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Geschlecht und Charakter ist ein Buch des osterreichischen Philosophen Otto Weininger Der 23 Jahrige veroffentlichte es im Mai 1903 kurz vor seinem Suizid Es gilt als sein Hauptwerk und zahlt zu den klassischen Dokumenten der Wiener Moderne Geschlecht und Charakter Erstausgabe 1903Otto Weininger 1903 Frontispiz der 3 Auflage von Geschlecht und Charakter 1904 Heliogravure von Richard Paulussen Wien mit faksimilierter Unterschrift Inhaltsverzeichnis 1 Entstehung 2 Inhalt 2 1 Mann und Frau 2 2 Theorie der Bisexualitat 2 3 Frauenbewegung 3 Wirkung 4 Vorstufen und Ausgaben 5 EinzelnachweiseEntstehung BearbeitenIm Archiv der Osterreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien wurden in den 1980er Jahren zwei versiegelte Pakete aufgefunden die Otto Weininger im Fruhsommer 1901 und Fruhjahr 1902 zur Wahrung der Prioritat seiner Ideen dort hinterlegt hatte Titel waren Eros und Psyche Biologisch psychologische Studie und Zur Theorie des Lebens Diese beiden Werke sind die Urfassungen von Weiningers Buch Geschlecht und Charakter 1 Bereits im Herbst 1901 bemuhte sich Otto Weininger um die Drucklegung seiner Arbeit Eros und Psyche die er im Jahr 1902 seinen Professoren Friedrich Jodl und Laurenz Mullner als Dissertation vorlegte Es kam zu einem Zusammentreffen mit Sigmund Freud doch dieser empfahl das Werk nicht wie erhofft einem Verleger Weiningers Dissertation wurde von seinen Professoren angenommen er wurde Doktor der Philosophie Nach Monaten konzentrierter Arbeit erschien im Juni 1903 Geschlecht und Charakter Eine prinzipielle Untersuchung die das Verhaltnis der Geschlechter in ein neues Licht zu rucken wunschte im Wiener Verlagshaus Braumuller amp Co Es war dies der Text von Weiningers Doktorarbeit um drei entscheidende Kapitel erweitert Das Wesen des Weibes und sein Sinn im Universum Das Judentum und Das Weib und die Menschheit in denen sich Weiningers Tendenzen zum Antisemitismus zur Misogynie und zur unbeherrschten Metaphysik entfalteten 2 Das Buch wurde zwar nicht ablehnend aufgenommen doch die von Weininger erwartete und erhoffte Sensation blieb aus Am 3 Oktober 1903 starb Weininger in Wien in Beethovens Sterbehaus in der Schwarzspanierstrasse durch Suizid Inhalt Bearbeiten nbsp Titelblatt der Erstausgabe von 1903In seinem Hauptwerk offenbarte Otto Weininger eine trotz seiner judischen Abstammung scharf ablehnende Haltung alles Judischen und erwies sich zugleich als Verfechter einer frauen und korperfeindlichen Geisteshaltung Die Werte hoheren Lebens seien der Frau ebenso unzuganglich wie die Welt der Ideen Je weiblicher das Weib desto mehr verkorpere es eine rein geistlose Geilheit Erst durch den Mann empfange die Frau ein Leben aus zweiter Hand 3 Weininger verbindet dies mit antisemitischen Ansichten Der Jude behauptet er sei auf Grund seines weiblichen Wesenskerns stets lustern und geil der geborene Kommunist von Natur aus ein Kuppler und nicht eigentlich fromm da er gar nicht glauben konne Dennoch dammere eine kleine Hoffnung Die judische Nicht Existenz sei Zustand vor dem Sein und daher mussten die Juden gegen sich kampfen innerlich das Judentum in sich besiegen um Menschen also Manner zu werden Auch Jesus Christus war ein Jude aber nur um das Judentum in sich am vollstandigsten zu uberwinden Daher ist er der grosste Mensch der seine besondere Erbsunde namlich Jude zu sein durch die vollkommene Negation seines Wesens besiegt hatte Weininger versteht den Juden dabei als mannlichen Juden die Judin wird nur in einer Passage in seinem Text erwahnt 4 Das Judentum verbindet Weininger explizit mit Weiblichkeit das Christentum hingegen mit Mannlichkeit 5 Daraus leitete er die Gleichung ab dass der Jude ein Weib sei Da beide Frauen und Juden nur Sexualitat nur Korper und Materie seien bar jeden Geistes jeder Seele und jeder Sittlichkeit und unfahig zur sexuellen Askese stellten sie eine Bedrohung dar Die Gesellschaft musse laut Weininger die weiblichen Elemente uberwinden und sich an mannlichen orientieren Er fordert eine neue Menschheit die auf einer neuen Mannlichkeit konstruiert sein soll Eine Ubereinstimmung von Mannlichkeit und Gesellschaftsordnung wird postuliert Satze wie Der Phallus ist das Schicksal des Weibes Der tiefststehende Mann steht noch unendlich hoch uber dem hochststehenden Weibe Der Jude singt nicht Der absolute Jude aber ist seelenlos Alle Fecondite ist nur ekelhaft Reisen ist unsittlich gehoren zu den Bauelementen seines Gedankengerustes 6 Dem neuen Judentum entgegen drangt ein neues Christentum zum Lichte die Menschheit harrt des neuen Religionsstifters und der Kampf drangt zur Entscheidung wie im Jahre eins Zwischen Judentum und Christentum zwischen Geschaft und Kultur zwischen Weib und Mann zwischen Gattung und Personlichkeit zwischen Unwert und Wert zwischen irdischem und hoherem Leben zwischen dem Nichts und der Gottheit hat abermals die Menschheit die Wahl Das sind die beiden Pole es gibt kein Drittes Reich Weininger in Geschlecht und Charakter Mann und Frau Bearbeiten Weininger widmete Geschlecht und Charakter der theoretischen und praktischen Losung der Frauenfrage 7 Sein Werk trat mit einem universalen Deutungsanspruch auf Im Mittelpunkt steht der Geschlechtsunterschied zwischen Mann und Frau 8 Die beiden Pole zwischen die das Weltbild Weiningers in seinem Buch gespannt ist heissen der Mann und das Weib Das Buch ist auf dem Geschlechtergegensatz aufgebaut Daraus wachst eine dualistische Philosophie die sich in den Dienst einer Sexualmythologie stellt 9 Weininger versuchte sich an der Definition des Mannlichen und Weiblichen und zwar vor dem Hintergrund der Annahme dass in allen lebenden Dingen ein Anteil von beiden zu finden sei Niemals komme weiblich oder mannlich in Reinform vor sondern stets in Mischung Weininger platzierte das Mannliche an einem Ende einer Skala In der Vorstellung von Weib und Trieb einerseits und Mann und Geist andererseits ordnete er der Frau eine seelische und sittliche Minderwertigkeit am anderen Ende der Skala zu 10 In seinem Kapitel uber das Wesen des Weibes und sein Sinn im Universum schreibt Weininger der reine Mann sei das Ebenbild Gottes des absoluten Etwas das Weib auch das Weib im Manne ist das Symbol des Nichts das ist die Bedeutung des Weibes im Universum und so erganzen und bedingen sich Mann und Weib Frauen beschreibt er durch eine Aufzahlung von Mangeln Frauen hatten kein Ego keine Seele keine Moral keine Gedanken sie seien zu keiner geistigen Orientierung und schopferischen Produktivitat fahig sie haben keine Existenz und keine Essenz sie sind nicht sie sind nichts 8 Frauen erhielten Existenz erst indem der Mann seine eigene Sexualitat bejaht so Weininger Verneint der Mann seine Sexualitat was Weininger als Heilmittel ansieht dann verschwinde die Frau und mit ihr das Judentum das Weininger mit Weiblichkeit gleichsetzt 8 Stabile Mannlichkeit ist laut Weininger nur durch die Negierung des Weiblichen zu erreichen denn die tiefste Furcht im Manne ist die Furcht vor dem Weibe die Furcht vor dem lockenden Abgrund des Nichts 8 Theorie der Bisexualitat Bearbeiten In seiner Theorie der korperlichen und seelischen Bisexualitat knupft Weininger an eine lange Tradition an in der Androgynie als Natur des Menschen beschrieben wurde Selbst verweist er u a auf indische Mythen siehe Ardhanarishvara und das Gastmahl Platons Im 19 Jh waren Theorien korperlicher und seelischer Bisexualitat verbreitet Weininger arbeitet eine Theorie der Bisexualitat aus 11 Aufgestellt hatte die Theorie vor Weininger auch der Berliner Arzt Wilhelm Fliess der mit Sigmund Freud befreundet war und uber den Freud von dieser Idee Kenntnis erhielt worauf ein Prioritatenstreit unter den beiden Wissenschaftlern ausbrach 12 Weininger geht davon aus dass jeder Mensch bisexuelle Anlagen in sich tragt Alle Eigentumlichkeiten des mannlichen Geschlechts sind irgendwie wenn auch noch so schwach entwickelt auch beim weiblichen Geschlechte nachzuweisen und ebenso die Geschlechtscharaktere des Weibes auch beim Manne samtlich irgendwie vorhanden wenn auch noch so zuruckgeblieben in ihrer Ausbildung 13 Den idealen Mann und das ideale Weib sieht Weininger als Idealtypen die es in der Wirklichkeit nicht gibt 14 Vielmehr gebe es unzahlige Abstufungen und sexuelle Zwischenformen zwischen den Geschlechtern Und ebenso gibt es nur alle moglichen vermittelnden Stufen zwischen dem vollkommenen Manne und dem vollkommenen Weibe Annaherungen an beide 15 Bei seinen Ausfuhrungen stutzt sich Weininger auf die Embryologie die eine geschlechtliche Undifferenziertheit der ersten embryonalen Anlage des Menschen der Pflanzen und der Tiere festgestellt habe 16 Jacques Le Rider kritisiert das Vorgehen Weiningers da dieser nur solche Forschungsergebnisse zitiere die seine These stutzen 17 Zum Beispiel fuhrt Weininger die Publikationen von Martin Rathke aus dem Jahr 1825 an und zitiert Aristoteles sowie Sprichworter und Redensarten Die Forschungsarbeiten von Gregor Mendel zum Thema Vererbung wie auch die Entdeckung der Chromosomen erwahnt er hingegen nicht Le Rider ist der Auffassung Das Wissen auf das sich sein Gesetz der Bisexualitat stutzt ist weitgehend uberholt 18 Aus seiner These der menschlichen Bisexualitat leitet Weininger das Gesetz des sexuellen Anziehung ab 19 Prozentuale Anteile der kontraren Geschlechtlichkeit erhielten sich bei Menschen zu verschiedenen Graden und aus den Erganzungsverhaltnissen ergaben sich die Gesetze der sexuellen Anziehung Jedes Individuum versuche dabei seinen unvollstandigen Prozentsatz von M oder W zu vervollstandigen In Abstraktion hiesse das dass immer ein ganzer Mann M und ein ganzes Weib W zueinander streben bzw ihr sexuelles Komplement suchen Besteht ein Mann also aus 3 4 M und 1 4 W so wird er von einer Frau angezogen die sich aus 1 4 M und 3 4 W zusammensetzt und umgekehrt Statt die Moglichkeit der Freiheit von Geschlechterrollen und ihren Zwangen wahrzunehmen fordert Weininger aber deren Uberwindung Wie der Mann seine Anteile an W ausmerzen muss so gilt dasselbe auch fur die Frau Der Grad ihrer Emanzipation hangt ab vom Grad ihrer M Werdung Geschlecht und Charakter erreicht seinen Gipfel in den Formeln Das Weib besitzt kein Ich das Weib ist das Nichts In Weiningers letzten Tagebuchaufzeichnungen heisst es Der Hass gegen die Frau ist nichts anderes als der Hass gegen die eigene noch nicht uberwundene Sexualitat was zu Vermutungen uber eine Homosexualitat Anlass gegeben hat Frauenbewegung Bearbeiten Weininger verwendet seine Theorie der Bisexualitat um die Frauenbewegung zu erklaren Er ist der Auffassung dass das Emazipationsbedurfnis und die Emazipationsfahigkeit einer Frau nur in dem Anteile an M begrundet liegt den sie hat 20 Laut Weininger zeigt sich das Bedurfnis nach Befreiung und Gleichstellung mit dem Manne nur in mannlichen Frauen wohingegen der Idealtypus W keinerlei Bedurfnis nach der Emanzipation empfindet 21 Jedoch hat nach Weiningers Auffassung sogar das mannlichste Femininum nicht mehr als 50 an M dem das Femininum seine ganze Bedeutung verdanke 22 Die Frauenbewegungen sieht Weininger als Ergebnis rekurrierender Phasen in der Geschichte in welchen mannliche Frauen und weibliche Manner geboren wurden 23 Er spricht sich gegen die Frauenbewegung aus die Frauen zum Studieren Schreiben usw verleitet das Bildungsstreben induziert und das Frauenstudium in Mode gebracht habe 24 Aus diesem Grund fordert er die Abschaffung der Frauenbewegung Weg mit der Parteibildung weg mit der unwahren Revolutionierung weg mit der ganzen Frauenbewegung die in so vielen widernaturliches und kunstliches im Grunde verlogenes Streben schafft 25 Die Forderungen der Frauenrechtlerinnen nach dem aktiven und passiven Wahlrecht lehnt Weininger mit dem Argument ab dass man auch Kindern Schwachsinnigen Verbrechern kein politisches Mitspracherecht einraume und dass die Frau von einer Sache ferngehalten werden durfe von der lebhaft zu befurchten steht dass sie durch den weiblichen Einfluss nur konnte geschadigt werden 26 Wirkung Bearbeiten nbsp Geschlecht und Charakter 26 Auflage 1925 Weininger gelangte mit seinem Buch zu umstrittenem Ruhm fur geistesgestort hielt ihn die psychiatrische Fachwelt fur dubios die philosophische und fur genial die literarische Mit seiner prinzipiellen Untersuchung wurde er zum Inbegriff eines Weiberfeindes Judenhassers und Keuschheitsapostels 27 Eine grosse Leserschaft identifizierte sich mit seinen antifeministischen und antisemitischen Theorien 8 bis in die 1930er Jahre bezeugten immer neue Auflagen seinen Erfolg In Italien genoss Weininger u a bei Julius Evola und Giorgio de Chirico Anerkennung und seine Uberlegungen wurden von dem franzosischen Schriftsteller Paul Vogt in dessen Werk Le sexe faible 1908 imitiert 28 Oskar Kokoschka dramatisierte die Schrift in seinem Einakter Morder Hoffnung der Frauen Manche Ideen Weiningers wurden von Karl Kraus und August Strindberg aufgegriffen und beeinflussten massgeblich das Werk von Elias Canetti Robert Musil Georg Trakl und Ludwig Wittgenstein und damit nachhaltig die osterreichische Geistesgeschichte Die Ausfuhrungen Weiningers zum Judentum bilden innerhalb der Geschichte des modernen Antisemitismus eine der literarisch wirkungsvollsten Versionen judenfeindlicher Ideologie In seiner Beschreibung des Juden wahlt er Kategorien ausserster Negativitat Stereotype aus der antisemitischen Propaganda ubernommene Urteile werden herangezogen um das Judentum gegenuber dem Christentum zu kennzeichnen Dabei appelliert Weininger durch seine Formulierungen haufig an antisemitische Ressentiments So gehore das Judentum zu den wichtigsten Storfaktoren der gesellschaftlichen Ordnung Das Christentum stelle demgegenuber die absolute Negation des Judentums dar Obwohl es im Wien des Fin de siecle immer wieder Juden gab die sich von ihrer Religion abwandten dieses Phanomen konnte auch bei anderen Religionen dokumentiert werden enthielt Geschlecht und Charakter doch besonders starke auch durch den Vater mitbeeinflusste antisemitische Tendenzen Weininger sah seine Zeit nicht nur als die judischeste sondern auch die weibischeste aller Zeiten Er nannte sie die Zeit des leichtglaubigsten Anarchismus die Zeit ohne Sinn fur Staat und Recht Zur Zeit der Veroffentlichung des Buches war ein Diskurs uber eine angebliche Verweiblichung und Nervositat von Mannern in Osterreich besonders ausgepragt Es wurde angenommen dass diese Nervenschwache weibische Manner und mannische Frauen hervorbringe und nur durch besonders mannliche Handlungen auf nationaler z B Krieg und privater Ebene z B durch Eroberung des weiblichen Korpers uberwunden werden konne Juden wurden dabei als besonders nervenschwach und verweiblicht wahrgenommen Diese Krise der Mannlichkeit fand laut Ernst Hanisch in Geschlecht und Charakter ihren starksten und einflussreichsten Ausdruck 29 Hanisch ist der Ansicht Weiningers Werk konne als verzweifelter mannlicher Hilfeschrei verstanden werden als Ausdruck der Urangst vor der Frau als ein einziger Protest gegen die Verweiblichung letztlich als Eingestandnis der Schwache 29 Wahrend es neun Jahre dauerte bis die 600 Exemplare der ersten Auflage von Sigmund Freuds Traumdeutung erschienen 1900 verkauft waren erschien die zweite Auflage von Geschlecht und Charakter bereits im November 1903 einen Monat nach Weiningers Selbstmord und die dritte im Januar 1904 Drei weitere Auflagen wurden 1904 gedruckt In Deutschland und Osterreich wurde das Buch zum Bestseller Zwischen 1903 und 1912 erschienen zwolf der insgesamt 28 Auflagen des Werks alle im Braumuller Verlag 30 Der Braumuller Verlag druckte eigene Werbeprospekte mit zahlreichen Huldigungen darunter die von Karl Kraus dem Herausgeber der Fackel der an der Spitze der Weininger Anhangerschaft stand Ein Frauenverehrer stimmt den Argumenten seiner Frauenverachtung begeistert zu Kraus widmete Weininger auch einen Nachruf in dem er schrieb Dieser Selbstmord war in einem Anfall von geistiger Klarheit begangen Weininger hatte Grunde metaphysische und religiose im Beginn einer grossen Laufbahn das Leben wegzuwerfen Die Liste der Verehrer und Bewunderer ist lang und beinhaltet u a Arthur Trebitsch Alfred Kubin Elias Canetti Walter Serner Heimito von Doderer Georg Simmel Henri Bergson Fritz Mauthner Ernst Mach und Alois Hofler setzten sich in Kollegs und Gegenschriften mit Weiningers Gedanken auseinander Die Kunstsammlerin und Literatin Gertrude Stein las Weininger in englischer Ubersetzung und drangte vielen ihrer Freunde das Werk auf beinahe als sei es ein Handbuch fur ihre eigenen Ansichten Ernst Bloch nannte Weiningers Buch eine einzige Anti Utopie des Weibes der Schriftsteller Karl Bleibtreu meinte Weiningers Tod sei im Grunde eine hohnische Absage an unser Zeitalter gewesen und schrieb Philosophische Gewissheit der Unsterblichkeit jeder Seelenmonade kann dazu verfuhren lieber sofort das unbekannte Land jenseits der Bewusstseinsschwelle aufzusuchen als sich langer in unsrer Kleinlichkeit und Niedrigkeit herumzuschlagen Sigmund Freud schrieb 1909 uber Geschlecht und Charakter Der Kastrationskomplex ist die tiefste unbewusste Wurzel des Antisemitismus Auch die Uberhebung uber das Weib hat keine starkere unbewusste Wurzel Weininger hat in einem vielbemerkten Kapitel den Juden und das Weib mit der gleichen Feindschaft bedacht und mit den namlichen Schmahungen uberhauft Weininger stand als Neurotiker vollig unter der Herrschaft infantiler Komplexe die Beziehung zum Kastrationskomplex ist das dem Juden und dem Weibe dort Gemeinsame 31 32 Theodor Lessing kritisierte 1930 in seinem Buch Der judische Selbsthass in einer Fallstudie uber Weininger dessen wildbewegtes Buch und dessen Lehre welche doch nichts ist als ein tolles Naturspiel von krankhafter Verstiegenheit und von brutaler Willkur Ich meine die krude und rude Lehre vom Judentum Sie sei der Schlussel zu dem ungeheuren Schicksal eines tragischen Selbsthasses schreibt Lessing und bezeichnet Weininger als judischen Odipus und herakliteische Natur in einem 33 Der Philosoph Ludwig Wittgenstein verteidigte ihn 1931 gegenuber George Edward Moore Es stimmt er ist verschroben aber er ist grossartig und verschroben Sein gewaltiger Irrtum der ist grossartig Der Nationalsozialismus beendete den Siegeszug des Buches Geschlecht und Charakter wurde verboten da sein Autor Jude war In den langen Monologen im Fuhrerhauptquartier Wolfsschanze erzahlte Adolf Hitler eines Abends sein Munchner Freund Dietrich Eckart habe ihm versichert es gabe nur einen anstandigen Juden den Otto Weininger der sich das Leben genommen hat als er erkannte dass der Jude von der Zersetzung anderen Volkstums lebt 34 Im faschistischen Italien fungierte Sesso e Carattere als Kriegsmaschine gegen die judisch entartete Psychoanalyse An der Universitat Bologna wurde zur Zeit des Faschismus uber Weininger gelesen Julius Evola setzte Weininger in Metafisica del sesso als Abschirmung gegen Freud ein Weininger hat mir viele Dinge klargemacht ausserte Benito Mussolini gegenuber Emil Ludwig Danach geriet Weiningers Buch in Vergessenheit die Wiederentdeckung begann erst in Italien im Kreis der nuova destra dann auch in Frankreich 1980 veroffentlichte der Munchner Verlag Matthes amp Seitz einen Nachdruck von Geschlecht und Charakter das von zahlreichen Rezensionen begleitet wurde Nike Wagner ist der Ansicht aus dem Traktat uber die Weiber sei ein Dokument zum Verstandnis von Mannerangsten und Mannerwunschen geworden ein Dokument das die Emanzipation des Mannes noch dringlicher nahelegt als die der Frau Jacques Le Rider schrieb 1985 in seinem Buch Der Fall Otto Weininger Wurzeln des Antifeminismus und Antisemitismus Weiningers Buch erscheint als die Vollendung eines Jahrhunderts der Gegenaufklarung die um die Jahrhundertwende vor allem in Wien ihren Hohepunkt erreicht wo sich die Frau starker als je zuvor der Unterdruckung durch die patriarchalische Familie ausgeliefert sieht und der Antisemitismus von der Biologie gestutzt wird 35 Vorstufen und Ausgaben BearbeitenEros und Psyche Biologisch psychologische Studie Manuskript hinterlegt in der Akademie der Wissenschaften in Wien am 4 Juni 1901 zur Wahrung der Prioritat versiegeltes Schreiben No 376 Zur Theorie des Lebens Manuskript hinterlegt in der Akademie der Wissenschaften in Wien am 1 April 1902 zur Wahrung der Prioritat versiegeltes Schreiben No 390 Unterschied zwischen Ich Menschen und Weltmenschen Auszuge aus Zur Theorie des Lebens mit einem Vorwort von Hannelore Rodlauer Zur Entdeckung unbekannter Manuskripte aus Weiningers Studienzeit in Weiningers Nacht Europa Verlag Wien 1988 Eros und Psyche Studien und Briefe 1899 1902 Hg Hannelore Rodlauer Sitzungsberichte der philosophisch historische Klasse der Osterreichischen Akademie der Wissenschaften Wien 1990 Uber Eros und Psyche Dissertation Wien 1902 verschollen Geschlecht und Charakter Eine prinzipielle Untersuchung Wilhelm Braumuller Wien Leipzig 1903 zweite mehrfach verbesserte Auflage mit einem Vorwort von Arthur Gerber dat November 1903 1904 noch 1903 erschienen dritte mit der zweiten gleichlautende Auflage ohne Vorwort von Gerber mit dem Bildnisse des Verfassers in Heliogravure 1904 10 unv Aufl 1908 im archive org 11 unv Aufl 1909 Nachdruck im Anhang Weiningers Tagebuch Briefe August Strindbergs sowie Beitrage aus heutiger Sicht Matthes amp Seitz Munchen 1980 amp 1997 ISBN 3 88221 312 4 Einzelnachweise Bearbeiten Hannelore Rodlauer Von Eros und Psyche zu Geschlecht und Charakter Verlag der osterreichischen Akademie der Wissenschaften Wien 1987 Otto Weininger Werk und Wirkung Herausgegeben von Jacques Le Rider u Norbert Leser Wien 1984 Hannelore Schroder Anti semitism and Anti feminism Again The Dissemination of Otto Weininger s Sex and Character in the Seventies and Eighties In Erik C W Krabbe Renee Jose Dalitz Pier A Smit Hrsg Empirical logic and public debate essays in honour of Else M Barth Radopi Amsterdam 1993 ISBN 978 90 5183 592 2 S 305 318 Ann Pellegrini Whiteface Performances Race Gender and Jewish Bodies Jonathan Boyarin Daniel Boyarin Hrsg Jews and Other Differences The New Jewish Cultural Studies University of Minnesota Press Minneapolis 1997 ISBN 0 8166 2750 9 S 109 Maria Irod Antisemitism Antifeminism and the Crisis of German Culture in Early 20th Century In Studia Hebraica 9 10 2010 2010 S 330 339 Joachim Riedl Weib Jude Ich Weg mit allem In Die Zeit 6 Dezember 1985 Auch in Weiningers Nacht Europa Verlag Wien 1988 Otto Weininger Geschlecht und Charakter Eine prinzipielle Untersuchung Sarastro 2012 ISBN 978 3 86471 207 4 S 79 a b c d e Misha Kavka The Alluring Abyss of Nothingness Misogyny and Male Hysteria in Otto Weininger In New German Critique 66 Nr 3 Herbst 1995 S 123 145 doi 10 2307 488590 Nike Wagner Geschlecht und Charakter Die Zeit Nr 48 Hamburg 21 November 1980 ungekurzt in Weiningers Nacht Europa Verlag Wien 1988 Nancy A Harrowitz und Barbara Hyams Jews amp Gender Responses to Otto Weininger Temple University Press Philadelphia 1995 ISBN 978 1 56639 248 8 S 3 Heinz Jurgen Voss Making Sex Revisited Dekonstruktion des Geschlechts aus biologisch medizinischer Perspektive Transcript Verlag Bielefeld 2010 Jacques Le Rider Otto Weininger als Anti Freud in Traum und Wirklichkeit Ausstellungskatalog Wien 1985 Weininger Geschlecht und Charakter S 8 Weininger Geschlecht und Charakter S 9 Weininger Geschlecht und Charakter S 9 f Weininger Geschlecht und Charakter S 7 Jacques Le Rider Der Fall Otto Weininger Wurzeln des Antifeminismus und Antisemitismus Locker Wien 1985 ISBN 978 3 85409 054 0 S 67 Le Rider Der Fall Otto Weininger S 68 Weininger Geschlecht und Charakter S 34 ff Weininger Geschlecht und Charakter S 80 Weininger Geschlecht und Charakter S 87 Weininger Geschlecht und Charakter S 88 Weininger Geschlecht und Charakter S 90 f Weininger Geschlecht und Charakter S 87 Weininger Geschlecht und Charakter S 87 f Weininger Geschlecht und Charakter S 461 Nike Wagner Geschlecht und Charakter ungekurzt in Weiningers Nacht Europa Verlag Wien 1988 George L Mosse The Image of Man The Creation of Modern Masculinity Oxford University Press New York 2006 ISBN 978 0 19 510101 0 S 103 a b Ernst Hanisch Das Konstrastbild Der nervose der verweiblichte Mann In Mannlichkeiten eine andere Geschichte des 20 Jahrhunderts Bohlau Wien 2005 ISBN 978 3 205 77314 6 S 26 28 Jacques Le Rider Der Fall Otto Weininger Wurzeln des Antifeminismus und Antisemitismus Locker Wien 1985 ISBN 978 3 85409 054 0 S 50 Sigmund Freud Analyse der Phobie eines funfjahrigen Knaben 1909 S 21 Anmerkung 15 Jean Radord The Woman and the Jew Sex and Modernity In European Judaism 29 Nr 1 Fruhling 1996 S 75 87 Theodor Lessing Der judische Selbsthass Matthes amp Seitz Munchen 1984 Erstausgabe 1930 ISBN 978 3 88221 347 8 S 81 Adolf Hitler Monologe im Fuhrerhauptquartier 1941 1944 Hg Werner Lochmann Hamburg 1980 Jacques Le Rider Der Fall Otto Weininger Wurzeln des Antifeminismus und Antisemitismus Locker Wien 1985 ISBN 978 3 85409 054 0 S 122 Normdaten Werk GND 4281154 5 lobid OGND AKS VIAF 216351043 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Geschlecht und Charakter amp oldid 238605287