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Eine kanonische Sammlung auch Kirchenrechts oder Kanones Sammlung ist eine Zusammenstellung von Kanones d h kirchlichen Einzelnormen Vor dem Inkrafttreten des Codex Iuris Canonici von 1917 war die Aufnahme in eine kanonische Sammlung der entscheidende Schritt um Einzelnormen zu verbreiten und ihnen Geltung zu verschaffen Vor allem im Fruh und Hochmittelalter bestand das Kirchenrecht in der Praxis aus jenen Normen die in den meist wenigen lokal verfugbaren Sammlungen zu finden waren Sehr viele Konzilskanones und Dekretalen vor allem des ersten Jahrtausends sind ausschliesslich in kanonischen Sammlungen uberliefert Inhaltsverzeichnis 1 Begriff 2 Themen Rechtsquellen und Prasentation der Texte 3 Entstehung Verbreitung Verwendung 4 Unterschiedliche Arten von Sammlungen 5 Geschichte 5 1 Vorgratianische Sammlungen 5 12 Jahrhundert 5 1 1 Spatantike 5 1 2 Fruhmittelalter 6 bis 9 Jahrhundert 5 1 3 Hochmittelalter 10 bis 12 Jahrhundert 5 2 Gratian und Spatmittelalter 12 15 Jahrhundert 5 3 Neuzeit 16 20 Jahrhundert 6 Literatur 7 EinzelnachweiseBegriff BearbeitenKanonische Sammlungen stellen unterschiedliche kirchliche Vorschriften zusammen in der Spatantike zunachst vor allem Auszuge aus Kirchenordnungen bischoflichen Schreiben und Beschlussen von Konzilien spater auch Dekretalen Einzelne Konzilsbeschlusse heissen seit dem 4 Jahrhundert kanones kanones Singular kanwn kanon zugleich bezeichnete kanwn in der Alten Kirche auch die Gesamtheit der dogmatischen und disziplinarischen Bestimmungen 1 2 Hauptartikel Kanon Kirchenrecht Auch in griechischen und lateinischen Werktiteln wurde Kanon seit der Spatantike ublich um kirchliche Vorschriften zu bezeichnen z B die Canones Apostolorum die Concordia canonum des Cresconius oder die Synagwgh kanonwn des Johannes Scholastikos Der Begriff kanonische Sammlung entspricht zudem den sehr vielfaltigen und nicht nur juristischen sondern z B auch liturgischen und dogmatischen Inhalten der Sammlungen besser als Bezeichnungen wie Kirchenrechtssammlung Themen Rechtsquellen und Prasentation der Texte BearbeitenDie Sammlungen konnen alle Themen behandeln zu denen es kirchliche Regeln gab insbesondere liturgische dogmatische und disziplinarische Aspekte des kirchlichen Lebens Wichtige Themenbereiche sind unter anderem Wahl und Weihe von Bischofen Vorschriften uber die Ehe und oder die sexuelle Enthaltsamkeit des Klerus die Verwaltung des kirchlichen Besitzes die Liturgie die Lehre von den Sakramenten eherechtliche Bestimmungen die Busse und das Verfahrensrecht Im Laufe des Mittelalters verschob sich der Schwerpunkt dabei hin zu den kirchenrechtlichen Inhalten im engeren Sinne d h Konzilsbeschlusse und Dekretalen zu rechtlichen Themen wahrend Fragen zur Liturgie zum Verstandnis der Sakramente und zur Busse in jeweils eigenen theologischen Werken behandelt wurden Der Vielfalt der Themen entspricht die Vielfalt der Rechtsquellen die in den Sammlungen Verwendung finden konnte 3 In den fruhesten Sammlungen spielen Kanones die sich zu Recht oder nicht auf die Autoritat der Apostel berufen eine besondere Rolle sowie die Beschlusse der okumenischen Konzilien dazu kommen Dekretalen die schon in der Spatantike als von gleicher Rechtskraft wie die Konzilsbeschlusse galten 4 und im Spatmittelalter die mit Abstand wichtigste Rechtsquelle werden Zusatzlich konnen kanonische Sammlungen auch Auszuge aus der Bibel Normen des weltlichen Rechts sowie historische und exegetische Texte enthalten Die Sammlungen prasentieren oft nur kurze Auszuge aus den genannten Rechtsquellen In vielen Sammlungen sind die Kanones mit Rubriken versehen die knapp den wichtigsten Inhalt zusammenfassen Sogenannte Inskriptionen uber oder neben dem Haupttext eines Kanon geben die Quelle an z B den Namen eines Konzils und die Nummer des jeweiligen Kanons im Falle von Konzilsbeschlussen oder den Namen des Papstes und des Empfangers seines Schreibens im Falle von Dekretalen Nur wenige Sammlungen enthalten Kommentare Ausser den Kanones enthalten die Sammlungen manchmal noch ein oder mehrere Vorworte ein Inhaltsverzeichnis capitulatio genannt und gelegentlich noch anderes Material Gerade kleinere Sammlungen werden oft als Sammelhandschriften gemeinsam mit anderen juristischen theologischen oder anderen Schriften uberliefert Der Wortlaut einzelner Kanones kann von Sammlung zu Sammlung und in geringerem Masse von Handschrift zu Handschrift variieren entweder aufgrund von Schreiberfehlern oder aufgrund bewusster Texteingriffe Davon kann auch der rechtliche Gehalt der Kanones betroffen sein und sich im Extremfall in sein Gegenteil verkehren Entstehung Verbreitung Verwendung BearbeitenKanonische Sammlungen entstanden oft dezentral und erreichten teils nur lokale und zeitlich befristete Wirkung teilweise aber wurden sie in grossen Teilen West Europas uber mehrere Jahrhunderte hinweg genutzt Beispiele sehr weit verbreiteter Sammlungen sind die Collectio Dionysio Hadriana das Decretum Gratiani und der Liber extra Seit dem 12 und 13 Jahrhundert haben Papste gezielt die Kompilation von Sammlungen angeregt und ihre Nutzung im akademischen Unterricht und in der gerichtlichen Praxis reglementiert Die meisten vorgratianischen d h vor dem Decretum Gratiani entstandenen Sammlungen sind anonyme Werke viele haben auch keinen Titel nur Notnamen Soweit ihre Entstehung naher bekannt ist wurden viele durch Bischofe oder in ihrem Auftrag angelegt Bischofe waren vor allem vor Entstehung der Universitaten auch ein wichtiger Adressatenkreis der Sammlungen weil sie als Lehrer und Richter das kirchliche Recht kennen mussten Ab dem 12 und vor allem dem 13 Jahrhundert ging die Initiative zunehmend vom Papst aus die Durchfuhrung lag zunehmend in den Handen akademisch gebildeter Juristen und die Kanonisten an den Universitaten waren auch fur die Auslegung der in den Sammlungen enthaltenen Einzelnormen zustandig Die kirchliche Gerichtsbarkeit differenzierte sich im Lauf des Mittelalters aus neben und teilweise anstatt den Bischofen waren es bischofliche Offiziale papstliche Legaten Kardinale kuriale Behorden und Gerichte wie die Rota sowie die dortigen Prokuratoren und Notare die sich besonders mit der praktischen Anwendung des Kirchenrechts auskennen mussten Unterschiedliche Arten von Sammlungen BearbeitenSammlungen die Abschnitte zu einzelnen Konzilien und solche mit Dekretalen jeweils in zeitlicher Reihenfolge anordnen nennt man chronologisch geordnet im Gegensatz zu sogenannten systematischen Sammlungen die das Material mehr oder minder nach Rechtsmaterien anordnen Viele Sammlungen folgen aber weder der einen noch der anderen Ordnung sondern jeweils abschnittsweise der Anordnung der jeweiligen Vorlagen Ist gar kein Ordnungsprinzip erkennbar spricht die Forschung manchmal von Farrago lat fur Mischmasch Typische chronologisch geordnete Sammlungen sind die Dionysiana und die Pseudo Isidorischen Falschungen bekannte systematische Sammlungen sind der Liber decretorum des Burchard von Worms und viele Dekretalensammlungen des 12 und 13 Jahrhunderts wie der Liber extra Auch Mischungen kommen vor z B die Tripartita Der Umfang der Sammlungen kann von einigen Dutzend bis mehreren tausend Einzelnormen reichen Grossere Sammlungen sind oft in Bucher eingeteilt die ihrerseits in Abschnitte und teils noch einmal in Unterabschnitte eingeteilt jeweils mit eigenen Titeln sein konnen die kleinste Einheit ist der einzelne Kanon der oft auch als Kapitel capitulum bezeichnet wird Sammlungen die ausschliesslich oder zumindest uberwiegend Dekretalen enthalten sind heissen Dekretalensammlungen eine Sonderform sind Dekretalenanhange die als Anhang alterer Sammlungen uberliefert sind Die fruhesten Dekretalensammlungen sind oft chronologisch die spatmittelalterlichen oft systematisch geordnet Bernhard von Pavia war der erste der eine Dekretalensammlung in funf Bucher zu den Themen kirchliches Verfassungsrecht Stichwort iudex romisch kanonischer Prozess iudicium das Recht des Klerus clerus Eherecht connubium und Strafrecht crimen einteilte ein Schema das von vielen Kompilatoren ubernommen wurde und das Corpus Iuris Canonici bis in die Neuzeit pragte Die vormodernen Sammlungen des Kirchenrechts werden Kompilationen oder eben Sammlungen genannt im Gegensatz zu Kodifikationen wie dem Codex Iuris Canonici Einige von ihnen gelten als Gesetzbucher in dem Sinne dass die enthaltenen Einzelnormen aufgrund ihrer Aufnahme in die Sammlung und mit deren Promulgation Geltungskraft erlangten fur andere ist dies in der Forschung umstritten 5 Bis 1917 blieb das Kirchenrecht davon gepragt dass viele Rechtsnormen Geltung hatten die nie in ein kirchliches Gesetzbuch aufgenommen worden waren und auch wichtige Rechtsquellen wie das Decretum Gratiani wurden nie promulgiert Geschichte BearbeitenVorgratianische Sammlungen 5 12 Jahrhundert Bearbeiten Spatantike Bearbeiten Die fruhesten Sammlungen von kirchlichen Normen ausser der Bibel waren Gemeindeordnungen wie die wohl aus Syrien stammende Didache aus dem ersten oder zweiten Jahrhundert oder die Didascalia und die Traditio Apostolica die beide im fruhen dritten Jahrhundert entstanden und in verschiedenen Ubersetzungen Griechisch Altsyrisch Koptisch usw Verbreitung im Mittelmeerraum und daruber hinaus fanden Ihre Bestimmungen gingen auch in Sammlungen wie die Constitutiones Apostolorum und die Canones Apostolorum die im vierten oder funften Jahrhundert ebenfalls in Syrien entstanden Dazu kamen als Rechtsquellen pseudo apostolische Briefe bischofliche Lehrschreiben und die Beschlusse von Konzilien vor allem der okumenischen Konzilien und spater Dekretalen Erste Sammlungen von Kanones mehrerer Konzilien entstanden im griechischen Raum schon im vierten Jahrhundert Ab dem funften Jahrhundert entstanden auch im lateinischen Westen zuerst in Rom und Nordafrika 6 7 grossere Sammlungen von Kanones Ausgangspunkt waren Ubersetzungen griechischer Konzilskanones zum Beispiel durch Dionysius Exiguus erweitert um andere Normen Die Sammlungen dienten sowohl der Verbreitung der enthaltenen Beschlusse als auch der Auswahl aus der wachsenden Zahl an Vorschriften die untereinander teilweise im Widerspruch standen Fruhmittelalter 6 bis 9 Jahrhundert Bearbeiten Im fruhen und hohen Mittelalter war die Kompilation von Sammlungen das wichtigste Mittel der Rechtsfortbildung neben Konzilbeschlussen Dekretalen und Falschungen wie z B Pseudoisidor Die vorgratianischen Sammlungen stellten einerseits das vorhandene Material immer wieder anders zusammen und nahmen andererseits Rechtsquellen auf die in dem Sinne neu waren dass sie in den fruheren Sammlungen noch nicht enthalten waren Dazu gehorten die angeblich sehr alten Falschen Dekretalen die teils im 10 vor allem aber im 11 Jahrhundert in Sammlungen integriert wurden das romische Recht sowie tatsachlich neues Recht in Form von Konzilsbeschlussen und Dekretalen aus der jungeren Vergangenheit Durch Auswahl Anordnung sowie teilweise durch Texteingriffe Kurzungen Verfalschungen und seltener Kommentare wurde dabei auch neues Recht geschaffen 8 Die ersten in der Westkirche verbreiteten kanonischen Sammlung waren die Dionysiana die von Dionysus Exiguus um 500 in Rom zusammengestellt wurde und die ungefahr zeitgleich entstandene Quesnelliana Im sechsten Jahrhundert entstand wahrscheinlich in Nordafrika die Concordia canonum des Cresconius eine systematisch geordnete Sammlung In Spanien wurde die sehr umfangreiche und zugleich klar geordnete Hispana kompiliert von der es zahlreiche Versionen gab und die auf viele weitere Sammlungen wirkte Auf den britischen Inseln entstanden im Fruhmittelalter zahlreiche Bussbucher deren Bestimmungen nach und nach in viele kanonische Sammlungen aufgenommen wurden Die wichtigste Sammlung aus Irland ist die um 700 entstandene Hibernensis die systematisch aufgebaut ist und dem Problem der vermeintlichen oder tatsachlichen Widerspruche zwischen den Kanones besondere Aufmerksamkeit schenkt Auffallig ist hier der hohen Anteil biblischer und patristischer Texte Die alteste systematische Sammlung aus dem frankischen Gallien ist Mitte des achten Jahrhunderts entstanden und als Collectio Vetus Gallica bekannt Inhaltlich widmet sie sich insbesondere den Fragen der kirchlichen Hierarchie In Nordwesteuropa wurde das Kirchenrecht fur die Karolingischen Reformen wichtig In der Karolingerzeit entstanden zahlreiche Abschriften alterer Sammlungen u a der Hibernensis und der Vetus Gallica Papst Hadrian I ubersandte Karl dem Grossen eine Uberarbeitung der Dionysiana die als Dionysio Hadriana bekannt ist Die Karolinger sorgten fur ihre weite Verbreitung um vor allem die kirchliche Disziplin in ihrem Herrschaftsbereich zu vereinheitlichen Im gleichen Kontext wurden die traditionellen Bussbucher teilweise als unzuverlassig oder unbrauchbar abgelehnt aber neue Sammlungen mit Bussvorschriften angelegt so zum Beispiel der Quadripartitus Eine langfristig sehr wichtige Gruppe von Sammlungen waren die verschiedenen Produkte einer Falschergruppe die kollektiv als Pseudoisidor bekannt sind 9 Hauptartikel Pseudoisidor Sie kombinierten in der Mitte des 9 Jahrhunderts echte gefalschte und verfalschte Kanones in mehreren eng miteinander verwobenen Sammlungen Ein Ziel der Falschungen war die Starkung der Autoritat der Bischofe wofur die Falscher unter anderem eine Reihe prozessrechtlicher Normen falschten die eine Anklage von Bischofen sehr stark erschwerten sowie Kanones die die Rolle der Metropoliten und der Chorbischofe einschrankten Ausserdem betonten sie die Vorrechte des Papsttums besonders soweit diese zugleich einen Schutz von Bischofen bedeuteten z B im Fall des Appellationsrechts angeklagter Bischofe Die italienische Collectio Anselmo dedidata vom Ende des 9 Jahrhunderts war die erste grossere Sammlung die die Falschen Dekretalen Pseudoisidors mit anderem Rechtsquellen vor allem Briefen Gregors des Grossen und Auszugen aus dem romischen Kaiserrecht kombinierte Hochmittelalter 10 bis 12 Jahrhundert Bearbeiten Im zehnten Jahrhundert entstanden in Westeuropa relativ wenige neue Sammlungen wohl aber Abschriften und Uberarbeitungen alterer Werke 10 Eine intensivere Produktion neuer Sammlungen begann erst wieder mit dem Liber decretorum des Burchard von Worms einer systematisch geordneten Sammlung die beinahe alle Bereiche des kirchlichen Lebens abdeckte und einen hohen Nutzwert sowohl in der Verwaltung der Kirche als auch fur pastorale Zwecke hatte Viele Vorschriften die Burchard aufnahm waren geeignet die Position von Ortsbischofen gegenuber Metropoliten aber auch dem Konig oder Klostern zu starken Wichtig waren die Bussvorschriften die Burchard massenhaft aufnahm und durch gelegentliche Texteingriffe untereinander harmonisierte Ein eigenes Buch ist den Eheverboten gewidmet die ausweislich des Liber decretorum bis in den siebten Grad der Verwandtschaft reichten d h allen Nachkommen gemeinsamer Urururururgrosseltern die Ehe miteinander verboten Im Lauf des 11 Jahrhunderts entstanden viele neue Sammlungen darunter auch eine Reihe von monastischen Sammlungen die vor allem die Rechte einerseits einzelner monastischer Gemeinschaften andererseits des Monchstandes insgesamt hervorhoben und dafur mehrfach Falschungen ins Kirchenrecht einfuhrten 11 Ende des 11 Jahrhunderts entstand in kurzer Folge eine sehr grosse Zahl neuer Sammlungen Indiz fur die zunehmende Verrechtlichung vieler Bereiche des kirchlichen Lebens die Verfugbarkeit neuer Rechtsquellen und eine aktivere Rolle der romischen Kurie in Rechtsfragen 12 Die wichtigsten Zentren waren Nordfrankreich Norditalien Rom und mit einigem Abstand Aquitanien Die Anfang der 1090er Jahre entstandene Britannica hat besondere Bedeutung weil sie eine grosse Zahl von vorher unbekannten echten Papstbriefen darunter sehr altes Briefe von Pelagius I und Gelasius I ebenso wie sehr junges Auszuge aus dem Register Urbans II vor allem aber sehr seltenes Material enthalt darunter Auszuge aus den Digesten Ivo von Chartres kompilierte kurz darauf eine sehr umfangreiche Sammlung Decretum genannt die beinahe alle Kanones des Liber decretorum Burchards enthielt und zusatzlich ungefahr noch einmal so viel Material unter anderem aus der Britannica und Teil A der Tripartita In einem sehr weit verbreiteten Vorwort diskutierte Ivo dabei ausfuhrlich wie kirchliche Richter mit scheinbar widerspruchlichen Kanones umgehen sollten und pladierte fur eine pastorale Anwendung der Kanones die stark auf den Einzelfall und das Seelenheil der jeweiligen Sunder ausgerichtet sein sollte Von den zahlreichen Kurzfassungen des Decretum hat die anonyme Panormia besondere Bedeutung weil sie sowohl in Frankreich als auch in Italien und daruber hinaus sehr weit verbreitet war insbesondere wurde sie an den damals im entstehen begriffenen Universitaten von Paris und Bologna verwendet In Norditalien und Rom entstanden um 1100 mehrere Sammlungen im Umfeld von Gregor VII die inhaltlich allerdings recht verschieden ausfallen Dazu gehoren die die Collectio canonum des Deusdedit die Collectio canonum des Anselm von Lucca und der Liber de vita christiana des Bonizo von Sutri alle drei Kleriker hatten Kontakt zu Gregor und seinem Umfeld und nahmen aktuelle Themen wie Simonie Reform der Papstwahlen Reordinationen von Priestern Rechtfertigung von Zwangsmitteln in Glaubensfragen bellum iustum und die Rechte der romischen Kirche auf Mehrere dieser um 1100 entstandenen Sammlungen vor allem die Tripartita die Panormia und die Sammlungen Deusdedits und Anselms blieben indirekt sehr lange wirksam weil sie selbst von Kompilatoren spaterer Sammlungen benutzt wurden Hingegen blieben die um 1100 vor allem im aquitanischen Raum entstandenen Sammlungen wie die Collectio Tarraconensis in ihrer Wirkung weitgehend auf das heutige Westfrankreich Nordspanien und Sudfrankreich begrenzt diese Sammlungen sind aber kirchenhistorisch wichtige Quellen weil sie anders als die meisten italienischen Sammlungen wichtige Texte aus dem Umkreis Gregors VII enthalten z B die Verbote der Laieninvestitur von 1078 oder die Dekretale Licet nova consuetudo Gratian und Spatmittelalter 12 15 Jahrhundert Bearbeiten Das Decretum Gratiani entstand um 1140 in Bologna und verbreitete sich sehr rasch als Grundlagentext insbesondere des akademischen Unterrichts Auch wenn es als Privatarbeit entstand und nie promulgiert wurde etablierte es sich rasch als wichtigste Sammlung des kanonischen Rechts 13 14 Es wurde vielfach uberarbeitet durch sogenannte Palea erweitert in Summae zusammengefasst und durch Glossen kommentiert Im weiteren 12 und 13 Jahrhundert entstanden zahlreiche weitere kanonische Sammlungen die meist als Dekretalensammlungen bezeichnet werden weil sie uberwiegend Auszuge aus papstlichen Schreiben enthalten Manche sind als Anhange zu bestehenden Sammlungen angelegt worden andere als eigenstandige Werke Unter den zahlreichen Sammlungen dieser Art sind die sogenannten Quinque compilationes antiquae lat Die funf alten Sammlungen wichtig weil sie viel Material aufnahmen und ein Ordnungsmodell entwickelten das im gesamten Spatmittelalter einflussreich blieb Ab dem 13 Jahrhundert entstanden in papstlichen Auftrag offiziose Sammlungen deren kirchliche Verwendung durch entsprechende Mandate wie Rex pacificus oder durch Promulgation vorgeschrieben wurde Auch sie enthalten uberwiegend Dekretalen bzw uberarbeitete Auszuge aus diesen und pragten gemeinsam das Kirchenrecht bis weit in die Neuzeit sie sind eng mit der Entstehung der Kanonistik als Wissenschaft verbunden 15 Der 1234 fertiggestellte Liber extra war die erste Dekretalensammlung deren Verwendung an den Universitaten und in den Gerichten ausdrucklich vorgeschrieben wurde Das Decretum Gratiani der Liber extra und vier weitere Dekretalensammlungen der Liber Sextus von 1298 die Clementinen von 1317 die Extravaganten Johannes XXII von 1325 sowie die Extravagantes communes werden seit dem spaten 15 Jahrhundert als Corpus Iuris Canonici bezeichnet das als Grundlage des akademischen Unterrichts der Rechtswissenschaft und der gerichtlichen Praxis diente Im Lauf der Zeit entstanden verschiedene Glossen Apprate zu allen diesen Sammlungen deren wichtigster als Glossa ordinaria bekannt ist und mehrere Jahrhunderte lang an Universitaten und in der gerichtlichen Praxis verwendet wurde Hauptartikel Corpus Iuris Canonici Neben den Dekretalensammlungen sind auch Sammlungen von Kanzleiregeln eine wichtige Gattung des spatmittelalterlichen Kirchenrechts 16 Auch die Beschlusse der Konzilien des Spatmittelalters sind in dem Sinne kanonische Sammlungen dass sie die Kanones dieser Versammlungen verbreiteten Allerdings waren vieler dieser Konzilien umstritten was die Bedeutung dieser Sammlungen verminderte und in vielen Fallen dafur sorgte dass nur ein Teil der Beschlusse und auch diese nur in bestimmten Gegenden Rechtskraft erlangten Ein Beispiel sind die Beschlusse des Konzils von Basel die in die Pragmatische Sanktion von Bourges ubernommen wurden 17 Hauptartikel Pragmatische Sanktion von Bourges Neuzeit 16 20 Jahrhundert Bearbeiten Nach dem 14 Jahrhundert wurde das Corpus Iuris Canonici nur in geringem Umfang durch neue Sammlungen erganzt und blieb lange Zeit relativ unverandert Die stark zunehmende Uberlieferung der Sammlungen oft in hunderten Abschriften hat bislang eine detaillierte Erforschung wie sie fur die alteren Sammlungen teilweise vorliegt sehr erschwert Die notwendigen Studien zu den Handschriften verschiedener Gattungen einschliesslich kanonischer Sammlungen fehlen weitgehend 18 Das Aufkommen des Buchdrucks sorgte zunachst fur das Erscheinen neuer Sammlungen dann vor allem fur eine Stabilisierung sowohl des Umfangs als auch des Wortlautes der Sammlungen und der entsprechenden Glossen Apparate Ende des 15 Jahrhunderts erschienen nicht weniger als neun neue Dekretalensammlungen 19 In der Zeit der Gegenreformation wurde dabei sogar die Verwendung einer bestimmten Ausgabe vorgeschrieben Im Jahr 1582 wurde nach langen Vorarbeiten die sogenannte editio Romana veroffentlicht eine in papstlichem Auftrag neu erstellte Druckfassung des Corpus Iuris Canonici Von ihrem Erscheinen bis zur Ablosung des Corpus Iuris Canonici durch den Codex Iuris Canonici von 1917 war im kirchlichen Gebrauch die Verwendung der editio Romana vorgeschrieben Ahnliches galt fur Sammlungen von Konzilsbeschlussen insbesondere denen der okumenischen Konzilien fur die ebenfalls eine verbindliche romische Ausgabe erstellt wurde Hauptartikel Sammlung von Beschlussen okumenischer Konzilien Die Beschlusse des Tridentinum konnen ebenfalls als kanonische Sammlung verstanden werden sie wurden von Papst Pius IV durch die Bulle Benedictus Deus bestatigt und zugleich mit einem Auslegungsverbot belegt Fur die Rechtsfortbildung wurden statt Dekretalen vor allem papstliche Konstitutionen wichtig Seit der Kodifizierung des Kirchenrechts 1917 haben das Corpus Iuris Canonici und erst recht die alteren kanonischen Sammlungen keine relevante Rolle im kirchlichen Rechtsleben mehr Hauptartikel Codex Iuris CanoniciLiteratur BearbeitenRoy Flechner Canonical Collections In Philip L Reynolds Hrsg Great Christian Jurists and Legal Collections in the First Millennium Law and Christianity Cambridge University Press Cambridge 2019 ISBN 978 1 108 47171 8 S 182 197 doi 10 1017 9781108559133 014 Georg May Kirchenrechtsquellen I Katholische In Theologische Realenzyklopadie TRE Band 19 de Gruyter Berlin New York 1990 ISBN 3 11 012355 X S 1 44 Digitalisat Christoph H F Meyer Kanonistik In Handworterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 2 Auflage Band 2 Berlin 2008 S 1576 1580 hrgdigital de abgerufen am 12 Mai 2022 Hubert Mordek Kanonessammlungen In Lexikon des Mittelalters LexMA Band 5 Artemis amp Winkler Munchen Zurich 1991 ISBN 3 7608 8905 0 Sp 900 903 Mathias Schmoeckel Kanonisches Recht Geschichte und Inhalt des Corpus iuris canonici ein Studienbuch Kurzlehrbucher fur das juristische Studium C H Beck Munchen 2020 ISBN 978 3 406 74910 0 Johann Friedrich von Schulte Kanonen und Dekretalensammlungen In Real Encyklopadie fur protestantische Theologie und Kirche Band 10 Berlin 1901 S 1 17 archive org abgerufen am 12 Mai 2022 Rudolf Weigand Kanonistik In Lexikon des Mittelalters LexMA Band 5 Artemis amp Winkler Munchen Zurich 1991 ISBN 3 7608 8905 0 Sp 904 907 Einzelnachweise Bearbeiten Heinz Ohme Kanon ekklesiastikos Die Bedeutung des altkirchlichen Kanonbegriffs de Gruyter Berlin 1998 ISBN 3 11 015189 8 google de abgerufen am 12 Juni 2022 Mathias Schmoeckel Kanonisches Recht Beck Munchen 2020 ISBN 978 3 406 74910 0 34 38 Georg May Kirchenrechtsquellen I Katholische In Theologische Realenzyklopadie TRE Band 19 de Gruyter Berlin New York 1990 ISBN 3 11 012355 X S 1 44 Digitalisat Dominic Moreau Non impar conciliorum extat auctoritas L origine de l introduction des lettres pontificales dans le droit canonique In Janine Desmulliez Christine Hoet van Cauwenberghe Jean Christophe Jolivet Hrsg L etude des correspondances dans le monde romain de l Antiquite classique a l Antiquite tardive Permanences et mutations Editions du Conseil Scientifique de l Universite Charles de Gaulle Lille 3 Lille 2010 ISBN 978 2 84467 125 7 S 487 509 eingeschrankte Vorschau in der Google Buchsuche Martin Bertram Die Dekretalen Gregors IX Kompilation oder Kodifikation In Carlo Longo Hrsg Magister Raimundus Atti del Convegno per il IV Centenario della Canonizzazione di San Raimondo de Penyafort 1601 2001 Istituto storico domenicano Rom 2002 S 61 86 Hubert Mordek Karthago oder Rom Zu den Anfangen der kirchlichen Rechtsquellen im Abendland In Rosalio Jose Castillo Lara Hrsg Studia in honorem eminentissimi Cardinalis Alphonsi M Stickler Studia et textus historiae iuris canonici Band 7 Libreria Ateneo Salesiano Rom 1992 ISBN 88 213 0215 6 S 359 347 Goulven Madec Peter Lebrecht Schmidt Die ersten lateinischen Kanones Sammlungen In Jean Denis Berger Jacques Fontaine Peter Lebrecht Schmidt Hrsg Die Literatur im Zeitalter des Theodosius 374 430 n Chr Zweiter Teil Christliche Prosa Handbuch der lateinischen Literatur der Antike Band 6 2 Beck Munchen ISBN 978 3 406 75096 0 S 796 801 hier S 799 Andreas Thier Dynamische Schriftlichkeit Zur Normbildung in den vorgratianischen Kanonessammlungen In Zeitschrift der Savigny Stiftung fur Rechtsgeschichte kanonistische Abteilung Band 124 2007 S 1 33 doi 10 7767 zrgka 2007 93 1 1 Mathias Schmoeckel Kanonisches Recht Beck Munchen 2020 ISBN 978 3 406 74910 0 S 103 104 Wilfried Hartmann Kirche und Kirchenrecht um 900 Die Bedeutung der spatkarolingischen Zeit fur Tradition und Innovation im kirchlichen Recht MGH Schriften Hahn Hannover 2008 ISBN 978 3 7752 5758 9 Christof Rolker Monastic Canon Law in the Tenth Eleventh and Twelfth Centuries In Alison I Beach Isabelle Cochelin Hrsg The Cambridge History of Medieval Monasticism in the Latin West Volume 1 Origins to the Eleventh Century Cambridge University Press Cambridge 2020 ISBN 978 1 108 77063 7 S 618 630 doi 10 1017 9781107323742 Christof Rolker The Age of Reforms Canon Law 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