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Die Thingspiele des Dritten Reiches sollten ein volkisches Theater begrunden Nusser bezeichnet sie als eine genuin faschistische Theaterform da sie auf die Manipulation der Massen abzielte 1 Thingspiele wollten das Publikum formal und emotional in das dramatische Geschehen einbeziehen Sie hatten eine kurze Blutezeit von etwa 1930 bis 1936 Der Begriff Thingspiel geht auf den Kolner Theaterwissenschaftler Carl Niessen zuruck 2 Ein Thingspiel sollte Festspiel und Kundgebung in einem sein Die Bezeichnung Thing wurde von der Jugendbewegung ubernommen einige Jugendbunde Pfadfinder Quickborn und andere hatten ihre Versammlungen so bezeichnet Inhaltsverzeichnis 1 Vorgeschichte 2 Beginn 3 Erfolg 4 Spielstatten 5 Themen und Traditionen 6 Niedergang 7 Literatur 8 EinzelnachweiseVorgeschichte BearbeitenDie Weltwirtschaftskrise nach dem Borsenkrach 1929 hatte auch die Berufsgruppe der Schauspieler und andere Theaterleute in Bedrangnis gebracht Wilhelm Karl Gerst Mitbegrunder und Leiter des katholischen Buhnenvolksbundes suchte damals ein neues Medienformat bei welchem Leute vom Fach und Laien gemeinsam dramatisches Geschehen offentlich gestalten sollten Damit hoffte er nicht nur den arbeitslosen Buhnenkunstlern eine neue Existenzmoglichkeit zu eroffnen sondern auch mit geeigneten Werken auf die offentliche Meinung einzuwirken Nach dem Vorbild von Schillers Buhne als moralische Anstalt sollte das gemeinsam gestaltete und erlebte dramatische Geschehen alle Teilnehmer auf der Buhne dahinter und davor emotional moralisch und politisch engagieren ihre Gesinnung festigen oder sogar umstimmen 1931 organisierte Gerst den Reichsausschuss fur deutsche Volksschauspiele und gewann viele Theaterautoren zur Mitarbeit Der nachste Schritt war am 22 Dezember 1932 die Grundung des Reichsbundes zur Forderung der Freilichtspiele e V Der Verein wurde sieben Tage vor der Machtergreifung ins Vereinsregister eingetragen Beginn BearbeitenNach der Machtergreifung vermittelte der Schauspieler Otto Laubinger uberzeugter Nationalsozialist dass der Reichsminister fur Volksaufklarung und Propaganda die junge Vereinigung anerkannte Damit war der Reichsbund einerseits unter den Schutz des RMVP gestellt andererseits aber dessen Einfluss ausgesetzt Der Dichterkreis des Reichsbundes hatte nach ursprunglicher Planung Autoren verschiedenster Herkunfte und Ausrichtungen umfassen sollen In einer Aufstellung vom Juli 1933 werden folgende Namen genannt 3 Fred Angermayer Otto Anthes Max Barthel Peter Bauer Guido Brandt Dietzenschmidt Kasimir Edschmid Herbert Eulenberg Karl von Felner Oskar Maurus Fontana Hans Franck Wolfgang Goetz Franz Graetzer Paul Gurk Rudolf Henz Kurt Heynicke Odon von Horvath Heinrich Kohler Peter Martin Lampel Max Mell Walter von Molo Fred Neumeyer Alfons Paquet Hans Jose Rehfisch Wilhelm Schmidtbonn Bruno Schonlank Wilhelm von Scholz Friedrich Schreyvogel Fritz Schwiefert Ernst Leopold Stahl Heinz Steguweit Robert Adolf Stemmle Ernst Toller Franz Johannes Weinrich Leo Weismantel Berthold Withalm Carl ZuckmayerFur die amtliche Mitteilung des Reichsbundes im November 1933 wurde die Liste auf mehr als funfzig Namen verlangert Einerseits wurden dem Regime missliebige Autoren ausgeschlossen andererseits liess Gerst gerade gefahrdete Autoren zu deren Schutz in den Dichterkreis berufen ohne dass das Propagandaministerium sie vorher hatte prufen konnen bezeichnend fur die unubersichtlichen Auseinandersetzungen der Anfangszeit des Naziregimes 4 Die grosszugige Planung vieler Thingstatten wurde Teil der nationalsozialistischen Neugestaltung des deutschen Kulturlebens Dies half die Massenarbeitslosigkeit abzubauen und trug so mittelbar zum anfanglichen Erfolg des Kabinetts Hitler bei Als Mitarbeiter Laubingers gewann Gerst sehr viele Stadtverwaltungen dazu Grundstucke fur Thingstatten bereitzustellen und den Ausbau zu planen Gerst ursprunglich selbst Architekt von Beruf empfahl den Stadten als ortliche Gestalter arbeitslose meist junge Architekten und verschaffte diesen so ergiebige Auftrage Erfolg BearbeitenAn damals veranstalteten Thingspielen wirkten oft hunderte Schauspieler mit manchmal sogar tausende So wurde im Oktober 1933 in Berlin Grunewald ein Thingspiel aufgefuhrt zu dem nicht weniger als 17 000 SA Manner als Komparsen kommandiert waren Anwesend waren 60 000 Zuschauer In traditionellen Theatern konnten solche Stucke nicht aufgefuhrt werden Spielstatten BearbeitenEs bedurfte neuer Auffuhrungsstatten deren Dimensionen an Freilicht Amphitheater erinnerten Bis zu 400 Thingplatze waren in Planung etwa 60 wurden als Teil der Thingbewegung im 20 Jahrhundert errichtet 5 Eine der bekanntesten Auffuhrungsstatten war die Berliner Waldbuhne Die Planung von Thingstatten im ganzen Reich hatte Gerst ubermassig in Gang gesetzt Langst nicht alle Vorhaben konnten ausgefuhrt werden So konnten unerwartete Schwierigkeiten des Gelandes oder der Bodenbeschaffenheit den Ausbau wesentlich verzogern oder sogar im Ganzen gefahrden Von 1936 an wurden als Thingplatze geplante Ortlichkeiten nur dann weiter ausgebaut wenn die stadtischen Fremdenverkehrsamter sich dafur einsetzten Themen und Traditionen BearbeitenIn die Thingspiele gingen literarische Traditionen ein wie die der mittelalterlichen Mysterienspiele der barocken Festspiele oder auch des in der Weimarer Republik gespielten proletarischen Agitprop Theaters An Massenszenen hatte das Publikum aktiv teilzunehmen Mit allegorischen Gestalten mit Choren und Chorgruppen mit Mikrofonen und Beleuchtungseffekten wurden die herkommlichen Grenzen zwischen Podium und Publikum aufgehoben um ein Gemeinschaftserlebnis herzustellen 6 Dieses sollte alle Beteiligten emotional mobilisieren und ihnen die Ideologie der Volksgemeinschaft vermitteln Die Inszenierung der Reichsparteitage als Massentheater entsprachen dieser planvoll asthetisierten sie gleichsam als volkisches Gesamtkunstwerk begreifenden Show Als Thema hatten die Thingspiele immer die deutsche Geschichte besonders die Geschichte von 1918 bis zur Machtubernahme der Nationalsozialisten 1933 Gezeigt wurde wie das Volk vorgestellt wie der Chor im altgriechischen Theater politisch handelte Nur wenige Spieler hatten Einzelrollen darunter auch die Chorfuhrer Das bekannteste und meistgespielte Thingspiel war das Frankenburger Wurfelspiel von Eberhard Wolfgang Moller aus dem Jahr 1936 es wurde bei den Olympischen Sommerspielen 1936 aufgefuhrt Ein anderer bekannter Thingspielautor war Gustav Goes mit seinem Stuck Aufbricht Deutschland Ein Stadionspiel der nationalen Revolution Ausserdem wirkten Richard Euringer Kurt Heynicke und Karl Springenschmid als Thingspiel Autoren Niedergang BearbeitenEntsprechend seiner grundsatzlich links katholischen Gesinnung hatte Gerst gleichgesinnte Autoren zunachst in den Reichsausschuss spater in den Reichsbund einbezogen und suchte diese Krafte in der Organisation zu halten in der Hoffnung ihre politische Einstellung werde in ihren Dramen Entwurfen Wirkung erlangen Die tatsachlich geschaffenen Kunstwerke entsprachen aber nicht dieser Erwartung Hinzu kam dass mit der Niederschlagung des Rohm Putsches die politische Entwicklung der NSDAP und damit des Reiches in eine neue Phase eingetreten war Die sozialistische Komponente wurde schwacher die nationalistische nahm zu Im Oktober 1935 starb Otto Laubinger Gerst wurde entlassen echte Nationalsozialisten traten an ihre Stelle Es erging die Sprachregelung dass Begriffe wie Thing nicht in Verbindung mit parteipolitischen Veranstaltungen oder staatlichen Unternehmungen verwendet werden durften Soweit Thingstatten erfolgreich waren mussten sie fortan als Freilichtbuhnen bezeichnet werden Ohne die Forderung durch die Partei fuhrten Thingspiele nach 1936 nur noch ein Schattendasein bei der Hitlerjugend und in eher sektiererischen Splittergruppen innerhalb der NSDAP wie bei den Artamanen Sie blieben im NS Staat letztlich zeitlich begrenzte singulare Ereignisse Propagandaminister Joseph Goebbels sah in Film und Radio wesentlich wirksamere Moglichkeiten der Massenbeeinflussung als in den plakativ uberladenen Thingspielen Er meinte zu erkennen dass solche Veranstaltungen der Bewegung eher schadeten weil man sie womoglich als Kult durchschauen konnte Er erkannte dass vom Volk anstelle der Thingspiele die Rituale der NS Partei in den eingefuhrten Medienformaten viel wirksamer als politische Wirklichkeit wahrgenommen wurden Fackelzuge Fuhrerreden und Kundgebungen Reichsparteitag Reichsbauerntag der jahrliche Appell vor der Feldherrnhalle die Sammlungen fur das Winterhilfswerk schon 1933 die Bucherverbrennungen und vieles andere Das Volk sollte diese Ereignisse nicht als kultische Handlungen erkennen eben weil sie genau das waren Literatur BearbeitenWolfgang Beutin u a Deutsche Literaturgeschichte von den Anfangen bis zur Gegenwart Verlag J B Metzler Stuttgart Weimar 2001 S 439 Sascha Braun Auf der Suche nach der Volksgemeinschaft Das nationalsozialistische Thingspiel pdf Seminararbeit Bochum 2004 Henning Eichberg u a Massenspiele NS Thingspiel Arbeiterweihespiel und olympisches Zeremoniell Frommann Holzboog Stuttgart Bad Cannstatt 1977 Emanuel Gebauer Fritz Schaller Der Architekt und sein Beitrag zum Sakralbau im 20 Jahrhundert Stadtspuren Denkmaler in Koln Bd 28 Bachem Koln 2000 ISBN 3 7616 1355 5 zugl Dissertation Universitat Mainz 1994 unter dem Titel Das Thing und der Kirchenbau Fritz Schaller und die Moderne 1933 1974 enthalt Kapitel uber den Bau der Thingstatten zu Beginn des Nationalsozialismus Uwe K Ketelsen Volkische Nationenbildung Das Thingspiel pdf 113 kB Meinhold Lurz Die Heidelberger Thingstatte Die Thingbewegung im Dritten Reich Kunst als Mittel politischer Propaganda Veroffentlichungen zur Heidelberger Altstadt 10 Schutzgemeinschaft e V Heiligenberg Heidelberg 1975 Johannes M Reichl Das Thingspiel Frankfurt am Main 1988 Rainer Stommer Die inszenierte Volksgemeinschaft Die Thing Bewegung im Dritten Reich Jonas Marburg 1985 ISBN 3 922561 31 4 Evelyn Annuss Volksschule des Theaters Nationalsozialistische Massenspiele Wilhelm Fink Verlag Munchen 2018 ISBN 978 3 7705 6373 9 Katharina Bosse Hrsg Thingstatten Von der Bedeutung der Vergangenheit fur die Gegenwart Kerber Verlag Bielefeld 2020 ISBN 978 3 7356 0693 8 Einzelnachweise Bearbeiten Peter Nusser Deutsche Literatur Eine Sozial und Kulturgeschichte vom Barock bis zur Gegenwart Hrsg Wissenschaftliche Buchgemeinschaft Darmstadt Janss Verlag Pfungstadt ISBN 978 3 534 25450 7 S 614 Henning Eichberg Massenspiele NS Thingspiele Arbeiterweihespiel und olympisches Zeremoniell Stuttgart 1977 S 214 Stommer S 24 Stommer Seiten 34 259 265 278 Bosse Katharina Gelderblom Bernhard Strobl Gerwin Wielgosik Beata Wunsch Stefan Thingstatten Von der Bedeutung der Vergangenheit fur die Gegenwart 1 Auflage Kerber Bielefeld 2020 ISBN 978 3 7356 0693 8 S 256 Peter Nusser Deutsche Literatur Eine Sozial und Kulturgeschichte vom Barock bis zur Gegenwart Hrsg Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt Janss Verlag Pfungstadt 2012 ISBN 978 3 534 25450 7 S 614 f Normdaten Sachbegriff GND 4117207 3 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Thingspiel amp oldid 235238686