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Als Judenhut wird eine ikonografische Darstellung eines halbkugelig oder konisch zulaufenden breitkrempigen Hutes mit einem Knauf auf dem Scheitel pileum cornutum gehornter Hut bezeichnet 1 Dieser Hut wurde ab dem 11 Jahrhundert in der Buchmalerei und anderen Abbildungen verwendet um Personen als Juden zu markieren Er entstammt einer freiwillig getragenen judischen Tracht wurde ab dem 13 Jahrhundert Juden aber aus antijudaistischen Motiven als stigmatisierendes Kennzeichen vorgeschrieben Darstellung eines Judenhuts in der Frankfurter Judenordnung Stattigkeit 1613 Die Pflicht den Hut zu tragen war um diese Zeit schon aufgehoben Pfennig Landgrafschaft Leuchtenberg von 1528 mit Judenhut Inhaltsverzeichnis 1 Ikonographie 1 1 Beginn als Kennzeichnung ohne judischen Bezug 1 2 Entwicklung als spezifisch judisches Kennzeichen 1 3 Zur Abgrenzung 1 4 Ablosung in der Ikonographie 2 Reale Kleidung 2 1 Judische Tradition 2 2 Als vorgeschriebenes stigmatisierendes Kennzeichen 3 Ubertragungen 4 Heraldik 5 Numismatik 6 Literatur 7 AnmerkungenIkonographie Bearbeiten nbsp Weissenauer Passionale Auffindung des Heiligen Kreuzes vor 1200 nbsp Rudolf von Ems Weltchronik Beisetzung Christi Nach 1350Beginn als Kennzeichnung ohne judischen Bezug Bearbeiten Die alteste erhaltene Abbildung des Judenhuts stammt aus dem Kostbaren Bernwardevangeliar des Bernward von Hildesheim aus dem Jahr 1015 2 In je einer Darstellung der Anbetung durch die Heiligen Drei Konige 3 von Johannes dem Taufer 4 und des Judas Iskariot 5 tragen jeweils verschiedene Personengruppen die Drei Konige die Zuhorer des Johannes sowie die Priester die den Judas auszahlen den Judenhut Aus der Abbildung der Heiligen Drei Konige mit dem Hut schliesst Sara Lipton Professorin an der Stony Brook University dass der Hut in diesem Werk noch nicht als Markierung fur Juden diente sondern als ikonografisches Motiv fur die ostliche Herkunft das Alter und die Bildung der abgebildeten Personen Sie leitet das aus der Entstehungszeit ab in der unter den Ottonen eine deutliche Absetzbewegung von Konstantinopel stattfand und identifiziert den Judenhut in den Abbildungen fur Bernward mit der Phrygischen Mutze die in byzantinischen Abbildungen Verwendung fand Die drei mit dem Hut abgebildeten Figurengruppen identifiziert Lipton mit den drei moglichen Reaktionen der Zeitgenossen auf die Erscheinung Jesu Ablehnung und Hass durch die Priester Indifferenz bei den Zuhorern des Johannes und Anbetung durch die Drei Konige 6 Andererseits fuhrten Bischofe in der westlichen Katholischen Kirche etwa zur Entstehungszeit des Evangeliars die spitze Mitra als neue Kopfbedeckung ein Sie loste ein Stirnband ab Mit der Darstellung in seinem Evangeliar grenzte Bernward also noch nicht aus sondern verband in Gegenteil die Bischofe seiner Zeit und damit sich selbst mit den Vorgangern seien es Juden oder Nichtjuden und verwies auf die Gefahren und Verantwortung als Gelehrte 7 Entwicklung als spezifisch judisches Kennzeichen Bearbeiten Um 1056 wird im Kloster Reichenau der spitze Hut erneut verwendet die Priester und Altesten die uber die Hinrichtung Jesu beraten sind damit bekleidet 8 Und in der um 1100 errichteten Kirche von Jelling Danemark gibt es eine Abbildung von Johannes dem Taufer die offenbar direkt aus dem Bernwardevangeliar abgezeichnet wurde einschliesslich der spitzen Hute seiner Zuhorer 9 1084 war der Monch Goderan in der Abtei Lobbes im heutigen Belgien der erste der den Judenhut auch fur seine Initialen zum Alten Testament verwendete 10 1096 fertigte Goderan eine weitere Bibel fur das Kloster Stablo und verwendete den spitzen Hut erneut Diese Bibel die heute in der British Library aufbewahrt wird 11 galt lange als die erste Abbildung des Judenhutes 12 Diese Ikonografie wurde wegen der Entstehung wahrend des Ersten Kreuzzuges mit seinen Judenverfolgungen als grafische Darstellung von Antijudaismus interpretiert 13 Lipton widerspricht Fur sie sind Goderans Initialen eine Darstellung von Alter Wissen und Erfahrung sowie eine Zuordnung zum ostlichen Kulturkreis Beides war in seiner Zeit positiv konnotiert so dass die Abbildungen wie auch die Kreuzzuge eine Hinwendung zum Osten und den Ereignissen der Evangelien bezeugen keine Ablehnung 14 Zur Abgrenzung Bearbeiten Eine systematische Umwertung des Judentums in der christlichen Ikonographie wird in der zweiten Halfte des 12 Jahrhunderts angenommen Als einflussreich gilt die umstrittene Autobiographie des Hermann von Koln die unter dem Titel De conversione sua opusculum um 1170 verbreitet wurde Hermann war christlicher Konvertit aus dem Judentum und wurde Pramonstratenser im Kloster Cappenberg und er beschreibt erstmals Juden als Unwissende Irregeleitete die nichts von Christus gehort haben oder horen wollen 15 Praktisch gleichzeitig gibt es erste Kreuzigungsszenen auf denen Juden explizit als solche mit dem Judenhut dargestellt und als schuldig und bose konnotiert werden 15 darunter eine prominente Darstellung in der Glossierung zu Psalm 68 des Petrus Lombardus 16 Damit bildete sich die klassische ikonographische Verwendung des Judenhuts heraus Sie bildete fur die nachsten Jahrzehnte das entscheidende Attribut des Juden in der christlichen Buchmalerei Ablosung in der Ikonographie Bearbeiten In der christlichen Bildkunst war der Judenhut als Kennzeichen fur Juden schon bald auf dem Ruckzug Ab Mitte des 13 Jahrhunderts und verstarkt im 14 Jahrhundert entstand eine physiognomische Markierung fur den Juden 17 Insbesondere ging hieraus das Zerrbild vom Juden mit Hakennase hervor 18 Dieses wurde bis ins Spatmittelalter und in die Jetztzeit fortgefuhrt Reale Kleidung Bearbeiten nbsp Siegel der judischen Gemeinde Augsburg 1298 Es zeigt den kaiserlichen Adler und den Judenhut nbsp Der Prophet Daniel Glasmalerei im Augsburger Dom um 1100Die Wahl des Judenhutes als Attribut stammt von einer im Alltag durch Juden getragenen Kopfbedeckung Die tatsachliche Verbreitung des Judenhutes dessen Tradition und Freiwilligkeit sind aus den Quellen nicht ganz einfach zu erkennen Das Judische Lexikon von 1930 kennt den Judenhut nur als verordnete Kleidung 19 Andererseits gilt in der geschichtswissenschaftlichen Literatur der Judenhut als uber lange Zeit freiwillig und selbstbestimmt gewahlte typische Kopfbedeckung deutscher Juden 20 Dafur spricht dass er auch als Symbol auf Siegeln Wappen und Munzen genutzt wurde Auch judische Handschriften verwendeten den Judenhut als Illustration 21 Judische Tradition Bearbeiten Sicher ist dass sich eine spezifische judische Tracht erst entwickeln musste Zunachst trugen Juden dieselbe Kleidung wie ihre Mitmenschen Bereits Erzbischof Agobard von Lyon 779 840 beklagte sich daruber dass einige judische Frauen an ihrer Kleidung nicht mehr als solche erkennbar waren 20 Andererseits stellte eine Rabbinerversammlung im Rheinland Anfang des 13 Jahrhunderts ausdrucklich als Taqqanot die religiose Pflicht auf Haar und Bart in judischer Fasson zu tragen und keinesfalls christliche Barttracht zu imitieren 20 Die spezifische Tracht kam also sowohl aus einer eigenen Tradition als auch als Forderung der Abgrenzung von aussen Erst nachdem Juden diese spezifische Tracht aufgrund assimilatorischer Bestrebungen in grossem Massstab aufgeben oder auch nur verandern wollten entstand ein massiver Druck von christlicher Seite Der Judenhut entstand aus der einfachen persischen Mutze die im islamischen Kulturkreis zusammen mit dem Kaftan ein ubliches Kleidungsstuck war Juden blieben bei dieser traditionellen Kopfbedeckung als die Muslime den Turban annahmen Der Hut kam vermutlich uber Spanien oder Byzanz nach Europa 22 Als vorgeschriebenes stigmatisierendes Kennzeichen Bearbeiten nbsp Antijudische Darstellung der Kreuzigung Christi Katharinenkapelle in Landau in der Pfalz nach 1350Unter Papst Innozenz III forderte das Vierte Laterankonzil von 1215 Bevolkerungsgruppen wie Juden und Sarazenen gemeint sind Muslime zum Tragen eines stigmatisierenden Kennzeichens zu verpflichten Der Beschluss stellte zur Begrundung ausdrucklich fest dass sie inzwischen in Teilen Europas nicht mehr von Christen zu unterscheiden waren 23 Diese Forderung richtete sich nicht an die Juden selbst sondern an die weltliche Macht Denn nur diese konnte nicht christlichen Bevolkerungsgruppen Vorschriften machen 21 Die Art der Kennzeichnung legte das Konzil nicht fest In der Regel richteten daraufhin Partikularkonzilien entsprechende Forderungen an ihre Landesherren in denen oft konkrete Merkmale gefordert wurden Darunter waren ein spezieller Umhang der 1295 in Perpignan vorgeschrieben wurde ein Talar in Aragonien und auch der spitze Judenhut den etwa die Synode von Breslau 1267 und von Wien 21 im selben Jahr vorschrieben Auch der Schwabenspiegel verlangte als kaiserliches deutsches Landrecht ausserhalb Sachsens ab 1270 75 ausdrucklich den Judenhut als Kennzeichen 24 Andernorts war es ein gelber Hut der in Italien im 15 Jahrhundert verpflichtend wurde Fur judische Frauen wurden Schleier als Kennzeichen vorgegeben so etwa in einer papstlichen Bulle von 1257 und Konzilien von Ravenna 1311 und Koln 1442 1360 wurde in Rom allen judischen Frauen ein roter Rock vorgeschrieben in Koln mussten sie ab 1404 besonders lange als Heuken bezeichnete Umhange tragen 20 Als Strafe wurde das Tragen des Judenhuts im Einzelfall auch nicht judischen Personen auferlegt Genannt werden Nicht Juden die mit Juden eine sexuelle Beziehung eingegangen sind 19 und Wucherer Durch die sich standig wandelnde Mode wurden diese Kennzeichen immer wieder obsolet denn wenn rote Rocke bei allen Bevolkerungsschichten beliebt wurden konnten sie nicht mehr als Stigma dienen Deshalb kam ab 1227 ein spezifisches Abzeichen als verbindliches Merkmal auf und wurde in den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten immer weiter verbreitet Diese Gesetze begannen in Kulturen wo Juden ublicherweise dieselbe Kleidung trugen wie ihre Mitmenschen Die erste bekannte Vorschrift stammt aus England 1218 Kastilien 1219 der Provence 1234 und dem Kirchenstaat 1257 In England wurde ein weisser Aufnaher in der Form der beiden Gesetzestafeln vorgegeben in den meisten anderen Staaten ein Gelber Ring spater haufig ein rot weisser Ring 25 Im deutschen Raum trugen Juden noch bis ins 15 Jahrhundert weit uberwiegend ihre traditionelle Kleidung und insbesondere den Judenhut so dass hier der Ring in gelber oder anderen Farbe erst ab 1451 Nurnberg und Bamberg 1452 Frankfurt am Main eingefuhrt wurde In den Habsburger Erblanden wurde er 1551 verpflichtend Diese Vorschriften blieben mit wenigen Ausnahmen bis ins spate 18 Jahrhundert bestehen 20 ihre Durchsetzung war in den verschiedenen Regionen aber unterschiedlich streng so dass kirchliche Konzilien ihre Einhaltung wieder und wieder anmahnten 25 Ubertragungen BearbeitenIm Kontext der Pest 1349 wurden Juden vom deutschsprachigen Europa vertrieben Ab diesem Zeitpunkt lasst sich eine Ubertragung feststellen Naomi Lubrich zeigt wie der spitze Hut in der Ikonographie auf Kriminelle Heiden und andere nichtchristlichen Aussenseiter ubertragen wurde darunter Zauberer 26 und Zwerge 27 Dokumentieren lassen sich Gesetze etwa in Ungarn 1421 nach denen Menschen die der Zauberei uberfuhrt wurden zur offentlichen Beschamung einen spitzen Hut aufsetzen mussen Heraldik Bearbeiten nbsp Stadtwappen von JudenburgDer sogenannte Judenhut ist in der Heraldik eine gemeine Wappenfigur und wird selten ohne einen menschlichen Kopf im Wappen gezeigt Die kappenformige Kopfbedeckung ist die schon im Mittelalter von Israeliten getragene Die Wappenfigur kann im Schild oder auch im Oberwappen sein Seine Darstellung ist eigentlich weiss Silber oder gelb Gold Aber der Hut wurde aus Unkenntnis gelegentlich mit dem Eisenhut verwechselt 28 Numismatik BearbeitenDer Judenkopfgroschen ist ein unter Kurfurst Friedrich II den Sanftmutigen von Sachsen 1428 1464 nach der Munzordnung von 1444 bis etwa 1451 gepragter Oberwahrgroschen der sachsischen Groschenzeit Der Munzname ist vom Munzbild mit der Meissner Helmzier mit dem Mannskopf dem sogenannten Judenkopf abgeleitet 29 30 31 Literatur BearbeitenSara Lipton Dark Mirror The Medieval Origins of Anti Jewish Iconography Metropolitan Books 2014 ISBN 978 0 8050 7910 4 Alfred Rubens A history of Jewish costume Valentine Mitchell amp Co 1967 Judenhut In Vormalige Akademie der Wissenschaften der DDR Heidelberger Akademie der Wissenschaften Hrsg Deutsches Rechtsworterbuch Band 6 Heft 4 bearbeitet von Hans Blesken Siegfried Reicke Hermann Bohlaus Nachfolger Weimar 1964 OCLC 833208293 adw uni heidelberg de Naomi Lubrich The Wandering Hat Iterations of the Medieval Jewish Hat in Jewish History 29 2015 203 244 Naomi Lubrich From Judenhut to Zauberhut A Jewish Sign Proliferates in Asdiwal 10 2015 136 162 nbsp Commons Judenhut Sammlung von Bildern Videos und AudiodateienAnmerkungen Bearbeiten Lipton 2014 S 16 Lipton 2014 S 25 The Three Magi Saralipton com Kostbares Evangeliar des Bernward von Hildesheim Fol 18r Busspredigt Johannes des Taufers und Berufung der ersten vier Apostel Deutsches Dokumentationszentrum fur Kunstgeschichte Bildarchiv Foto Marburg Kostbares Evangeliar des Bernward von Hildesheim Fol 75r Das letzte Abendmahl und Judas empfangt seinen Lohn Deutsches Dokumentationszentrum fur Kunstgeschichte Bildarchiv Foto Marburg Kostbares Evangeliar des Bernward von Hildesheim Fol 118r Lipton 2014 S 25 39 Lipton 2014 S 39 Evangelistar Heinrichs IV Zwei Szenen Die sich beratenden Juden Kupferstichkabinett Berlin Ident Nr 78 A 2 fol 26 verso Lipton 2014 S 46 Lipton 2014 S 47 Bible The Stavelot Bible British Library Alfred Rubens A history of Jewish costume Valentine Mitchell amp Co 1967 S 92 102 Bernhard Blumenkranz Le Jiuf medieval au miroir de l art chretien Paris 1966 S 13 20 Lipton 2014 S 23 Lipton 2014 S 54 99 a b Lipton 2014 S 99 f Initial zu Psalm 68 Saralipton com Peter Lombard 1166 Staats und Universitatsbibliothek Bremen ms a 244 fol 113v Lipton 2014 S 171 199 172 186 Lipton 2014 S 171 199 197 a b M G Trachten der Juden In Judisches Lexikon Band 4 1930 Sp 1009 1027 1014 101 7 a b c d e Robert Jutte Stigma Symbole Kleidung als identitatsstiftendes Merkmal bei spatmittelalterlichen und fruhneuzeitlichen Randgruppen Juden Dirnen Aussatzige Bettler In Saeculum Band 44 1993 S 65 98 69 73 a b c Martha Keil Judische Kleidung zwischen Selbstreprasentation und Zwangskennzeichnung In Universitat Salzburg Handbuch judische Kulturgeschichte Fassung vom Juni 2013 abgerufen am 5 August 2019 Alfred Rubens A history of Jewish costume Valentine Mitchell amp Co 1967 S 3 106 Lipton 2014 S 158 160 Die iuden sullent iudenhut tragen in allen stetten da sy ynn seynd damit seynd sy aussgezeichent von den kristen das man sy fur iuden haben sol Schwabenspiegel Cap CCCXLV Von der iuden recht das merck also PDF 1 7 MB Digitalisat auf opera platonis de a b Alfred Rubens A history of Jewish costume Valentine Mitchell amp Co 1967 S 110 114 Naomi Lubrich From Judenhut to Zauberhut A Jewish Sign Proliferates In Asdiwal 10 2015 136 162 2015 abgerufen am 17 Mai 2021 Naomi Lubrich The Wandering Hat Iterations of the Medieval Jewish Hat In Jewish History 29 2015 203 244 Abgerufen am 17 Mai 2021 Gert Oswald Lexikon der Heraldik Bibliographisches Institut Leipzig 1984 S 217 Gerhard Krug Die meissnisch sachsischen Groschen 1338 1500 1974 S 144 Helmut Kahnt Das grosse Munzlexikon von A bis Z 2005 S 211 Judenkopfgroschen Heinz Fengler transpress Lexikon Numismatik 1976 S 162 Judenkopfgroschen Judenhut Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Judenhut amp oldid 228182000