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Die Gamertinger Urkunden auch Gamertinger oder Gammertinger Vertrage von 1137 1139 regeln den Ubergabe des gesamten Besitzes der Gammertinger an die Bischofskirche von Chur Es sind die altesten Urkunden welche die Oberengadiner Orte und Kirchen namentlich erwahnen Inhaltsverzeichnis 1 Geschichtlicher Kontext 1 1 Das Oberengadin im Fruh und Hochmittelalter 1 2 Das Bistum Chur um 1100 1 3 Die Grafen von Gamertingen 2 Urkunden 3 Verschiedenes und offene Fragen 4 Literatur 5 EinzelnachweiseGeschichtlicher Kontext BearbeitenDas Oberengadin im Fruh und Hochmittelalter Bearbeiten Unter Karl dem Grossen wurde Churratien wieder straffer in das politische Gefuge des Frankenreichs einbezogen Durch die Eroberung des Langobardenreichs 773 774 und dessen Eingliederung in das Karolingerreich gewann Churratien als Passland an strategischer Bedeutung 806 trennte Karl der Grosse Churratien in die Provinzen Ober und Unterratien das Engadin wurde Teil von Oberratien Um 806 trennte Karl der Grosse das hochste weltliche Amt des Landes vom kirchlichen Leitungsamt indem er fur ersteres einen Grafen einsetzte Grafschaftsverfassung Erster ratischer Graf war Hunfried I Die gesamte Vermogensmasse welche bislang in der Verfugungsgewalt des rector episcopus von Churratien gestanden hatte wurde dreigeteilt Einen bedeutenden Teil der Guter beanspruchte der Konig Konigsgut ein weiterer Teil diente der Ausstattung des Grafen mit Amtsgut das dieser als Lehen erhielt der Rest verblieb als Kirchen bzw Bischofsgut in den Handen der Churer Bischofe Diese diviso inter episcopatum et comitatum von 806 beraubte den Bischof seiner herrschaftlichen Rechte und beschnitt sein wirtschaftliches Potenzial erheblich 1 Im Vertrag von Verdun 843 wurde Churratien dem Ostfrankischen Reich zugeschlagen 917 wurde es Teil des Herzogtums Schwaben Die Rolle Churratiens in der Reichspolitik beruhte auf der Bedeutung der Bundner Passe fur die Italienpolitik der deutschen Konige Otto I und Otto III waren nicht zufallig Forderer des Bistums Chur benutzten sie doch die Bundner Passe haufiger als nachfolgende Konige 2 Ab der Zeit um 950 entstanden Voraussetzungen fur die Ausdehnung der Bischofsherrschaft und die Entstehung der auf Reichsgut und bischoflichen Lehen gestutzten Adelsherrschaften des 10 11 Jahrhunderts 3 Mit dem Aussterben der Grafen von Buchhorn um 1080 erlosch die Grafschaft Oberratien Dies schrankte den Interventionsspielraum des Kaisers im Raum der Bundner Passe ein und das zu einer Zeit als die Alpenubergange wegen des Investiturstreites zwischen Kaiser und Papst an Bedeutung fur die Reichspolitik gewannen 4 1092 ging die Grafschaft Oberratien von den Grafen von Buchhorn an die entfernter Verwandten Grafen von Bregenz uber 5 6 Das Oberengadin war im Hochmittelalter ein uberaus reiches Tal Aufgrund der besonderen klimatischen Bedingungen war hier bis in Lagen um 1700 m Getreidebau moglich Das Bistum Chur um 1100 Bearbeiten Als gegen Ende des 11 Jahrhunderts die Grafen von Oberratien ausstarben war der Bischof von Chur wieder anerkannter Herr des Landes und damit auch des Engadins Am 29 April 1123 empfing Konrad I von Biberegg in Mainz die Bischofsweihe und wurde daraufhin auf den bischoflichen Stuhl von Chur erhoben Den Hoftag vom November 1125 in Regensburg nutzte er zur Etablierung seiner Person und Stellung als Bischof an der Nord Sud Achse im Alpenraum Auf seine Vermittlung hin erhielten die Benediktinerkloster Pfafers und Disentis von Konig Lothar III den Status von Reichsabteien Im November 1133 gehorte Bischof Konrad I zum Gefolge der Gratulanten welche in Basel dem neu gekronten Konig die Ehre erwiesen und daselbst einen Hoftag hielten 1137 1139 kam es auf dem Territorium des Bistums Chur zu einer wichtigen Veranderung bzgl Guter und Besitzverhaltnisse Die Grafen von Gamertingen verkauften ihre Herrschaft im Oberengadin von S chanf bis Silvaplana bzw vom Albula und Julierpass bis zur Wasserscheide des Berninapasses fur 1000 Mark Silber und 60 Unzen reinen Goldes an den Bischof von Chur Durch diesen Verkauf verfugte das Hochstift Chur neu uber das ganze Oberengadin mit den beiden Hauptsiedlungen Zuoz und Samedan samt den entsprechenden Kirchen so war nicht nur die Aufsicht uber die Julierpass Strasse in der Hand des Bischofs sondern er hatte neu uber den Berninapass freien Zugang ins Puschlav und Veltlin 7 Die Grafen von Gamertingen Bearbeiten Die Grafen von Gamertingen auch Gammertinger waren Grafen des 11 und 12 Jahrhunderts genannt nach der Stadt Gammertingen in Schwaben Die Gamertinger gehorten dem Geschlecht der Grafen von Achalm Adelsgeschlecht an und waren mit diesen und den Udalrichinger stammesgleich 8 Die Verwandtschaft der Grafen von Gamertingen mit den Grafen von Bregenz geht zuruck auf Adelheit Grafin von Dillingen Kyburg Tochter des Grafen Hartmann I von Dillingen 1121 und der Grafin Adelheit von Kyburg Winterthur Diese altere Adelheit war die Erbtochter des Grafen von Kyburg Winterthur 1053 der ein Enkel des Grafen Uzzo von Bregenz war Die jungere Grafin Adelheit 1 Dezember 1141 als Nonne im Kloster Zwiefalten heiratete Ulrich I von Gamertingen 18 September 1110 Da die Grafen von Bregenz die Grafen von Unterratien waren haben sie moglicherweise weniger Wert auf die Besitzungen in Oberratien gelegt Es ist nicht mit Sicherheit zu entscheiden ob die Grafen von Gamertingen ihre Oberengadiner Besitzungen von den Grafen von Buchhorn oder durch die Bregenzer Linie von den Grafen von Kyburg Winterthur geerbt haben Mit Sicherheit ist auch aus dem Inhalt der Urkunden festzustellen dass die Grafen von Gamertingen im Oberengadin nur Grundbesitzer waren dass sie also keine Hoheitsrechte uber die Talschaft besassen 9 Urkunden BearbeitenDie drei als Gamertinger Urkunden bezeichneten Vertrage von 1137 1139 sind die altesten erhaltenen Schriftquellen fur die Geschichte des Oberengadins Deshalb hat sich die bundnerische Geschichtsschreibung immer wieder dieser Urkunden und deren Aussagekraft angenommen Die drei Urkunden sind nicht im Original sondern nur abschriftlich aus der Mitte des 15 Jahrhunderts erhalten Wurde die Echtheit der drei Urkunden fruher angezweifelt so gilt diese heute als erwiesen Die zweifache Datierung des Vorgangs auf Marz 1137 und 22 Januar 1139 kennzeichnet den zeitlichen Abstand zwischen Verkaufshandlung und endgultiger Beurkundung der Transaktion durch Eberhard von Sax Misox fur die Grafen von Gamertingen und Graf Rudolf von Bregenz fur den Bischof von Chur und verweist moglicherweise auch auf ein rechtlich kompliziertes Traditionsverfahren 10 11 1 In der ersten Urkunde vom Marz 1137 22 Januar 1139 verkaufen die Bruder Ulrich und Adalbert von Gammertingen fur sich und ihre Mutter Adelheit 1 Dezember 1141 als Nonne im Kloster Zwiefalten und mit Zustimmung ihrer Kinder ihre proprietas Eigentumer zu Zuoz Samedan S chanf Campovasto Chamues ch Bever Madulain sowie Zehntenrechte der Kirchen von Zuoz Kirche San Luzi Zuoz und Samedan San Peter mit den zugehorigen Eigenleuten cum omnia familia und den Nutzungsrechten zu Berg und Tal auf Alpen und Weiden von Wald bedeckten und gerodeten Boden Feldern und Wiesen begrenzt von Punt Ota dem Palpuognasee dem Lago Bianco und dem Silvaplanersee 12 an den Bischof von Chur In der Urkunde wird ein gesetzlicher Erbpflichtteil zugunsten der Kinder von einer Quart einem Viertel vorbehalten und zwar das Eigentum in St Moritz und Pontresina Guter am Schlatein Celerina Schlarigna und die Kirche zu St Moritz St Mauritius Der Kaufpreis betragt 800 Mark Silber und 60 Unzen Gold 2 In der zweiten Urkunde ebenfalls vom Marz 1137 22 Januar 1139 verkaufen die Bruder Ulrich und Konrad von Gammertingen Sohne des in der Urkunde Nr 1 genannten Ulrich und deren Schwestern Bertha und Adelheid mit Zustimmung ihres Vaters und ihres Oheims Adalbert aus dem von ihnen ererbten Viertel die Guter am Schlatein und zu St Moritz an den Bischof von Chur wiederum mit Ausnahme eines Pflichtteils von einem Viertel der diesmal mit dem verbleibenden Besitz in Pontresina spezifiziert wird Der Kaufpreis betragt 200 Mark Silber 3 In der dritten Urkunde ebenfalls vom Marz 1137 22 Januar 1139 schenken die Bruder Ulrich und Konrad von Gammertingen zu ihrem Seelenheil mit Zustimmung ihres Vaters und ihres Oheims Adalbert den verbleibenden Besitz zu Pontresina an die Kirche von Chur In Summe gingen die Besitzungen der Grafen von Gamertingen in Oberengadin durch den Verkauf und die Schenkung von 1137 1139 zum Preis von 1000 Mark Silber und 60 Unzen Gold in den Besitz der Bischofskirche in Chur uber nbsp Gamertinger Urkunde vom 22 Januar 1139 in einer Abschrift aus dem 18 JahrhundertVerschiedenes und offene Fragen BearbeitenWie hat die Bischofskirche von Chur 1139 die Kaufsumme aufgebracht Nach Annemarie Schwarzenbach erhob der Bischof die ganze Kaufsumme von 1050 Mark Silber bei Andreas Planta von Zuoz und verpfandete ihm dafur die eben von den Gamertingern gemachten Erwerbungen Im Vertrag vom 18 Marz 1295 seien diese Guter wieder ausgelost worden 13 Die Urkunde vom 18 Marz 1295 ist in der uberlieferten Form eine Falschung aus dem 15 Jahrhundert Damit wird auch die aus dieser Urkunde abgeleitete Annahme hinfallig die Planta hatten 1139 Bischof Konrad I die Kaufsumme zu den Gamertinger Vertragen vorgeschossen 14 Aus dem Urbar des Domkapitels Chur aus der Mitte des 12 Jahrhunderts also bald nach dem Verkauf der Gamertinger Guter geht hervor dass die Gamertinger im Engadin auch uber hohergelegene Bergweiden cum alpibus et pascius verfugten und einen Lammerzehnten bezogen Es heisst dort Den Lammerzehnten von Zuoz und Samedan und von der ganzen Gruppe der Horigen den Bischof Konrad von Gamertingen gekauft hat bezieht das Domkapitel 10 Es wird gemutmasst dass die Verausserung der Gamertinger ihres Besitzes im Oberengadin mit dem Eintritt vieler aber wohl nicht aller Gamertinger ins Kloster Zwiefalten zu tun hatte Mit Sicherheit war zum Zeitpunkt der Verausserung bereits die Matrone des Hauses Grafin Adelheit geborene von Dillingen vermutlich bereits seit 1111 im Kloster Ihr folgten in den 1120er Jahren die Enkelin Adelheid Graf Ulrichs II Tochter in jungem Alter Wann ihre Schwester Bertha ins Kloster folgte ist unklar Die Bruder Ulrich II und Adalbert II traten wie das Gros ihrer Standesgenossen gegen Ende ihres Lebens ins Kloster ein Graf Ulrich II tat dies wohl um 1150 Adalbert II war schon vor oder um 1138 im Kloster Zwiefalten Auch Adalberts Frau Adelheid und seine gleichnamige Tochter waren zu unbekanntem Zeitpunkt ins Kloster eingetreten 10 Aus einer detaillierten Analyse der Dokumente besonders der Interpunktion leitet die Historikerin Annemarie Schwarzenbach ab dass Ulrich I und Adalbert I von Gamertingen vorubergehend oder dauernd Wohnsitz in Zuoz hatten 15 Im Jahr 1138 erlangten die Staufer und nicht die Welfen die deutsche Konigskrone Es gab also im Jahr nach der Verausserung der Gamertinger Besitztumer im Oberengadin einen epochalen Herrscherwechsel Der Staufer Konig Konrad III gab fruh zu erkennen dass er erheblichen Einfluss auf die Verhaltnisse in Ratien zu nehmen gedachte da er die Verfugung uber die Passe Albula Julier Bernina und Maloja erlangte Damit erscheint die Moglichkeit dass der Verkauf der Engadiner Guter durch die Grafen von Gamertingen nicht allein familiengeschichtlich motiviert war sondern moglicherweise Teil einer politischen Rochade im Zusammenhang mit dem Machtwechsel von 1138 war Es ist denkbar dass Konrad I Zahringen der von Beginn an zu den Stutzen des staufischen Konigs zahlte seinen Schwagern Ulrich II und Adalbert II von Gamertingen zu deren Ruckzug aus Ratien zugunsten des Bischofs von Chur riet 16 Literatur BearbeitenAnnemarie Schwarzenbach Beitrage zur Geschichte des Oberengadins im Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit Dissertation Universitat Zurich 1931 Auch online verfugbar Siehe Einzelnachweise nachstehend Casimir Bumiller Zwischen Alb und Alpen Die Grafen von Gammertingen in der politischen Welt des Hochmittelalters Sudverlag 2019 ISBN 978 3 87800 132 4 Digitalisat Gori Valar Das Oberengadin die Grafen von Gamertingen und der Bischof von Chur In Bundner Monatsblatt 1 2021 S 51 68 Einzelnachweise Bearbeiten Albert Fischer Das Bistum Chur Seine Geschichte von den Anfangen bis 1816 Band 1 UVK Verlagsgesellschaft Konstanz 2017 ISBN 978 3 86764 807 3 S 26 30 Reinhold Kaiser Graubunden im Fruh und Hochmittelalter In Historisches Lexikon der Schweiz HLS 11 Januar 2018 abgerufen am 28 Marz 2023 Verein fur Bundner Kulturforschung Hrsg Handbuch der Bundner Geschichte Quellen und Materialien 2 Auflage Band 4 Verlag Bundner Monatsblatt Chur 2005 ISBN 3 905342 04 9 S 17 Verein fur Bundner Kulturforschung Hrsg Handbuch der Bundner Geschichte Fruhzeit bis Mittelalter 2 Auflage Band 1 Verlag Bundner Monatsblatt Chur 2005 ISBN 3 905342 01 4 S 146 Annemarie Schwarzenbach Beitrage zur Geschichte des Oberengadins im Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit In www baselgias engiadinaisas ch Walter Isler 1931 abgerufen am 28 Marz 2023 Annemarie Schwarzenbach Beitrage zur Geschichte des Oberengadins vom Mittelalter bis zu Beginn der Neuzeit In Dissertation Philosophische Fakultat I der Universitat Zurich Diss Druckerei Gebr Leemann Zurich 1931 S 37 Albert Fischer Das Bistum Chur Seine Geschichte von den Anfangen bis 1816 Band 1 UVK Verlagsgesellschaft Konstanz 2017 ISBN 978 3 86764 807 3 S 59 60 Gori Valar Das Oberengadin die Grafen von Gamertingen und der Bischof von Chur In Institut fur Kulturforschung Graubunden Hrsg Bundner Monatsblatt Band 2021 Nr 1 Gammeter Media 2021 ISSN 1011 6885 S 61 62 Annemarie Schwarzenbach Beitrage zur Geschichte des Oberengadins im Mittelalter bis zu Beginn der Neuzeit In Dissertation der Philosophischen Fakultat I der Universitat Zurich Diss Druckerei A G Gebr Leemann Zurich 1931 S 37 38 a b c Casimir Bumiller Zwischen Alb und Alpen Die Grafen von Gammertingen in der politischen Welt des Hochmittelalters Sudverlag Konstanz 2019 abgerufen am 28 Marz 2023 Casimir Bumiller Zwischen Alb und Alpen Die Grafen von Gammertingen in der politischen Welt des Hochmittelalters Sudverlag Konstanz 2019 ISBN 978 3 87800 132 4 S 123 Gori Valar Das Oberengadin die Grafen von Gamertingen und der Bischof von Chur In Institut fur Kulturforschung Graubunden Hrsg Bundner Monatsblatt Band 2021 Gammeter Media 2021 ISSN 1011 6885 S 63 Annemarie Schwarzenbach Beitrage zur Geschichte des Oberengadins im Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit In Dissertationen der Philosophischen Fakultat I der Universitat Zurich Diss Druckerei A G Gebr Leemann Zurich 1931 S 39 40 Constant Wieser Zuoz Geschichte und Gegenwart In Schweizer Heimatbucher Band 190 Paul Haupt Bern 1991 ISBN 3 258 04484 8 S 44 Annemarie Schwarzenbach Beitrage zur Geschichte des Oberengadins im Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit In Abhandlung der Erlangung der Doktorwurde der Philosophischen Fakultat I der Universitat Zurich Diss Druckerei A G Gebr Leemann Zurich 1931 S 36 37 Casimir Bumiller Zwischen Alb und Alpen Die Grafen von Gammertingen in der politischen Welt des Hochmittelalters Sudverlag Konstanz 2019 ISBN 978 3 87800 132 4 S 128 129 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Gamertinger Urkunden amp oldid 235954596