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Die deskriptive Mengenlehre ist ein Teilgebiet der Mengenlehre das sich mit Eigenschaften definierbarer Mengen befasst Die Grundidee besteht darin ausgehend von einfachen Mengen durch gewisse Bildungsgesetze kompliziertere Mengen zu konstruieren und deren Eigenschaften zu untersuchen Die in der mathematischen Praxis vorkommenden Mengen lassen sich in der Regel auf diese Weise gewinnen Hier stehen zunachst Teilmengen reeller Zahlen wie offene Mengen Gd Mengen Borelmengen und daraus abgeleitete Mengenhierarchien im Vordergrund die mengentheoretischen topologischen oder masstheoretischen Eigenschaften konnen aber ebenso gut in allgemeinen polnischen Raumen untersucht werden wobei der zur Menge der irrationalen Zahlen homoomorphe Baire Raum eine besondere Rolle spielt Inhaltsverzeichnis 1 Historische Anfange 2 Hierarchien 2 1 Borel Hierarchie 2 2 Projektive Hierarchie 2 3 k Suslin Mengen 3 Regularitatseigenschaften 4 Weitere Fragestellungen 5 Anwendungsbereiche 6 Literatur 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseHistorische Anfange BearbeitenEine wichtige Fragestellung der Mengenlehre war von Anfang an das Problem der Machtigkeit des Kontinuums das heisst der Menge der reellen Zahlen Die Kontinuumshypothese wonach es zwischen der Machtigkeit abzahlbar unendlicher Mengen und der Machtigkeit des Kontinuums keine weiteren Machtigkeiten gibt hat sich durch die Arbeiten Godels und Cohens als weder beweisbar noch widerlegbar herausgestellt Das schliesst naturlich nicht aus dass man fur gewisse Typen von Teilmengen des Kontinuums zeigen kann dass sie im uberabzahlbaren Fall automatisch die Machtigkeit des Kontinuums haben man sagt dann dass dieser Typ von Mengen die Kontinuumshypothese erfullt Besonders einfach ist das fur offene Mengen in R displaystyle mathbb R nbsp denn diese sind Vereinigungen offener Intervalle Eine offene Menge ist daher entweder leer oder enthalt ein offenes Intervall und ist damit gleichmachtig zu R displaystyle mathbb R nbsp die offenen Mengen genugen also der Kontinuumshypothese Fur abgeschlossene Mengen also fur die Komplemente der offenen Mengen ist das schon etwas schwieriger Ein sehr fruhes Resultat in dieser Richtung ergibt sich aus dem Satz von Cantor Bendixson in der Tat genugen auch die abgeschlossenen Mengen der Kontinuumshypothese Baire hatte bereits 1899 die heute sogenannten Baire Funktionen eingefuhrt dabei handelt es sich um die kleinste Menge von Funktionen auf R displaystyle mathbb R nbsp oder auf anderen polnischen Raumen die alle stetigen Funktionen enthalt und unter punktweiser Konvergenz abgeschlossen ist Lebesgue charakterisierte diese 1905 als sogenannte analytisch darstellbar das heisst als kleinste Menge von Funktionen die alle Konstanten und alle Projektionen x 1 x n x i displaystyle x 1 ldots x n mapsto x i nbsp enthalt und unter Summen Produkten und punktweiser Konvergenz abgeschlossen ist In diesem Zusammenhang fuhrte er die Borelmengen ein und behauptete in einem Lemma dass Projektionen von Borelmengen wieder solche seien Dass dies aber falsch ist war Suslin aufgefallen woraus sich der Begriff der analytischen Menge entwickelte Auch fur analytische Mengen konnte gezeigt werden dass sie die Kontinuumshypothese erfullen Fur grossere Klassen die sich mittels gewisser Bildungsgesetze aus den analytischen gewinnen und sich in sogenannten Hierarchien anordnen lassen bleibt die Frage offen 1 Der Zweig der effektiven deskriptiven Mengenlehre geht massgeblich auf Entwicklungen Stephen Cole Kleene zuruck etwa die Entwicklung der arithmetischen Hierarchie die Verbindungen zur klassischen deskriptiven Mengenlehre wurden jedoch erst spater aufgezeigt 2 Hierarchien BearbeitenDie folgenden Ausfuhrungen sollen einen ersten Eindruck uber das Forschungsgebiet der deskriptiven Mengenlehre geben Borel Hierarchie Bearbeiten Hauptartikel Borel Hierarchie Ausgangspunkt der Borel Hierarchie ist die Klasse der offenen Mengen in R displaystyle mathbb R nbsp oder allgemeiner in einem perfekten polnischen Raum X displaystyle X nbsp die Klasse der offenen Mengen werde mit S 1 0 displaystyle Sigma 1 0 nbsp bezeichnet Ist w displaystyle omega nbsp die Menge der naturlichen Zahlen mit der diskreten Topologie so ist X w displaystyle X times omega nbsp wieder ein polnischer Raum S 2 0 displaystyle Sigma 2 0 nbsp wird nun definiert als die Menge aller Projektionen von Komplementen von S 1 0 displaystyle Sigma 1 0 nbsp aus X w displaystyle X times omega nbsp auf die erste Komponente X displaystyle X nbsp das heisst S 2 0 displaystyle Sigma 2 0 nbsp besteht aus allen Mengen der Form p 1 A displaystyle p 1 A nbsp wobei X w A displaystyle X times omega setminus A nbsp eine S 1 0 displaystyle Sigma 1 0 nbsp Menge also eine offene Menge ist und p 1 X w X displaystyle p 1 colon X times omega rightarrow X nbsp die Projektion auf die erste Komponente ist Dieses Verfahren kann man iterieren indem man S n 1 0 displaystyle Sigma n 1 0 nbsp als die Klasse aller Mengen der Form p 1 A displaystyle p 1 A nbsp definiert wobei A displaystyle A nbsp alle Teilmengen von X w displaystyle X times omega nbsp durchlauft deren Komplemente S n 0 displaystyle Sigma n 0 nbsp Mengen sind Die Komplemente von S n 0 displaystyle Sigma n 0 nbsp bilden die Klasse der P n 0 displaystyle Pi n 0 nbsp Mengen Die S 2 0 displaystyle Sigma 2 0 nbsp Mengen sind auch als F s displaystyle F sigma nbsp Mengen bekannt und deren Komplemente also die P 2 0 displaystyle Pi 2 0 nbsp Mengen als G d displaystyle G delta nbsp Mengen Insgesamt erhalt man mittels obiger Bildungsweise aufsteigende Klassen S 1 0 S 2 0 S 3 0 displaystyle Sigma 1 0 subset Sigma 2 0 subset Sigma 3 0 subset dotsb nbsp P 1 0 P 2 0 P 3 0 displaystyle Pi 1 0 subset Pi 2 0 subset Pi 3 0 subset dotsb nbsp und man kann zeigen dass diese Konstruktion nicht aus den Borelmengen herausfuhrt und dass zusatzlich S n 0 P n 1 0 displaystyle Sigma n 0 subset Pi n 1 0 nbsp und P n 0 S n 1 0 displaystyle Pi n 0 subset Sigma n 1 0 nbsp gilt Es stellt sich daher die Frage ob n N S n 0 n N P n 0 displaystyle textstyle bigcup n in mathbb N Sigma n 0 bigcup n in mathbb N Pi n 0 nbsp mit der Klasse aller Borelmengen ubereinstimmt Die Antwort lautet nein man muss obigen Bildungsprozess transfinit fortsetzen was sich mit dem Begriff der Ordinalzahl zwanglos durchfuhren lasst Es stellt sich dann heraus dass man diesen Prozess ℵ 1 displaystyle aleph 1 nbsp mal durchfuhren muss wobei ℵ 1 displaystyle aleph 1 nbsp die kleinste uberabzahlbare Ordinalzahl ist siehe auch Aleph Funktion um auf diese Weise alle Borelmengen zu erhalten Projektive Hierarchie Bearbeiten Hauptartikel Projektive Hierarchie Die projektive Hierarchie entsteht nach demselben Muster aus der Klasse der offenen Mengen lediglich der Raum w displaystyle omega nbsp wird durch den Baire Raum N w w displaystyle mathcal N omega omega nbsp ersetzt wobei w w displaystyle omega omega nbsp die Menge aller Funktionen w w displaystyle omega rightarrow omega nbsp ist was man wie ublich mit dem w displaystyle omega nbsp fachen kartesischen Produkt von w displaystyle omega nbsp mit sich selbst identifiziert und darauf die Produkttopologie betrachtet Dieser Raum ist homoomorph zum Raum der irrationalen Zahlen mit der Relativtopologie von R displaystyle mathbb R nbsp weshalb man den Baire Raum in der deskriptiven Mengenlehre oft den Raum der irrationalen Zahlen nennt Die Bezeichnungen der Hierarchien lauten S 1 1 S 2 1 S 3 1 displaystyle Sigma 1 1 subset Sigma 2 1 subset Sigma 3 1 subset dotsb nbsp P 1 1 P 2 1 P 3 1 displaystyle Pi 1 1 subset Pi 2 1 subset Pi 3 1 subset dotsb nbsp Beachte dass der obere Index eine 1 ist S 1 1 displaystyle Sigma 1 1 nbsp ist also die Klasse aller Mengen der Form p 1 A displaystyle p 1 A nbsp wobei A displaystyle A nbsp alle abgeschlossenen Teilmengen von X N displaystyle X times mathcal N nbsp durchlauft und X displaystyle X nbsp ein polnischer Raum ist diese Mengen nennt man auch analytisch P 1 1 displaystyle Pi 1 1 nbsp ist wieder die Klasse der Komplemente solcher Mengen die man daher auch koanalytisch nennt Bereits Suslin hatte gezeigt dass S 1 1 P 1 1 displaystyle Sigma 1 1 cap Pi 1 1 nbsp genau mit den Borelmengen ubereinstimmt 3 Man kann zeigen dass die S 1 1 displaystyle Sigma 1 1 nbsp Mengen die Kontinuumshypothese erfullen und alle Lebesgue messbar sind Diese Aussagen gehen fur S n 1 n gt 1 displaystyle Sigma n 1 n gt 1 nbsp verloren Godel hat gezeigt dass es unter der Annahme des Konstruierbarkeitsaxioms eine Menge in S 1 1 P 1 1 displaystyle Sigma 1 1 cap Pi 1 1 nbsp gibt die nicht Lebesgue messbar ist 4 Nach einem Satz von Sierpinski ist jede S 2 1 displaystyle Sigma 2 1 nbsp Vereinigung von ℵ 1 displaystyle aleph 1 nbsp vielen Borelmengen k Suslin Mengen Bearbeiten Ersetzt man in der Konstruktion der Lusin Hierarchie den Baire Raum N w w displaystyle mathcal N omega omega nbsp durch k w displaystyle kappa omega nbsp wobei k displaystyle kappa nbsp eine Kardinalzahl mit der diskreten Topologie sei so kommt man zum Begriff der k displaystyle kappa nbsp Suslin Menge Eine Teilmenge eines polnischen Raums X displaystyle X nbsp ist eine k displaystyle kappa nbsp Suslin Menge wenn sie die Form p 1 A displaystyle p 1 A nbsp fur eine abgeschlossene Menge A X k w displaystyle A subset X times kappa omega nbsp hat Die Klasse aller solchen Mengen wird mit S k displaystyle S kappa nbsp bezeichnet S ℵ 0 displaystyle S aleph 0 nbsp stimmt offenbar mit der S 1 1 displaystyle Sigma 1 1 nbsp also mit der Klasse aller analytischen Mengen uberein Nach einem Satz von Shoenfield ist jede S 2 1 displaystyle Sigma 2 1 nbsp eine ℵ 1 displaystyle aleph 1 nbsp Suslin Menge 5 Aussagen uber diese Mengenklassen erfordern tiefere Methoden der Mengenlehre dabei stellt sich oft die Frage nach hinreichend starken Axiomen der Mengenlehre Regularitatseigenschaften BearbeitenNeben solchen aus gewissen Operationen entstehenden Mengen betrachtet man bestimmte Regularitatseigenschaften von Teilmengen polnischer Raume und ihre Beziehungen zu den durch solche Konstruktionen gewonnenen Mengen Beispiele fur solche Eigenschaften sind Eine Menge besitzt die Baire Eigenschaft wenn sie sich nur um eine magere Menge von einer offenen Menge unterscheidet Eine Menge heisst universell messbar wenn sie bezuglich jedes vollstandigen endlichen Masses das fur alle Borel Mengen definiert ist messbar ist Eine Menge besitzt die Perfekte Mengen Eigenschaft wenn sie abzahlbar ist oder eine nicht leere perfekte Menge enthalt Weitere Fragestellungen BearbeitenWeitere wichtige Fragestellungen der deskriptiven Mengenlehre betreffen naturlich auch die Funktionen zwischen polnischen Raumen insbesondere deren Messbarkeitseigenschaften sowie Aquivalenzrelationen und algebraische Strukturen auf polnischen Raumen Ferner konnen die oben beschriebenen Bildungsprozesse auf ihre Berechenbarkeit hin untersucht werden dies geschieht im mit der Rekursionstheorie eng verzahnten Teilgebiet der effektiven deskriptiven Mengenlehre Anwendungsbereiche BearbeitenAnwendung findet die deskriptive Mengenlehre etwa in folgenden Bereichen Operatoralgebren Ergodentheorie Theorie unendlicher Automaten und SpieleLiteratur BearbeitenAlexander S Kechris Classical Descriptive Set Theory Springer Berlin 1994 ISBN 0 387 94374 9 S 341 Y N Moschovakis Descriptive Set Theory North Holland 1987 ISBN 0 444 70199 0 Weblinks BearbeitenA G El kin V I Ponomarev Descriptive set theory In Michiel Hazewinkel Hrsg Encyclopedia of Mathematics Springer Verlag und EMS Press Berlin 2002 ISBN 1 55608 010 7 englisch encyclopediaofmath org Einzelnachweise Bearbeiten Moschovakis Akihiro Kanamori The Emergence of Descriptive Set Theory S 256 Online PDF 1000 kB abgerufen am 30 November 2012 Donald L Cohn Measure Theory Birkhauser Boston 1980 ISBN 3 7643 3003 1 Kapitel 8 2 Corollary 8 3 3 Thomas Jech Set Theory 3 millenium edition revised and expanded Springer Berlin u a 2003 ISBN 3 540 44085 2 Corollary 25 28 Y N Moschovakis Descriptive Set Theory North Holland 1987 ISBN 0 444 70199 0 Theorem 2B 2 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Deskriptive Mengenlehre amp oldid 223975791