Nyandarua Waldern Solche Dorfer mit einer Umfassung waren vor allem in den Grenzgebieten der von Kikuyu bewohnten Region ublich Zentralkenia war bereits gegen Ende des 19 Jahrhunderts wegen seiner fruchtbaren Boden und des besonders im Hochland niederschlagsreichen Klimas eine dicht besiedelte Region Neben dem Gebiet um den Victoriasee war es mit nach allerdings ungenauen Schatzungen etwa einer Million Menschen die bevolkerungsreichste Gegend Britisch Ostafrikas 1 Wahrend in dem hochgelegenen Gebiet zwischen dem Mount Kenya und den Ngong Bergen vor allem Gemeinschaften der Kikuyu Embu Meru Mbeere und Ogiek lebten war die tiefer liegende und in die halbtrockene Steppe ubergehende Region ostlich davon vor allem von kambasprachigen Gruppen bewohnt Sudlich der Ngong Berge und westlich der Nyandarua Berge siedelten ebenfalls Kikuyu Ogiek und Massai Lebensgrundlage war im fruchtbaren Hochland in erster Linie der Ackerbau und in den kargen Steppen vor allem Rinderhaltung Anders als im 20 Jahrhundert auf Karten haufig dargestellt lebten diese Gruppen nicht in fest voneinander abgegrenzten Territorien Sie waren im Gegenteil kulturell und sozial eng miteinander verflochten Ihre Sprachen waren bis auf die nilotische Sprache Maa Bantusprachen und daher eng miteinander verwandt 2 Neben der Sprache verband die Angehorigen der jeweils gleichen Sprachgruppe jedoch wenig sie waren nicht durch eine gemeinsame politische Autoritat und nur selten durch gemeinsame Rituale verbunden Eine ethnische Identitat wie sie heute bekannt ist war nicht ausgepragt Die Zugehorigkeit zu den Massai etwa konnte sich durch Umzug oder durch den Wechsel der Lebensgrundlage z B von der Rinderzucht zum Ackerbau andern Die Menschen lebten vielmehr in kleinen Gemeinschaften in Clans Familien oder Dorfverbanden organisiert Solche Gruppen konnten sich auch aus Menschen mit unterschiedlicher sprachlicher Herkunft bilden Oft entstanden sie um einen Patron ein einflussreiches Familienoberhaupt der es verstand Menschen an sich zu binden indem er ihnen Schutz in der Gemeinschaft bot Meist identifizierten sich diese Gemeinschaften durch die Region in der sie lebten uber den Grunder ihrer Gemeinschaft als gemeinsamen auch erfundenen Ahnen oder uber ihre Lebensweise als Ackerbauern Jager oder Viehzuchter Feindseligkeiten zwischen verschiedenen Einheiten derselben Sprachgruppe kamen ebenso haufig vor wie zwischen Angehorigen verschiedener ethnischer Gruppen nbsp Frauen mit Waren in Zentralkenia um 1895 In der Kalebasse ist vermutlich Bier ein Gut mit dem traditionell Frauen handelten Regionaler Austausch und Kontakt Bearbeiten Dennoch standen diese kleinen Gemeinschaften uber sprachliche Grenzen hinweg in regem Kontakt Sie heirateten haufig untereinander trieben lebhaften Handel und beeinflussten gegenseitig ihre Lebensweise besonders in Gebieten in denen sie als Nachbarn zusammenlebten Dieser Kontakt war uberlebensnotwendig Das ertragreiche Hochland fungierte als Kornkammer der gesamten Region Waren einzelne Gebiete durch Durren von Nahrungsmangel bedroht unternahmen die Menschen Handelsreisen ins Hochland und tauschten Ziegen Schafe und Rinder Pfeilgifte und Tabak Werkzeuge oder Waffen Metalle Salz und Heilkrauter Honig oder auch ihre Arbeitskraft gegen Lebensmittel wie Hirse und Yams Bohnen Mais und Bananen In Notzeiten kam es auch vor dass ganze Familien ins Hochland auswanderten dort auf dem Land eines wohlhabenden Bauern lebten und arbeiteten und so die Notzeit uberstanden Daneben pflegten einzelne Regionen im Suden dieses Gebietes einen regen Kontakt mit den grossen Karawanen die von der ostafrikanischen Kuste ins Inland zogen um Elfenbein aufzukaufen In Zentralkenia entstand eine Reihe von Handelsknotenpunkten wo Zwischenhandler Lebensmittel von der lokalen Bevolkerung erwarben und an die grossen Karawanen als Proviant fur die Weiterreise verkauften 3 Mangelnder Regen Rinderpest und Heuschreckenplagen Bearbeiten Fur weite Teile Ostafrikas waren die 1880er und 1890er Jahre eine Zeit unregelmassigen und mangelhaften Niederschlags 4 Ursache der Trockenheit in Zentralkenia war letztlich ein starkes Auftreten des Klimaphanomens La Nina im Jahre 1898 Dieses Ereignis sowie ein sehr starkes Auftreten von El Nino 1896 und ein erneuter El Nino 1899 fuhrten auch in anderen Teilen Afrikas zu Durre und Hunger 5 In Zentralkenia kamen weitere belastende Faktoren hinzu So vernichteten Heuschreckenschwarme in der 1890er Jahre die durch den fehlenden Regen bereits unzureichenden Ernten in den kargen ebenso wie in den fruchtbaren Gebieten 6 nbsp Rinderpest Ausbruch in Afrika Ende des 19 JahrhundertsDaruber hinaus hatte eine Rinderpest Epizootie schon 1891 grosse Teile der Rinderbestande vernichtet Diese ursprunglich aus Asien stammende Tierseuche war 1887 von italienischen Truppen mit indischen Rindern nach Athiopien eingeschleppt worden und verbreitete sich von dort nach Ostafrika und schliesslich bis in das sudliche Afrika wo es keine Immunitat gegen die Krankheit gab Rinderbesitzer in Kenia verloren bis zu 90 Prozent ihrer Viehbestande In der gesamten Region hatte der Verlust der Rinder tiefgreifende Folgen Ihr Fleisch wurde ausserst selten verzehrt Sie galten als Prestigeobjekt und waren ein wertvolles Zahlungsmittel fur den Brautpreis und fur den Kauf von Lebensmitteln aus fruchtbaren Regionen Besonders in pastoralen Gesellschaften fiel mit dem Verlust der Rinder fur Kinder und junge Erwachsene ein wichtiger Nahrungsbestandteil weg denn diese ernahrten sich zum grossen Teil von einem mit Krautern versetzten Milch Blut Gemisch das man aus Milch und dem aus der Halsschlagader des Rindes abgezapften Blut gewann 7 Unter den Auswirkungen hatten insbesondere die Massai zu leiden in deren Gesellschaft die Rinderzucht ein zentrales Element war Nachdem ihre wirtschaftliche Grundlage zerstort war starben Tausende ganze Gemeinschaften losten sich auf Uberlebende suchten vor allem bei den benachbarten Kikuyu Zuflucht Feindseligkeiten und die Anwendung von Gewalt nahmen in diesem Zeitraum drastisch zu Die Rinderpest machte aus den stolzen und gefurchteten Massai Bettler und sie versuchten den sozialen Abstieg aufzuhalten indem die Krieger in grossem Stil Rinder und Frauen von umliegenden Gesellschaften raubten um Haushalte neu aufzubauen 8 Die Vorboten der Kolonialmacht Bearbeiten nbsp Flagge der Imperial British East Africa Company die ab 1888 ins Innere Kenia vordrangAn den Katastrophen hatten die ersten Versuche der britischen Kolonialmacht in Kenia Fuss zu fassen einen nicht unbetrachtlichen Anteil Ab 1889 errichtete die Imperial British East Africa Company eine Reihe von Verwaltungsposten entlang des bestehenden Handelsweges von der Hafenstadt Mombasa zum Victoriasee der deutsche Einfluss endete 1890 mit der Ubergabe Witus Ihre Aufgabe bestand darin die grossen Handelskarawanen der Company die bis zu tausend Personen umfassten mit Nahrungsmitteln fur die Weiterreise zu versorgen Hierzu wurden grosse Mengen an Lebensmitteln bei der ansassigen Bevolkerung aufgekauft mitunter ihr auch geraubt Der Karawanenverkehr begunstigte zudem die Ausbreitung von bisher unbekannten Krankheiten wie der Rinderpest Der Einfluss der Briten blieb zunachst jedoch gering und beschrankte sich auf die wenigen Stationen und einen kleinen Umkreis Erst durch den Eisenbahnbau anderte sich das Nachdem Grossbritannien 1895 die Verwaltung Britisch Ostafrikas ubernommen hatte begann 1896 der Bau der Uganda Bahn die Mombasa mit Uganda verbinden sollte Je weiter die fertiggestellte Strecke vorruckte desto leichter wurde es fur Europaer das Inland zu erreichen 1899 hatte die Bahnstrecke das 1896 als Depot fur Baumaterial entstandene Nairobi und damit das sudliche Kikuyugebiet im zentralen Kenia erreicht Die Zahl der Europaer im Land anderte sich damit sprunghaft Siedler und Verwaltungsbeamte Missionare Abenteurer Geschaftsleute und Wissenschaftler reisten an Fur die Afrikaner hatte der Eisenbahnbau noch eine weitere Dimension Seit Beginn des Bahnbaus 1896 lockte er zahlreiche afrikanische Arbeiter auf die riesigen Baustellen Sie verdingten sich hier als Arbeitskrafte um mit dem Verdienst begehrte europaische Handelsguter wie Baumwollstoffe und Kleidung Tabaksdosen Feuerwaffen oder Perlen erwerben zu konnen Die meisten Bahnarbeiter waren indische Vertragsarbeiter doch auch Afrikaner aus ganz Ostafrika arbeiteten hier Viele von ihnen kamen aus dem zentralen Kenia Diese vor allem mannlichen Arbeitskrafte fehlten in der Landwirtschaft was die Ernteertrage zusatzlich verringerte 9 Der Grosse Hunger BearbeitenAls sich die Grosse Hungersnot wie sie im Nachhinein genannt wurde Ende der 1890er Jahre ausbreitete waren davon alle Einwohner Kenias betroffen die zwischen dem Mount Kenya und dem Kilimandscharo lebten In den tiefer gelegenen ostlichen Regionen waren schon Ende des Jahres 1897 die Ernten selbst in jenen Gebieten die gewohnlich Lebensmitteluberschusse erzeugten gering Das Jahr 1898 begann mit weiteren trockenen Monaten und der Hunger griff auf sudlich gelegene Regionen uber Eine Heuschreckenplage und ein erneuter Ausbruch der Rinderpest der wiederum um die 30 Prozent der Rinderbestande vernichtete verstarkten die Auswirkungen des unzureichenden Niederschlags Bereits Mitte des Jahres 1898 starben viele Menschen vor Hunger Der Regen in jenem Jahr kam spat und fiel erneut in geringeren Mengen als gewohnt Jetzt vertrockneten schliesslich auch die Ernten ostlich des Hochlandes und im sudlichen Kikuyugebiet auf den Feldern nbsp An der neugebauten Strecke der Uganda BahnDer Nahrungsmangel hatte sich in Zentralkenia Mitte 1898 jedoch noch nicht vollstandig ausgebreitet Im Gegenteil verkauften Handler weiterhin Lebensmittelvorrate aus dem Hochland an durchziehende Karawanen oder an Zwischenhandler um begehrte Waren wie Kleidung Perlen Waffen oder Kupfer und Messingdraht aus dem Schmuck gefertigt wurde zu erwerben Offenbar ging man davon aus dass Nahrungsmittel nur punktuell unter den weniger wohlhabenden Menschen knapp waren und im Notfall durch den Handel aus dem zentralen Hochland weiterhin zu beschaffen seien So berichtete der britische Missionar Harry Leakey von der Missionsstation Kabete in der Nahe von Nairobi Die Schrecken der Hungersnot wurden ausserordentlich durch die Tatsache vermehrt dass zu dieser Zeit eine riesige Karawane mit nubischen Truppen durch das Kikuyugebiet marschierte Die Agenten des Lebensmittelzulieferers kauften grosse Mengen Getreide auf und der Erlos in Messingdraht Baumwollstoffen und Perlen erschien den unglucklichen Verkaufern luxurios Tatsachlich bedeutete er Unheil denn als endlich nach zwei wenn nicht drei vergeblichen Aussaaten genugend Regen kam um etwas wachsen zu lassen war kaum noch Saatgut in den Getreidespeichern 10 Ob der Handel mit Lebensmitteln tatsachlich eine Ursache fur die Nahrungsknappheit war ist dennoch umstritten Die Anthropologin Kershaw wies darauf hin dass auch Gegenden die keinen Handel mit den grossen Karawanen betrieben vom Hunger betroffen waren 11 Der Historiker Ambler beschreibt den Verlauf der Hungersnot als eine sich verschiebende Grenze die sich mit den Fluchtlingen bewegte Sobald die Hungermigranten in ein Gebiet einwanderten das vom Hunger noch nicht betroffen war entwickelte sich dort eine Lebensmittelknappheit Diese produzierte weitere Fluchtlinge die wiederum in neue Gebiete auswichen und auch dort fur Nahrungsmangel sorgten 12 Das regenreiche Hochland zwischen dem Mount Kenya und den Nyandarua Bergen blieb vom Hunger verschont Hier fielen die Ernten zwar ebenfalls kleiner aus doch es wurden weiterhin Lebensmitteluberschusse produziert die fur Fluchtlinge aus den Hungergebieten das Uberleben bedeuteten 1898 naherte sich der Bahnbau dem Kamba Gebiet und dem Hochland Fur die Ernahrung der Bauarbeiter auf manchen Baustellen bis zu 4000 Personen wurden weitere grosse Mengen von Ziegen und Schafen Bohnen Mais und Getreide aus der Umgebung aufgekauft Nachdem bereits zuvor viele Manner zu den entfernt liegenden Baustellen als Arbeiter gezogen waren vergrosserte sich die Zahl der Lohnarbeiter auch unter Frauen noch deutlich als die Baustellen in die nahere Umgebung ruckten Auch im wachsenden Karawanenverkehr arbeiten viele Manner als Trager sodass zunehmend Arbeitskrafte in der Landwirtschaft fehlten Durch die anhaltende Durre waren die zu Hause Verbliebenen oft zu geschwacht um zusatzliche Massnahmen gegen den Hunger zu ergreifen Zu Beginn des Jahres 1899 hatte die Hungersnot einen Hohepunkt erreicht Sie wurde nicht allein von einer Pockenepidemie begleitet sondern auch vom Auftauchen des Sandflohs der bis dato in Zentralkenia unbekannt war und sich schnell ausbreitete Fur die entkrafteten Menschen denen der Umgang mit Sandflohen nicht vertraut war endete der Befall durch das Insekt das sich durch die Haut ins Fleisch frass oft mit verkruppelten Gliedmassen manchmal gar mit dem Tod 13 Uberlebensstrategien Bearbeiten Handel und Jagd Bearbeiten Angesichts der verdorrenden Ernten auf den Feldern und der schwindenden Vorrate war das wichtigste Mittel zum Uberleben Vieh insbesondere Rinder Deren Milch und Blut verschaffte ohne Verzug und Muhe Nahrung Wichtiger noch war dass Rinder wegen ihres Wertes als Prestigeobjekte fur Nahrungsmittel aus dem Hochland verkauft werden konnten In der Not wurden Heiraten fur ungultig erklart um Vieh das als Brautpreis entrichtet worden war zuruckfordern zu konnen In anderen Fallen wurden Madchen ubersturzt verheiratet um Vieh in den Haushalt einzufuhren Trotz des grossen Hungers wurde allerdings selten Vieh wegen des Fleischertrages geschlachtet es war das Kapital einer Familie und wurde eher als Wahrung denn als Nahrungsmittel behandelt Handelsreisen ins Hochland um dort Lebensmittel zu beschaffen waren jedoch riskant Sie dauerten mehrere Tage fur die Verpflegung notwendig war und es mussten reissende Flusse uberquert werden Vielerorts trieben Rauberbanden ihr Unwesen die Reisende uberfielen und ihrer Waren beraubten Oft erreichten die vom Hunger geschwachten Reisenden ihr Ziel nicht und starben unterwegs Arme Familien die uber wenig oder kein Vieh verfugten litten zuerst und am meisten unter dem Hunger und mussten taglich neu um das Uberleben kampfen Viele der sonst Landwirtschaft betreibenden Familien wichen auf die Jagd als Nahrungsquelle aus und fingen mit Fallen Gazellen und Eidechsen die sich in der Nahe der Wohnstatten aufhielten Einzelne Manner taten sich in Gruppen zusammen und gingen gemeinsam auf die gefahrliche Jagd nach Grosswild wie Kaffernbuffel oder Elefanten eine Uberlebensform die gemeinhin in Zentralkenia verachtet wurde Frauen mit Kindern Schwache und Alte die zu Hause bleiben mussten lebten von Wurzeln und Grasern wilden Fruchten und Blattern Man griff zu verzweifelten Massnahmen sich zu ernahren Kleidungsstucke aus Leder und Kalebassen wurden tagelang weichgekocht um sie essbar zu machen und Holzkohle wurde zu Mehl verarbeitet 14 Migration Bearbeiten nbsp Der Geograph Halford John Mackinder links reiste 1899 durch das Hungergebiet mit dem Ziel den Mount Kenya zu besteigen Neben ihm Lenana ein Medizinmann der Massai nach dem Mackinder einen der Gipfel des Berges benannte Zwischen beiden Francis Hall Verwaltungsbeamter der Station Fort Smith Da es im regenreichen zentralen Hochland im nordlichen Kikuyugebiet und rings um den Mount Kenya keinen Nahrungsmangel gab wanderten Tausende aus den benachbarten Regionen in dieses Gebiet Viele starben bereits auf dem Weg oder kurz nach ihrer Ankunft Die Uberlebenden versuchten als Arbeiter auf den Feldern in den weiterhin fruchtbaren Gebieten die Hungerszeit zu uberdauern Eine entscheidende Uberlebensstrategie war die Verpfandung von Frauen und Madchen Indem hungernde Familien ihre weiblichen Mitglieder an einen anderen Haushalt verpfandeten der uber Nahrung verfugte waren sowohl die Manner die dafur Lebensmittel erhielten als auch die Frauen und Madchen die in gut versorgte Familien wechselten gerettet Trotz des unter Umstanden ausserst traumatischen Erlebnisses fur die beteiligten Frauen die oft nicht nur ihre Familie sondern auch ihr vertrautes kulturelles und sprachliches Umfeld verlassen mussten war diese Methode sehr verbreitet Tausende von Frauen und Madchen vor allem aus Massai und Kamba Gemeinschaften wechselten zwischen 1898 und 1900 in zumeist kikuyusprachige Familienverbande uber die im zentralen und fruchtbaren Hochland lebten Viele Frauen zogen auch in Eigeninitiative auf die Verwaltungsstationen oder zu den grossen Bahnbaulagern und verdienten ihren Lebensunterhalt mit Prostitution Kleinhandel und Bierbrauen 15 Neben den Frauen wanderten jedoch auch ganze Dorf und Familienverbande aus den Hungerregionen ab Manche Gegenden ostlich des Mount Kenya und sudlich des heutigen Nairobi schienen den europaischen Beobachtern die erstmals das Land bereisten entvolkert Die Migranten suchten in der Regel in Regionen Zuflucht die ihnen von Handelsreisen vertraut waren oder in denen sie durch Heirat oder Blutsbruderschaften auf eine verwandtschaftlich freundliche Aufnahme hoffen konnten Die Hungerfluchtlinge wurden in den Gastgemeinschaften jedoch keineswegs nur freundlich empfangen Sie erlebten das Aussenseiterschicksal von Fluchtlingen ihre Frauen und Kinder wurden haufig vergewaltigt und geraubt Im weiteren Verlauf kam es vereinzelt auch zu Massakern da die Gastgesellschaften nicht grundlos furchteten dass sich durch den Zustrom der Fluchtlinge auch ihre eigenen Nahrungsvorrate erschopfen wurden 16 Kriminalitat und Gewalt Bearbeiten Die Not fuhrte dazu dass sich vielerorts soziale Strukturen und moralische Bindungen auflosten Selbst engste Beziehungen wurden zerrissen um sich aus Verantwortlichkeiten zu befreien und das eigene Uberleben zu sichern Blutsbruder beraubten einander Manner verliessen ihre Familien und Mutter ihre Kinder In einer kleinen verlassenen Hutte im Kambagebiet fanden Missionare 24 tote Kinder die einander eng umschlungen hielten Andere Kinder irrten allein mit Geschwistern oder in grosseren Gruppen umher und suchten nach Schutz und Nahrung Junge Manner und selbst Frauen taten sich zu kleinen Banden zusammen und lebten vom Raub Sie uberfielen kleinere und grossere Karawanen und Haushalte die wegen der fehlenden Manner nicht mehr geschutzt waren Auch die Bahnbaustellen waren Ziel haufiger Uberfalle da die grosse Zahl der Arbeiter die dort versorgt werden mussten einen ergiebigen Vorrat an Lebensmitteln versprach 17 Die Banden umherziehender Marodeure machten das Leben in den Streusiedlungen zunehmend gefahrlicher Angriffe auf Fluchtlinge nahmen zu insbesondere Frauen und Kinder wurden von Handlern gefangen genommen und an Karawanen als Sklaven verkauft Selbst innerhalb von Familien kam es vor dass hierarchisch hoherstehende Personen Manner und Frauen aus dem Familienverband in die Sklaverei verkauften 18 Auch Geruchte uber Kannibalismus verbreiteten sich Der Elfenbeinhandler John Boyes berichtete Einige meiner Manner haben grausige Geschichten von Leuten gehort die in ihrer Verzweiflung angesichts des Nahrungsmangels einander toten und essen 19 Pockenepidemie Bearbeiten Die Lage verschlimmerte sich noch gravierend durch eine Pockenepidemie die sich von Mombasa aus entlang der Bahnlinie ausbreitete In Mombasa sammelte man jeden Morgen die Toten aus den Strassen auf 20 aber die dort ansassige Kolonialverwaltung unternahm keine Schritte um die Ausbreitung der Seuche zu verhindern Die Krankheit gelangte durch die gerade fertiggestellte Strecke der Uganda Bahn schnell in das vom Hunger betroffene Zentralgebiet Die Pocken betrafen sowohl Hungernde als auch ausreichend Ernahrte Besonders verheerend wirkten sie sich im fruchtbaren Hochland aus wo die Gemeinschaften von der Hungersnot weitgehend verschont geblieben waren Die Seuche die von den zahlreichen Hungerfluchtlingen eingeschleppt wurde breitete sich in dem dicht besiedelten Gebiet dessen Einwohnerzahl durch den Zustrom der Fluchtlinge noch gestiegen war mit rasender Geschwindigkeit aus Ganze Dorfer wurden in Kurze entvolkert Rachel Watt die Frau eines Missionars beschrieb die Situation in Machakos rund 100 km ostlich von Nairobi Wo auch immer man hinging die Wege waren mit Leichen ubersat Bis aufs Skelett abgemagerte Babys wurden weinend neben den Leichnamen ihrer Mutter gefunden 21 Viele Menschen suchten sich durch Amulette Medizin und andere Zauber vor Krankheit und Tod zu schutzen Andere richteten ihren Zorn und ihre Verzweiflung gegen einzelne Menschen namentlich verlassene Frauen oder Witwen wurden der Hexerei beschuldigt und fur das Elend verantwortlich gemacht wurden 22 Einige Gesellschaften wie etwa die Embu verboten Fremden den Zuzug in ihr Siedlungsgebiet vollig um die Ausbreitung der Pocken zu verhindern In anderen Gebieten wiederum zwang man die zugezogenen Fluchtlinge die Erkrankten zu pflegen 23 Die Rolle der Kolonialverwaltung Bearbeiten nbsp Francis Hall Als Verwalter der Station Fort Smith war er einer der wenigen europaischen Zeugen der dramatischen Hungersnot nbsp Die Station Fort Smith um 1900Die Verwaltungsstationen der sich etablierenden Kolonialmacht und die Missionsstationen nutzen die Situation um ihren Einfluss zu starken Durch den Zugang zu importierten Gutern waren sie besonders nachdem die Bahnstrecke Nairobi erreicht hatte nicht mehr von der lokalen Lebensmittelproduktion abhangig Die Stationen wurden zu Anlaufstellen fur viele Hungernde aus der Umgebung da hier Nahrung vorhanden war vor allem aus Indien eingefuhrter Reis Nach der Fertigstellung der Bahn wuchsen die Stationen und Missionszentren in rasantem Tempo Die hier residierenden Europaer hatten zuvor haufig den Mangel an Arbeitskraften die zur Unterhaltung der Station notig waren beklagt Wanderarbeiter zogen es vor beim Bahnbau zu arbeiten da man hier besser versorgt und bezahlt wurde Dieses Problem des Arbeitskraftemangels loste sich da Hunderte von Mannern insbesondere Massai in die Nahe der Stationen zogen um sich dort als Trager und Hilfspolizisten zu verdingen Als Lohn wurde Reis ausgegeben 24 In den Regionen dieser fruhen Stationen wird die Hungersnot daher auch als Yua ya Mapunga erinnert die Reis Hungersnot da mit ihr dieses relativ teure und bis dahin weithin unbekannte Lebensmittel eingefuhrt wurde Zugleich begann ein von der Verwaltung und den Missionen organisiertes Hilfsprogramm das von der britischen Regierung finanziert wurde Im Kambagebiet und um Nairobi wurden Lager errichtet die an erwachsene Personen taglich ein Pfund Reis ausgaben Fluchtlinge stromten an diesen Orten zusammen In Machakos gab der britische Beamte John Ainsworth im August 1899 taglich 500 Portionen aus Ende des Jahres mehr als 1500 Insgesamt lebten zu diesem Zeitpunkt ungefahr 5000 Menschen in Zentralkenia von den Nahrungsspenden der Beamten und Missionare 25 Das Ende des Hungers Bearbeiten Die letzten Monate des Jahres 1899 brachten starke Regenfalle und damit das Ende der Durre die Zentralkenia wahrend der letzten beiden Jahre verwustet hatte Allerdings brachten sie noch nicht das Ende des Hungers Fur einige Gegenden bedeutete gerade diese Zeit noch einmal eine Periode des Leidens Die Felder waren verwustet und vom Unkraut uberwuchert nicht alle Uberlebenden hatten noch Kraft den Boden wieder fur eine Aussaat vorzubereiten Wo Ernten heranreiften verfuhrte der Hunger dazu die unreifen Feldfruchte zu verzehren was weitere Krankheiten unter den geschwachten Menschen hervorrief 26 Auch wenn die Not durch den Regen nicht sofort beendet war besserte sich die Versorgungslage doch relativ rasch Europaische Stationen stellten Saatgut zur Verfugung da viele Betroffene in der Not ihr eigenes Saatgut verzehrt oder verkauft hatten Einige Wochen spater konnten Uberlebende erste Ernten einbringen 27 Folgen BearbeitenOpfer Bearbeiten nbsp John Boyes Elfenbeinhandler und Abenteurer wurde im Hochland und Kikuyugebiet Zeuge der HungersnotAlle Versuche die Zahl der Opfer zu erfassen basieren auf sehr ungenauen Schatzungen Das ergibt sich bereits aus der Tatsache dass die Bevolkerung in Zentralkenia vor der Etablierung der Kolonialherrschaft nur sehr grob geschatzt werden kann Die einzige systematische Untersuchung zu den Verlusten wahrend der Hungersnot wurde in den 1950er Jahren von der niederlandischen Anthropologin Gretha Kershaw durchgefuhrt und beschrankte sich auf ein kleines Gebiet in der Gegend von Nairobi Sie ergab dass von 71 erwachsenen Mannern 24 die Hungersnot nicht uberlebt hatten Dabei ist jedoch zu bedenken dass diese Region zu den wohlhabenderen gehorte und sich durch den Zuzug der Europaer eine Reihe von Uberlebensmoglichkeiten ergaben 28 Es sind eher Beschreibungen personlicher Eindrucke von europaischen Beobachtern die einen Eindruck vom Ausmass der Opfer vermitteln Im Oktober schrieb Francis Hall der als britischer Beamter der Verwaltungsstation Fort Smith im sudlichen Kikuyugebiet taglich Reis ausgab an seinen Vater Wegen der Hungersnot und der Pocken begraben wir jeden Tag sechs bis acht Menschen Man kann keinen Spaziergang machen ohne uber Leichname zu fallen 29 John Boyes der sich im Kikuyugebiet einen gewissen Einfluss verschafft hatte schrieb in einem Bericht dass von einer Karawane von Hungerfluchtlingen die er ins Hochland begleitete taglich um die funfzig Menschen starben 30 Die Todesrate war sicher in den einzelnen Regionen sehr unterschiedlich Besonders hohe Verluste erlitten die Gebiete ostlich und sudlich des Hochlandes wo viele Kamba Massai in geringerem Masse auch Kikuyu lebten Territorial handelte es sich um die Gegenden der heutigen Provinz Central um Nairobi den sudwestlichen Teil der Provinz Eastern sowie den sudostlichen Teil der Provinz Rift Valley Die von Europaern beobachtete Entvolkerung insbesondere der tiefer gelegenen Gebiete kann sowohl auf eine hohe Todesrate als auch auf die Abwanderung der Menschen hinweisen Ein haufiger Topos in Beschreibungen von Aufenthalten in Zentralkenia aus dieser Zeit sind die Wege deren Rander mit Leichen ubersat sind Ein britischer Siedler erinnerte sich an die Bahnlinie mit den Worten 1899 als ich den Schienen folgte kam ich nicht einmal bis Limuru Die Bahnlinie war ein Berg von Leichen 31 Soziale und okonomische Neuorientierung Bearbeiten Nach der grossen Katastrophe lag das wichtigste Bestreben der Bevolkerung darin Haushalte Familien und Gemeinschaften wieder aufzubauen die soziale Ordnung wiederherzustellen und eine lokale Wirtschaft in Gang zu bringen Da der Handel inzwischen uber die Eisenbahn abgewickelt wurde brach eine Haupteinnahmequelle fur den Lebensunterhalt weg Die Menschen organisierten sich daher eher in kleinen verstreuten Haushalten und nicht mehr in grosseren um einen Patriarchen gruppierten Gemeinschaften So war es einfacher alle Mitglieder einer Familie mit dem Land uber das man verfugte zu ernahren 32 Der Wiederaufbau vollzog sich buchstablich in einem Leichenfeld So erinnerte sich eine Frau an diese Zeit die sie als Kind erlebte Nach der Hungersnot kam eine Jahreszeit der Hirseaussaat und die Hirse wuchs sehr rasch Aber man konnte wegen der vielen Toten nicht auf den Feldern gehen Man sah einen Kurbis oder einen Flaschenkurbis aber man konnte ihn nicht erreichen weil er auf einem Haufen von Leichen wuchs 33 Nach den bitteren Erfahrungen zogen es viele Menschen vor die halbtrockenen und tiefer gelegenen Steppen zu verlassen Sie siedelten sich stattdessen im bewaldeten Hochland an das sicheren Niederschlag und nach der harten Arbeit des Rodens sicheres Auskommen dafur aber wenig Weideflachen fur Viehhaltung bot Durch die extreme Zunahme an unkultiviertem Boden wurde aus den trockenen Regionen wieder Buschland und damit auf lange Sicht ein Lebensraum fur die Tsetsefliege Das erschwerte die Wiederansiedlung von Viehzuchtern und die Neuformierung einer lokalen Viehwirtschaft in diesen Regionen 34 Soziale Gegensatze verscharften sich dauerhaft Reiche Familien die die Not uberstanden hatten ohne ihre Heimat zu verlassen besetzten haufig das Land der Nachbarn die ins Hochland migriert waren Durch ihre privilegierte Lage waren sie imstande Notleidende Witwen und Waisen an ihren Haushalt zu binden deren Arbeitskraft zur Bearbeitung von zusatzlichem Land zu nutzen und dadurch schnell einen betrachtlichen Wohlstand aufzubauen Viele Fluchtlinge die in ihre Heimat zuruckkehrten fanden ihr Land besetzt vor sie mussten Pachter werden oder als Lohnarbeiter ihren Lebensunterhalt verdienen Der Verlust ihres Landes verhinderte jedoch dass sie als Bauern an Erfolge vor der Hungersnot anknupfen konnten 35 Noch in den 1930er Jahren wurden Streitfalle um Land vor Gericht gebracht die ihren Ursprung in dieser Zeit hatten 36 Festigung der kolonialen Herrschaft Bearbeiten nbsp Der Bahnhof von Nairobi 1907 Die koloniale Herrschaft hat sich etabliert Die britische Kolonialmacht ging aus der Hungersnot gestarkt hervor Die Verwaltungsstationen hatten durch die Not der afrikanischen Bevolkerung Arbeitskrafte und eine grosse Gefolgschaft gewonnen die meist auch nach Verbesserung der Lage weiterhin im Umkreis der Stationen wohnen blieben Auch das Ansehen der Missionen hatte sich deutlich gebessert Vor der Hungersnot war das Interesse am Christentum sehr gering und fur die Missionen enttauschend gewesen Wahrend der Hungersnot hingegen hatten viele Hungernde bei ihnen Zuflucht gefunden aus denen eine erste Generation von afrikanischen Christen in Zentralkenia hervorging In der Gegend um Nairobi hatte der Missionar Krieger die Menschen in der Nachbarschaft regelmassig mit dem Fleisch von Wildtieren versorgt die er bei Jagdunternehmungen erlegte 37 Missionar Bangert von der Missionsstation Kangundo sah im Ruckblick die Hungersnot folglich auch als eine wunderbare Gelegenheit das Evangelium in die Herzen dieser Menschen zu bringen 38 Die verstreut lebenden Haushalte identifizierten sich immer weniger mit den fruher existierenden kleinen Gesellschaften Sie ordneten sich stattdessen zunehmend in die Kategorien des Stammes ein die die Kolonialmacht eingefuhrt hatte und nach denen das Protektorat administrativ aufgeteilt wurde Die koloniale Verwaltung setzte Paramount Chiefs ein die eine gesamte ethnische Gruppe vertraten und uber die sich die Menschen wesentlich einfacher kontrollieren liessen 39 1902 wurden grosse Teile des sudlichen Kikuyugebietes und des Siedlungsgebietes der Massai enteignet und fur den Verkauf an weisse Siedler bereitgestellt Dabei handelte es sich zum grossen Teil um Land das durch Tod und Abwanderung wahrend der Hungersnot entvolkert war Als sich in den nachfolgenden Jahrzehnten die Bevolkerung Zentralkenias von den Verlusten erholte wurde die Landknappheit zum bleibenden Problem das sich bis zum Ende der Kolonialzeit noch verscharfte 40 Ethnisierung der Beziehungen in Zentralkenia Bearbeiten Infolge der Hungersnot veranderten sich die Beziehungen unter den Gemeinschaften in Zentralkenia betrachtlich Kikuyu entwickelten eine zunehmend feindselige Haltung gegenuber Massai Diese hatten da sie in trockeneren Regionen lebten und besonders vom Hunger betroffen waren massiv im Gebiet der Kikuyu Embu und Mbeere im Hochland Vieh Frauen und Lebensmittel geraubt und dabei auch nicht vor Mord an Frauen und Kindern zuruckgeschreckt Da viele Massai als Hilfstruppen fur europaische Verwaltungsstationen arbeiteten hatten sie zudem an sogenannten Strafexpeditionen gegen Gruppen im Hochland teilgenommen bei denen ebenfalls grosse Mengen an Vieh und Lebensmitteln von den Europaern beschlagnahmt worden waren 41 nbsp Massai Krieger um 1900 in Kenia ein beliebtes Fotomotiv fur die mit der Eisenbahn ins Land kommenden Besucher Die hochgelegenen Regionen Kenias von Kikuyu und Embu Sprechern und Mbeere bewohnt waren zwar von der Hungersnot nicht direkt betroffen gewesen litten aber an ihren indirekten Auswirkungen Der Zustrom der Fluchtlinge erschien zunehmend als Gefahr da auch hier die Lebensmittel knapp wurden und die rasche Ausbreitung der Pocken als eine Folge der Migration gesehen wurde In Embu versuchten sich die Dorfer gegen die notleidenden Einwanderer zu schutzen Sie verboten den Zuzug und die Krankheit wurde mehr und mehr als eine ethnische Charaktereigenschaft der zuziehenden Massai und Kamba gewertet Auch die Verpfandung von Frauen die es in grossem Mass gegeben hatte fuhrte nach Verbesserung der allgemeinen Versorgungslage zu Spannungen Familien die Frauen verpfandet hatten waren daran interessiert sie wieder in ihre Haushalte einzugliedern um mit ihrer Arbeitskraft und ihrem reproduktiven Potential Gemeinschaften wieder aufzubauen Das gestaltete sich haufig sehr schwierig da die Frauen oft nur zogerlich zuruckgegeben wurden In vielen Fallen waren sie bereits verheiratet in anderen Fallen als Sklavinnen verkauft worden So entstand unter den Kamba und Massai die Ansicht die Hochlandgesellschaften besonders die der Kikuyu seien Frauenrauber die sich auf Kosten ihrer notleidenden Nachbarn bereichert hatten 42 Die Hungersnot im kollektiven Gedachtnis BearbeitenDie Europaer waren zwar entsetzt uber die Ausmasse der Hungersnot sahen in ihr aber eher eine der vielen Katastrophen unter denen Afrikaner bis zur Etablierung der Kolonialherrschaft gewohnlich zu leiden hatten Die tatsachliche Bedeutung der Hungersnot fur die afrikanische Bevolkerung wurde erst in wissenschaftlichen Untersuchungen ab etwa 1950 erkannt Die Anthropologin Gretha Kershaw der kenianische Historiker Godfrey Muriuki und der amerikanische Historiker Charles Ambler die fur ihre Untersuchungen ausfuhrliche Interviews und Feldforschungen in Kenia durchfuhrten machten durch ihre Forschungen offenbar welches Trauma die Hungersnot in der kenianischen Bevolkerung ausgelost hatte In Zentralkenia ging man davon aus dass Wohlergehen ebenso wie Ubel von den Ahnen als Strafe oder Unterstutzung gesandt wurden So wurde auch die Hungersnot als Zeichen der Vergeltung fur ein begangenes Unrecht verstanden Die Errichtung der Kolonialherrschaft der Bau der Eisenbahn und die damit zunehmende Prasenz von Weissen in Zentralkenia die zeitlich mit der Hungersnot zusammenfielen sah man deshalb vorerst nicht als ein politisches Ereignis Man verstand sie eher ebenso wie die Hungersnot die Rinderpest den ausbleibenden Regen und die Pocken als Teil einer universellen Krise und Abrechnung deren Ursachen in eigenem Verschulden lagen Selbst Jahrzehnte nach der Hungersnot sprachen die Uberlebenden nur widerwillig und zogerlich uber ihre Erlebnisse wahrend dieser Zeit Mit Schrecken erinnerte man sich nicht nur an die personlichen Leiden sondern auch an die Zerschlagung der sozialen Ordnung und an die Macht der Ahnen uber die Lebenden 43 Bis heute ist die schwere Zeit dieser Hungersnot im kollektiven Gedachtnis der Kenianer verankert Bei den Kikuyu wird sie als Ng aragu ya Ruraya Der grosse Hunger 44 bezeichnet in den kambasprachigen Gebieten als Yua ya Ngomanisye Der Hunger der uberall hinkam oder auch Der grenzenlose Hunger 45 Quellen BearbeitenJohn Boyes King of the Wa Kikuyu A True Story of Travel and Adventure in Africa London 1911 Kenya Land Commission Kenya Land Commission Report 3 Bande Nairobi 1934 Paul Sullivan Hrsg Francis Hall s letters from East Africa to his Father Lt Colonel Edward Hall 1892 1901 Dar es Salaam 2006 Rachel S Watt In the Heart of Savagedom London 1913 Literatur BearbeitenCharles H Ambler Kenyan Communities in the Age of Imperialism The Central Region in the Late Nineteenth Century New Haven amp London 1988 Greet Kershaw Mau Mau from Below Athen 1997 Godfrey Muriuki A History of the Kikuyu 1500 1900 Nairobi 1974 Bethwell A Ogot Hrsg Ecology and History in East Africa Nairobi 1979 Einzelnachweise Bearbeiten Charles H Ambler Kenyan Communities in the Age of Imperialism The Central Region in the Late Nineteenth Century New Haven amp London 1988 S 5 Ambler Kenyan Communities S 4 f Godfrey Muriuki A History of the Kikuyu 1500 1900 Nairobi 1974 Ambler Kenyan Communities S 50 72 Marcia Wright Societies and Economies in Kenya 1870 1902 in Bethwell A Ogot Hrsg Ecology and History in East Africa Nairobi 1979 S 179 194 Mike Davis Die Geburt der Dritten Welt Hungerkatastrophen und Massenvernichtung im imperialistischen Zeitalter Assoziation A 2005 ISBN 978 3 935936 43 9 S 205 208 268 Ambler Kenyan Communities S 96 122 Ambler Kenyan Communities S 96 f Richard Waller The Massai and the British 1895 1905 The Origins of an Alliance in Journal of African History 17 1976 S 529 553 Christine Stephanie Nicholls Red Strangers The White Tribe of Kenya S 3 8 11 15 17 Kenya Land Commission Kenya Land Commission Report Nairobi 1934 Band 1 S 865 The terrors of this were greatly intensified by the fact that about that time an enormous safari with Nubians troops marched right through the Kikuyu country The agents of the food contractor bought up quantities of grain for what seemed to the unfortunate sellers magnificent returns of brass wire Amerikani and beads But it spelt disaster for them because when at last after two futile plantings if not three a sufficiency of rain did come to produce crops there was hardly any grain left in the granaries to put in the soil Kershaw Mau Mau S 74 75 Ambler Kenyan Communities S 135 Ambler Kenyan Communities S 124 126 Ambler Kenyan Communities S 127 128 John Boyes King of the Wa Kikuyu A true Story of Travel and Adventure in Africa London 1911 S 248 Ambler Kenyan Communities S 127 133 Ambler Kenyan Communities S 134 137 Ambler Kenyan Communities S 144 146 Ambler Kenyan Communities S 144 146 John Boyes King of the Wa Kikuyu S 248 Some of my men heard gruesome tales of men killing and eating each other in their desperation at the lack of food Paul Sullivan Hrsg Francis Hall s letters from East Africa to his Father Lt Colonel Edward Hall 1892 1901 Dar es Salaam 2006 S 148 Rachel S Watt In the Heart of Savagedom London 1913 S 309 No matter where one went corpses strewed the tracks Little skeleton babies were found crying by the dead bodies of their mothers Ambler Kenyan Communities S 146 Ambler Kenyan Communities S 141 Muriuki History S 156 Ambler Kenyan Communities S 123 139f Ambler Kenyan Communities S 147 Ambler Kenyan Communities S 149 Gretha Kershaw The Land is the People A Study of Kikuyu Social Organization in Historical Perspective Chicago 1972 S 171 Sullivan Francis Hall S 152 What with famine amp smallpox we are burying 6 or 8 a day One can t go for a walk without failing over corpses Boyes King of the Wa Kikuyu S 248 Muriuki History S 155 Ambler Kenyan Communities S 143 Zitat von Rumbold Bladen Taylor aus Kenya Land Commission Evidence Bd 1 S 754 In 1899 when I went up the line I could not get as far as Limuru The railway line was a mass of corpses Kershaw Mau Mau S 84 Aus einem Interview mit Charles Ambler in Kenyan Communities S 151 After the famine a season came when people planted millet and it came up very well But you could not walk in the fields because of the corpses of those who had died You would see a pumpkin or a gourd but you couldn t get to them because they were on top of the bodies of people Ambler Kenyan Communities S 151 Ambler Kenyan Communities S 148 149 Kershaw Mau Mau S 85 89 Siehe Kenya Land Commission Kenya Land Commission Report Nairobi 1934 Kershaw Mau Mau S 83 Zitiert nach Ambler Kenyan Communities S 148 149 A marvelous opportunity for getting the gospel into the hearts of these people Ambler Kenyan Communities S 152 154 Muriuki History of Kikuyu S 173 Muriuki History of the Kikuyu S 88 Ambler Kenyan Communities S 148 150 Ambler Kenyan Communities S 3 145 Kershaw Land is the People S 170 174 Greet Kershaw Mau Mau from Below Athen 1997 S 17 Muriuki History S 155 Ambler Kenyan Communities S 122 nbsp Dieser Artikel wurde am 21 Mai 2010 in dieser Version in die Liste der exzellenten Artikel aufgenommen Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Hungersnot in Zentralkenia 1899 amp oldid 226821433