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Sophie Ehrhardt 31 Oktober 1902 in Kasan Russisches Kaiserreich 2 Oktober 1990 in Tubingen war eine deutsch russische Anthropologin und rassenideologische Zigeunerforscherin in der Zeit des Nationalsozialismus Fur die Rassenhygienische Forschungsstelle unter der Leitung von Robert Ritter hatte Ehrhardt Tausende von Zigeunern insbesondere deutsche Sinti erfasst kategorisiert und selektiert Grosstenteils wurden diese Menschen deportiert und im Zigeunerlager Auschwitz ermordet Nach 1945 arbeitete sie an der Universitat Tubingen als Dozentin Sie veroffentlichte nicht zuletzt auf der Grundlage ihrer NS Studien verschiedene Schriften und erhielt mithin zeitweise Fordergelder fur weitere Zigeunerforschungen Inhaltsverzeichnis 1 Von der Zoologie zur Anthropologie 1 1 Lehrjahre der Zoologie 1 2 Rassenforschungen 2 Nationalsozialismus 2 1 Forderung der Rassenhygiene 2 2 Hinwendung zur Kulturanthropologie 2 3 Beteiligung an NS Verbrechen 3 Nachkriegszeit 3 1 Dozentin in der Universitat Tubingen 3 2 Fordergelder von der DFG 3 3 Ermittlungsverfahren 4 Schriften 5 Literatur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseVon der Zoologie zur Anthropologie BearbeitenLehrjahre der Zoologie Bearbeiten Sophie Ehrhardt war eine Tochter Emil Ehrhardts eines 1867 in Wenden geborenen Pharmazeuten Ihre Mutter Karoline Ehrhardt geb Thomson wurde 1865 in Reval geboren Nach dem Tod des Vaters 1904 zog die Mutter mit ihren beiden Tochtern nach Tartu Zwischen 1912 und 1916 besuchte Sophie Ehrhardt ein russisches Privatgymnasium Danach wechselte sie auf ein privates Madchengymnasium 1921 legte sie dort ihr Abitur ab Von 1921 bis 1926 studierte Ehrhardt an der Universitat Tartu das Fach Zoologie Wahrend ihres Studiums war sie Mitglied des akademischen Vereins deutsch baltischer Studentinnen 1926 schloss sie das Studium mit dem Magister Titel ab Im Sommer 1927 setzte Ehrhardt ihr Zoologie Studium in Munchen fort da ihr Magister Titel in Deutschland nicht anerkannt wurde Ab Marz 1927 begann ihre Mitarbeit in der statistischen Abteilung des Anthropologischen Instituts der Ludwig Maximilians Universitat Munchen sowie in der Munchener Staatssammlung Im Juli 1930 folgte die Promotion In ihrer Dissertation hat sie sich mit Ameisen beschaftigt Rassenforschungen Bearbeiten Im Juni 1930 vollzog sich bei ihr eine Hinwendung zu anthropologischen Themen indem sie sich bis Oktober 1930 im Anthropologischen Institut intensiv mit rassenkundlichen Fragestellungen auseinandersetzte Wahrend dieser vier Monate stand das Institut unter der Leitung von Theodor Mollison Sophie Ehrhardt arbeitete als seine Assistentin Nach dieser Tatigkeit folgten Forschungsreisen ins Baltikum und in die Dobrudscha nach Rumanien Zwischen 1931 und 1934 veroffentlichte sie mehrere Aufsatze in Zeitschriften so beispielsweise auch in Volk und Rasse und im Anthropologischen Anzeiger Nationalsozialismus BearbeitenForderung der Rassenhygiene Bearbeiten Ihrer sprunghaften Karriere seit 1930 folgte 1934 das politische Bekenntnis zur radikalen Rassenhygiene So schrieb sie in einem Aufsatz der Zeitschrift fur arztliche Fortbildung dass das deutsche Volk uber das Recht verfuge bewusst Rassenpolitik sowie Auslese zu treiben Selektiert werden mussten wie sie schrieb geistig Minderwertige Rheinlandbastarde und vor allem die Juden 1 Hinwendung zur Kulturanthropologie Bearbeiten Aufmerksam geworden durch Ehrhardts Publikationen holte der bekannte nationalsozialistische Rassenforscher Hans F K Gunther die 33 Jahrige Rassenhygienikerin am 1 November 1935 zu sich an das Berliner Universitatsinstitut fur Volkerbiologie landliche Soziologie und Bauerntumsforschung Durch diesen Kontakt wendete sich Ehrhardt zunehmend von der messenden physischen Anthropologie ihres einstigen Lehrers Theodor Mollison ab Von nun stand die soziologisch kulturwissenschaftliche Rassenkunde und somit die Kulturanthropologie im Zentrum ihres Interesses 2 Beteiligung an NS Verbrechen Bearbeiten Aus einer Stammliste die Ehrhardt am 21 Mai 1942 anlasslich ihrer Anstellung in der Universitat Tubingen vorlegte Uni Archiv Tubingen 126a 92a geht hervor dass sie zwischen 1938 und 1939 im KZ Sachsenhausen und KZ Dachau sowie 1940 im Ghetto Litzmannstadt Rassenforschungen durchgefuhrt hatte Zu einem Zeitpunkt als ihre vornehmlichen Forschungsobjekte die Zigeuner Ostpreussens bereits deportiert waren wechselte sie auf Wunsch des Rassenbiologen und SS Hauptsturmfuhrers Wilhelm Gieseler 1900 1976 der Sophie Ehrhardt bereits seit 1927 vom Institut in Munchen kannte am 1 April 1942 zum Rassenbiologischen Institut der Universitat Tubingen das dem Rassenpolitischen Amt der NSDAP unterstellt war Gieseler war zu diesem Zeitpunkt Direktor des Instituts dessen Aufgabe insbesondere darin bestand Gutachten uber Juden und Zigeuner fur das Reichssippenamt und die Gesundheitsamter zu erstellen Noch im selben Jahr unternahm Ehrhardt eine Forschungsreise nach Estland wobei die dabei erhaltenen Forschungsergebnisse uber die Setukesen erstmals 1990 in ihrem Todesjahr publiziert wurden Am 16 Dezember 1942 ordnete der SS und Polizeichef Heinrich Himmler die totale Liquidierung der Zigeuner an 3 Von 1938 bis 1942 arbeitete Ehrhardt fur die Rassenhygienische und bevolkerungsbiologische Forschungsstelle im Reichsgesundheitsamt Das Institut begutachtete bis 1945 rund 24 000 Menschen um sie als Voll Zigeuner Zigeuner Mischling oder Nicht Zigeuner zu klassifizieren Mit dieser Einstufung wurde uber ihre Deportation Zwangssterilisation und insbesondere ihre Ermordung entschieden 4 Nach 1945 hatte Ehrhardt zeitweise vollen und alleinigen Zugriff auf die originalen NS Dokumente von Ritter 5 Nachkriegszeit BearbeitenDozentin in der Universitat Tubingen Bearbeiten Den Betrieb des Tubinger Rassenbiologischen Instituts hielt Ehrhardt noch bis 1948 aufrecht Im Wintersemester 1949 50 habilitierte sich Ehrhardt in Tubingen mit der Schrift Morphologisch genetische Untersuchungen am Hautleistensystem der Hand Am 2 September 1950 wurde sie in Tubingen zur Dozentin ernannt Ihre Antrittsvorlesung trug den Titel Die Bedeutung des Hautleistensystems in der Kriminalistik und erbbiologischen Gutachten 1955 ubernahm Ehrhardt erneut die Leitung des Tubinger Instituts das zuvor kommissarisch von Wilhelm Gieseler gefuhrt wurde nun schlicht die Bezeichnung Anthropologisches Institut trug Am 12 April 1957 wurde sie zur ausserplanmassigen Professorin ernannt In dieser Position betreute und begutachtete sie zahlreiche Dissertationen und hielt Lehrveranstaltungen ab Auf Einladung der Universitat von Poona unternahm Ehrhardt zwischen 1958 und 1959 eine Forschungsreise nach Indien Dort fuhrte sie insbesondere in der Nahe von Bombay anthropologische Untersuchungen an der indischen Bevolkerung durch Auf der Grundlage dieser Forschungen folgten Publikationen wie die Zeitschriftenartikel mit den Titeln Die Hautleisten der Palma der Fischerbevolkerung von Son Kolis bei Bombay 1963 und Uber prahistorische menschliche Skelettfunde in Vorderindien 1964 Fordergelder von der DFG Bearbeiten Zwischen 1966 und 1970 erhielt Ehrhardt Fordergelder der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG Gefordert wurde ihr Projekt Populationsgenetische Untersuchungen an Zigeunern Das Projekt wurde nicht aus inhaltlichen Grunden eingestellt sondern weil die DFG Ehrhardts Arbeitsberichte formal bemangelte 6 Ermittlungsverfahren Bearbeiten Das erste Strafverfahren wegen Mordes gegen Adolf Wurth und Ehrhardt wurde von der Staatsanwaltschaft Koln 1961 eroffnet und 1963 eingestellt Ein zweites Strafverfahren wiederum gegen Wurth und Ehrhardt wurde 1986 eingestellt Anfang September 1981 wurden Sophie Ehrhardts Zigeunerforschungen wahrend der NS Zeit in der Offentlichkeit bekannt 7 Wegen Verdachts der Beihilfe zum Mord stellte der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma noch im selben Jahr einen Strafantrag Dieser Antrag wurde 1982 von der Stuttgarter Staatsanwaltschaft zuruckgewiesen Die Begrundung war dass nach dem Auschwitz Erlass Roma lediglich praventiv als Asoziale verfolgt worden seien nicht aber aus rassistischen Motiven 8 Nach Michael Zimmermann trug auch der Bundesgerichtshof zeitweise dazu bei dass es um die Lernfahigkeit der bundesdeutschen Gesellschaft nicht gut bestellt gewesen sei indem die Richter den Beginn einer rassistischen Verfolgung erst auf den Tag des Auschwitz Befehls festlegten und erst spater diese Entscheidung korrigierten 9 Der Politikwissenschaftler Hans Buchheim merkte dazu an dass es dem NS Regime langst nicht mehr um die Abwehr tatsachlich auftretender Gefahren gegangen sei Vielmehr habe der NS Staat die Ausmerzung auch vermeintlicher Gefahrenherde durchgefuhrt zumal auch der Reichsarztefuhrer Leonardo Conti eine wirkliche Radikallosung gefordert habe 3 Im Marz 1983 wurde ein weiteres staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren gegen Sophie Ehrhardt eingeleitet das 1986 eingestellt wurde Schriften BearbeitenSophie Ehrhardt Bruno Kurt Schultz Wandtafeln fur den rassen und vererbungskundlichen Unterricht J F Lehmann Munchen 1940 Zigeuner und Zigeunermischlinge in Ostpreussen In Volk und Rasse 1942 S 52 57Literatur BearbeitenUlrich Hagele Hg Sinti und Roma und wir Ausgrenzung Internierung und Verfolgung einer Minderheit Tubingen 1998 ISBN 3 910090 30 3 Joachim S Hohmann Robert Ritter und die Erben der Kriminalbiologie Zigeunerforschung im Nationalsozialismus und in Westdeutschland im Zeichen des Rassismus Frankfurt 1991 ISBN 3 631 43984 9 Michael Zimmermann Verfolgt vertrieben vernichtet Die nationalsozialistische Vernichtungspolitik gegen Sinti und Roma Essen 1989 ISBN 3 88474 137 3Weblinks BearbeitenLiteratur von und uber Sophie Ehrhardt im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek Ehrhardt Biogramm von Bernd Grun PDF Datei 59 kB Univ Tubingen Archiv Bestand Gieseler umfassend seit 2006 frei darin Teil Korr Ehrhardt nur 3 cm Breite offenbar gereinigt Gieseler las 1940 41 in Berlin besondere RSHA Vorlesungen uber Rasse und Volk S 52 PDF 670 kB Entnazifizierungsakte Sophie Ehrhardt als digitale Reproduktion im Online Angebot des Staatsarchivs Sigmaringen Ehrhardt Sophie 1902 1990 In Propylaeum VITAE Akteure Netzwerke Praktiken Einzelnachweise Bearbeiten Hans Joachim Lang Ein schoner Einblick in die Forschungsarbeit Vorbereitende Beitrage Tubinger Wissenschaftler fur die Zwangssterilisation und Ermordung deutscher Sinti In Ulrich Hagele Hrsg Sinti und Roma und wir Ausgrenzung Internierung und Verfolgung einer Minderheit Tubingen 1998 S 79 Angegebene Quelle Sophie Ehrhardt Das Bild des deutschen Menschen In Zeitschrift fur arztliche Fortbildung Jg 1934 1 S um die 265 Uwe Hossfeld Geschichte der biologischen Anthropologie in Deutschland Von den Anfangen bis zur Nachkriegszeit Stuttgart 2003 a b Ein Berg von Leichen In Der Spiegel Nr 36 1990 S 40 f online 3 September 1990 Paul Behrens Prozess Vollzigeuner und Mischlinge Die ehemalige Rassenforscherin Ruth Kellermann verteidigt ihren Ruf In Die Zeit vom 7 Februar 1986 Nr 7 Ernst Klee Deutsches Blut und leere Aktendeckel In Die Zeit vom 12 Oktober 2000 Nr 42 Online verfugbar Zeit Archiv Hans Joachim Lang Ein schoner Einblick in die Forschungsarbeit Vorbereitende Beitrage Tubinger Wissenschaftler fur die Zwangssterilisation und Ermordung deutscher Sinti In Ulrich Hagele Hrsg Sinti und Roma und wir Tubingen 1998 S 89 Ernst Klee Deutsches Blut und leere Aktendeckel In Die Zeit vom 12 Oktober 2000 Nr 42 online verfugbar Zeit Archiv Klee weist darauf hin dass auch die Weisswaschung des Robert Ritter die Notker Hammerstein 1999 verubte durch DFG Gelder finanziert wurde In der Entgegnung der DFG zwei ZEIT Folgen spater in Zukunft den Komplex Rassenhygiene und DFG ernsthaft aufzuarbeiten kann man bei gutem Willen auch eine Distanzierung von Hammersteins Auftragsarbeit Klee sehen Helmut Gross Nichts gewusst In Die Zeit vom 11 September 1981 Nr 38 Zeit Archiv Matthias Winter Kontinuitaten in der deutschen Zigeunerforschung und Zigeunerpolitik In Feinderklarung und Pravention Beitrage zur nationalsozialistischen Gesundheits und Sozialpolitik 6 Berlin 1988 S 135 152 Michael Zimmermann Verfolgt vertrieben vernichtet Die nationalsozialistische Vernichtungspolitik gegen Sinti und Roma Essen 1989 Normdaten Person GND 140083308 lobid OGND AKS VIAF 103390720 Wikipedia Personensuche PersonendatenNAME Ehrhardt SophieKURZBESCHREIBUNG deutsch baltische AnthropologinGEBURTSDATUM 31 Oktober 1902GEBURTSORT KasanSTERBEDATUM 2 Oktober 1990STERBEORT Tubingen Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Sophie Ehrhardt amp oldid 238820611