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Als Venus von Bierden wird die eingravierte anthropomorphe Darstellung eines Frauenkorpers auf einem fruhmesolithischen Steingerat aus einem Fund bei Bierden im Landkreis Verden bezeichnet Das Steingerat wurde im Jahre 2011 bei baubegleitenden archaologischen Prospektionen vor der Verlegung der Nordeuropaischen Erdgasleitung NEL gefunden Einer gangigen Terminologie fur derartige Darstellung des Frauenkorpers folgend wird sie als Venus angesprochen Die Gravur befindet sich auf einem etwa 5 7 cm grossen Sandstein Die Entstehungszeit des Artefakts das ursprunglich als Retuscheur fur Steingerate diente lasst sich anhand der Fundsituation auf etwa 9000 v Chr datieren Die Gravur auf dem Stein stellt die bisher alteste Frauendarstellung in Norddeutschland dar Venus von Bierden Inhaltsverzeichnis 1 Fundstelle 2 Entdeckung 3 Stein und Gravur 4 Datierung und Deutung 5 Prasentation 6 Kritik 6 1 Zweifel an der figurlichen Darstellung 6 2 Umstrittene Venus Bezeichnung 7 Literatur 8 Weblinks 9 EinzelnachweiseFundstelle BearbeitenDer Fundort liegt etwa 1600 Meter vom heutigen Verlauf der Weser entfernt auf einem leicht erhohten Schwemmsandrucken in der Niederterrasse der Flussniederung Er befindet sich zwischen einem einstigen Dunengebiet und der Geest am Rand des Flusstals Dieser Bereich unterlag menschlicher Nutzung durch Siedlungen und Graberfelder die sich in die Steinzeit die Bronzezeit und die vorromische Eisenzeit datieren lassen In der Steinzeit bot sich die erhoht liegende Stelle in Flussnahe Jager und Sammlergruppen als Lagerplatz an Sie war von einer im Laufe der Zeit aufgetragenen bis zu 60 cm machtigen Eschschicht vor der Zerstorung durch die Landwirtschaft geschutzt Entdeckung Bearbeiten nbsp Grabungsleiter Klaus Gerken entdeckte in Bierden das Steingerat mit der Venus von Bierden Vor der Verlegung der Nordeuropaischen Erdgasleitung NEL fuhrte das Niedersachsische Landesamt fur Denkmalpflege auf der Erdgastrasse umfangreiche Prospektionmassnahmen durch zu denen bis zu 13 Grabungsunternehmen archaologische Untersuchungen im Gelande vornahmen Dabei grub im Sommer 2011 ein Grabungsteam grossflachig auf nahezu 5000 m die Reste einer bronzezeitlichen Siedlung aus die sich in der Nahe eines Bahndamms bei Bierden befand Zum Erkennen von weiteren Befunden wie Pfosteneintiefungen wurden die Schichten des rezenten mittelalterlichen und bronzezeitlichen Bodens bis auf den spatglazialen holozanen Sanduntergrund abgetragen In diesem Bodenhorizont fand sich ein etwa 60 m grosser Bereich mit einer breiten Streuung von Feuersteinartefakten die nicht im bronzezeitlichen Kontext zu sehen sind sondern einen alteren steinzeitlichen Entstehungshintergrund haben Es konnten mehrere tausend Artefakte bei der Ausgrabung geborgen werden darunter Stichel Kratzer Klingen und Mikrolithen Ausserdem fanden sich die Reste einer Feuerstelle mit verbrannten Tierknochen unter anderem von Wildpferd und Biber was die Annahme eines steinzeitlichen Lagerplatzes bestatigte Zum Fundmaterial gehorten auch mehrere Retuscheure aus metamorphem Gestein Darunter war ein vom Grabungsleiter Klaus Gerken 1 gefundener quarzitischer Sandstein mit intentionell gesetzten Ritzlinien die beim Grabungsteam den Eindruck eines stilisierten Frauenkorpers erweckten In Anlehnung an das Pipelinekurzel NEL bekam dieses Fundobjekt zunachst den Spitznamen Nelly der sich kurzfristig in die Bezeichnung Venus von Bierden anderte Zum Teil wird auch der Begriff Nelly die Venus von Bierden verwendet 2 Rund 50 Meter von der Fundstelle wurde ein gleichartiges Fundareal archaologisch untersucht Beide Fundstellen stellen in Niedersachsen bedeutsame Platze des Mesolithikums mit weiterem Forschungspotenzial dar die im Rahmen der Pipelineverlegung bislang nur begrenzt untersucht werden konnten Stein und Gravur Bearbeiten nbsp Gravur des SandsteinsDer als Retuscheur genutzte Sandstein wurde zum Abschlagen von Kanten anderer Steinartefakte benutzt Zudem wurde er offensichtlich auch zum Glatten von weichen Materialien verwendet Der Stein weist anhand seiner Ritz Schliff und Politurspuren drei Aktivitatsphasen mit unterschiedlicher Nutzung auf Nach der Gravur wurde er in seiner ursprunglichen Funktion zur Bearbeitung von Steinmaterial weniger genutzt Die Gravur besteht aus zwei konvergierenden Ritzlinien die anscheinend die Beinpartie und den Korper einer unbekleideten Frau darstellen Die linke Korperseite ist prononciert ausgebildet Auf den ersten Blick scheint es sich um eine Frontalansicht auf eine Frau zu handeln Die Darstellung weist wie auch andere steinzeitliche Frauendarstellungen weder Kopf noch Fusse auf Der Schambereich zwischen den Beinen ist als Kerbe angedeutet Im Bereich des Bauchnabels befindet sich eine kleine Mulde wobei bislang nicht sicher ist ob sie absichtlich gesetzt ist oder ob es sich um eine Nutzungsspur am Retuscheur handelt Bei den Linien konnte es sich aber auch um eine mehrdimensionale Ansicht handeln bei der die starker gebogene Linie die Seitenansicht einer Frau mit ausgepragtem Gesass darstellt Derartige gesassbetonte Darstellungen sind aus der Steinzeit gut bekannt Ebenso konnte die starker ausgepragte Linie in der Seitenansicht den Bauch einer schwangeren Frau darstellen 2 Datierung und Deutung BearbeitenDer Sandstein mit der Gravur fand sich in einem praborealen Schichtzusammenhang im Bereich von Feuersteinartefakten die technologisch sowie typologisch zwischen Inventaren der Federmesser Gruppen 12 000 10 800 v Chr und Inventaren des Fruhmesolithikums ab 9600 v Chr stehen Datierungen mittels der Radiokarbonmethode die an Holzkohleresten der Feuerstelle vorgenommen wurden ergaben eine Zeitstellung zwischen 9200 und 8800 v Chr Da der Sandstein stratigraphisch und im Kontext abgesichert ist ist seine Nutzungszeit im fruhen Mesolithikum belegt Ahnlich stilisierte Personendarstellungen sind bereits aus der Zeit des Magdalenien 18 000 12 000 v Chr bekannt 3 Prasentation BearbeitenDas Fundstuck war Teil der Sonderausstellung Im Goldenen Schnitt Niedersachsens langste Ausgrabung zwischen August 2013 und Marz 2014 im Niedersachsischen Landesmuseum in Hannover Dort wurde es nicht als Venus von Bierden bezeichnet sondern als Retuscheur aus Sandstein mit Ritzlinien der analog zu altsteinzeitlichen Funden die alteste Frauendarstellung Norddeutschlands zeigt Ausstellungsthema waren die zwischen 2010 und 2013 erfolgten Ausgrabungen auf der Erdgastrasse der NEL Die Grabungen stellten das bisher grosste Archaologieprojekt in Niedersachsen dar und fuhrten mit etwa 150 Fundstellen zur Entdeckung weitgehend unbekannter Siedlungsstellen sowie Graberfelder Da das Niedersachsische Landesamt fur Denkmalpflege bestrebt ist die Fundstucke von der NEL Trasse ortlichen Museen zur Verfugung zu stellen konnte die Venus von Bierden zukunftig ihren Verbleib im Domherrenhaus dem historischen Museum in Verden finden 4 Vom 21 September 2018 bis 6 Januar 2019 wurde die Venus von Bierden im Martin Gropius Bau in Berlin in der Ausstellung Bewegte Zeiten Archaologie in Deutschland gezeigt die aus Anlass des Europaischen Kulturerbejahres 2018 stattfand Kritik BearbeitenZweifel an der figurlichen Darstellung Bearbeiten Es ist umstritten ob die Venus von Bierden uberhaupt als Darstellung einer menschlichen Figur zu interpretieren ist Gesichert ist dass der als Retuscheur genutzte Sandstein von Menschenhand modifiziert wurde und sich aufgrund der Fundsituation ins fruhe Mesolithikum datieren lasst Verschiedentlich werden Zweifel daruber geaussert ob die eingeritzten Linien als figurlich anzusehen sind da aus dem norddeutschen Tiefland dieser Zeitstellung bisher keine ahnlich gearteten Darstellungen bekannt sind Das Fehlen entsprechender Funde kann aber durch die schlechten Erhaltungsbedingungen im entkalkten sandigen Boden des Flachlandes begrundet sein Organische Materialien wie Knochen Bernstein Leder und Holz auf denen derartige Zeugnisse zu erwarten sind vergehen darin schnell Des Weiteren gibt es im Tiefland keine Hohlen mit ihren gunstigen Erhaltungsbedingungen Umstrittene Venus Bezeichnung Bearbeiten nbsp Eroffnung des Workshops zur figuralen Kunst vom mesolithischen Fundplatz Bierden durch den Prahistoriker Thomas Terberger nbsp Diskussionsveranstaltung zu Frauendarstellungen der Eiszeitkunst im Niedersachsischen LandesmuseumBereits Anfang 2013 brachte die britische Archaologin Jill Cook bei einer Ausstellung zur Eiszeitkunst im British Museum in London eine Diskussion um die Benennung von Venusfigurinen in Gang Die dort gezeigte Venus von Willendorf wurde als Skulptur einer Frau deklariert 5 Analog dazu entwickelte sich zur Venus von Bierden eine Debatte um den seit langem eingeburgerten Terminus technicus Venus Danach beruhe der Begriff auf der als Venus hottentote Anfang des 19 Jahrhunderts zur Schau gestellten Afrikanerin Sara Baartman und sei als kunstgeschichtlicher Genrebegriff des 19 Jahrhunderts daher mit einer rassistischen Konnotation behaftet Auch sei die kulturelle Bedeutung dieser Objekte mit Darstellungen des weiblichen Korpers bis heute ungeklart Es gibt zahlreiche Interpretationen wie Gottinnenverehrung Fruchtbarkeitssymbol Ahnenkult oder Pin up Die Diskussion fuhrte im Februar 2014 zu einem Workshop unter Beteiligung von Fachwissenschaftlern wie den Prahistorikern Svend Hansen und Thomas Terberger sowie Jill Cook vom British Museum und Christine Neugebauer Maresch von der Osterreichischen Akademie der Wissenschaften 6 Die Veranstaltung unter dem Tenor Neufund figuraler Kunst vom mesolithischen Fundplatz Bierden 31 im Kontext steinzeitlicher Frauendarstellungen wurde vom Niedersachsischen Landesmuseum und dem Niedersachsischen Landesamt fur Denkmalpflege in Hannover ausgerichtet 7 Begleitend gab es dort zur Themenstellung Steinzeit Pin ups oder Muttergottheit eine Diskussionsveranstaltung zu Frauendarstellungen der Eiszeitkunst die von der NDR Journalistin Margarete von Schwarzkopf moderiert wurde 8 Literatur BearbeitenKlaus Gerken In Fundchronik Niedersachsen 2011 Nachrichten aus Niedersachsens Urgeschichte Beiheft 16 Theiss Stuttgart 2013 ISBN 978 3 8062 2811 3 S 232 234 Online Klaus Gerken Spate Altsteinzeit oder fruhe Mittelsteinzeit Die Venus von Bierden wirft viele Fragen auf In Berichte zur Denkmalpflege in Niedersachsen 32 2012 Heft 1 S 39 40 9 Klaus Gerken Strichmadchen auf der Trasse In Archaologie in Deutschland 2012 Heft 3 S 50 Henning Hassmann Niedersachsens langste Ausgrabung Ein goldener Schnitt In Babette Ludowici Hrsg Im Goldenen Schnitt Niedersachsen langste Ausgrabung Schrift zur Sonderausstellung im Niedersachsischen Landesmuseum Hannover Im Goldenen Schnitt Niedersachsens langste Ausgrabung Petersberg 2013 S 29 Weblinks Bearbeiten nbsp Commons Venus von Bierden Sammlung von Bildern Videos und Audiodateien Foto des Fundstucks Venus von Bierden in der Welt vom 10 Oktober 2011 Beschreibung von Nelly die Venus von Bierden mit Foto und Skizze beim Landkreis Verden Bernd Hagermann Sensationsfund an der Gaspipeline in Achimer Kreisblatt vom 19 August 2011 Ulrich Tatje Venus von Bierden begeistert Archaologen in Weser Kurier vom 19 August 2011 Ulrich Tatje Sensation Venus von Bierden in Weser Kurier vom 20 August 2011 Urs Willmann Venus adieu in Die Zeit vom 13 Februar 2013 Die ratselhafte Venus von Biereden in Pipeline ArchaologieEinzelnachweise Bearbeiten Bierdener Nelly hatte viele Freundinnen in kreiszeitung de vom 16 Februar 2012 a b Nelly die Venus von Bierden beim Landkreis Verden Die Frage ob die Ritzlinien auf dem Sandstein die Fortsetzung einer langen Tradition oder eine zufallige Parallelerscheinung darstellen muss offenbleiben vergleiche Klaus Gerken In Fundchronik Niedersachsen 2011 S 234 Anke Ullrich Der Steinzeitdame das Alter entlocken in Sonntags Tipp vom 11 September 2011 und Der Steinzeitdame das Alter entlocken in kreiszeitung de vom 11 September 2011 Julia Voss Ganz alte Meister Eiszeit in London in FAZ vom 8 Februar 2014 Tina Hayessen Die Emanzipation der Venus in Weser Kurier vom 10 Februar 2014 Steinzeit Pin up oder Muttergottheit Memento des Originals vom 22 Februar 2014 im Internet Archive nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot www aid magazin de in Archaologie in Deutschland vom 6 Februar 2014 Veranstaltungen im Landesmuseum Berichte zur Denkmalpflege 2011 153 023554 8 996709 Koordinaten 53 1 24 8 N 8 59 48 2 O Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Venus von Bierden amp oldid 217487604